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Albanien tut sich schwer mit der Bewältigung seiner Vergangenheit

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New PostErstellt: 25.07.12, 01:53  Betreff: Albanien tut sich schwer mit der Bewältigung seiner Vergangenheit  drucken  weiterempfehlen

Albanien tut sich schwer mit der Bewältigung seiner Vergangenheit

Verehrt wie ein Gott: Kinder berühren die Füsse der – inzwischen entfernten – Statue Enver Hoxhas auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana.
Verehrt
wie ein Gott: Kinder berühren die Füsse der – inzwischen entfernten –
Statue Enver Hoxhas auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana.
Bild: Barry Lewis / In Pictures / Corbis

Während in den Staaten Osteuropas die faktische und moralische
Aufarbeitung des Kommunismus zumindest in Teilen begonnen hat, ist aus
Albanien kaum etwas zu vernehmen. Zu sehr ist die Gesellschaft von der
Hoxha-Zeit geprägt, als dass sie einen freien Blick auf den vergangenen
Schrecken wagen würde.
Von Oliver Jens Schmitt

Vor
dreissig Jahren war die Volksrepublik Albanien das Nordkorea Europas.
Das Land und seine Bewohner wurden von dem seit 1944 herrschenden
Diktator Enver Hoxha von der Aussenwelt abgeschirmt. Die isolierten
Albaner wurden indoktriniert, sie seien die Avantgarde des
Weltkommunismus, die einzigen Hüter der wahren
marxistisch-stalinistischen Rechtgläubigkeit nach dem «Abweichlertum»
der Sowjetunion seit Stalins Tod und Chinas Abkehr von der Lehre Maos.
Albanien sei daher von Feinden umringt, von «Imperialisten» im Westen,
«Monarchofaschisten» in Griechenland, jugoslawischen «Titoisten» im
Osten und Norden. Auch im Innern des «belagerten Volkes» würden Gegner
lauern, die erbarmungslos zu bekämpfen seien, vor allem «Polyagenten»
wie der 1981 als Spion gleich mehrerer Mächte beschuldigte und
vermutlich zum Selbstmord getriebene Mehmet Shehu, der letzte
Weggefährte Hoxhas aus Partisanenzeiten im Zweiten Weltkrieg und
langjährige skrupellose Innen- und Premierminister des Regimes. Die
Umzingelungsfurcht fand sichtbaren Ausdruck im Bau Hunderttausender
zumeist nur ein bis vier Personen fassender Bunker, von denen aus die
Albaner Invasoren zurückschlagen sollten – Kritiker an dem militärisch
und ökonomisch unsinnigen Programm waren in den siebziger Jahren
hingerichtet worden.

Starke Elitenkontinuität

Die
Aussenwelt erhielt von den Machtkämpfen der albanischen Kommunisten, von
den Lebensverhältnissen ihrer Untertanen kaum Nachricht. Albanien wurde
so zum geheimnisvollsten Land Europas, über das selbst die wenigen
Spezialisten oft nur Spekulationen anzustellen vermochten. Mit einem
Schaudern betrachtete der Westen diese Diktatur, die ihren Nachbarn
freilich kaum gefährlich wurde, umso mehr aber das Leben der in Albanien
eingesperrten Menschen durchdrang. Nur einige maoistisch-leninistische
Splittergruppen, so in der Bundesrepublik Deutschland, verherrlichten
das Land als sozialistisches Paradies auf Erden.

Was wissen wir
heute über das enveristische Albanien? Die Antwort ist ernüchternd. In
Albanien selbst meiden die oft parteigebundenen Historiker die Epoche
des Kommunismus. Die offizielle Geschichtsdarstellung der albanischen
Akademie spricht von «Nachkriegszeit», um jeder begrifflichen
Präzisierung und damit auch ideologischen Wertung zu entgehen. Die
Elitenkontinuität in Politik und Wissenschaft ist stark. Wird über die
kommunistische Ära gesprochen, dann geschieht das in hoch politisierter
und äusserst emotionaler Weise. Was an kritischer Aufarbeitung betrieben
wird, verdankt sich der Initiative der wenigen zivilgesellschaftlich
engagierten Intellektuellen wie Fatos Lubonja und dessen Zeitschrift
«Përpjekja» oder dem jüngst aus dem Leben geschiedenen Ardian Klosi.
Ihnen und ihren Mitstreitern schlägt oft blanker Hass entgegen, wenn sie
eine Diskussion über die Folgen der jahrzehntelangen Diktatur
einfordern.

Der albanische Leser sieht sich einer starken
Boulevardisierung der Erinnerung gegenüber, betrieben von
sensationsinteressierten Journalisten und ehemaligen Parteikadern, die
in Memoiren ihre vermeintlichen Verdienste vor und ihre angebliche
Verfolgung nach 1991 beschreiben. Als der Publizist Blendi Fevziu vor
kurzem die erste Biografie des Diktators vorlegte, errang das
anekdotenreiche Buch einen bedeutenden Erfolg beim Publikum.
Sympathisanten des Regimes aber empörten sich lauthals; im kosovarischen
Ferizaj wurde das Buch sogar verbrannt, ein Zeichen dafür, dass Enver
Hoxha in Kosovo als starker Führer nicht nur in jugoslawischer Zeit
Verehrung genoss.

Weitestgehend verschlossen bleiben die Archive
des gefürchteten Geheimdienstes Sigurimi, die von den sich unversöhnlich
gegenüberstehenden postkommunistischen «Sozialisten» und den trotz
anderweitiger Rhetorik ebenfalls vielfach mit dem Hoxha-Regime
verbundenen regierenden «Demokraten» seit den neunziger Jahren vor allem
zur Diskreditierung des politischen Gegners verwendet werden. Der
Nachlass des umfassenden Spitzelwesens des Hoxha-Regimes bildet heute
einen riesigen Giftschrank der albanischen Gesellschaft, aus dem sich
Gerüchte und Verdächtigungen speisen. Auch im Ausland sind Interesse und
Wissen um Hoxhas Diktatur gering. Wie schwer die Einordnung des Systems
erscheint, zeigte Anfang Jahr eine Tagung junger Zeithistoriker in
Wien: Während für die DDR und die Tschechoslowakei der späten siebziger
und der achtziger Jahre die Forschung von «Staatssozialismus» spricht
und die Totalitarismustheorie seit längerem als überholt ansieht,
erntete die Einschätzung junger albanischer Historiker, Albanien sei
sehr wohl als totalitäres System zu betrachten, Erstaunen und auch
Ablehnung.

Die Gesellschaft umgewälzt

Wie bei anderen
kommunistischen Regimen schwanken auch im Falle Albaniens die Deutungen
zwischen der Betonung der Gewaltsamkeit des Regimes und den
Veränderungen, die eine «Modernisierungsdiktatur» bewirkt habe.
Unbestritten ist, dass die Kommunisten ihre Gesellschaft umgewälzt
haben: Industrialisierung, eine der radikalsten Kollektivierungen der
Landwirtschaft im östlichen Europa, der Aufbau einer Infrastruktur in
Bildung, Wissenschaft und Verkehr, die Alphabetisierung der zuvor kaum
lesekundigen Bevölkerung, das Verbot der Religionen und die offizielle
Gleichstellung der Frau veränderten die 1945 noch stark osmanisch
geprägte Gesellschaft grundlegend.

Das Regime errichtete aber auch
eine Herrschaft des Schreckens: Es kam in einem Bürgerkrieg (1941–1945)
mit Unterstützung von Titos Jugoslawien gegen nichtkommunistische
Partisanen an die Macht; es eliminierte die alten kulturellen und
gesellschaftlichen Eliten; betrieb Sippenhaft und unterhielt bis in die
achtziger Jahre Straflager, in denen Tausende unter schrecklichen
Entbehrungen Zwangsarbeit leisteten. Auswanderung wurde verboten, die
Binnenmigration radikal beschränkt, das klassische Migrationsvolk der
Albaner buchstäblich eingekerkert. Das Regime zwang seinen Untertanen
mehrere Richtungswechsel auf: Auf Jugoslawien (bis 1948) folgte die
Sowjetunion (bis 1961), dann das maoistische China (bis 1978) als
Schutzmacht, die Geld für den industriellen Aufbau und Ideologie
lieferten – Geld, das zurückzuzahlen Albanien nicht bereit war, was den
«Bruch» mit der jeweiligen Schutzmacht oftmals besser erklärt als das
laute ideologische Getöse.

Albanien importierte Maos
«Kulturrevolution», verlieh ihr aber auch eigene Züge: Seit den frühen
siebziger Jahren wurde der Nationalismus auf einen Höhepunkt getrieben,
die Abstammung von den Illyrern zur Staatsdoktrin. Der «neue Mensch» des
albanischen Typs sollte also nicht nur wie das sowjetische und
chinesische Vorbild alle Hindernisse der Natur überwinden,
klassenbewusst, gesund und stark, sondern auch überzeugter Nationalist
und Atheist sein. Mit aussergewöhnlicher Brutalität wurde das 1967
erlassene Verbot der Religionen umgesetzt, das Albanien – zumindest
offiziell – zum Sonderfall des weltweit einzigen atheistischen Staates
machte. Stalinismus und Nationalismus, bei Betonung des Letzteren,
bildeten die ideologischen Grundlagen des Regimes. In diesem fehlte es
auch nicht an jenen Abrechnungen unter den Parteispitzen, die Historiker
am Kommunismus stets faszinierten: Hoxha eiferte bei seinen
«Säuberungen» dem Vorbild Stalin nach. Dass seine Opfer selbst
verantwortlich für schwere Verbrechen waren, wird in diesem Zusammenhang
oft vergessen. Hoxhas Nomenklatura glich in vielem Stalins Kumpanen,
einer Pfründen- und Machtgemeinschaft.

In Albanien überwiegt heute
das Interesse an Personen, weniger an Fragen sozialer Strukturen. Wie
etwa der Bau eines riesigen Stahlwerks die altosmanische Stadt Elbasan
in ein Kombinat, ihre Einwohner in Rädchen eines industriellen
Mechanismus verwandelte, wird derzeit erst erforscht. Ob die
propagandistisch gefeierte Gleichstellung der Frau wirklich eine
Verbesserung bedeutete oder nicht einfach eine Doppelbelastung in
Familie und Arbeit, harrt ebenfalls noch der Analyse. Wie die Isolierung
des Landes, die Durchdringung des Privatlebens die Menschen veränderte,
wird allmählich deutlich: In den Familien wurde oft im engsten Kreis
aus Angst geschwiegen.

Die Sigurimi hatte eine Herrschaft des
Schreckens errichtet. Die Kontrolle des Regimes über die Vergangenheit
führte zu Orwellschen Szenen, etwa wenn Belegschaften gestürzte
Politiker mit Hassparolen verdammten. «Treue haben wir der Partei und
Genosse Enver geschworen, und für sie sind wir bereit, unser Leben zu
geben; denn Leben und Glück gab uns die Partei.»

Geheimdienstberichte
zeigen auch, wo es winzige Reservate des Privaten besonders in der
Spätzeit des Regimes gab: In Grenzgebieten richteten Menschen Antennen
zu den Nachbarländern aus, bei Kontrollen sagten sie, der Wind habe sie
verschoben. Im Geheimen wurden bisweilen religiöse Riten gepflegt.
Dennoch waren die Rückzugsräume äusserst bescheiden, und noch zu Beginn
der achtziger Jahre verschärfte die Partei den Kampf gegen die letzten
Reste des bäuerlichen Privatbesitzes. So herrschten in Hoxhas Endzeit in
Albanien grosse Armut und Mangel, die gut versorgte Nomenklatura im
streng abgeriegelten Viertel «Blloku» in Tirana ausgenommen, die sich
mit Frischmilch und italienischen Spaghetti verwöhnen liess.

Von Hoxhas Erbe geprägt

Um
Hoxhas Albanien zu verstehen, müsste man mehr wissen über die Menschen,
die ihn unterstützten und den Aufbau des Kommunismus, die gnadenlose
Bekämpfung Andersdenkender mittrugen. Hoxhas manichäisches Weltbild
erklärt zum Teil die heutige Dialog- und Kompromissunfähigkeit der
politischen Elite. Wie sehr sie von Hoxhas Erbe geprägt ist, fällt ihr
kaum auf. Denn dazu müsste sie lernen, über die – das heisst auch ihre
persönliche – Vergangenheit zu sprechen und eine Sprache für das
Geschehene zu finden. Doch hat die Hoxha-Zeit die gesamte albanische
Gesellschaft geprägt. Und nicht der Blick auf kommunistische Führer,
sondern die Frage, wer die gewöhnlichen Menschen waren, die den
Kommunismus trugen, ist der Schlüssel zum Verständnis von Albaniens
Vergangenheit und auch Gegenwart. Bis anhin sind die meisten Albaner
offenbar entschlossen, nicht in diesen Spiegel zu blicken.

Prof.
Dr. Oliver Jens Schmitt lehrt Osteuropäische Geschichte an der
Universität Wien. Diesen Frühling erschien bei C. H. Beck der Band «Die
Albaner. Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident».

[Quelle: http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/albanien-tut-sich-schwer-mit-der-bewaeltigung-seiner-vergangenheit-1.17382475]




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Next time the devil tells you "You're stupid" say "No, you're stupid - ...I'm going to heaven, you ain't getting in".
~Joyce Meyer~
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