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1998: Wie die Göttin zu mir kam

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Jan
Administrator

Beiträge: 85
Ort: Oebisfelde


New PostErstellt: 05.11.10, 21:20  Betreff: 1998: Wie die Göttin zu mir kam  drucken  weiterempfehlen

Wie die Göttin zu mir kam
Am 22. Dezember 1998 kam ich kurz vor Mittag vom Einkaufen nach Hause und öffnete die Haustür. Da sah ich sie.
Nougatbraun, den Blick gesenkt, stand sie im Treppenhaus und sprach kein Wort. Unfähig, sich vom Platz zu rühren, stand sie da und fror. Wie bestellt und nicht abgeholt. In ihrer stillen Bescheidenheit schöner denn je.
Als ich sie neben der Haustür erblickte, wusste ich: Limes hatte sich von ihr getrennt. Er musste gespürt haben, dass sie sich zu mir hingezogen fühlte. Wie hatte sie ihm das nur beigebracht?
“Komm, meine Liebe”, sagte ich und nahm sie in die Arme, “wir gehen zu mir. Bitte nicht erschrecken über meine Junggesellenbude. Ich wusste ja nicht, dass du kommst.”
Als wir uns zum erstenmal begegnet waren, stand sie in Limes’ Wohnung am Kamin, und ich hatte mich sofort in sie verliebt. “Meine Göttin aus Kathmandu”, nannte er sie. “Macht sich doch gut in meiner Wohnung, oder?”
Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sie nicht als Göttin, sondern eher wie ein Möbelstück behandelte. Ich dagegen hatte gleich den Wunsch verspürt, sie zu schmücken, zu verehren, zu verwöhnen. Jetzt hatte sie den Weg zu mir gefunden.
“Unsere Göttin sucht ein neues Heim”, stand auf einer Karte. “Vielleicht kannst du ihr ein Zuhause bieten. Es ist so schwer, allein im Dunkeln zu leuchten.
Limes und Lona”
Während ich sie in meine Dachstube brachte, bemerkte ich, daß ihr an der rechten Hand der kleine Finger fehlte. “Oh Gott, wie sie dich zugerichtet haben”, sagte ich und streichelte ihre verkrüppelte Hand. “Ich verspreche dir: Ich schnitz dir einen neuen.”
Im Zimmer räumte ich den Nachttisch frei, legte eine Tischdecke darüber und stellte sie neben mein Bett. Kokett stand sie da, nicht größer als ein fünfjähriges Kind, die Rechte vor der Brust gewinkelt, die Linke zur Krone weisend, das Spielbein locker geknickt, und zeigte mir stolz ihre festen, mattglänzenden Brüste.
“Göttin aus Kathmandu”, dachte ich, “still und bescheiden, aber schön. Du bist die ideale Partnerin für mich. Du wirst mir keine Scherereien machen wie Dolores.”
Seit meiner Scheidung war ich Junggeselle und hatte nie mehr vor zu heiraten. Aber wie sollte ich meiner Mutter erklären, dass jetzt eine Göttin bei mir wohnte? Auf leisen Sohlen schlich ich mich in die Küche.
“Des is ja 'n Riesenschinken da im Treppenhaus. Des sperrige Ding! Isch hab gerufen: Stelln Se’s bitte ab, isch bin im Bad! Hast du des bestellt?”
“Nöö.”
“Wieso kommt des zu uns? Und wohin damit, wenn du nit da bist? Auf’n Speicher kommt die mir nit. Der Schornsteinfescher hat sich schon beschwert. Da darf nix Brennbares stehen.”
“Die kommt zu mir. Künstler brauchen doch eine Muse, die sie küsst.”
“Och! Hör mer uff mit dem Kram! Nix wie Ferz im Kopp! Wozu soll ’n des gut sein? Was stellt die überhaupt dar?”
“Keine Ahnung. Vielleicht die Göttin des Reichtums.”
Nach dem Mittagessen mit meiner Mutter fragte ich mein Goldstück: “Sag mal, welche Göttin stellst du dar? Stehst du für Reichtum, Glück und Liebe? Für Weisheit, Kunst und Wissenschaft? Oder bist du eine Zauberin? Wild und gefährlich?”
Bei dem Wort Zauberin schien es mir, als zucke ein Lächeln um ihren Mund. Tatsächlich verzauberte ihr bloßes Dasein mein Zimmer, gab ihm ein Flair von Wohnlichkeit und Fülle. Ich stellte Windlichter und eine Duftlampe vor sie hin, die ich gerade vom Weihnachtsmarkt mitgebracht hatte, zündete die Lichter an und betrachtete die Holzfigur in aller Ruhe. Der geschnitzte Schmuck war staubig und spröde. Vom Arbeiten mit Holz wusste ich: Holz braucht Öl für Glanz und Haltbarkeit. Ich holte Sesamöl, nahm einen weichen Aquarellpinsel und tauchte ihn ins Öl.
Als der Pinsel ihre Stirn berührte, fingen ihre Züge an zu leuchten. Ihre Augen, fast geschlossen, wurden feucht. Vor dreißig Jahren hatte Limes sie aus Nepal mitgebracht und seither nie geölt. Durstig saugte ihre Haut das Öl auf. Wangen, Schultern, Oberarme trieften. Als der Pinsel ihre Brustspitzen bestrich, erbebte sie. Aus Bauch und Stirn und Schenkel brach der Schweiß. Vom Scheitel bis zur Sohle eingeölt, glänzte sie zufrieden, dankbar, satt.
Wie beim Aktzeichnen und -modellieren genoss ich die zu Kopfe steigende Erregung. Torkelnd wie ein vom Winde gekraulter Ahorn spürte ich das Prickeln in den Gliedern. Zum Einmassieren des Öls nahm ich sie in die Arme. Während meine Hände ihre glatten, festen Brüste kneteten, brauten sich meine Lebenssäfte zusammen. Das glatte, eingeölte Holz fühlte sich an wie seidenweiche Haut. Nach dieser Ölmassage stand sie zufrieden lächelnd auf dem Nachttisch an der Ostwand. Ich schmückte ihren nougatbraunen Hals mit meiner Korallenkette und merkte plötzlich: sie sah nackt aus. Unerträglich nackt. In dieser Nacht, als sie zum erstenmal neben meinem Bett stand, träumte ich von einer nackten Nepalesin.
“Ich brauche Kleider”, hörte ich am nächsten Morgen ihre Stimme. “Und zwar für jeden Wochentag in der Farbe des Planeten. Dazu Früchte, Kerzen, Ketten, Ohrringe, Armbänder, Steine, Süßigkeiten. Überhaupt: wie sieht’s hier aus? Keine Blumen im Zimmer, keine Decken! Wie kann man nur in einer solchen Rumpelkammer hausen!”
Ihre Stimme hörte ich in meinem Kopf. Aber so klar und fordernd, dass ich das Verlangen spürte, alles, was sie wollte, sofort zu erfüllen. Dabei war nicht auszumachen: War es ihr Wunsch oder meiner? Ich las ihr alles von den Lippen ab. Gleichzeitig hörte ich meine eigene Stimme innerlich rebellieren: “Ich wohne hier doch nur noch eine Woche. Kurz nach Weihnachten fliege ich wieder in die Apallachen. Dort wohne ich zwischen Chirokesen, Pumas und Wasserfällen mitten im Wald.
Eisiges Schweigen. Dann: “Und deine Mutter? Im Winter tun ihr doch die Knochen weh. Willst du sie einfach hier alleine lassen?”
Ich hob meine Göttin auf den Arm und schätzte ihr Gewicht: mit Sockel sicher über zwanzig Kilo. Und als Handgepäck zu sperrig. “Habe verstanden”, sagte ich: “Du bist fürs Flugzeug zu zerbrechlich und zu schwer. Aber mein Flug ist schon gebucht, was sagst du jetzt? Für den 28. 12. 11 Uhr 40.
“Du lässt also deine Mutter im Stich?! Du bist ja Schlimmer als Limes!”
“Was redest du von meiner Mutter? Sie fällt in Ohnmacht, wenn ich mich hier oben häuslich niederlasse. Ich müsste das ganze Dachgeschoss auf den Kopf stellen.”
“Besser ein Zimmer durcheinanderbringen als Gefühle! Du gehst sofort zum Telefon und stornierst deinen Flug. Und dann gehst du bitte zur Bank, ins Blumengeschäft, in die Stoffabteilung vom Warenhaus ...”
“Moment mal! Das Stornieren des Tickets kostet mich 300 Mark! Ich bin kein Krösus!”
“Keine Widerrede! Wer seine Göttin in die Rumpelkammer abschiebt, statt sie täglich zu verehren, bekommt meinen Fluch zu spüren. Was meinst du, warum mich Limes auf einmal loswerden wollte? Entscheide dich: Willst du mit mir leben oder ohne mich. Wenn du mir dienst, mach ich dich reich und glücklich. Wenn nicht, dann trennen wir uns besser heute als morgen.”
Ich brauchte keine Zeit zum überlegen. Ich nickte nur.
“Gut”, sagte sie. “Du brauchst als erstes eine Werkstatt. Einen großen Tisch mit Lampe. Frag deine Mutter, wo du so was findest. Und wo du Blumen her bekommst. Unser Heim muss zur Oase werden. Ein Platz zum Träumen, Lieben und Vergessen.”
“Wem sagst du das? Es fehlt mir nur das Geld.”
“Wer etwas will, der fragt nicht nach dem Geld, der tut es einfach. Alles andre kommt von selbst. Auch Geld.”
Als ich im Kaufhaus nach Halstüchern stöberte, die ich meiner Göttin als Sari umbinden wollte, stand plötzlich Limes neben mir. “Hallo, lange nicht gesehen. Wie gehts, wie stets?”
“Oh Limes! Vielen Dank für die phantastische Figur.”
“Keine Ursache. Mein Sohn wird zwölf und spielt jetzt Tischtennis. Da brauchten wir im Keller Platz für die Platte. Auf den Sperrmüll wollten wir sie nicht bringen. Das brachten wir nicht übers Herz. Da dachten wir: Du bist der Richtige für sie.”
“Da ist was Wahres dran. Und warum habt ihr sie nicht in der Wohnung behalten?”
“Die Kinder haben sie laufend umgeworfen, bis ihr ein Finger abgebrochen ist. Da brachten wir sie in den Keller. Und? Fährst du wieder nach Amerika?”
“Vorläufig nicht.”
“Hattest du nicht schon gebucht?”
“Da wusste ich noch nicht, dass meine große Liebe plötzlich in mein Leben tritt. Seit gestern bin ich verheiratet.”
“Ach was?! Und uns hast du kein Wort gesagt! Herzlichen Glückwunsch!! Ich hab mich schon gewundert, für wen ein Junggeselle Seidentücher kauft? Deswegen warst du gestern nicht da, als ich die Figur vorbeibrachte. Dann war das also mein Hochzeitsgeschenk. Was sagt denn deine Braut zu der Figur?”
“Die hat für Holzfiguren nicht viel übrig. Sie liebt das Praktische und scheucht mich durch die Gegend: Wohnung einrichten, alles schön und gemütlich machen. Ich habe heute schon neue Möbel durchs Treppenhaus bugsiert und Blumenstöcke und lauter Firlefanz vom Weihnachtsmarkt besorgt: Bernsteinkette, Perlenarmband, Halbedelsteine ... Gerade wollte ich Seidentücher kaufen, aber dafür reicht mein Geldbeutel nicht mehr.”
“Tja, die hält dich bestimmt auf Trapp, bis du sie mit Klunkern überschüttest. Und? Schreibst du noch Geschichten?”
“Ich hatte grade was für Brigitte in Arbeit. Aber meine Frau meint, ich solle lieber über sie was schreiben. Seitdem sie da ist, braucht sie ständig Zuwendung. Alles dreht sich nur um sie.”
“Das muss ja ein Powerweib sein! Freut mich für dich. Also: schönes Fest und frohes Schaffen! Und Grüße an die Frau Gemahlin. Die muss ich unbedingt mal kennenlernen.”


Dese Geschichte ist auch enthalten in dem Kurgeschichtenband:
https://www.alfa-veda.com/9783945004067-jan-mueller-reich-ueber-nacht.html


[editiert: 04.01.23, 13:12 von Jan]



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