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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Nationalsozialistisch motivierter Sorgerechtsentzug

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Autor Beitrag
Gast
New PostErstellt: 30.05.07, 08:30  Betreff: Nationalsozialistisch motivierter Sorgerechtsentzug  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

FECHNER-LIEBLER Miriam (2001): Der ideologisch motivierte Entzug des elterlichen Sorgerechts in der Zeit des Nationalsozialismus, Juristische Schriftenreihe, Band 159, Münster: Lit



l Einleitung

Bei der Untersuchung der Anwendung von § 1666 I BGB in der Zeit des Nationalsozialismus tritt das interessante Phänomen zutage, daß eine Rechtsnorm trotz ihres unveränderten Wortlauts einen grundlegenden Bedeutungswandel erfuhr.

Um diese Erscheinung und das dahinter stehende Problem des Verhältnisses vom elterlichen Erziehungsrecht und staatlicher Eingriffsbefugnis erfassen zu können, soll zunächst kurz die historische Entwicklung dieses Spannungsverhältnisses bis zur Epoche des Nationalsozialismus aufgezeigt werden. Die anschließende Darstellung der ideologischen Grundlage des Sorgerechtsentzugs im Dritten Reich ist ebenso notwendig zum Verständnis der nationalsozialistischen Rechtslehre und -praxis wie die folgende Betrachtung der nationalsozialistischen Rechtstheorien, die den Rahmen für die Neuinterpretation des § 1666 I BGB vorgaben.

Auf dieser Grundlage soll die nationalsozialistische Familienrechtslehre erläutert werden, soweit sie für die Entscheidung über den Sorgerechtsentzug von Bedeutung war. Anhand von 21 veröffentlichten Fällen wird schließlich die Rechtspraxis im Umgang mit Eltern untersucht, die nicht in Übereinstimmung mit den Zielen der nationalsozialistischen Bewegung lebten oder nicht dem nationalsozialistischen Bild eines arischen Elternhauses entsprachen. Dabei werden wir auf eine bemerkenswerte Entwicklung in der richterlichen Argumentation stoßen, die Einblick in einen Prozeß der fortschreitenden Angleichung der Rechtspraxis an die ideologischen Vorgaben während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gewährt.


6. Kapitel: Rechtspraxis
Die Rechtsprechung zu § 1666 I BGB hatte sich schon bald nach (In Machtergreifung mit dem ideologisch motivierten Entzug der elterlichen Sorge zu befassen. Wie auf vielen anderen Rechtsgebieten hielt damit das nationalsozialistische Weltbild und Rassedenken noch weit vor dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze in die Rechtspraxis des Kindschaftsrechts Einzug.

Das folgende Kapitel widmet sich den in juristischen Fachzeitschriften Entscheidungssammlungen und den Richterbriefen veröffentlichten Entscheidungen zu § 1666 I BGB. Die Fallsammlung umfaßt sämtlich veröffentlichten Beschlüsse. Nichtveröffentlichte Entscheidungen sind aufgrund schwerer Verluste der Gerichtsarchive Berlins durch Kriegseinwirkungen äußerst selten und betreffen vornehmlich den nicht ideologisch motivierten Sorgerechtsentzug. Es ist aber davon auszugehen daß die veröffentlichten Entscheidungen zum ideologisch motivierten Sorgerechtsentzug alle Facetten dieses im Zentrum der damaligen Rechtsentwicklung stehenden Kapitels abdecken. Daher vermag das du Untersuchung zugrundeliegende Material ein unverfälschtes Bild über die Rechtspraxis zu § 1666 I BGB in der Zeit des Nationalsozialismus abzugeben.

Die Entscheidungen sind in zeitlicher Abfolge dargestellt. Es fällt auf, daß die Zahl der Veröffentlichungen ihren Schwerpunkt in den Jahren 1934-19 38 hatte. Zu begründen ist dies mit der anfänglichen Rechtsunsicherheit der Richterschaft bei der praktischen Umsetzung der nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen. Über die rasseideologischen Forderungen herrschte- bis zum Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im Jahre 1935 keine Klarheit. Unter Berücksichtigung einer Umsetzungsphase von rund zwei Jahren verschwanden die ideologisch motivierten Entzugsfälle aus dem Fokus der Rechtslehre. Hinzutreten mag der Umstand, daß die tatsächliche Zahl der Fälle durch die konsequente Durchsetzung der nationalsozialistischen Ziele deutlich abnahm und letztlich sogar gänzlich aus der Rechtspraxis verschwand.


7. Kapitel: Ergebnis
Der ideologisch motivierte Entzug der elterlichen Sorge auf Grundlage des § 1666 I BGB ist seit 1934 dokumentiert und traf ausweislich der veröffentlichten Fälle drei Gruppen von Eltern: Juden, Bibelforscher und Kommunisten. Bis 1940 wurden insgesamt 21 Gerichtsentscheidungen veröffentlicht, die bei weitem nicht die Gesamtzahl der gefällten Entzugsentscheidungen darstellen [FN 829], jedoch für die Entwicklung der Rechtspraxis repräsentativ sind. In 17 der 21 Fälle kam es zum Sorgerechtsentzug [FN 830]; in vier Fällen verblieb - teilweise unter Vorbehalt - das Sorgerecht bei den Eltern [FN 831]. Mehr als die Hälfte der Entscheidungen betrafen die jüdische Herkunft eines Elternteils [FN 832]; in neun Fällen ging es um Bibelforscher [FN 833] und nur eine veröffentlichte Entscheidung hatte die kommunistische Überzeugung der Eltern zum Gegenstand [FN 834].

Bei der Gesamtbetrachtung der veröffentlichten Sorgerechtsentscheidungen tritt eine bemerkenswerte Entwicklung zutage: In den Jahren 1934 und 1935 beachteten die Gerichte bei der Auslegung von § 1666 I BGB zwar die nationalsozialistischen Erziehungsziele, begründeten ihre Entscheidung jedoch ausschließlich mit dem individuellen Kindesinteresse [FN 835]. Dieses sei gefährdet, wenn ein Kind durch den Einfluß einer jüdischen, streng religiösen oder kommunistischen Erziehung später außerhalb der Volksgemeinschaft zu stehen drohe und sich im nationalsozialistischen Deutschland als Erwachsener nicht zurecht finden werde.

Ab dem Jahr 1936 wandelte sich die Argumentation der Gerichte: Im Vordergrund stand nicht mehr das Interesse des Kindes an seiner zukünftigen gesellschaftlichen Stellung, sondern das staatliche Interesse an der Heranziehung nützlicher Untertanen.

Ausschlaggebend für den Sorgerechtsentzug war die Gefahr, das Kind für den nationalsozialistischen Staat zu verlieren. Während daneben zunächst auch das Kindesinteresse angeführt wurde [FN 836], verzichteten die Gerichte zunehmend auf dieses Argument [FN 837]. Die "Brauchbarkeit" des Kindes für die Volksgemeinschaft wurde zum alleinigen Entzugskriterium.

Diese Entwicklung offenbart einen Wandel in den Köpfen der Richter. Bemerkenswert daran ist, daß die Umstellung weitgehend unabhängig von normativen Vorgaben und praktischen Zwängen stattfand: Zum einen blieb die Vorschrift des § 1666 I BGB unverändert; im Unterschied zu den Rassegesetzen wurde der Rechtspraxis kein neues Regelwerk an die Hand gegeben, welches der Jurist anwenden konnte, ohne dessen Gerechtigkeitsgehalt zu hinterfragen. Zum anderen war die Rechtsfolge identisch: Ein Verstoß gegen die nationalsozialistischen Erziehungsziele führte zum Sorgerechtsentzug, sei es, daß man um das individuelle Wohl des Kindes fürchtete, sei es, daß man den Verlust eines Mitglieds der Volksgemeinschaft vorbeugen wollte.

Kein staatlicher Einfluß und kein politischer Erfolgsdruck zwang die Richterschaft, eine im Ergebnis opportune Entzugsentscheidung auf eine neue Argumentationsgrundlage zu stellen. Erfolgte der Sorgerechtsentzug, so hatte der Richter unabhängig von der gewählten Begründung keine Repressalien zu befürchten. Dennoch legten die Gerichte die bestehende Auslegungstradition ab und betrachteten die Vorschrift des § 1666 I BGB unter dem von ihrem Wortlaut nicht ansatzweise gedeckten Gesichtspunkt des staatlichen Interesses an der Heranbildung eines homogenen Nachwuchses. Die Ursache für diesen überholenden Gehorsam dürfte weniger in gesteigerten Karrierechancen der Berufsrichter als in der inneren gewandelten Überzeugung der Richterschaft gesehen werden, die sich freilich zum großen Teil aus neu berufenen Richtern zusammensetzte.

Nach 1940 sind keine weiteren ideologisch motivierten Entscheidungen über den Entzug des Sorgerechts gem. § 1666 I BGB veröffentlicht worden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:

Die anfängliche Rechtsunsicherheit der Richterschaft bei der praktischen Umsetzung der nationalsozialistischen Ziele war spätestens mit dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im Jahre 1935 weitestgehend gewichen. Nach einer Umsetzungsphase von etwa drei Jahren schwand das Interesse der Rechtswissenschaft an dem nunmehr geklärten Problem des Sorgerechtsentzugs aus ideologischen Gründen. Nach 1938 wurde keine Entscheidung veröffentlicht, in welcher der Entzug des Sorgerechts ideologisch motiviert war. Einzig der ablehnende Beschluß des Amtsgerichts aus dem Jahr 1940 [FN 838] löste als "Skandalurteil" eine letzte Veröffentlichung zur Rechtsprechung des § 1666 I BGB aus.

Mit der wachsenden Vertrautheit der Richterschaft mit der Umsetzung der nationalsozialistischen Erziehungspolitik nahm auch die Zahl der zur Entscheidung stehenden Fälle ab. Die konsequente Anwendung der Nürnberger Rassegesetze verhinderte die Entstehung neuer Entzugsfälle aufgrund der ehelichen oder geschlechtlichen Verbindungen arischer und jüdischer Eltern.

Darüber hinaus bedurfte es in diesen Fällen fortan nicht mehr unbedingt einer Gerichtsentscheidung: Mit der einhergehenden Entrechtung der Juden dürften Sorgerechtsangelegenheiten in zunehmendem Maße unter Umgehung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens geregelt worden sein. Spätestens seit der offenen Verfolgung der Juden und ihrer Deportation in Ghettos und Konzentrationslager ab Anfang 1941 konnte eine Erziehung durch jüdische Elternteile ohnehin nur noch heimlich geschehen. Die Zahl der zwangsweise, mit Gewalt und ohne Rechtsschutzmöglichkeit durchgeführten Sorgerechtsentzugsfälle wird unbekannt bleiben.

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FN 829 Vgl. Einleitung zu § 11.
FN 830 Fälle II, IV bis VIII, X bis XVII, XIX, XX.
FN 831 Fälle I, III, IX, XVIII, XXI.
FN 832 Fälle I bis V, VII, VIII bis XI, XIII.
FN 833 Fälle XII, XIV bis XXI.
FN 834 Fall VI.
FN 835 Fälle I bis V, IX, X, XI, XII, XIII, XXI.
FN 836 Fälle VI, X, XV, XX.
FN 837 Fälle VII, VIII, XIV, XVI, XVII, XVIII, XIX.
FN 838 Vgl. Fall XXI.
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