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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
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"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Nazi-Euthanasie und Beteiligung der Justiz

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Gast
New PostErstellt: 28.05.07, 09:20  Betreff: Nazi-Euthanasie und Beteiligung der Justiz  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Unbewältigte Justizvergangenheit
Zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte

Hans Christoph Schaefer

Rede des hessischen Generalstaatsanwalts auf dem Symposium »betr. NS->Eutha-nasie<-Prozesse. Grenzen juristischer Bewältigung?« am 10. Dezember 1994


Bei der Beantwortung der Frage, wie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die damals höchsten Juristen des sogenannten Dritten Reichs aus heutiger Sicht zu bewerten ist, wird man nicht umhin kommen, einen Blick auf die Rolle der Justiz in der damaligen Zeit zu werfen. Verbunden ist dies auch mit der Frage, ob es unmittelbar nach dem Ende der NS-Herrschaft eine andere, gereinigte Justiz gab, die sich verpflichtet fühlte, das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte, und dazu gehört auch die Geschichte der Justiz selbst, aufzuarbeiten und daraus zu lernen, oder ob die Nachkriegs Justiz noch von dem unseligen Bazillus des NS-Gedankengutes infiziert war.
Über die Justiz im sogenannten Dritten Reich ist in der Zwischenzeit viel geschrieben und ausgesagt worden. Es hat vor einigen Jahren in vielen deutschen Städten eine bemerkenswerte Ausstellung des Bundesministers der Justiz zum Thema »Justiz und Nationalsozialismus« gegeben, in der die damalige Entwicklung der Justiz, Verhaltensweisen von Richtern und Staatsanwälten und ganz konkret die Rechtsprechung in dieser Zeit dargestellt worden sind.
In einem Katalogband zu dieser Ausstellung kann man viele Einzelheiten nachlesen. Nach unseren heutigen Erkenntnissen darf es nicht verwundern, daß die Angehörigen der Justiz, obgleich zu ihrem größeren Teil keine Mitglieder der NSDAP, mit ihrer nationalkonservativen Einstellung zu Staat und Gesellschaft, zur Wiederherstellung der alten Autoritäten, die durch den Ersten Weltkrieg untergegangen waren, dem autoritären Führerstaat des Dritten Reiches - um es vorsichtig auszudrücken - zumindest nicht feindlich gegenüberstanden und dementsprechend ihre Aufgaben wahrnahmen.
Abgesehen von den vielen Urteilen und Entscheidungen der damaligen Justiz, vor allem der Strafjustiz, der Sondergerichtsbarkeit, des unsäglichen Volksgerichtshofs, Entscheidungen, die jeder rechtsstaatlichen Betrachtungsweise ins Gesicht schlugen, sind es vor allem zwei Ereignisse aus dieser Zeit, die besondere Beispiele für mangelnde Standfestigkeit und Zivilcourage darstellen, für all das, wozu Juristen leider fähig sind und was sie alles begründen zu können meinen.
Hier ist zum einen an die Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putschs zu denken, in dessen Rahmen nicht nur die Clique um den SA-Führer Ernst Röhm, sondern eben auch eine Vielzahl mißliebiger Oppositioneller umgebracht wurden und an dessen Ende ein sogenanntes Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 mit folgendem Wortlaut stand:
»Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens.«
Dieses Gesetz, und das ist das so Erschreckende, war von klassisch ausgebildeten Juristen vorbereitet worden, vor allem dem berühmten Verfassungsrechtler Carl Schmitt, der unter dem Titel Der Führer schützt das Recht eine juristische und moralische Rechtfertigung der Mordaktion vom 30. Juni - 2. Juli 1934 verfaßt und maßgebliche Vorarbeiten für das spätere Gesetz geleistet hatte. In der Deutschen Juristenzeitung 1934, S. 946 f, war die damalige juristische Rechtfertigung von Carl Schmitt nachzulesen:
»Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. Der wahre Führer ist aber auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum.«
Das zweite Ereignis - und damit berühre ich unser Thema -, das in besonderer Weise verdeutlicht hat, wozu Juristen fähig sind oder, besser gesagt, was sie nicht leisten können, nämlich in entsprechenden Situationen auch Zivilcourage beweisen, war der Versuch einer nachträglichen rechtlichen Rechtfertigung der sogenannten »Euthanasie«-Aktion gegen Kranke, vor allem gegen geistig behinderte Menschen.
Durch das bereits mehrfach erwähnte Schreiben vom 1.9.1939 hatte Hitler bekanntlich »gestattet«, daß Ärzte bei unheilbar Kranken den sogenannten »Gnadentod« gewähren können. Diese sogenannte »Euthanasie«-Aktion, d.h. die systematische Vernichtung von sogenannten »lebensunwerten Leben«, lief zunächst geheim an. Es konnte aber nicht verhindert werden, daß sich alsbald Unmut in der Bevölkerung artikulierte und ganz konkrete Strafanzeigen wegen Mordes im Zusammenhang mit diesen Tötungen bei den Strafverfol-gungsbehörden eingingen. Um ein einheitliches Vorgehen im Zusammenhang mit diesen Anzeigen zu erreichen, veranstaltete der damalige Staatssekretär im Reichsjustizministerium Schlegelberger am 23.4.194l eine Besprechung mit allen Präsidenten der Oberlandesgerichte (OLG) und den Generalstaatsanwälten, in deren Rahmen den Spitzen der damaligen deutschen Justiz von hochrangigen Mitarbeitern der »Eudianasie«-Aktion die juristischen, organisatorischen und medizinischen Aspekte der Vernichtung sogenannten »lebensunwerten Lebens« nahegebracht wurden. Die OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte wurden angewiesen, Strafanzeigen unbearbeitet dem Reich Justizministerium vorzulegen.
Der Ablauf dieser Veranstaltung muß, so wie er geschildert wird, gespenstisch gewesen sein. Die höchsten Justizjuristen des Reiches, überwiegend vielleicht sogar keine Nationalsozialisten, hatten gegen die staatlich gelenkten Mordaktionen in der Sache nichts einzuwenden. Die wenigen Diskussionsbeiträge in dieser Veranstaltung sollen neben technischen Fragen zur Durchführung des sogenannten »Euthanasie«-Aktion auf die Frage reduziert gewesen sein, ob aus formellen Gründen die Rechtsgrundlage für die Tötungen von Geisteskranken nicht richtiger ein Gesetz sein sollte statt eines Führerbefehls.
Selbstverständlich - ich sage dies aus Gründen der Fairneß - hat es bei Richtern und Staatsanwälten auch einzelne gegeben, die couragiert waren. Beispiele findet man etwa in dem Buch von Bernd Rüthers, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich. Das Beispiel eines Leitenden Oberstaatsanwalts, der sich dem damaligen Staatswillen zu widersetzen versucht hatte, habe ich darüber hinaus in dem Dokumentationszentrum des Konzentrationslagers Dachau gefunden. Ein leuchtendes richterliches Beispiel ist der Vormundschaftsrichter Lothar Kreyssig aus Brandenburg gewesen, der sich mutig gegen die Tötung von Geisteskranken gewandt hatte und daraufhin in den Ruhestand versetzt wurde. Andererseits waren es eben aber auch Richter und Staatsanwälte, die sich - ich zitiere Ingo Müller mit seinem gleichnamigen Buch - zu furchtbaren Juristen entwickelt haben. Ich sage dies alles heute hier, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß ein Richter oder ein Staatsanwalt heute sein Amt in der richtigen Sensibilität ausüben kann, ohne die dunkle Geschichte der deutschen Justiz zu kennen.
Für die Beantwortung der sich anschließenden Frage, ob es unmittelbar nach dem Krieg eine andere Justiz gegeben hat, Richter und Staatsanwälte anders eingestellt waren zu Staat und Recht als in der Zeit des Dritten Reiches, muß der Umstand eine Rolle spielen, daß es ein militärischer Zusammenbruch war, der das Dritte Reich beendete, nicht eine von den Deutschen selbst initiierte Revolution oder Befreiungsbewegung. Der neu entstandene Staat, die Bundesrepublik Deutschland, war uns von den Siegern des Zweiten Weltkrieges im Grunde aufgezwungen worden, unabhängig von den dann einsetzenden Bemühungen deutscher Politiker, diesen Staat zu gestalten, etwa durch die Ausarbeitung einer Verfassung, des Grundgesetzes, das nach den Erfahrungen der über 40 Jahre damit als geglückt angesehen werden kann. Aber: Es hat keine Katharsis, keine Reinigung vom Nationalsozialismus im tieferen Sinne stattgefunden, keine Bewältigung der Vergangenheit. Und es hat auch keine generelle justitielle Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gegeben, keine Reflexion der eigenen Rolle im Unrechtsstaat des Dritten Reiches, dem die Justiz gedient hatte.
Es war Fritz Bauer, der damalige Frankfurter Generalstaatsanwalt, berühmt geworden auch durch den von ihm initiierten Auschwitzprozeß von 1963 bis 1965, der ein Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz vom 23.724. April 1941, die damaligen Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte des Deutschen Reiches führte und die damals insoweit vorgeschriebene gerichtliche Voruntersuchung gegen insgesamt 20 Beschuldigte wegen Verdachts der Beihilfe zum Mord beantragte. Dieses Verfahren gegen Schlegelberger und Andere war schon häufig Gegenstand publizistischer Darstellungen, insbesondere auch von Herrn Richter am Oberlandesgericht Dr. Kramer, der sich mit diesem Verfahren wissenschaftlich befaßt hat, so daß ich davon absehen kann, jedes Detail der Prozeßgeschichte wiederzugeben. Ich will mich auf einige Schwerpunkte beschränken, bevor ich dann eine Wertung der Verfahrenserledigung aus meiner heutigen Sicht versuche.
Das Verfahren stand von Anfang an unter keinem guten Stern insofern, als der Untersuchungsrichter beim Landgericht in Limburg Bedenken hatte, dem Antrag des Generalstaatsanwalts vom 22.4.1965 auf Eröffnung der Voruntersuchung zu entsprechen und deshalb die Sache der Strafkammer des Landgerichts Limburg zur Entscheidung vorlegte. Die Bedenken des Untersuchungsrichters richteten sich in erster Linie gegen die Richtigkeit der Sachdarstellung des Generalstaatsanwalts vor allem mit der Begründung, den Angeschuldigten sei es weder zumutbar noch möglich gewesen, den Gang des »Euthanasie«-Programms zu beeinflussen. Die Strafkammer beim Landgericht Limburg stellte sich demgegenüber auf den Standpunkt, daß allein die Frage zu prüfen sei, ob die den Angeschuldigten zur Last gelegte Tat unter ein Strafgesetz falle, nicht dagegen, ob hinreichender Tatverdacht gegeben sei oder die Angeschuldigten sich auf Unrechts- oder Schuldausschließungsgründe berufen können. Maßgebend für die Entscheidung sei allein, ob die Sachdarstellung den Vorwurf der Beihilfe zum Mord rechtfertige. Demzufolge wies die Strafkammer beim Landgericht in Limburg durch Beschluß vom 26.1.1967 den Untersuchungsrichter an, die Voruntersuchung zu eröffnen, der dann auch in der Folgezeit die entsprechenden Ermittlungen durchführte.
Erwähnenswert ist auch, daß sich der Kreis der Angeschuldigten im Laufe der Zeit ständig veränderte, es kamen zunächst einige Teilnehmer der damaligen Konferenz als weitere Angeschuldigte dazu, andere fielen wegen wegen Todes, dauernder Verhandlungsunfähigkeit, unbekannten Aufenthaltes und Doppelverurteilung weg. Der Veranstalter der damaligen Konferenz, Staatssekretär Schlegelberger, konnte wegen seiner Verurteilung durch das Urteil des Alliierten Militärgerichtshofes vom 4.12.1947 nicht mehr verfolgt werden.
Nach Beendigung der Voruntersuchung und Rückgabe der Vorgänge an die Generalstaatsanwaltschaft wurden von dort noch einige ergänzende Ermittlungen durchgeführt, bevor es dann am 31.3.1970 zu dem Antrag des Generalstaatsanwalts kam, gegen die vier schließlich noch verbliebenen Angeschuldigten die Außerverfolgungsetzung zu beschließen.
Durch Beschluß der Ersten Strafkammer des Landgerichts in Limburg vom 27.5.1970 wurde dem entsprochen, auf die Begründung der Antragsschrift des Generalstaatsanwalts wurde pauschal Bezug genommen. Um es noch einmal festzuhalten:
Der Vorwurf an die Angeschuldigten in der Antragsschrift vom 22.4.1965 war der der Beihilfe zum Mord in über 70 000 Fällen, d.h. die Unterstützung des bereits laufenden sogenannten »Euthanasie«-Programms dadurch, daß die Angeschuldigten in der Konferenz vom 23./24.4.1941 widerspruchslos die Weisung entgegennahmen, die nachgeordneten Gerichte und Staatsanwaltschaften über das »Euthanasie«-Programm zu unterrichten und alle die »Euthanasie« betreffenden Eingaben oder Strafanzeigen unbearbeitet dem Reichsjustizministerium vorzulegen. Es wurde weiter den Angeschuldigten der Vorwurf gemacht, entsprechend der erteilten Weisung nach der Konferenz verfahren zu haben. Der Antragsschrift lag die Überlegung zugrunde, daß für die Angeschuldigten eine Rechtspflicht bestand, der in der Konferenz erteilten Weisung zu widersprechen und - natürlich - diese Weisung auch nicht weiterzugeben. Zur Frage der Kausalität wurde in der Antragsschrift die Auffassung vertreten, daß es nicht darauf ankomme, gewissermaßen nachzuweisen, daß bei einem Widerspruch die nationalsozialistischen Machthaber das »Euthanasie«-Programm in jedem Fall eingestellt hätten. Nach damaliger Auffassung kam es nur darauf an, ob das unterlassene Verhalten geeignet gewesen wäre, die weitere Durchführung der Haupttat zu erschweren.
An dieser rechtlichen Konstruktion des Antrags zur Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung hat auch die Antragsschrift zur Außerverfolgungsetzung am Ende des Verfahrens nichts geändert. Rechtspflicht zum Widerspruch wurde insoweit genauso vorausgesetzt wie auch die Kausalitätsannahme im Sinne des Antrags zur Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung.
Die Außerverfolgungsetzung der vier verbliebenen Angeschuldigten wurde nicht pauschal, sondern jeweils auf den einzelnen Angeschuldigten projiziert im wesentlichen mit Beweisgründen beantragt, etwa in der Weise, daß nicht nachgewiesen werden könne, daß die in der Konferenz erbetene Weisung auch tatsächlich weitergegeben wurde oder Umfang und Ausmaß der erteilten Weisung in der Konferenz nicht richtig erkannt worden seien.
Erwähnenswert ist aus meiner Sicht auch noch, daß das Verfahren, das Fritz Bauer initiierte bzw. von Stuttgart nach Frankfurt bzw. Hessen zog, dadurch zustande gekommen war, daß am »Euthanasie«-Programm beteiligte Ärzte, u.a. einer der medizinischen Hauptverantwortlichen, der Leiter der medizinischen Abteilung des »Euthanasie«-Programms, Prof. Dr. Werner Heyde, der später Selbstmord beging, zur Exkulpierung des eigenen Verhaltens auf die Juristenkonferenz vom 23./24. April 1941 hingewiesen hatten.
Bei der Frage, wie dieses strafrechtliche Ermittlungsverfahren, das sich gegen die höchsten Juristen der damaligen Zeit richtete, und sein späterer Verlauf, vor allem auch die Art der Beendigung, aus heutiger Sicht zu bewerten sind, muß ich zunächst die eigene Position und Bewertungskompetenz beschreiben und gleichzeitig relativieren.
Ich war weder dabei, als das Verfahren durch Fritz Bauer begann noch als es - in der Zeit des Generalstaatsanwalts Dr. Horst Gauf- endete. Meine Sicht der Dinge ist eine sehr nachträgliche, ich war zum erstenmal als ministerieller Referent mit dem Vorgang 1984 - vierzehn Jahre nach der Beendigung des Verfahrens - befaßt, als heftige Kritik an dem Abschluß des Verfahrens durch die Veröffentlichung von Herrn Dr. Kramer geäußert und auch die Forderung erhoben wurde, zu prüfen, ob der Generalstaatsanwalt Dr. Gauf noch im Amt bleiben könne.
Jetzt - zehn Jahre danach - bin ich durch die heutige Veranstaltung wieder befaßt mit diesem Vorgang, nunmehr als einer der Nachfolger von Fritz Bauer, aber auch von Horst Gauf.
Ich bin kein Zeitzeuge für dieses Verfahren, habe gleichwohl versucht, anhand der Akten, die im Staatsarchiv in Wiesbaden als geschichtlich besonders wertvoll verwahrt werden, und die ich noch einmal eingesehen habe, die Vorgänge nachzuvollziehen. Der Dezernent, der die damalige Antragsschrift am 22.4.1965 für Fritz Bauer gefertigt hatte, ist noch da. Mit ihm konnte ich sprechen. Der Dezernent, auch von Fritz Bauer später bestimmt, der schließlich die Antragsschrift zur Außerverfolgungsetzung fertigte, ist tot. Horst Gauf lebt noch, er befindet sich im Ruhestand. Der Veranstalter hätte von daher den Versuch unternehmen können, ihn als Zeitzeugen einzuladen. Ob er gekommen wäre, weiß ich nicht, ich habe mit ihm über dieses Verfahren nicht gesprochen. Ich halte es für möglich, daß er auf Grund der seinerzeit gegen ihn erhobenen heftigen Vorwürfe nicht gekommen wäre, aber ich bin nicht sicher.
Die nachträgliche Sicht eines Dritten hat immer ihre Einschränkungen. Ich will dabei auch nicht um jeden Preis an meiner ersten Bewertung des Vorgangs vor zehn Jahren festhalten.
Die mir bisher bekannte Bewertung des Vorgangs durch Herrn Dr. Kramer, der die Beendigung und die Art der Beendigung des hier zur Rede stehenden Verfahrens als Skandal empfindet und mit anderen zusammen auch die Auffassung vertritt, wie es einmal geschrieben worden ist, daß Fritz Bauer von seinem Nachfolger durch diese Verfahrenserledigung eine »Schmach« angetan wurde, kann ich aus meiner heutigen Sicht nicht bestätigen, aber vielleicht verstehen, weil es zwei Umstände gibt, die argwöhnisch gemacht haben können:
Da ist einmal die sang- und klanglose Art der Beendigung des Verfahrens ohne eine Information der Öffentlichkeit. Es ist zwar in den Akten vermerkt, daß die örtliche Presse über die Verfahrenserledigung informiert worden sei, wie dies aber erfolgt ist, bleibt unklar, zumal es auch - was ich aber nicht genau weiß - keine Medienveröffentlichung im zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Verfahrens gab.
Der zweite Umstand, der Herrn Dr. Kramer und andere argwöhnisch machen mußte, war die Art, wie seine wissenschaftlichen Forschungen und sein Bemühen, die Akten vom Generalstaatsanwalt zu bekommen, beantwortet worden sind. Er hat zwar letzten Endes die Akten bekommen, der Weg bis dahin war aber alles andere als unproblematisch, es bedurfte des Eingreifens der Dienstaufsicht, um seinem Anliegen zu entsprechen. Daß diese Umstände argwöhnisch und mißtrauisch machen konnten oder mußten, verstehe ich. Gleichwohl bitte ich darum, in der weiteren Diskussion über dieses Verfahren die Konspirations- oder Sabotageargumentation nicht fortzusetzen. Auch eine Personalisierung halte ich nicht für sachdienlich. Wir stellen uns der Kritik an diesem Verfahren, deshalb bin ich auch hier. Die Akten existieren noch, sie werden inzwischen nicht mehr von uns, sondern vom Staatsarchiv in Wiesbaden verwaltet. Sie stehen also für weitere Fragen zur Verfügung und können jederzeit offengelegt werden.
Bei meinen nachträglichen Recherchen habe ich Schwachpunkte in diesem Verfahren feststellen müssen, eine wie immer geartete Konspiration zur Beendigung des von Fritz Bauer initiierten Verfahrens sehe ich aber nicht. Die persönliche und sachliche Integrität meines Amtsvorgängers Horst Gauf steht für mich genauso außer Zweifel, wie die des damaligen Dezernenten. Fritz Bauer war es, der Horst Gauf förderte, genauso wie er den späteren Dezernenten für das Verfahren gegen die höchsten Juristen des Dritten Reiches ausgesucht hatte. Unter Gauf wurde auch das Vermächtnis von Fritz Bauer eingelöst, nämlich mit Nachdruck NS-Verbrechen zu verfolgen und damit einen Beitrag zur Bewältigung der deutschen Vergangenheit zu leisten. Die Ergebnisse der hessischen und der Frankfurter Justiz im besonderen müssen sich in diesem Bereich nun wirklich nicht verstecken, auch nicht nach Fritz Bauers Tod. Ich halte es unter Berücksichtigung der handelnden Personen, soweit ich sie gekannt habe, im übrigen für ausgeschlossen, daß der von mir zu Beginn angesprochene NS-Bazillus, der noch viele Jahre die deutsche Nachkriegs Justiz infizierte, bei der Beendigung dieses Verfahrens in irgendeiner Weise ein Rolle spielte oder gar die Art des Abschlusses determinierte. Ob es eine gewissermaßen subkutane Solidarisierung der das Verfahren beendenden Juristen mit den Angeschuldigten, den in der damaligen Konferenz am 23./24.4.1941 versammelten Juristen bzw. ihrer damaligen Situation gegeben haben kann, weiß ich natürlich nicht, weil ein solcher innerer Vorgang nachträglich nicht feststellbar ist. Man kann eine solche Denkweise, die mit NS-Gedankengut gar nichts zu tun haben muß, aus heutiger Sicht jedenfalls nicht einfach unterstellen.
Wenn man die von mir genannten Punkte, die mißtrauisch machen konnten, der mangelnden Information der Presse und der Verhinderung der Akteneinsicht für Herrn Dr. Kramer genau untersucht, kann man relativ leicht die Antwort aus heutiger Sicht finden, die - wie ich zugeben muß -grundsätzlich nicht schmeichelhaft für die Behörde des Generalstaatsanwalts in der damaligen Zeit ist, für das Verfahren aber meines Erachtens deutlich macht, daß daraus keine Konspiration abgeleitet werden kann.
Eine Pressearbeit des Generalstaatsanwalts gab es damals nicht, es gab vielmehr Berührungsängste, wie sie nicht selten bei der Justiz anzutreffen waren, gelegentlich auch heute noch anzutreffen sind mit den Medien. Von daher kann es nicht verwundern, daß beim Abschluß des Verfahrens nicht das Licht der Öffentlichkeit gesucht worden ist, von einer Unterrichtung einzelner Pressevertreter vielleicht abgesehen. Insofern war nach dem Tode von Fritz Bauer, der immer die Öffentlichkeit gesucht hatte, eine deutliche Änderung eingetreten. Um den anderen Punkt zu verstehen - Akteneinsicht, die ja schließlich erfolgt ist -, genügt es, die in diesem Verfahren etwas eigenwillige Aktenführung, für die der damalige Dezernent die Verantwortung trägt, zu betrachten. Dann - so meine ich - hat man die Erklärung für eine stark reduzierte Bereitschaft, die Akten zur Verfügung zu stellen.
Aber ich will diese Nebenpunkte, die zugegebenermaßen Argwohn erzeugt haben, jetzt nicht weiter vertiefen. Ich will mich vielmehr kurz befassen mit der Begründung, mit der die Außerverfolgungsetzung des Verfahrens gestützt worden ist. Hier sehe auch ich in der Tat gravierende Schwachpunkte. Während - ich sagte es schon - zu Beginn des Verfahrens als strafrechtlich relevantes Verhalten der Angeschuldigten im Sinne einer Beihilfe zum Mord damals allein schon das Unterlassen des Widerspruchs in der Konferenz angenommen wurde und es im übrigen unerheblich war, ob nach der Besprechung tatsächlich weisungsgemäß verfahren wurde, dies allenfalls als eine Fortsetzung der Tat anzusehen gewesen wäre, wird in der Begründung des Antrags auf Außerverfolgungsetzung einzelnen Angeschuldigten für eine strafrechtliche Freistellung die mangelnde Nachweisbarkeit der Weitergabe der Weisung zugute gehalten. Der unterlassene Widerspruch in der Konferenz allein genügte danach nicht mehr. Diese Argumentation ist inkonsequent und genauso wenig überzeugend wie das Zugestehen geheimer Vorbehalte in der Konferenz in der Weise, daß einzelne Angeschuldigte beabsichtigt haben wollen, nach der Konferenz in irgendeiner Weise ihren in der Konferenz nicht geäußerten Widerspruch an aus ihrer Sicht geeigneter Stelle anzubringen. Im Gegensatz dazu heißt es in dem Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung:
»Gemessen an den Anforderungen, die in den Strafverfahren der Nachkriegszeit an kleinste Gehilfen nationalsozialistischen Unrechts gestellt wurden, war von den versammelten Spitzen der deutschen Justiz zu erwarten, daß sie widersprachen, notfalls sogar erklärten, ihr Amt zur Verfügung zu stellen, um zu verhindern, daß sie durch ihr Stillschweigen zu Gehilfen tausendfachen Mordes wurden. Ihre Schuld wird darin erblickt, daß sie sich gleichwohl zu schweigenden und untätigen Mitwissern haben machen lassen.«
Insofern sehe ich die Begründung zur Außerverfolgungsetzung als unrichtig an. Sie verläßt die zunächst eingeschlagene Argumentationslinie. Konsequenterweise und in Fortführung des einmal eingeschlagenen Weges hätte also kein Antrag auf Außerverfolgungsetzung gestellt, sondern Anklage erhoben werden müssen.
Ob ein Gericht diese Anklage zugelassen hätte und/oder es in einer Hauptverhandlung zu einer Verurteilung der Angeschuldigten gekommen wäre, weiß ich natürlich nicht. Ich weiß auch nicht, wie das Gericht die Frage der Kausalität beantwortet hätte, die ja nicht so ganz unstreitig ist. Die Antragsschrift, mit der die gerichtliche Voruntersuchung angestrebt wurde, ging - wie erwähnt - von dem weiteren Begriff der Kausalität aus, danach genügte es schon anzunehmen, daß ein Widerspruch Schwierigkeiten für die Organisatoren des »Euthanasie«-Programms ausgelöst hätten, ohne daß der strengere Kausalitätsnachweis in der Weise nötig gewesen wäre, daß ein Widerspruch zum Abbruch des Tötungsprogramms geführt hätte. Letzere Art der Kausalität, die zum Teil auch gefordert wird, wäre wohl kaum nachweisbar gewesen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß das »Euthanasie«-Programm bereits seit 1.9.1939 lief und die Justiz bis dahin nicht beteiligt war. Es ist jedenfalls nicht nachzuweisen, daß dieser Widerspruch eines der angeschuldigten Juristen in der Konferenz vom April 1941 die NS-Machthaber mit Gewißheit zu einem Abgehen von ihrem verbrecherischen Programm hätte bewegen können.
Doch es ist durchaus vorstellbar, daß die in dieser Frage unsicheren NS-Machthaber bei einem Gesamtwiderspruch der versammelten Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte reagiert hätten. Dafür spricht, daß sie bei der später laut gewordenen massiven Kritik des Bischofs von Münster und späteren Kardinals von Galen sofort reagiert haben und die Tötung von Geisteskranken entsprechend einem Führerbefehl vom 24. August 1941 offiziell eingestellt wurde. Gleichwohl halte ich es für ausgeschlossen, daß der Widerspruch eines einzelnen Teilnehmers der Konferenz vom 23./24.4.1941 irgend etwas hätte bewirken können. Dagegen spricht auch, daß Hitler bekanntermaßen die Justiz immer geringschätzte, mit ihr unzufrieden war und keine Achtung vor ihr hatte. Die erfolglos vorgetragenen Bedenken des früheren Reichs Justizministers Dr. Gürtner, der im Januar 1941 angeblich wegen dieser Angelegenheit »an gebrochenem Herzen« gestorben war, deuten in die gleiche Richtung. Ganz abgesehen davon, daß insgeheim das Tötungsprogramm der nationalsozialistischen Machthaber weitergegangen ist. Ich beziehe mich insoweit auf die Feststellungen von Ernst Klee in seinem Buch »Euthanasie« im NS-Staat.
Diese Frage der Kausalität und ihre Berücksichtigung durch ein letztlich entscheidendes Gericht möglicherweise nach einer Hauptverhandlung muß genauso offen bleiben, wie die Frage, welche subjektiven und individuellen Gesichtspunkte ein Gericht den Tätern zugestanden hätte.
Aus heutiger Sicht möchte ich jedenfalls für mich feststellen, daß es angesichts des festgestellten Sachverhalts ungeachtet der rechtlichen Probleme einschließlich des rechtsstaadichen Gebots, eine strafrechdiche Schuld im Einzelfail und nicht pauschal nachzuweisen, d.h. zu individualisieren, richtiger gewesen wäre, die abschließende Klärung in einer Hauptverhandlung anzustreben. Ich tröste mich an dieser Stelle nicht damit, daß die Außerverfolgungsetzung im vorliegenden Verfahren letztlich durch einen Beschluß eines Gerichts erfolgte.
Ich glaube aber, daß im Zusammenhang mit diesem Verfahren, wenn überhaupt, durch eine gerichtliche Entscheidung nach einer Hauptverhandlung eine größere Befriedung in der öffentlichen Diskussion hätte erreicht werden können. Ob damit der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall gedient worden wäre angesichts des Umstandes, daß zum Schluß nur noch vier Teilnehmer der Konferenz vom 23./24.4.1941 zur Verfügung standen, ältere, damit vielleicht auch einflußreichere Juristen von damals nicht mehr da waren, weiß ich nicht. Wahrscheinlich kam es aber auf diesen Gesichtspunkt nicht an angesichts der Ungeheuerlichkeit des Vorgangs, der sich in der Konferenz vom April 1941 abgespielt hat und der natürlich danach rief, die Teilnehmer der Konferenz auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Es bleibt für mich die Erkenntnis, daß ein Ereignis, das einen moralischen Tiefpunkt der deutschen Justizgeschichte darstellt, nicht strafrechtlich überzeugend bewältigt worden ist, verbunden mit der auch nicht zu leugnenden allgemeinen Folgerung, die schließlich nun auch für diesen Vorgang gelten muß, »die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen«.
Ob wir in diesen Verfahren die Grenzen juristischer Bewältigung erreicht haben, weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben wir nicht alles mögliche versucht, bevor wir diese Grenze tatsächlich erreicht haben. Ich bin jedenfalls dankbar, daß ich die Chance bekommen habe, in einer Zeit zu leben und zu arbeiten, die mir eine Situation der Art erspart, wie sie sich auf der Konferenz vom 23./24. April 1941 ereignet hatte.
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