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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 

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Gast
New PostErstellt: 25.04.07, 07:27     Betreff: Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS) Antwort mit Zitat  

FPR 2002 Heft 06   240  -245

Kindeswille, Grundbedürfnisse des Kindes und Kindeswohl in Umgangsrechtsfragen*

Diplom-Psychologe Dr. Rainer Balloff, Berlin

I. Einleitung

Die Bedeutung des kindlichen Willens wird angesichts der lebhaften Debatte um das Eltern-Entfremdungs-Syndrom (Parental-Alienation-Syndrome - PAS)1 vor allem mit dem Argument in Frage gestellt, dass ein Kind angesichts seiner mangelnden Reife nicht in der Lage ist, über derart bedeutsame Angelegenheiten wie Beziehungspflege oder Kontaktabbruch mit einer engen Bezugsperson Entscheidungen zu treffen. Hierzu bleibt zunächst Folgendes festzuhalten:

1. In der Rechtspsychologie, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung herrscht Übereinstimmung, dass selbst das ältere Kind über 14 Jahren beispielsweise über die Aufnahme, Durchführung oder den Abbruch von Umgangskontakten nicht allein entscheiden darf.

2. Der Kindeswille wird gerade angesichts problematischer Familienrechtsfälle im Kontext mit dem Kindeswohl betrachtet.

3. Umstritten ist:

In welchen familienrechtlichen Zusammenhängen hat der kindliche Wille welche relevante Bedeutung?

Ist der Wille des Kindes ein Akt der Selbstbestimmung und in welchem Kontext zum Kindeswohl und Elternrecht nach Art. 6 GG steht er?

Ab welchem Alter ist der Kindeswille beachtlich?

Handelt es sich bei einem beeinflussten, manipulierten, suggerierten und schlimmstenfalls induzierten Willen überhaupt um einen Kindeswillen?

Wie lässt sich ein Kindeswille feststellen?

Nach der Rezeption des PAS-Modells vor etwa drei Jahren in Deutschland wird nunmehr offenbar bezweifelt, dass es einen kindlichen Willen gibt und ob man diesen zur Kenntnis nehmen und beachten sollte2.

II. Definition des Kindeswillens

Der Wille des Kindes kann mit Dettenborn3 als die altersgemäß stabile und autonome Ausrichtung des Kindes auf erstrebte, persönlich bedeutsame Zielzustände verstanden werden. Insofern handelt es sich bei der kindlichen Willensbildung um einen meist lang anhaltenden, oft sogar dauerhaften Prozess, der vielfältigen Änderungen unterworfen sein kann. Das Erreichen bedeutsamer Zielzustände beinhaltet nicht unbedingt das Erreichen nur eines einzigen Zieles (z.B. den Vater wieder besuchen und die Billigung der Mutter erfahren)4.
III. Die Heranbildung des kindlichen Willens

Entscheidend ist bei der Kenntnisnahme und Überprüfung des Kindeswillens zunächst zu fragen nach dem Woher (die Quelle können z.B. Bedürfnisse, Motivationen, Triebe sein) und nach dem Wohin (z.B. die Zielorientierung).

Dabei führt die Annahme eines Woher (welche Quellen sind identifizierbar? Bedürfnis, Trieb, Wunsch?) des kindlichen Willens zu der Erkenntnis, dass dieser sich, soweit identifizierbar, zunächst in der so genannten präintentionalen Phase befindet, während das Wohin (welches Ziel soll erreicht werden?) bedeutet, dass sich der kindliche Wille nunmehr in der so genannten intentionalen und damit zielgerichteten Phase bewegt.

Präintentionale Bedürfnisse, Motivationen und Wünsche, aber auch Neid, Instinkt oder Anreiz sowie intentionale Ziel-Zweck-Ausprägungen spielen somit beim Entstehen der bewussten und absichtlichen Ausrichtung des kindlichen Willens eine entwicklungspsychologisch und familienrechtspsychologisch bedeutsame Rolle, wobei

das Alter,

die Persönlichkeitsentwicklung sowie

der Entwicklungsstand des Kindes

für das Heranbilden und die Ausprägung eines kindlichen Willens entscheidend sind.

Der international bekannte Entwicklungspsychologe Piaget5 beobachtete und betonte bereits 1962 die Fähigkeit erst 15 Monate alter Kinder, so zu tun als ob (z.B. sich schlafend stellen, um die Mutter zu täuschen), als Fähigkeit des Kindes, den mentalen Zustand einer anderen Person zu verstehen, um diesen gegebenenfalls zu beeinflussen oder sogar zu täuschen. Des Weiteren wohnt dieser frühen Fähigkeit des Kindes inne, zwischen Vorstellung und Phantasie einerseits sowie Realität andererseits und zwischen Gedanken und Dingen zu unterscheiden.

Dabei beinhaltet die Einstellung als spezifischer Typus einer mentalen Ausrichtung (z.B. Überzeugung, Bedürfnis und Absicht) und die inhaltliche Ausgestaltung der kindlichen Aussage (ich sitze auf einem Dreirad = Überzeugung; ich möchte ein Fahrrad mit Stützrädern haben = Bedürfnis; ich will ins Kaufhaus gehen, um ein Fahrrad zu bekommen = Absicht) nicht nur eine zweckrationale Einheit, sondern ebenso die Fähigkeit des Kindes, spätestens im Alter von drei bis vier Jahren, einen eindeutigen und klaren Willen zu formulieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder zu vermeiden.

Dabei führen permanente Ereignisse aus der Umwelt

zur differenzierteren Wahrnehmung des Kindes,

zur Heranbildung von Überzeugungen und Bedürfnissen, die ebenso durch Emotionen oder Triebe verursacht und gespeist werden, die dann in

einen eigenen Willen und Handlungen einmünden und

zu einem zielorientierten Ergebnis führen können6.

Insbesondere im Alter des Kindes von drei bis vier Jahren zeigen sich Kompetenzentwicklungen, die auch zunehmend differenzierte Willensbildungen ermöglichen7.

Hierzu gehören im Alter von drei bis vier Jahren u.a.

der Erwerb der Überzeugung,

die Fähigkeit, zwischen Realität und Überzeugung zu unterscheiden,

die Fähigkeit zur Täuschung anderer,

die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub,

Selbstkontrolle und Verzicht,

erste Vorstellungen über Zeitspannen,

die Fähigkeit, Gegensätze zu benennen und

mentale Wollens- und Könnens-Ausdrücke zu benutzen8.

Entwicklungspsychologisch unauffällige Kinder haben somit bereits im Alter von drei bis vier Jahren alle notwendigen sozialen und psychischen Kompetenzen erworben, um einen eigenen (autonomen) und festen (stabilen) Willen zu haben und bei hinreichender Sprachentwicklung auch formulieren zu können.

Vom Kind selbst erworbene und definierte Vorstellungen, Meinungen, Wünsche, Einstellungen, Haltungen, Sichtweisen, Prioritäten, Favorisierungen etc. sind also entwicklungspsychologisch sehr frühzeitig möglich und stellen wesentliche Aspekte der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung des Kindes dar.

Sie beinhalten somit ureigene - subjektive - Interessen des Kindes und sollten im Rahmen einer kindorientierten Haltung nicht als eine Äußerung umgedeutet werden, die nur dann beachtlich ist, wenn sie im wohl verstandenen Interesse gemacht wurde oder wenn es sich um einen so genannten vernünftigen Willen des Kindes im Sinne des Kindeswohls handelt.

Der Wille des Kindes sollte ferner in Fällen schwerer familiärer Konflikte nicht sogleich mit einem moralisch zwar akzeptablen und familienpsychologisch sowie rechtlich erwünschten und anstrebenswerten „höherwertigen Ziel“ verknüpft werden (z.B. Umgangskontakte des Kindes mit einem Elternteil), da bei einer derartigen Verbindung der Wille des Kindes - beispielsweise im Kontext von Kindeswohlkriterien - zwangsläufig an Bedeutung verlieren muss.

Im Übrigen lässt sich der hier vertretene Kindeswillensbegriff - die (zwangsweise) Umsetzung des Kindeswillens kann dem Kindeswohl erheblich schaden im Gegensatz zu der Annahme, dass es kein Kindeswohl gegen den Kindeswillen gibt - am ehesten im § 50b FGG identifizieren. Dort heißt es: „wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind“. Weniger eindeutig ist die Formulierung im neuen § 50 FGG, wenn im Abs. 1 von „Interessen des Kindes“ die Rede ist, also von einem subjektiven und objektiven Bestimmungselement, nämlich Wille und Wohl des Kindes.

Unabhängig von der weiteren Vorstellung, den Willen des Kindes in einen rationalen oder emotionalen Akt zu unterteilen, der dann entweder als Akt der Selbstbestimmung oder als Teilaspekt des Kindeswohls angesehen wird9 oder ihn als grundsätzlich unbeachtlich anzusehen, weil er u.U. beeinflusst, manipuliert oder schlimmstenfalls induziert wurde, bleibt zu klären, ob nach dem Kenntnisstand kindlicher Entwicklungsprozesse dem Subjektstatus des Kindes Rechnung getragen werden soll oder ob die Meinungsäußerung des Kindes, die sich zum Kindeswillen verdichtet hat, lediglich als wenig bedeutsame Meinung des Kindes zu begreifen und zu verstehen ist.

Dabei wird gerade im Verstehen und Begreifen der kindlichen Vorstellungen, Meinungen, Haltungen, Wünsche und des Willens das in der Psychologie herausragende hermeneutische Prinzip der Sinnvermittlung und Auslegung betont, das der Rekonstruktion von Präintentionalität (im Sinne der Frage nach dem Woher?) und Intentionalität (im Sinne der Frage nach dem Wohin?) kindlicher Willensbildungsprozesse dient.

Darüber hinaus begreifen die psychologischen Theorien des Subjekts - z.B. die Kritische Psychologie von Klaus Holzkamp - den Menschen, also auch Kinder, als grundsätzlich fähig, sich Handlungsräume, Freiheitsgrade und Rahmenbedingungen aktiv-kognitiv strukturierend anzueignen und zu gestalten und sich dementsprechend eine eigene Vorstellung und Meinung von seiner Umwelt zu machen.

Eine andere Auffassung vertritt Klenner10, der offenbar ein Kind nicht als erkenntnis- und handlungsfähiges Subjekt begreift und damit den Willen des Kindes nur dann für relevant erachtet, wenn es „seinen unabhängigen und freien Willen erklären kann“.

Hier ist jedoch zu fragen, welcher Mensch überhaupt in der Lage ist, einen unabhängigen und freien Willen zu äußern.

Dennoch kritisiert Klenner11 jede andere kindorientiertere Meinung als eine „aus ideologischer Sichtweise resultierende Idee der Selbstbestimmung des Kindes“, die dazu führe, dass sich „die für das Kind verantwortlichen Erwachsenen der Verantwortung“ entzögen.

IV. Kindeswille, Grundbedürfnisse des Kindes und Kindeswohl

Wie oben bereits angeführt wird allein der kindliche Wille weder bei Sorgerechts- noch bei Umgangsrechtsentscheidungen ausschlaggebend sein, da allgemein bekannt ist, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder u.U. Ziele anstreben, die bei objektiver Betrachtung riskant oder gefährlich sind oder unter dem Einfluss eines Dritten zum selbst definierten Ziel des Kindes oder Jugendlichen wurden.

Wenn also der Kindeswille regelmäßig in den Kontext der so genannten psychosozialen Grundbedürfnisse des Kindes (basic needs of children) und des Kindeswohls gestellt wird, sollte dennoch Maxime professionellen Handelns mit Kindern - auch im hoch strittigen Umgangsrechtsverfahren - sein, den Kindeswillen soweit wie möglich herauszuarbeiten und gegebenenfalls auch zu respektieren, zu akzeptieren und nur so viel jugendamtliche, gutachtliche oder richterliche Eingriffe in den Subjektstatus des Kindes und dessen Willensbildungsprozess vorzunehmen, wie es zur Sicherstellung des Kindeswohls nötig ist, also beispielsweise beim selbstgefährdenden Kindeswillen oder beim induzierten Kindeswillen, der schwersten Form der Beeinflussung, Manipulation und Suggestion.

Die gerichtliche Festlegung eines Umgangs, einer Umgangsbegleitung oder von Zwangsmaßen gegen den boykottierenden Elternteil bewirken häufig sehr wenig. Die Erfolge sind dürftig, die Abbruch- und Verweigerungsquote ist hoch.

Bekannt ist schon längst, dass erzwungene Kontakte, also gegen den Willen des Kindes gerichtete Besuchskontakte, meist die Beziehungen des Kindes mit dem den Umgang begehrenden Elternteil nicht verbessern oder stabilisieren12.

Sinnvoller ist aus interventionspsychologischer Sicht die Inanspruchnahme einer Mediation, Beratung oder Psychotherapie der Erwachsenen, die auch durch gerichtliche Auflagen forciert werden sollte.

Einfacher als sogleich den Kindeswohlbegriff zu bemühen, der im Übrigen bei Umgangsrechtsstreitigkeiten in der bekannten Unterteilung in erwachsenen- und kindzentrierte Kriterien (z.B. Erziehungsfähigkeit, Förderung, Kontinuität, Stabilität, Bindungstoleranz, Wunsch nach Einvernehmlichkeit der Eltern sowie die Beziehungen und Bindungen des Kindes an die Eltern, Geschwister und sonstige im § 1685 BGB genannte Personen, Wunsch und Wille des Kindes) nicht zutreffend ist, sollten bei strittigen Umgangsfragen zunächst die psychosozialen Grundbedürfnisse des Kindes, die so genannten basic needs of children beachtet und gegebenenfalls überprüft werden.

Hinzu kommt, dass angesichts der im Normalfall mittlerweile vielfältigen und oft mehrfach in der Woche oder im Monat erfolgenden wechselnden Umgangskontakte des Kindes mit beiden Eltern13 die sehr eingeschränkte juristische Vorstellung nunmehr aufgegeben werden sollte, nach der ein Umgang des Kindes dazu dient,

die verwandtschaftlichen Beziehungen zu pflegen und

dem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind nicht befindet, die Möglichkeit zu geben, sich persönlich in regelmäßigen Abständen von der Entwicklung und dem Wohlergehen seines Kindes zu überzeugen.

Ein zeitgemäßer und weitaus umfangreicherer Umgang zur Aufrechterhaltung und Pflege der Beziehungen und Bindungen des Kindes mit dem betreffenden Elternteil an den Wochenenden, zuzüglich an einigen Tagen unter der Woche und im Rahmen von Feiertags- und Ferienregelungen, beinhaltet faktisch so gut wie immer eine Betreuung, Versorgung und Erziehung des Kindes.

Selbst die aktuelle Rechtsprechung14 beruht offenbar auf überholten Vorstellungen, deren Wurzeln in den heute kaum noch verständlichen restriktiven Annahmen bei Dürr15 u.a. zu finden sind. Z.B. sollten nach Dürr16 dem Kind im

Alter von bis zu zwei Jahren einmal im Monat ein bis zwei Stunden Umgang eingeräumt werden,

einem Kind im Alter von zwei bis sechs Jahren einmal monatlich vier bis sechs Stunden,

im Alter von sechs bis zehn Jahren einmal monatlich sechs bis acht Stunden und ab

zehn Jahren einmal monatlich acht bis zehn Stunden.

Die Beachtung und Überprüfung der bereits erwähnten psychosozialen Grundbedürfnisse des Kindes (basic needs) angesichts der seit Jahren erheblich erweiterten Umgangskontakte beinhaltet folgendes Vorgehen:

Ist beispielsweise der den Umgang begehrende Elternteil in der Lage, folgende Bedürfnisse des Kindes

wahrzunehmen,

richtig zu interpretieren,

prompt und

angemessen darauf zu reagieren?

1. Bedürfnis des Kindes nach Ernährung, Versorgung und Gesundheit.

2. Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit, Schutz vor Gefahren materieller und sexueller Übergriffe und Ausbeutung.

3. Bedürfnis nach beständigen Beziehungen, sicheren Bindungen, stabilen und unterstützenden Gemeinschaften sowie nach einer sicheren Zukunft.

4. Bedürfnis nach Liebe, Akzeptanz, Geborgenheit, Zuwendung, Unterstützung.

5. Bedürfnis nach Wissen, Bildung und Vermittlung neuer und hinreichender Erfahrungen.

6. Bedürfnis nach Lob, (adäquater) Anerkennung, Verantwortung und Selbstständigkeit.

7. Bedürfnis nach Übersicht, Zusammenhang, Orientierung, Regeln, Strukturen und Grenzen17.

Ist der betreffende Elternteil bzw. die den Umgang begehrende Person hierzu willens und in der Lage, wird als nächster Schritt der Wille des Kindes bei der Ausgestaltung des Umgangs zu prüfen sein, der nach Dettenborn18 folgende Kriterien (Kategorien) beinhaltet:

1. Zielorientiertheit (Hat z.B. die Willensbekundung ein klar erkennbares Ziel? Äußert sich z.B. das Kind über den Umfang und die Ausgestaltung des Umgangs? Hat das Kind Angst vor Übernachtungen? Werden unter verschiedenen Möglichkeiten einzelne favorisiert? Werden Argumente hervorgebracht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen?)

2. Intensität (Beruht die Willensbekundung auf einer gefühlsmäßigen Grundlage, die einfühlbar ist oder äußert sich das Kind z.B. „Ich-fremd“? Werden Zielorientierungen eindeutig, nachdrücklich und beharrlich beibehalten?)

3. Stabilität (Wird z.B. die Willensbekundung über einen längeren Zeitraum eindeutig vorgetragen? Oder waren die geäußerten Willensinhalte des Kindes instabil, wechselnd? Wurden sie auch in Bezug auf verschiedene Personen und in unterschiedlichen Kontexten beibehalten? Wo, wann und wie ist die Geburtsstunde der ersten Willensbekundung zu identifizieren und wie stellt sich der weitere Verlauf, also die Geschichte des Willenbildungsprozesses dar?)

4. Autonomie (Ist beispielsweise die Willensbekundung erlebnisgestützt bzw. erlebnisfundiert - entspringt sie somit einem realen Erleben oder ist sie auf Grund von Beeinflussungen zu Stande gekommen? Hier sollte auch eine denkbare Induktion des Kindes beachtet werden. Aber auch dann gilt, dass auch der induzierte Wille ein Wille ist)19.

Denkbar ist ebenso, dass angesichts einer Induktion des Kindes das Kind keinen Willen äußert oder einen Willen kundgibt, der nicht seinen „wirklichen“ Intentionen entspricht. Werden Kinder induziert, gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten, diesen Induktionsprozess in Bezug auf die Eltern und das Kind diagnostisch zu erfassen und zu klären:

Elternebene

1. Der induzierende Elternteil macht meist auch Jahre nach der Trennung oder Scheidung andauernde negative Äußerungen über den anderen Elternteil (dein Vater/deine Mutter ist ein Versager, Feigling, ein Betrüger, der Zerstörer der Familie etc.).

2. Der induzierende Elternteil hält nachpartnerschaftliche Schuldprojektionen bezüglich des anderen Elternteils - meist angesichts schwerer Kränkungen und seelischer Verletzungen - hartnäckig aufrecht.

3. Der induzierende Elternteil äußert seine Vorbehalte normalerweise nicht direkt gegenüber dem anderen Elternteil, sondern wählt sich das Kind als Ansprech-, Manipulationspartner und Komplizen aus. Auch das Jugendamt, der Sachverständige, Verfahrenspfleger, Umgangsbegleiter oder das Gericht werden häufig in diese Dynamik mit einbezogen, um den Kontakt des Kindes mit dem anderen Elternteil einzuschränken oder auszusetzen.

4. Der induzierende Elternteil instrumentalisiert das Kind, um eigenen Verlustängsten zu begegnen und weiter bestehende Hass- und Rachegefühle gegenüber dem anderen Elternteil auszuleben. Eine Trennung bzw. Differenzierung der Elternebene von der Paarebene scheint unmöglich zu sein.

5. Trennungsbedingte Symptome und Beunruhigungen des Kindes werden dem abgelehnten Elternteil zugerechnet.

6. Meist werden eine Hilfe oder Unterstützung - beispielsweise im ASD des Jugendamts - oder eine Mediation, Beratung oder Therapie nicht in Anspruch genommen; direkte Kontakte mit dem anderen Elternteil werden abgelehnt.

7. Der induzierende Elternteil folgt oft dem Motto: Beide Eltern sind im Allgemeinen auch nach einer Trennung für die Kinder wichtig, nicht aber im konkreten (in meinem) Fall. Der andere Elternteil hat alle „Rechte“ am Kind verwirkt.

8. Die Beziehungen des Kindes zu anderen Familienmitgliedern des abgelehnten Elternteils werden als genauso schädlich eingestuft wie die Kontakte zu ihm selbst.

9. Selbst von neutralen Personen begleitete Umgangskontakte werden oft als dem Kind unzumutbar abgelehnt.

10. Einmal aufgestellte Behauptungen werden auch im Falle einer „Widerlegung“ durch Fachleute oder durch gerichtlichen Beschluss weiterhin als Realität angesehen (z.B. beim sexuellen Missbrauchsthema).

Kindebene

1. In den Gesprächen mit einem induzierten Kind fällt auf, dass der induzierende Elternteil meist durchweg positiv, der abgelehnte Elternteil dagegen meist durchgängig negativ beschrieben wird.

2. Auf die Frage, wie sich der abgelehnte Elternteil ändern müsste bzw. was geschehen müsste, um ein besseres Bild vom abgelehnten Elternteil zu bekommen, fällt dem Kind so gut wie nie eine Antwort ein. Typische Antworten lauten beispielsweise: „Der kann sich gar nicht ändern“; „der hat bei mir keine Chance mehr.“

3. Auf die Frage, warum das Kind keinen Kontakt mit dem anderen Elternteil haben möchte, werden meist nur lapidare Erklärungen oder vage Hinweise gegeben: „Dort muss ich den Tisch abräumen“; „da muss ich lesen üben“; „da musste ich den Mülleimer ausleeren“.

4. Wenn ein derart induziertes Kind seine ablehnende Haltung begründen soll, werden meist wortgetreu die Beschuldigungen des anderen Elternteils wiedergegeben. Nähere Erläuterungen, Begründungen oder Konkretisierungen sind dem Kind jedoch meist nicht möglich.

Nach Gardner20 zeigen in diesem Sinne induzierte Kinder (PAS) im hoch strittigen Sorgerechts- oder Umgangsverfahren folgende Besonderheiten:

Verunglimpfungskampagnen des anderen Elternteils

Absurde Rationalisierungen und Verunglimpfungen

Fehlende Ambivalenz

Betonung „eigenständigen Denkens“

Reflexive Unterstützung des betreuenden Elternteils

Fehlende Schuldgefühle

„Entliehene Szenarien“

Ausweitung der Feindseligkeiten auf weitere Angehörige des abgelehnten Elternteils.

Werden derartig gravierende Induzierungen beim Kind nicht erkennbar, sondern eher typische Beeinflussungen, Manipulationen oder Instrumentalisierungen des Kindes, sind folgende Leitfragen zur Klärung der Lebenssituation und der Vorstellungswelt des Kindes bei der Realisierung von Umgangskontakten hilfreich21:

Wann hat das Kind seine Mutter, seinen Vater nach der Elterntrennung erstmalig wieder gesehen?

Gab es seitdem Unterbrechungen der Kontakte?

Wie häufig trifft das Kind seine Mutter bzw. seinen Vater?

Wie lange dauern jeweils die Kontakte?

Unter welchen Bedingungen finden die Kontakte statt?

Welche Personen sind außer dem jeweiligen Elternteil anlässlich der Kontakte dabei?

Was unternehmen das Kind und seine Mutter bzw. sein Vater, wenn sie zusammen sind?

Gibt es telefonische und/oder briefliche Kontakte zwischen dem Kind und dem betreffenden Elternteil?

Gab bzw. gibt es Schwierigkeiten bei der Durchführung der Umgangskontakte?

Wie sieht die Übergabe- und Abholsituation aus?

Wie geht das Kind auf seine Mutter bzw. seinen Vater zu, wenn es zu einem Zusammentreffen kommt?

Wie geht es dem Kind beim Abschiednehmen?

Wie verhält sich das Kind, wenn es wieder zurückkommt?

Wie erlebt das Kind die Besuchskontakte?

Kann das Kind von den Besuchskontakten profitieren?

Berichtet das Kind von den Besuchen und Aktivitäten?

Wie verhält sich das Kind bei den Besuchskontakten gegenüber seiner Mutter bzw. seinem Vater?

Welchen Willen kann das Kind äußern?

Fanden bereits Umgangskontakte gegen den erklärten Willen des Kindes statt?

Haben die Eltern eine Mediation, Trennungsberatung oder eine Psychotherapie in Anspruch genommen?

Boykottiert ein Elternteil die Umgangskontakte?

Welche Auflagen, gerichtlichen Beschlüsse und Sanktionen sind bereits erfolgt, um den Boykott zu beheben?
V. Zusammenfassung und Perspektiven

Beeinflussungen, Manipulationen, Instrumentalisierungen, Parentifizierungen von Kindern aller Altersgruppen und Induzierungen in hoch strittigen Trennungsprozessen, bei Sorgerechts- und Umgangsregelungen sind seit Jahren bekannte Phänomene in der Sozialarbeit, Verfahrenspflegschaft, familienpsychologischen Sachverständigentätigkeit, Beratungspraxis und im Gerichtsverfahren.

Im Rahmen dieser Diskussion macht in den letzten Jahren vor allem das Parental-Alienation-Syndrome (PAS) auf sich aufmerksam. Bei diesem Konzept handelt es sich um ein Arbeitsmodell, das nicht auf der Grundlage empirisch hinreichend belegter Annahmen steht. Insbesondere die Annahme, dass es sich um eine Krankheit des Kindes handelt, analog dem Modell eines Folie à deux (vgl. ICD 10 F24)22, widerspricht dem das gesamte Familiensystem umfassenden systemischen Denkansatz, der keine isolierte Krankheitssicht betont.

Allen Professionellen ist bekannt, dass induzierende Elternteile in der Lage sind, Kinder derart zu beeindrucken, dass sie u.U. sogar den Kontakt mit dem ehemals geliebten Elternteil verweigern.

Kritisch anzumerken ist, dass gerade im Rahmen der PAS-Diskussion davon ausgegangen wird, dass der induzierte Wille des Kindes nicht zu beachten ist, obwohl gerade dieser intentionale Wille mit einer klaren Zielrichtung besonders stark ausgeprägt sein kann und jedes Kontaktbemühen scheitern lässt.

Nicht der zwangsweise durchgesetzte Umgang stellt in der Regel ein erfolgreiches Modell dar, da bei jedem Umgangskontakt meist der Wille des Kindes erneut gebrochen werden muss, sondern die Inanspruchnahme z.B. einer Mediation, Beratung, Familientherapie oder Psychotherapie durch die Eltern und/oder eine bereits kurze Zeit nach einer Trennung erfolgende konsequente Festlegung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den bindungstoleranteren und nicht boykottierenden Elternteil.

Hat sich aber der Wille eines Kindes erst verfestigt - intentionalisiert - wird er meist ab einem Lebensalter von ca. zehn Jahren nicht mehr, ohne neuen Schaden anzurichten, zu verändern sein. In diesem Zusammenhang wird auch der Vorschlag von einigen Vertretern des PAS-Modells, der vor allem von betroffenen Vätern aufgegriffen wurde, das Kind beispielsweise in einem Heim unterzubringen, grundsätzlich als nicht kindeswohlverträglich abzulehnen sein.

Allerdings entfällt zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Wille des Kindes verfestigt hat, meist die Möglichkeit, einen Wechsel des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder des Sorgerechts herbeizuführen, es sei denn, dass trotz der Induzierung die Widerstandskraft (Resilienz)23 des Kindes besonders ausgeprägt ist. Unter Resilienz ist in diesem Zusammenhang das Phänomen zu verstehen, sich selbst unter schwierigen Lebensumständen andauernder familiärer Konflikte gesund und kompetent zu entwickeln. Darüber hinaus wird unter Resilienz auch zu subsumieren sein, wenn sich das Kind z.B. nach einem Sorgerechtswechsel von seinem Störungszustand der Induktion schnell erholt.

Dabei spielt offensichtlich nicht nur die resiliente Persönlichkeit des Kindes eine herausragende Rolle, sondern ebenso der familiäre Zusammenhalt in den Teilfamilien - auch im Sinne der Bindungstheorie - und das Vorhandensein externer Unterstützung, z.B. bei älteren Kindern in der Verwandtschaft, Freundschaft und peer-groups oder bei jüngeren Kindern zusätzlich in Trennungs- und Scheidungsgruppen, die die kindlichen Coping-Strategien fördern und stärken. Beachtenswert ist ferner die allgemeine Lebenseinstellung und sichere Einbettung des Kindes in das soziale Umfeld, die u.U. noch einen späteren Wechsel des Kindes zu dem anderen Elternteil zulässt.

*Der Autor ist als Diplom-Psychologe in der Abteilung für klinische Psychologie und Rechtspsychologie der Freien Universität Berlin tätig.

1Fegert, KindPrax 2001, 3; ders., KindPrax 2001, 39; Fischer, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1998, 306; ders., Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1998, 343; Gerth, KindPrax 1998, 171; Jopt/Behrend, ZBlJR 2000, 223; dies., ZBlJR 2000, 258; Kodjoe, KindPrax 1998, 172; dies., DAVorm 1998, 9; Kodjoe/Koeppel, KindPrax 1998, 138; Lehmkuhl, U./Lehmkuhl, G., KindPrax 1999, 159; Leitner/Schoeler, DAVorm 1998, 849; Rexilius, KindPrax 1999, 149; Salzgeber/Stadler, KindPrax 1998, 167.

2Vgl. Klenner, 2002, zitiert bei Koeppel: www.koeppel-kindschaftsrecht.de/anmerk-klenner.htm.

3Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille. Psychologische und rechtliche Aspekte, 2001, S. 63.

4Vgl. auch Zitelmann, Kindeswohl und Kindeswille im Spannungsfeld von Pädagogik und Recht, 2001, S. 228 mit w. Nachw.

5Piaget, Play, Dreams and Imitation in Childhood, New York, 1962; Deutsch: Nachahmung, Spiel, Traum. Gesammelte Werke, Bd. 5, 1989.

6Vgl. Astington, Wie Kinder das Denken entdecken, 2000, S. 90, die dieses Strukturmodell für die Theorie des Denkens nutzbar machte.

7Vgl. Dettenborn (o. Fußn. 3), S. 70f., mit weiteren eindrucksvollen Belegen aus der Entwicklungspsychologie.

8Vgl. Dettenborn (o. Fußn. 3), S. 70f.

9Vgl. die umfassende Darstellung hierzu bei Zitelmann (o. Fußn. 4), S. 206ff.

10Klenner (o. Fußn. 2).

11Klenner (o. Fußn. 2).

12Vgl. etwa die Langzeitstudie von Wallerstein/Lewis, FamRZ 2001, 65 (68ff.).

13Vgl. etwa die Ausführungen zur Ausgestaltung des Umgangs bei Fthenakis, FPR 1995, 94.

14Vgl. hierzu auch Oelkers, FPR 2002, 248 (in diesem Heft).

15Dürr, Verkehrregelungen gemäß § 1634 BGB, 2. Aufl., 1979.

16Dürr (o. Fußn. 15), S. 25.

17Vgl. hierzu auch: Brazelton/Greenspan, Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein, 2002; Fegert, FPR 1999, 321 (326f.).

18Dettenborn (o. Fußn. 3), S. 95f.

19Vgl. hierzu Peschel-Gutzeit, Das Recht zum Umgang mit dem eigenen Kinde. Eine systematische Darstellung, 1989; dies., FPR 1995, 82.

20Gardner, The Parental-Alienation-Syndrome. A guide for mental and legal professionells. Creskill/NJ, Creative Therapeutics Inc., 1992.

21Vgl. hierzu Westhoff/Terlinden-Arzt/Klüber, Entscheidungsorientierte psychologische Gutachten für das Familiengericht, 2000.

22Nach ICD-10 F24 soll die Diagnose einer induzierten wahnhaften Störung nur gestellt werden, wenn: 1. Zwei oder mehr Menschen denselben Wahn oder dasselbe Wahnsystem teilen und sich in dieser Überzeugung bestärken. 2. Diese Menschen eine außergewöhnlich enge Beziehung verbindet. 3. Durch einen zeitlichen oder sonstigen Zusammenhang belegt ist, dass der Wahn bei dem passiven Partner durch Kontakt mit dem aktiven induziert wurde.

23Egle/Hoffmann/Joraschky, Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung. Erkennung und Therapie psychischer und psychosomatischer Folgen früher Traumatisierungen, 2000, S. 4.

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