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Sandra
starsailor


Beiträge: 12884


New PostErstellt: 02.08.11, 23:09     Betreff: Re: gUiLLeMoTs

bei Plattentests.de zu Recht ::Platte der Woche:: Walk The River 8/10

Raum und Zeit

Für manche Dinge ist die Erde einfach zu klein. Dann muss man die Segel am Raumschiff hissen, die Mütze tief ins Gesicht ziehen und dem Sturm vertrauen. Man muss Wegweiser in Wolkenformationen erkennen und darf keine Angst vor der Dunkelheit haben. Vielleicht ist aber auch nichts dergleichen notwendig, und man kommt durch unerklärliche Umstände plötzlich auf einem anderen Planeten zu sich, verirrt und verwirrt, aber mit dem leisen Mut ausgestattet, den man braucht, um von dort aus den Heimweg anzutreten. Und das ist der Punkt, an dem "Walk the river", das dritte Album der englischen Band Guillemots, beginnt. Vorbei sind die bonbonbunten und zauberhaft zartbesaiteten Zeiten ihres Debüt-Meisterwerks "Through the windowpane", vorbei die experimentellen Exzesse der Hupfdohlen-Exkursion "Red". Nun geht es um das wirklich Essentielle: das Verlorensein und das Gefundenwerden.

Auf das Wesentliche konzentrieren sich Frontvogel Fyfe Dangerfield, Bass-Königin Aristazabal Hawkes, der brasilianische Gitarrenmagier Magrão und Greig Stewart, perkussionierender Fels in der Brandung, auch in musikalischer Hinsicht: Sie haben die zwölf Stücke als klassische Bandsongs entworfen, von denen man beinahe glauben könnte, dass sie live eingespielt wurden. Vielleicht ist dieser neue, organischere Sound auch der Lage des Studios zu verdanken, in dem die Band "Walk the river" aufnahm - mitten in den waldreichen Bergen von North Wales. Auf "Inside" hört man Dangerfield durch das aufgeregt raschelnde Laub schreiten, spürt den Rhythmus der Natur und den Herzschlag des Instinktes. Denn genau der ist es, der auf diesem Album regiert, und vor allem: der noch Rat weiß, wenn sonst nichts mehr hilft. Tiere wissen das. Und Guillemots erst recht.

"Walk the river / Like a hunted animal", heißt es im Titeltrack, dessen Stimmung man dem Formatradiohörer als die bestmögliche Mischung aus Chris Isaaks "Wicked game" und "Blueprint" von den Rainbirds beschreiben könnte. Eine Art dunkle Euphorie, die schwer und leicht zugleich ist, ein Kippbild der großen Gefühle. Auf stoisch federndes Schlagzeug folgt eine feuerfeste und dann doch in alle Richtungen zerfließende Gitarre, und schließlich eine Spieluhr, die alle Tragödien weglächelt, wenn auch nur für ein paar Sekunden. Und dann sind wir wieder im All: "Walking slowly through space / Pleased and terrified", singt Dangerfield, und die Reise beginnt. Sie ist epische 65 Minuten lang, und niemand könnte je fotografieren, was man währenddessen zu Ohren bekommt. Songs wie Dinosaurier, die sich von keinem Weitwinkel einfangen lassen. Monströs, aber melodiös; atmosphärisch und doch anmutig.

Alles auf diesem Album klingt wie unter vier Augen und zehntausend Ohren anvertraut - "Stadium rock for people who feel alone in crowds", sagt ein englisches Musikmagazin dazu. Breitwand-Intimität, wie man sie kaum hinreißender erschaffen könnte. "I just want to be / Somewhere I can lose myself / Is that alright?", fragt Dangerfield am Anfang von "I don't feel amazing now", das zum Schönsten zählt, was man bislang aus der Brutstätte der Guillemots gehört hat. Nicht nur, weil es der lyrischen Tristesse eine bemerkenswerte musikalische Entspanntheit entgegensetzt, sondern auch, weil in diesem Gesang so viel bedingungslose Hingabe steckt, so viel intuitive emotionale Detailarbeit, dass man nur noch vergessen kann zu denken. Denn auch darum geht es in diesen Liedern: loslassen, dem inneren Kompass folgen, Nähe und Distanz neu berechnen. "Something that you cannot see / Is so far away / You're almost in it", philosophiert "Slow train" überaus passend.

Was "Walk the river" so besonders macht, sind trotz großformatiger Refrains die kleinen, subtilen Verbindungen zwischen den Songs. Zum Beispiel der clevere Übergang vom impulsiven, mit einem Miniatur-Stonerrock-Riff dekorierten "Ice room" zu den majestätisch flanierenden "Tigers", in deren Käfig wiederum ein Stückchen "I don't feel amazing now" durch nachtschwarze Baumwipfel herüberweht und die Tür in die Freiheit öffnet. Oder auch das startende Flugzeug und das beschleunigend vorbeisausende Auto, die man entdeckt, wenn man der neunminütigen Expedition "Sometimes I remember wrong" aufmerksam lauscht. Ohnehin ist dies das Herzstück des Albums, ein Emotionsaquarell auf einer Leinwand in Fußballfeldgröße. Der Formatradiohörer würde hier wohl an U2 oder Coldplay denken - und würde sich von den Singles "The basket" und "I must be a lover", beides fantastische Pop-Nummern, ganz bestimmt auch sofort begeistern lassen. Optimistisch endet auch das Album: Guillemots begraben in "Yesterday is dead" mit großer Geste und Entschlossenheit die Vergangenheit und blicken zuversichtlich in die Zukunft. Sie haben aber auch wirklich allen Grund dazu.

(Ina Simone Mautz)







[editiert: 02.08.11, 23:11 von Sandra]
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