Staat kuscht vor kriminellen Clans
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,721741-2,00.html
2. Teil: Vier Polizisten, Hunderte Straftäter
Es gibt jetzt zwar vier Polizisten, die einen Überblick über die Ordnungswidrigkeiten, Vergehen und Straftaten von etwa 200 ausgewählten Mitgliedern der Sippe behalten sollen. Die wissen, wie deren ausländerrechtlicher Status ist, welche Verfahren sonst noch gegen sie laufen oder wie die tatsächlichen Namen der Betreffenden lauten - manche Delinquenten besitzen nämlich bis zu 16 offizielle Identitäten.
Doch gefragt, wie die versprochene Zusammenarbeit mit den Schul- und Sozialbehörden funktioniere, ob man sich abstimme, Informationen austausche, darüber berate, ob und wie ein Kind vor der kriminellen Karriere in seinem Clan bewahrt werden könnte, lacht ein Ermittler bloß: "Das gibt es einfach nicht."
Das Gegenteil sei sogar der Fall: Es komme nicht selten vor, dass ein Gesuchter weiter Sozialleistungen kassiere, die Behörde der Polizei aber aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht sage, wo der Betreffende sich aufhalte. "Es ist einfach absurd."
Auch der Bremer CDU-Innenpolitiker Wilhelm Hinners kritisiert: "Die versprochene Vernetzung der Behörden funktioniert nicht. Wir lassen die Kriminellen viel zu häufig gewähren und bestätigen sie damit auch noch in ihrem Tun. "
Und das hat Folgen.
"Die betrachten uns als Beutegesellschaft"
In den vergangenen zehn Jahren hat sich laut Polizei die Zahl der Verfahren gegen die Bremer Clan-Angehörigen verdoppelt. Zudem scheint die Zahl der Beteiligten zu wachsen: 2009 verdächtigten die Ermittler knapp 300 Personen, mehr als 800 Straftaten begangen zu haben. Im ersten Halbjahr 2010 waren es bereits 230 bei knapp 380 Delikten. "Die betrachten uns als Beutegesellschaft, als geborene Opfer und Verlierer", sagte ein hoher Kriminalbeamter bereits im Dezember 2009 SPIEGEL ONLINE. Ein Ende dessen ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Zu den Bremer Sippen zählen fast 800 Kinder.
Auch die verstorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig hat in ihrem posthum veröffentlichten Buch "Das Ende der Geduld" das alarmierende Phänomen der Ethno-Clans beschrieben:
Eine Familie, Vater, Mutter, 10 bis 15 Kinder, in Einzelfällen bis zu 19 Kinder, wandert aus dem Libanon zu. Einige Kinder werden noch in der 'Heimat' geboren, andere in Deutschland. Bevor die Mütter das letzte eigene Kind gebären, haben sie bereits Enkelkinder. Deshalb vergrößert sich ein Clan in atemberaubender Geschwindigkeit. Als Staatsangehörigkeit der Familien taucht in amtlichen Papieren (…) 'staatenlos', 'ungeklärt', 'libanesisch' oder zunehmend auch 'deutsch' auf. Man bezieht staatliche Transferleistungen und Kindergeld.
Eine Großfamilie bringt es ohne Probleme auf Hunderte polizeilicher Ermittlungsverfahren. Wenn die Drogen- oder sonstigen illegalen Geschäfte von einem rivalisierenden Clan oder gar von Banden mit einem anderen ethnischen Hintergrund gestört werden, wird das Problem gelöst, indem man einander tötet oder dies zumindest versucht.
(…) Die weiblichen Familienangehörigen stehlen vorwiegend und die männlichen begehen Straftaten aus allen Bereichen des Strafgesetzbuchs: von Drogen- und Eigentumsdelikten über Beleidigung, Bedrohung, Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Sexualstraftaten und Zuhälterei bis zum Mord ist alles vertreten. Die Kinder wachsen weitgehend unkontrolliert in diesen kriminellen Strukturen auf."
Feste Größen der Organisierten Kriminalität
In Berlin sind die Sippen längst feste Größen der Organisierten Kriminalität geworden. Die 20 bis 30 gefürchteten arabischen Großfamilien verdienen laut Polizei an Drogen, Prostitution, Waffengeschäften und Schutzgelderpressung. Auch mit den Aufsehen erregendsten Straftaten der jüngeren Vergangenheit, dem Einbruch in das Luxuskaufhaus KaDeWe und dem Überfall auf ein Pokerturnier im Hyatt, brachten die Ermittler sie in Verbindung.
Zugleich ist es Mitgliedern der zurzeit vielleicht berüchtigsten Sippe gelungen, sich mit einem bekannten Rapper zusammenzutun. Und so tummeln sich Männer mit sehr ausführlichen Polizeiakten inzwischen bei gesellschaftlichen Großveranstaltungen mit der Prominenz und machen ganz legale Geschäfte: Sie kaufen Immobilien, betreiben Clubs und Discotheken, richten "Events" aus. Woher das Geld für die Projekte stammt, können die Ermittler kaum noch rekonstruieren. "So sieht eben Organisierte Kriminalität aus", seufzt ein Beamter.
Für die nachwachsende Generation sind diese Männer, die sich gerne mit großen Autos und teuren Uhren schmücken, verheerende Vorbilder. Der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch ging schon 2007 davon aus, dass in den Großfamilien "eine konsequente Erziehung zur professionellen Kriminalitätsausübung stattfindet".
Selbstbedienungsmentalität entwickelt
Die Jugendlichen wüchsen in einem Umfeld auf, so Reusch, in dem "schwerste Straftaten zur völligen Normalität" gehörten: "Sie haben eine Selbstbedienungsmentalität entwickelt, die darauf abzielt, sich zu nehmen, was immer sie wollen und wann und so oft sie es wollen." Damit seien sie ein "ideales Reservoir für die Fußtruppen des organisierten Verbrechens".
Im März 2010 sollte sich beim Berliner Pokerraub Reuschs Prognose publikumswirksam bewahrheiten. Die dilettantische Drecksarbeit machte ein Quartett ehrgeiziger Straßenräuber mit Migrationshintergrund, die Hintermänner stammten laut Polizei aus bekannten Arabersippen.
Dem Bremer CDU-Politiker Hinners scheint der Kampf gegen die Clans längst verloren. "Ich befürchte, der Zug ist abgefahren, die Strukturen werden wir nicht mehr zerschlagen." Es gehe nur noch darum, den Einfluss der kriminellen Familien auf das öffentliche Leben einzudämmen. "Sonst werden wir uns irgendwann noch sehr wundern."
Das Wort Härte
Oberstaatsanwalt Reusch war 2007 noch kämpferischer, auch wenn seine Vorschläge drakonisch ausfielen: Ausweisungen, Haftstrafen, Verhinderung der Einbürgerung Krimineller, begrenzter Familien- und Ehegattennachzug, Prüfung der Integrationswilligkeit. Der Spezialermittler, der sich jahrelang mit jugendlichen Intensivtätern befasst hatte, warnte sogar vor "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" in Deutschland und hoffte auf den Druck der Öffentlichkeit.
Sie ließ ihn im Stich.
Reusch wurde wenig später versetzt, auf einen unwichtigen und vor allem unpolitischen Posten. Sein Nachfolger als Experte für Jungkriminelle hatte sich zuvor beruflich mit Straßenverkehrsdelikten befasst. Bei seinem Amtsantritt gefragt, ob er wie sein Vorgänger ebenfalls hart gegen die jungen Kriminellen durchgreifen wolle, sagte der Neue: "Das Wort Härte, das gefällt mir nicht."
Und es gibt auf der Seite noch einen zweiten Teil!
Also ich bin entsetzt was so abgeht!