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Samar
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New PostErstellt: 02.01.07, 22:36     Betreff: Re: Separatismus begünstigt?

Abchasien, Berg-Karabach, Transnistrien, Südossetien. Das Problem dieser sogenannten nicht anerkannten Staaten, die gleich nach dem Zerfall der UdSSR entstanden und seit etwa fünfzehn Jahren ihre de-facto-Unabhängigkeit haben bewahren können, wird neuerdings immer akuter. Das hängt nicht nur mit den Erwartungen einer baldigen internationalen Anerkennung des Kosovo zusammen, die nach Ansicht einiger Experten einen Präzedenzfall für die Lösung des Problems als Ganzes schaffen könne. Die in Südossetien und Transnistrien abgehaltenen Präsidentenwahlen und das Referendum über die Verfassung in Berg-Karabach werden von der internationalen Gemeinschaft zwar nicht anerkannt, zeigen jedoch offenkundig eine Belebung des politischen Lebens in diesen Republiken an. Zugleich ist in den "Mutterländern", vor allem in Georgien, das Streben zu beobachten, sich die verlorenen Territorien gewaltsam wieder anzueignen. Das wirkt sich natürlich auf die allgemeine internationale Situation in der Region aus und zieht unter anderem eine weitere Verschlechterung der russisch-georgischen Beziehungen nach sich. Es sieht so aus, als käme nach den 15 Jahren der Moment einer Feuerprobe für die kleinsten Scherben der Ex-UdSSR, Republiken mit dem eigens verkündeten Anspruch auf Unabhängigkeit.

Offensichtlich ist das Problem der nicht anerkannten Staaten eine Herausforderung sowohl für Russland als auch für die ganze Weltgemeinschaft. Das Selbstbestimmungsrecht einer Nation und das Prinzip der Unverrückbarkeit der Grenzen sind in den internationalen Dokumenten oft wie bei einer Aufzählung nur durch ein Komma getrennt. Doch kann der für heute unlösbare Gegensatz zwischen ihnen die relativ stabilen internationalen Praktiken in Bezug auf die territorialen Grenzstreitigkeiten und die Integrität der bestehenden Staaten ins Wanken bringen. Der erwartete "Kosovo-Präzedenzfall" wird von einigen als eine Art "Dietrich" aufgenommen, der droht, beliebige Grenzschlösser zu öffnen und im Grunde das Grenzsystem, das sich in Europa und der Welt herausgebildet hat, zu sprengen. Das oft zitierte "Recht der Nation auf Selbstbestimmung bis zur Abtrennung" wird immer häufiger zu einem Werkzeug von politischen Abenteurern und Extremisten. Der Missbrauch dieses Rechtes ist außerordentlich gefährlich, darunter auch für das heutige Russland und seine Nachbarstaaten: Jedes erfolgreiche Beispiel des Separatismus im postsowjetischen Raum könnte einen Dominoeffekt auslösen.

Ohne jeden Zweifel liegt das nationale Interesse Russlands darin, das Prinzip der Unverrückbarkeit der Grenzen und der territorialen Integrität wo auch immer aufrechtzuerhalten. Indes kann auch dieses Prinzip nicht absolut und universell sein und hat seine Einschränkungen. Wenn zum Beispiel die Zentralmacht und die Titelnation die Rechte der ethnischen Minderheiten unterdrücken, deren Recht auf Autonomie ignorieren und, noch schlimmer, eine harte Anpassungspolitik durchführen, verliert ein solcher Staat faktisch das Recht auf territoriale Integrität. Es kommt zum Verstoß gegen die unveräußerlichen Menschenrechte, darunter auch gegen das Recht auf Leben, etwa bei gewaltsamer Niederschlagung von nationalen Bewegungen. In diesem Fall steigert sich der Separatismus zu einer Form des Kampfes um das Überleben der kleinen ethnischen Gruppen und ihr Recht auf Eigenständigkeit und Selbständigkeit in der gegenwärtigen multikulturellen Welt.

Wo verläuft jene fein gezogene Linie, die es erlauben wird, den akutesten Gegensatz des Jahrhunderts zu beheben? Aller Wahrscheinlichkeit nach sind hierbei universelle Lösungen unmöglich. Es gibt jedoch zweifellos eine Reihe von allgemeinen Prinzipien, anhand derer jede konkrete Entscheidung darstellbar ist. Am wichtigsten und notwendigsten ist bei jedem Konflikt dieser Art das Prinzip der gegenseitigen Verantwortung und einer pragmatischen Interessenabstimmung zwischen dem "Mutterland" und dem Territorium, das nach Selbständigkeit und internationaler Anerkennung strebt. Ist ein Staat multinational, so hat er die Pflicht, die Rechte aller auf seinem Territorium lebenden Ethnien zu berücksichtigen. Ein solcher Staat darf nicht unitär und erst recht nicht ethnokratisch sein. Und wenn sich die heutige georgische Führung weigert, die Autonomie von Abchasien und Südossetien anzuerkennen, darf es nicht wundern, dass diese ehemaligen autonomen Republiken nach Unabhängigkeit streben: Sie können sich eine Existenz im Bestand Georgiens einfach nicht vorstellen. Wenn hierbei eine auf Unabhängigkeit ausgerichtete regionale Struktur seit längerer Zeit demonstriert, dass von ihren staatlichen Institutionen die ihnen zukommenden Funktionen ausgeübt werden, die Rechte der ethnischen Minderheiten gewahrt werden, die Eliten einen inneren Konsens erreicht haben, die Wirtschaft und die kulturelle Eigenständigkeit zustande gekommen sind, wenn die Unabhängigkeitsbewegung einen friedlichen und demokratischen Weg geht sowie vernünftige Zugeständnisse und Kompromisse in Betracht gezogen werden, besteht für eine solche Struktur die Möglichkeit ihrer internationalen Anerkennung als selbständiger und herausgebildeter Staat.

Für Russland indessen ist eine solche Entwicklung - bei all dem emotionalen Wunsch, zur Selbstbestimmung und internationalen Anerkennung der nicht anerkannten Nachbarn beizutragen - objektiv ungünstig. Dies nicht nur deshalb, weil die Gefahr des Separatismus in der Russischen Föderation selbst nicht überwunden ist. Das Erreichen der Völkerrechtssubjektivität bringt Moskau automatisch um das Monopol auf die begünstigenden Sonderbeziehungen zu den nicht anerkannten Staaten. Bildlich gesprochen können auf der "internationalen politischen Börse“ "neue Chips" aufkommen, auf die Russlands Konkurrenten zu setzen imstande wären. Niemand garantiert, dass die ehemaligen nicht anerkannten "Freunde von Moskau" nach Erlangung des offiziellen Status als Subjekt der internationalen Beziehungen nicht eine Wendung zur euratlantischen Gemeinschaft vollziehen: Denn gerade das könnte eine der Bedingungen ihrer vollen Anerkennung werden. Zudem kann die Gefahr von bewaffneten Konflikten, besonders eines ossetisch-georgischen und eines georgisch-abchasischen, unvorhersagbare Folgen für den russischen Nordkaukasus nach sich ziehen.

Russland müsste an der Wiederherstellung der territorialen Integrität der Nachbarn Georgien, Moldawien und Aserbaidschan mehr Interesse zeigen. Leider ist jedoch vorläufig nicht damit zu rechnen, dass dies auf zivilisiertem und friedlichem Wege geschehen könnte. Deshalb wird Moskau unvermeidlich neue Standards für die Lösung des Problems "nicht anerkannte Staaten" suchen und initiieren müssen. Einer der möglichen Wege wäre zum Beispiel die Bildung einer neuen supranationalen Vereinigung analog zur Europäischen Union. Eine solche Variante könnte in vieler Hinsicht das Problem des Separatismus und Regionalismus lösen, wenn sich sowohl die "Mutterländer" als auch die nach Abtrennung strebenden Territorien im Rahmen einer umfassenderen und für alle annehmbaren Identität vereinigen. Die Frage ist nur, ob die Staaten und die Eliten im postsowjetischen Raum so viel politische Reife aufbringen, um einen solchen Weg zu wählen. [ RIA Novosti ]



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