Viele Wege zur Energiewende
Radikale Ansichten und lebhafte Debatten: Vertreter der Landtags-Parteien sowie Umweltschützer diskutieren über den Atomausstieg
Brunsbüttel
Vor der Bühne des Elbeforums zeigten Plakate und Transparente die
Ziele auf: „Stoppt das CO2-Endlager! Stoppt den Wahnsinn!“ und „Kein
Kohledreck für Brunsbüttel!“ Auf der Bühne leiteten Stephan Klose aus
Wewelsfleth für die Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz
Unterelbe sowie der Hamburger Journalist Jochen Schüller die Diskussion
über das Thema „Energiewende“ mit führenden Vertretern der Parteien, die
am 6. Mai zur Landtagswahl antreten: der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Ingbert Liebing, SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender Ralf Stegner, FDP-Landtagsabgeordneter Oliver Kumbartzky, Grünen-Fraktionsvorsitzender
und Spitzenkandidat Dr. Robert Habeck, für die Linken der
Landtagsabgeordnete Björn Thoroe und für den SSW Landesvorstandsmitglied
Peter Knöfler.
Kohlekraftwerk vor dem Aus ?
BUND-Landesgeschäftsführer Hans-Jörg
Lüth lehnt die Kernkraft als menschenverachtend ab, „weil sie nicht
beherrschbar ist“. Auch Kohlekraftwerke seien widersinnig, weil die
Energieeffizienz nicht voll ausgeschöpft werde. Mit der ungenutzten
Abwärme eines Kohlekraftwerks hätte man eine Stadt wie Berlin beheizen
können, sagte Lüth und schimpfte, dass über den Ausbau der Windenergie
zwar viel geredet werde, „aber passiert ist bisher noch nichts!“
Beifall brandete auf, als Stephan Klose den Investoren-Rückzug
aus den Kohlekraftprojekten in Brunsbüttel aufzeigte. Nachdem das
Schweizer Unternehmen Repower seinen Ausstieg angekündigt habe, „muss
man das Projekt vermutlich begraben“, frohlockte Klose.
Der BUND-Bundesvorsitzende Professor Hubert
Weiger aus Berlin erinnerte an die Reaktorkatastrophe in Japan:
„Fukushima hat uns noch einmal die Augen geöffnet, wie verhängnisvoll
die Nutzung der Kernenergie ist.“ Für eine zukunftsfähige
Energieversorgung seien drei Schritte erforderlich: den Energieverbrauch
zu senken, die Energieeffizienz zu revolutionieren und den dezentralen
Ausbau der erneuerbaren Energie voranzutreiben. Weiger forderte
eindringlich die Überführung des notwendigen Netzausbaus in öffentliche
Verantwortung.
CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager spreche
sich einerseits für 100 Prozent erneuerbare Energien und andererseits
für ein Kohlekraftwerk in Brunsbüttel aus. „Wie passt das zusammen?“,
fragte Klose. Ingbert Liebing nannte die Vollversorgung mit erneuerbarer
Energie als Ziel. Das sei aber bis zum endgültigen Atomausstieg nicht
zu schaffen. Deshalb sei man mittelfristig noch auf andere Energieformen
angewiesen, um weiter ein Energie-Exportland zu
sein. Robert Habeck fand diese Argumentation zwar logisch, aber falsch.
„Kohlekraftwerke können nicht wirtschaftlich betrieben werden, wenn man
erneuerbare Energien konsequent einsetzen will!“ Ralf Stegner
unterstrich: „Wir wollen raus aus der Atomenergie und brauchen auch
keine Kohlekraftwerke.“ Als Land zwischen den Meeren müsse man
vorangehen mit der Energiewende.
Radikal plädierte der Linke Björn Thoroe für eine Verschärfung der
Umweltschutzauflagen, um Kohlekraftwerke zu blockieren und kommunale
Stadtwerke zu stärken und redete einer Verstaatlichung des Stromnetzes
und der großen Energiekonzerne das Wort. Robert Habeck plädierte für ein
langfristiges Energiekonzept und Gesetze, die nicht mehr auf Kohlekraft
setzen: „Man kann derartigen Projekten politisch ein Ende setzen.“
Brokdorf schon früher abschalten ?
Peter Knöfler erinnerte daran, dass sein SSW schon 1979 die Kernkraft
abgelehnt habe und auch jetzt wieder die Kohlekraftwerke und die
CO2-Verpressung im CCS-Verfahren ablehne.
Kontrovers wurde auch die vorzeitige Abschaltung des Kernkraftwerks
Brokdorf diskutiert, die endgültig erst im Jahr 2021 geplant ist.
Fachleute halten die Abschaltung schon 2017 oder sogar 2014 für möglich,
ohne – so Klose – „dass irgendwo das Licht flackern wird“.
Während Liebing am Ausstieg im Jahr 2021 festhielt, sagte Peter Knöfler: „In Schleswig-Holstein
brauchen wir keine Atomkraftwerke mehr!“ Für Oliver Kumbartzky ist der
Ausstieg erst vollzogen, wenn das letzte Brennelement im Endlager sei.
Die Schaffung des Endlagers müsse deshalb vorangetrieben werden. Björn
Thoroe nannte es als Ziel der Linken, Brokdorf sofort abzuschalten.
Über den Atomausstieg entscheide einzig die Wirklichkeit, sagte
Robert Habeck. Wenn die erneuerbaren Energien nicht konsequent ausgebaut
würden, münde das sogar in eine Debatte über die Fortführung der
Atomanlagen.
Als „Rückgrat der Energiewende“ bezeichnete Stephan Klose die
Stromnetze. Während Thoroe die Forderung nach einer Verstaatlichung
wiederholte, betonte Habeck: „Wir brauchen die 380-kV-Leitung
an der Westküste. Und wir brauchen sie schnell.“ Um das zu erreichen,
sei ein staatlicher Einstieg unverzichtbar. Auch Stegner sprach sich für
den Netzausbau in öffentlicher Hand aus. Dagegen warnte Liebing vor dem
„Netzausbau nach Kassenlage durch den Staat“. Er kündigte ein
Netzausbaugesetz an, um den Ausbau der 380-kV-Leitung voranzutreiben.
Strom als Menschenrecht?
Kumbartzky sah Zukunftschancen für Brunsbüttel als Offshorehafen und
für Dithmarschen als Windstandort, während er die Entwicklung der
Biomasse „äußerst kritisch“ beurteilte. Thoroe nannte drei Schlagworte:
dezentraler Energieausbau, schneller Weg zu den Erneuerbaren und
Sozialtarife für Strom als Menschenrecht. Habeck drängte auf Eile und
stellte drei „E“s in den Vordergrund: Einsparen, Effizienz und
Erneuerbare. Liebing sieht in der Energiewende ein längeres Projekt:
„Wir werden noch manche positive Überraschung erleben.“ Für Stegner ist
die Energiewende das zweite Schlüsselthema nach der Bildung. Er möchte
den erneuerbaren Energien den absoluten Vorrang vor anderen
Energiequellen einräumen. Für Knöfler sind die dezentralen Lösungen und
eine Kommunalisierung der Stromversorgung Voraussetzung für ein
Wegkommen von den Energiekonzernen.
Jochen Schwarck