So will Vattenfall die Rostfässer bergen
Atomkraftwerk Brunsbüttel präsentiert das Konzept: Es besteht aus Seilen, Karabinerhaken und einem speziellen Segeltuch
Brunsbüttel
Sie stehen dicht gestapelt in sechs versiegelten Kavernen, gegen ein
Umstürzen gesichert durch Metallgitter. Doch etliche Atomfässer im
Kernkraftwerk Brunsbüttel, seit 2007 wegen Pannen vom Netz, rosten
heftig. Bei einer Video-Inspektion im Februar war es jedes vierte. Jetzt müssen sie aus ihren Betonbunkern gehoben werden.
Gestern hat Betreiber Vattenfall sein Konzept für die Bergung
vorgestellt: Über die Rostfässer soll ein Sack gestülpt und zugeschnürt
werden.
Die Konstruktion aus Karabinerhaken und Seilzügen sieht nicht aus wie eine High-Tech-Lösung.
Doch im Kraftwerk ist man überzeugt, den perfekten Weg gefunden zu
haben. „Wegen des beengten Raumes in der Kaverne mussten wir uns
Gedanken machen“, sagt Klaus-Dieter Brandt, Leiter der Entsorgung. „Und hier haben wir ein funktionierendes System.“
Kraftwerksleiter Knut Frisch erläutert das Vorgehen: Ein Kran mit
Greifer soll zunächst unbeschädigte Fässer aus der Kaverne hieven. Bei
den Problemfällen kommt der Schutzsack, den Metallringe in Form halten,
zum Einsatz. Er besteht aus reißfesten Fasern, wurde entwickelt mit
einem Segelmacher und passt gerade eben zwischen Gitter und Fass. Ist
der Sack vollständig übergestülpt, packt der Greifer zu und hebt das
Fass 30 Zentimeter an. Jetzt kann ein ein Mitarbeiter den Sack mit einem
Seil am unteren Ende zusammenziehen.
Sack ist nicht vollständig dicht
Die Überlegung der Vattenfall-Experten:
Selbst wenn ein Behälter beim Herausheben aufreißen oder zerbersten
sollte, könnte sein Inhalt dank des Sackes noch sicher in ein Überfass
verfrachtet werden. Vattenfall-Geschäftsführer
Pieter Wasmuth gibt aber zu: „Natürlich ist der Sack nicht hermetisch
geschlossen, doch uns geht es um den sicheren Hebevorgang.“ Sollte
radioaktives Material herausrieseln, falle es in die Kaverne und sei
damit unter Kontrolle. TÜV und Atomaufsicht müssen dem Verfahren noch
zustimmen.
Momentan lagern 631 Behälter mit schwach- und mittelradioaktiven
Abfällen in Brunsbüttel. Sie enthalten Filterharze,
Verdampferkonzentrate, aber auch Putzlappen, Folien, Isolierwolle und
Bauschutt. Außerdem sind in der Kaverne 6 stärker strahlende Bauteile
aus dem Reaktor abgelegt. Ein erstes stark verrostetes Fass war 2012
gefunden worden und hatte eine Debatte um die Sicherheit ausgelöst. An
einzelnen Behältern war eine Strahlung von bis zu 500 Millisievert pro
Stunde gemessen worden, vergleichbare Werte gab es bei der Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima. Ein Arbeiter in einem Meiler darf maximal 20 Millisievert pro Jahr ausgesetzt sein
Vattenfall entwickelte das Video-Inspektionssystem
und kontrollierte zunächst Kaverne 4. Das Ergebnis war ernüchternd: Von
den 70 dort gelagerten Fässern sind 18 mit Rost befallen. In einem Fall
sei flüssiges Filterharz aus einem Fass als tropfenförmige Ablagerung
ausgetreten, teilte das Kieler Umweltministerium mit. Die Ursache für
den Rost kennen die Vattenfall-Ingenieure noch
immer nicht. War es chemische Korrosion durch Säure aus dem Inneren der
Fässer oder Feuchtigkeit, die beim Reinigen in die Kavernen gelangte?
„Weder Inhalt, noch Alter oder Lage der Behälter lassen eine Systematik
erkennen“, sagt Manager Wasmuth.
Fässer seit 30 Jahren in der Kaverne
Ursprünglich sollten die jetzt rostenden Atomfässer nur kurze Zeit in
Brunsbüttel bleiben, teilweise lagern sie aber schon seit 30 Jahren
dort. „Es war geplant, die Fässer Mitte der 1990er Jahre ins Endlager
für schwach- und mittelaktive Abfälle, Schacht Konrad, zu bringen“, so
Wasmuth. Doch das Endlager wird wohl erst zwischen 2021 bis 2025 in
Betrieb gehen, weshalb Vattenfall ein Zwischenlager für schwach- und
mittelradioaktive Abfälle in Brunsbüttel beantragt hat.
Denn wenn alle 631 Fässer mittels einer Umsauganlage in Container
umgefüllt worden sind, die den Annahmebedingungen im Schacht Konrad
entsprechen, dann stehen sie nicht mehr unter meterdickem Kavernen-Beton, sondern in in zwei Transportbereitstellungshallen. Die viereckigen Konrad-Container mit 16 Zentimeter dicken Stahlwänden sollen als Schutz reichen. Zunächst soll aber im Juni die Video-Inspektion fortgesetzt werden, bis Ende 2015 sollen dann alle Fässer begutachtet sein.
Danach könnte die Bergung beginnen. Der Rückbau des gesamten
Kraftwerks dürfte frühestens 2018 starten, 15 Jahre könnte er dauern,
schätzt Vattenfall-Geschäftsführer Pieter
Wasmuth. Anfallen werden dabei weitere 5500 Kubikmeter schwach- und
mittelradioaktiver Abfall sowie 520 Brennelemente. Für den Rückbau
rechnet Vattenfall mit Kosten zwischen einer halben und einer Milliarde
Euro.
Eckard Gehm