Täglicher Krimi vor der Haustür
Volles Haus bei Info-Veranstaltung von BIAB und BUND / Sorgen vor Schadstoffausstoß aus Zementwerk / Kritik an Genehmigungsbehörde
Oelixdorf
Der Saal platzte aus allen Nähten. Und was die Zuhörer von den vier
Experten auf dem Podium zu hören bekamen, löste Reaktionen von
ungläubigem Staunen bis zu stummer Fassungslosigkeit aus. „Es sind nicht
nur einige wenige Nörgler von der BIAB“, machte Moderator Rainer
Guschel zum Auftakt einer vom BUND und der Bürgerinitiative zur
Verhinderung gesundheitsgefährdender Abfallbeseitigung (BIAB)
organisierten Info-Veranstaltung deutlich. Das
große Besucherinteresse schien dem Sprecher recht zu geben. Im Gasthof
„Unter den Linden“ in Oelixdorf war es brechend voll.
Im Kern ging es um die Frage, ob die vom Lägerdorfer Holcim-Werk
betriebene Zementproduktion eine Gefahr für die Menschen in den
umliegenden Gemeinden darstellt. Dabei scheiden sich schon an Begriffen
die Geister. Während der Zementhersteller nicht von Müll, sondern von
Ersatzbrennstoffen spricht, ist die Anlage in den Augen von Dr. Wilhelm
Mecklenburg ganz eindeutig eine Müllverbrennungsanlage. Entsprechend
müssten auch die Genehmigungskriterien ausgelegt werden, machte der
Jurist und Physiker deutlich. Er vertritt die BIAB als Rechtsanwalt in
einem möglichen Prozess gegen die Betriebsgenehmigung. Ein Streitpunkt
sei auch die Frage, ob im Filterbereich die beste verfügbare Technik
eingesetzt werden müsse.
Sorgen macht den Menschen vor allem der Ausstoß von hochgiftigem
Quecksilber. Bis zu 189 Kilogramm pro Jahr dürfen den Schornstein
verlassen. Laut Holcim ist dies aber ein Grenzwert, der in der Praxis
nie erreicht werde. Auch stecke das meiste Quecksilber in der Kreide
selbst, es könne bei der Produktion also gar nicht ganz ausgemerzt
werden. Der Brokdorfer Meteorologe Dr. Karsten Hinrichsen widersprach:
Dass die Masse des Quecksilbers aus der Kreide komme, habe Holcim
bislang nicht nachweisen können. Seine Vermutung: Der Stoff stecke vor
allem in den Klärschlämmen, und die Grenzwerte seien deshalb so hoch
angesetzt, weil man Puffer für belasteten Müll einbauen wolle.
Im vergangenen Jahr, so Hinrichsen, habe das Zementwerk rund 100
Kilogramm Quecksilber an die Umgebung abgegeben. „Das entspricht dem
Inhalt von 40 Millionen Energiesparlampen“, rechnete der Sprecher vor.
Heftige Kritik übte er an der Genehmigungsbehörde: „Da wird ein
Weltkonzern von einem Landesamt protegiert, das allen Ausnahmeanträgen
in der Regel auch stattgibt.“ Immerhin, so lobte Hinrichsen auch, sei es
Holcim gelungen, beim Ausstoß von Feinstäuben unter den erlaubten
Werten zu bleiben.
Für den Kieler Toxikologen Dr. Hermann Kruse ist das aber keine
beruhigende Nachricht. Das Aufkommen der mikroskopisch kleinen
Staubpartikel entspreche im Umfeld des Werks einem Industriegebiet und
sei unterm Strich viel zu groß. Mit dem Feinstaub verbreiteten sich
Schadstoffe wie Blei, Kadmium und sogar Dioxine. Folge: Bronchitis,
Husten und höchste Gefahr für Asthmatiker. Auch seien Schädigungen des
Immunsystems, ja sogar eine erhöhte Sterblichkeit zu befürchten. Kruse
nannte sogar eine erschreckende Zahl: „Aus meiner Sicht liegt die
Sterberate rund um Lägerdorf 0,7 Prozent über dem Durchschnitt.“
Aus dem Publikum kam der Hinweis, dass früher doch die ganze Region
unter einem Grauschimmer versteckt war – während davon heute nichts mehr
zu sehen sei. Kruse dazu: „Der grobe Staub wäre mir lieber. Die Luft
sieht jetzt zwar besser aus, ist aber auch gefährlicher.“
Das sieht auch Bodenkundler Sven Wiegmann so. Er konnte zwar nicht
eindeutig belegen, dass rund um das Zementwerk gravierende Belastungen
messbar seien. Gleichwohl machte er deutlich, dass es angesichts der
genehmigten Grenzwerte erhebliche Risiken gebe. Und genau diese Risiken
müssten letztlich auch die Landwirte in der Region tragen. „Die
Inhaltsstoffe von Lebensmitteln werden nicht von den Behörden, sondern
von Aldi, Lidl und Hipp vorgegeben.“ Seien Schadstoffe in Eiern, Milch
oder Fleisch nachweisbar, wären diese Lebensmittel nicht mehr
verkäuflich. Wiegmann: „Das kann in 20 Jahren der Fall sein – oder auch
morgen.“ Er fügte hinzu: „Da wird mit den Landwirten jongliert.“
Bislang sei die Wilstermarsch der am meisten belastete Bereich.
Daher, so fügte er hinzu, werde die aus dieser Region kommende Milch in
der Breitenburger Milchzentrale auch schon grundsätzlich mit Milch aus
anderen Gebieten vermischt. Mit Blick auf das Thema Quecksilber wies
Wiegmann schließlich noch darauf hin, dass das gesamte Industriegebiet
Brunsbüttel einschließlich aller Werke und der SAVA jährlich nicht mehr
als 18 Kilogramm Quecksilber ausstoßen dürfe. Ein Zehntel der
Lägerdorfer Menge.
Anwalt Mecklenburg betonte abschließend, dass es am Ende wenig
hilfreich sei, wenn man immer nur Holcim Vorwürfe mache. Viele Gesetze
seien eben industriefreundlich gestrickt. Und Hauptaufgabe des
Landesamtes sei es eben, Genehmigungen zu erteilen – nicht diese zu
untersagen. Karsten Hinrichsen rief schließlich zu einem langen Atem und
zu breiter Unterstützung für die Initiative auf. „Wir haben unseren
täglichen Krimi hier vor Ort“, warnte er davor, sich bequem in den
Fernsehsessel zurückzulehnen und „nur diesen Herrn Til im Tatort zu
schauen“.
Volker Mehmel