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Thema des Tages: Ein Jahr nach Fukushima. WZ vom 10.03.2012

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Autor Beitrag
Claudia

Beiträge: 4532

BI Teilnehmernummer: 106

New PostErstellt: 11.03.12, 19:51  Betreff: Thema des Tages: Ein Jahr nach Fukushima. WZ vom 10.03.2012  drucken  weiterempfehlen



Wo Fukushima schon wieder weit weg ist

Was denken die Menschen über den
Atomausstieg? Und warum Kernkraftgegner weiteren Protest für nötig
halten / Ein Besuch im Kernkraftwerk Brokdorf

Brokdorf / Brunsbüttel

Manches ist einfach nicht zu verstehen. Und das liegt vor allem am
Lärm, der durch den Maschinenraum des Kernkraftwerks Brokdorf (Kreis
Steinburg) dröhnt, denn die Anlage fährt Volllast. Besucherin Heide
Gentsch nestelt an ihrem Ohrhörer, um den Worten von Hauke Rathjen
folgen zu können. Der nennt sich „Leiter der Standortkommunikation“ im
Kernkraftwerk und führt eine Gruppe aus dem benachbarten Pöschendorf
durch das Atomkraftwerk (AKW), das 2021 als eines der letzten in
Deutschland abgeschaltet werden soll.


Die meisten Besucher haben das Rentenalter erreicht. „Wir haben
nichts gegen die Atomkraft in Deutschland, Brokdorf ist zu 100 Prozent
sicher. Der Ausstieg war zu überstürzt“, sagt Pöschendorfs Bürgermeister
Norbert Graf. Wie er denken viele Menschen in der Region. „Wir haben
gute Anlagen, die werden alle weggeworfen“, sagt ein anderer
Pöschendorfer. So sieht das in Deutschland nur eine Minderheit. Laut
einer Umfrage halten 76 Prozent der Bundesbürger den Ausstieg für
richtig, nur 16 Prozent geht er zu schnell.


Auch unter den Besuchern in Brokdorf gibt es Zweifel. „Ich habe
Angst, dass es einen Atomunfall auch in Deutschland geben kann. Deswegen
bin ich hier, um mich zu informieren“, sagt Heide Gentsch, während sie
die Maschinenhalle verlässt. Als eine der wenigen aus der Gruppe stellt
die 65-Jährige Hauke Rathjen immer wieder Fragen. Der ist das gewohnt,
weicht nicht aus, versucht alles zu beantworten. Eine Umfrage hat er in
Auftrag gegeben, die zeigt, wie er seinen Job macht: „42 Prozent der
Befragten haben vor dem Besuch eine neutrale Einstellung, rund 27
Prozent sind eher negativ eingestellt, rund 31 Prozent eher positiv.
Nach dem Besuch geben 43 Prozent aller Befragten an, dass sich ihre
Einstellung zum Thema Kernenergie positiv verändert hat.“ Rathjen
versteht seinen Job.


„Fukushima ist nicht überall, schon gar nicht in der Wilstermarsch“,
lautet einer seiner Lieblingssätze. In Deutschland gebe es keine solch
starken Erdbeben und Tsunamis wie in Japan, der Elbdeich sei 8,40 Meter
hoch, der höchste gemessene Wasserstand habe 7,16 Meter betragen. Alle
„sicherheitsrelevanten Gebäude“ stünden 4,30 Meter hoch, genug, um eine
Sturmflut zu überstehen. „Viele der Kernkraftgegner kennen sich nicht
aus mit der Technik, vieles bei dem Thema ist emotional aufgeladen.“ Und
nur aus dem Gefühl heraus die Sicherheit der Anlage in Frage zu
stellen, sei „unlauter“ und „Angstmacherei“, sagt Rathjen. Diese Leute
sollten die Anlage ansehen und sich informieren, dann sähen viele die
Sache sicher anders.


Einer der Gegner, die emotional reagieren, ist Karsten Hinrichsen. Er
war noch nie bei einer Werksführung, will sich nicht für die Interessen
von Kraftwerksbetreiber Eon missbrauchen lassen. Hinrichsen sitzt in
der Küche seines Hauses, das nur einen Steinwurf vom Kraftwerk entfernt
steht – und er gibt zu, dass er von technischen Dingen weniger Ahnung
hat als die AKW-Betreiber. Aber er hat Fragen:
„Was ist, wenn der Deich direkt vor dem Kraftwerk bricht? Wer sagt mir,
dass die Notstromaggregate wirklich anspringen? Und was passiert, wenn
ein Airbus auf das AKW fällt? Für eine derartige Belastung ist es nicht
ausgelegt.“


Hinrichsen ist Meteorologe, hat sein halbes Leben gegen das Kraftwerk
gekämpft, demonstriert und geklagt. Morgen will er wieder 2000
Mitstreiter versammeln, um eine Menschenkette um das Kraftwerk zu
bilden. Doch auch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der
Protest gegen die AKW alt geworden ist. Hinrichsen ist jetzt 69 Jahre
alt, wenn das Kraftwerk in Brokdorf abgeschaltet wird, ist er 78.
Fachleute schätzen, dass der Rückbau 25 Jahre dauern könnte. Wenn auf
dem Kraftwerksgelände also wieder Rasen wächst, wäre Hinrichsen 103.


Auch rund um das Atomkraftwerk Krümmel östlich von Hamburg hat sich
der Protest verändert. „Unser Ziel ist es, dass wir überflüssig werden“,
sagt Bettina Boll vom Bund für Umwelt- und Naturschutz. Doch noch könne
das Kernkraftwerk jederzeit wieder angefahren werden, so lange müsse
sie weiter vor den Gefahren warnen. Auch wenn sie an die endgültige
Stilllegung des seit 2007 abgeschalteten Meilers glaube. „Noch ist da
nichts ausgebaut, Brennstäbe und Turbine sind funktionsfähig – leider.“


In Brokdorf läuft der Betrieb weiter. AKW-Gegner
Hinrichsen hat nur ein Ziel: „Ich möchte, dass das Atomkraftwerk so
schnell wie möglich abgeschaltet wird, und dass bis dahin kein Unfall
passiert.“ Denn vor diesen Unfällen hat er immer gewarnt. Eine Ironie
des Schicksals, dass ein Atomunfall gerade den Ausstieg beschleunigt,
für den Hinrichsen immer gekämpft hat. „Ich ziehe den Hut vor Angela
Merkel. So einen Beschluss wie den Ausstieg hätten SPD-Weicheier doch nie hinbekommen.“


Einer, der in der SPD ist, sitzt ein paar Kilometer elbabwärts in
seinem Haus in Brunsbüttel und macht ein nachdenkliches Gesicht.
Johannes Kreft mag Angela Merkel nicht so gern, auch weil er die
Atomkraft schon immer und immer noch für eine sichere Technologie hält.
Seit Ende der 70er Jahre arbeitet der Elektrotechniker im seit 2007
abgeschalteten Kernkraftwerk Brunsbüttel, fast genauso lange ist er in
der SPD, „weil die sich am besten für Arbeitnehmerinteressen einsetzt“.
Manchmal zerreiße es ihn inhaltlich, dass seine Partei so sehr für den
Ausstieg sei, sagt der 61-Jährige. Doch er denkt vor allem an seine
Heimatstadt. „Erst kommt für mich Brunsbüttel, dann die SPD.“ Und
Brunsbüttel geht es schlecht seit das Kraftwerk keinen Strom mehr
produziert und daher die Steuereinnahmen fehlen (siehe nebenstehender
Bericht). Dass das endgültige Aus für das Kernkraftwerk in Brunsbüttel
bevor stehen könnte, habe ihn überrascht, aber er habe es geahnt, als er
die Bilder aus Japan sah.


„Rauch über einem Kernkraftwerk sieht nie gut aus“, sagt Eon-Mann
Rathjen dazu. Einige aus der Besuchergruppe lachen darüber. Für sie
sind die Bilder der Reaktorkatastrophe nicht nur geografisch weit weg.
Doch für Rathjen und viele andere Mitarbeiter bedeuten die Folgen
vielleicht die Arbeitslosigkeit. Eon will in den kommenden Jahren 6000
Stellen abbauen. „Wir müssen ehrlich sagen, dass die Zukunft in den
erneuerbaren Energien liegt“, sagt Hauke Rathjen. Ob es dort genügend
Jobs gibt, weiß auch er nicht. Doch den Ausstiegsbeschluss hält er im
Gegensatz zu vielen Atomkraftgegnern wie Hinrichsen oder Boll für
unumkehrbar – auch wenn der Beschluss ihn persönlich krank gemacht habe.
„Ich habe mich übergeben.“


Atomkraftgegner macht eher das Leid der Menschen krank. „Wie schlecht
es den Menschen in Fukushima und Umgebung geht, ist viel zu wenig
thematisiert worden“, sagt Hinrichsen. Viele Menschen seien daran nicht
nur körperlich zerbrochen. „Und all das wird in Kauf genommen, nur um
Strom zu produzieren?“


Was bleibt, ist das so genannte Restrisiko. Hauke Rathjen sieht keine
Gefahr für die Menschen in der Region. Und am Ende seiner Führung durch
das Kernkraftwerk Brokdorf ist auch Heide Gentsch erleichtert. Sie habe
vieles jetzt besser verstanden. „Meine Angst ist weg“, sagt sie. Wenn
das Kernkraftwerk für eine Sturmflut ausgelegt sei, die nur einmal in
10 000 Jahren stattfinde, sei sie beruhigt.


Atomkraftgegner Hinrichsen fragt hingegen: „Reicht das?“ In Fukushima
habe es auch viele Menschen gegeben, die an die Sicherheit der
Atomkraftwerke geglaubt hätten. Bis vor einem Jahr.
Kay Müller








Japan ein Jahr nach „3/11“: Auf der Suche nach Normalität

Fukushima

Entlang der Straße türmen sich Berge voller Trümmer. Ein Sofa steckt
im Schnee, daneben liegen zerborstene Möbel. Aus den Schutthaufen ragt
Spielzeug. Etwas weiter stehen grotesk zerquetschte Autowracks auf einem
Parkplatz aufgereiht. So wie hier in Kamaishi in der Provinz Iwate
sieht es an vielen Stellen in Japans Katastrophengebieten aus.


Die Trümmer des Erdbebens und des Tsunamis vom 11. März 2011 sind ein
Jahr nach der schlimmsten Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg
aufgeräumt, aber längst nicht beseitigt. Zwar haben viele Gemeinden
Wiederaufbaupläne im Entwurf ausgearbeitet, doch der Prozess der
Meinungsbildung braucht Zeit.


Mehr als 15 800 Menschen verloren durch den Tsunami ihr Leben, mehr
als 3000 werden noch vermisst. Mehr als 341 000 Menschen mussten in
Folge der Katastrophe ihre Heimat verlassen. Im Westen ist es jedoch der
GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi in Folge des Erdbebens und
Tsunamis, der zum Inbegriff der Tragödie von „3/11“ geworden ist. Dabei
hat die schlimmste Atomkatastrophe seit Tschernobyl selbst kein einziges
direktes Todesopfer gefordert.


Nach Sicherheitsüberprüfungen sind heute nur noch zwei der 54
Atomkraftwerke des Landes am Netz. Während in Deutschland der GAU zu
einer Kehrtwende der Politik führte und die Regierung den Ausstieg aus
der Atomkraft beschloss, verhalten sich die Japaner unaufgeregter.


Doch die Katastrophe ist in Japan nicht vergessen. Viele Menschen aus den Tsunami-Gebieten
und den Evakuierungszonen um das havarierte Atomkraftwerk wissen nicht,
wie es weitergehen soll. Die Flutwelle hat ihre Häuser, ihre
Arbeitsplätze und damit ihre Lebensgrundlage zerstört. Manche Japaner
wissen aus Angst vor Verstrahlung inzwischen nicht mehr, was sie essen
sollen.


Das jahrzehntelange blinde Vertrauen der Japaner in ihren Staat und
seine Institutionen ist stark gesunken. Das Gefühl, enttäuscht oder gar
belogen worden zu sein, schlägt in Misstrauen um. Manche Beobachter
sprechen in Anlehnung an die 68er-Generation in Europa bereits von der „Generation 3/11“.
Lars Nicolaysen






Das kostet der Atomausstieg die Gemeinden

Brunsbüttel/Brokdorf/Geesthacht /ky

Durch die endgültige Abschaltung der Kernkraftwerke gehen den
Kommunen enorme Steuereinnahmen verloren. In Brunsbüttel sei die Lage
„dramatisch“, sagt Bürgermeister Stefan Mohrdieck. AKW-Betreiber
Vattenfall habe jährlich im Schnitt mehrere Millionen Euro Steuern
gezahlt. Von dem endgültigen Aus sei die Stadt überrascht worden. „Wir
haben ein strukturelles Defizit von drei bis fünf Millionen Euro im
Haushalt“, sagt Mohrdieck. Über den weiteren Betrieb des Kulturzentrums
„Elbeforum“ oder des Freizeitbades „Luv“ müsse jetzt nachgedacht werden.
Neue zahlungskräftige Unternehmen, die sich in Brunsbüttel ansiedeln,
seien nicht in Sicht.


In Geesthacht hat man sich laut Auskunft der Verwaltung frühzeitiger auf das Ausbleiben der Vattenfall-Zahlungen
eingestellt. Wie in Brunsbüttel gibt es seit der Abschaltung vor fünf
Jahren keine Gewerbesteuer vom Betreiber des AKW. Von 1997 bis 2007
flossen aber geschätzte 90 Millionen Euro aus der AKW-Quelle. Noch sei Geld vorhanden, aber gespart werden müsse weiter.


In Brokdorf sieht es dagegen für Bürgermeister Werner Schultze besser
aus – noch. Anders als in Geesthacht musste er die Eintrittspreise im
großzügigen Schwimmbad noch nicht erhöhen. Jugendliche aus Brokdorf
zahlen ohnehin keinen Eintritt. Dazu gibt es eine neue Eissporthalle.
„Wir haben dazu viel Geld zurückgelegt – etwa vier Millionen Euro“, so
Schultze. Und bis 2021 kann er jährlich noch mit weiteren
Steuereinnahmen in Höhe von 500 000 bis 700 000 Euro von AKW-Betreiber E.ON rechnen.



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