Ralf Schmidt
Beiträge: 100 Ort: Sankt Margarethen
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Erstellt: 24.05.08, 17:18 Betreff: Neuer Spaltpilz für die Koalition
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http://www.welt.de/welt_print/article2025000/Neuer_Spaltpilz_fuer_die_Koalition.html
Merkel und Glos wollen Atomkraftwerk Neckarwestheim länger am Netz lassen - Umweltminister Gabriel blockiert Berlin - Der Streit über die Nutzung der Atomkraft in Deutschland gewinnt ein Jahr vor der Bundestagswahl an Schärfe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt sich jetzt gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) dafür ein, die Laufzeit des süddeutschen Atomkraftwerks Neckarwestheim 1 um rund acht Jahre zu verlängern. Das geht aus zwei Schreiben an das Bundesumweltministerium hervor, die der WELT exklusiv vorliegen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will die Forderungen jedoch ignorieren und nach WELT-Informationen "in Kürze" die Abschaltung des Meilers schon 2009 verfügen.
Schwere Mängel im Gesetz Der Streit enthüllt den tief greifenden Dissens innerhalb der Bundesregierung über die künftige Rolle der Kernenergie in Deutschland. Möglich gemacht wurde die Auseinandersetzung allerdings erst durch schwere Formulierungsmängel im Atomgesetz. Leidtragende in diesem Fall: die Stromverbraucher und der Versorger Energie Baden-Württemberg AG (EnBW).
Der südwestdeutsche Kernkraftwerksbetreiber hatte am 21. Dezember 2006 beim Bundesumweltministerium beantragt, "Reststrommengen" vom AKW-Block Neckarwestheim 2 auf den Block 1 am gleichen Standort übertragen zu dürfen, um dessen Weiterbetrieb bis 2017 zu ermöglichen. Eine solche flexible Umverteilung genehmigter Produktionsmengen ist laut Atomgesetz möglich, um die Kraftwerksbetreiber für die wirtschaftlichen Nachteile des Atomausstiegs zu entschädigen. Allerdings darf die Laufzeit einzelner Atomkraftwerke laut Gesetz nur dann auf diese Weise verlängert werden, "wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium zustimmt".
Doch nichts ist in dieser Frage offenbar schwerer herzustellen als Einvernehmen. Am 18. Februar diesen Jahres teilte der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Matthias Machnig (SPD), dem Kanzleramt und Wirtschaftsministerium schriftlich mit, dass sein Haus die Strommengen-Übertragung im Falle EnBW nicht genehmigen wolle. Grund: Das Atomkraftwerk Neckarwestheim 1 sei älter als der Block 2 und damit als unsicherer einzustufen. Einem AKW mit geringerem Sicherheitsniveau dürfe aber keine längere Laufzeit zugebilligt werden.
Sicher sind sie alle Das Sicherheitsargument hatten Gabriel und sein Staatssekretär bereits früher erprobt. Auch bei einem vergleichbaren Antrag der RWE AG auf Strommengen-Übertragung vom Atomkraftwerk Emsland auf Biblis A hatte der Umweltminister bereits einen Sicherheitsvergleich verlangt. Nur: Das Atomgesetz sieht die Notwendigkeit eines Sicherheitsvergleichs gar nicht vor. Gabriel berief sich jedoch bei seiner Forderung auf ein Gutachten des Verwaltungsrechtlers Joachim Wieland von der Verwaltungshochschule Speyer. Dessen Tenor: Bei allen Auslegungen des Atomgesetzes seien immer Sicherheitsüberlegungen maßgeblich, das ergebe sich schon aus dem Zweck und der Systematik des Gesetzes.
Ein fragwürdiges Argument, befand RWE - und legte gegen den ablehnenden Entscheid im Fall Emsland-Biblis A sofort Widerspruch ein. Denn nach gesetzlicher Definition sind alle deutschen Atomkraftwerke sicher, auch die alten. Ein unsicheres AKW müsste ja sofort abgeschaltet werden. Damit gebe es auch keinen Grund für eine vergleichende Sicherheitsanalyse zwischen den Anlagen Emsland und Biblis A, befanden die Rechtsexperten der RWE, denen die Logik des Umweltministers partout nicht einleuchten wollte. Wenn alle älteren Atomkraftwerke per se als unsicherer angesehen werden müssen - wie der Umweltminister glaubt - warum hat der Gesetzgeber dann die Möglichkeit der Laufzeitverlängerung für ältere Meiler überhaupt in das Atomgesetz aufgenommen?
Kanzleramt widerspricht heftig Diese Rechtsauffassung der Kraftwerksbetreiber wird im Falle Neckarwestheim auch vom Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium geteilt. Dem ablehnenden "Bescheidentwurf" des Bundesumweltministers widersprachen die beiden Häuser daher umgehend und heftig. In einem Schreiben vom 17. März wies Ulrich Roppel, Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, das Umweltministerium darauf hin, dass Sicherheitsaspekte bei der fraglichen Entscheidung laut Atomgesetz eben keine Rolle spielen dürfen. Im Wortlaut des Gesetzes seien "Anhaltspunkte, dass die Anlagensicherheit ein Prüfkriterium sein soll, nicht zu erkennen". Um diesen Punkt ganz deutlich zu machen, legte Roppel dem Brief sogar ein 51-seitiges Rechtsgutachten des Vorsitzenden Richters am Bundesverwaltungsgericht a.D., Günter Gaentzsch, bei. "Im Ergebnis", schloss Merkels Ministerialdirektor, "vermag ich daher keine Gesichtspunkte zu erkennen, die es rechtfertigen, dem Antrag nicht stattzugeben."
Auch das Wirtschaftsministerium widersprach den Kollegen aus dem Umweltressort. Jochen Homann, beamteter Staatssekretär im Glos-Ministerium, führte in einem Schreiben an den "sehr geehrten Herrn Staatssekretär, lieber Herr Machnig" auf vier Seiten aus, warum er dessen Gründe für die Ablehnung nicht teilen könne.
So verwahre sich das Wirtschaftsministerium etwa dagegen, dass der Umweltminister theoretische "Was-wäre-wenn-Szenarien" vom Energiegipfel letzten Jahres auf einmal als offizielle Regierungsprognosen umgedeutet hatte. Ohnehin habe das Umweltministerium eine "selektiv ausgewählte Darstellung" aus diesen Szenarien verwendet, um seine Anti-Atom-Entscheidung zu begründen - die Szenarien insgesamt besagten das exakte Gegenteil. Insbesondere die These des Gabriel-Ministeriums, Kernenergie könne "die Importabhängigkeit von Öl und Gas nur minimal mindern", sei nicht akzeptabel, beschied Homann. Dieses Argument des Umweltministeriums sei "sachlich angreifbar" und "oberflächlich".
Strompreise steigen noch stärker Der Behauptung, der wegfallende Atomstrom könne leicht durch "billigen" Ökostrom ersetzt werden, widersprach das Wirtschaftsministerium ebenso scharf. Denn in diesem Fall würden höhere Abgaben aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Verbraucher belasten, "so dass der Strompreis inklusive der vom Staat verursachten Strompreisbelastungen auf jeden Fall steigen dürfte". Weil wohl auch fossile Kraftwerke als Ersatz herangezogen werden müssten, werde ohnehin der Großhandelspreis für Strom insgesamt steigen, ist der Wirtschaftsstaatssekretär überzeugt: "Somit sprechen zusammenfassend auch betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche sowie energiewirtschaftliche Gesichtspunkte für die Erteilung der Zustimmung."
Gabriels Alleingang Doch Bundesumweltminister Gabriel und seinen Staatssekretär Machnig stört das wenig. Wenn das gesetzlich geforderte "Einvernehmen" nicht herzustellen sei, werde man die Causa Neckarwestheim eben allein entscheiden, heißt es aus dem Umfeld des Ministeriums: "In Kürze", womöglich noch diesen Monat, werde EnBW der ablehnende Bescheid zugehen.
Die Rechtfertigung ziehen Minister Gabriel und sein Staatssekretär aus einer spitzfindigen Auslegung des Atomgesetzes: Dort heiße es ja im Wortlaut, dass nur im Falle einer Genehmigung "Einvernehmen" mit Kanzleramt und Wirtschaftsministerium herzustellen sei. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass eine Ablehnung auch ohne Einvernehmen ausgesprochen werden könne.
Bei der Ablehnung des RWE-Antrags im Falle Biblis A im Frühjahr hatte das Argument funktioniert: Kanzleramt und Wirtschaftsministerium hatten da jedenfalls noch zähneknirschend akzeptiert, bei der Entscheidung über Laufzeitverlängerungen vom Bundesumweltminister ausgebootet zu werden. Ob Gabriel auch diesmal mit dieser Taktik durchkommt, wird nicht nur beim EnBW-Konzern in Karlsruhe mit Spannung erwartet: Auch Vattenfall Europe, der dritte große Kraftwerksbetreiber in Deutschland, hat beim Bundesumweltminister gerade eine Strommengenübertragung zwischen seinen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel beantragt.
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