Nasse Füße
Wolfgang Pomrehn 06.05.2008
Die Energie- und Klimawochenschau: Während für einige Insulaner der Meeresspiegelanstieg bereits bedrohliche Realität ist, verbreiten hiesige Stromkonzerne falsche Hoffnungen über vermeintlich klimaneutrale Kraftwerke
Die globale Industriegesellschaft hat eine neues Niveau an Entfremdung hervorgebracht. Während der Mensch in ein komplexes Geflecht von Wechselwirkungen mit Natur und Gesellschaft eingebunden ist, bleiben ihm die Folgen seines Handelns oft verborgen, und werden erst an ganz anderer Stelle – manchmal am anderen Ende der Welt – offensichtlich.
Bild: Torres Strait Regional Authority
Die britische Zeitung The Independent erzählt (1) in ihrer Montagsausgabe eine solche Geschichte vom anderen Ende der Welt: Von den Inseln der Torres-Straße zwischen Papua Neuguinea und Australien, benannt nach dem spanischen Seefahrerer Luis Vaez de Torres, der diese Gewässer im Jahre 1602 als erster Europäer erkundete. Chinesische Schiffe waren vermutlich bereits fast 200 Jahre vor ihm in dieser Gegend, um Rohstoffe vom fünften Kontinent zu holen, aber das ist eine andere Geschichte, um die es hier nicht geht.
Diese Geschichte handelt hingegen vom Klimawandel und vom steigenden Meeresspiegel. Zwischen Australien und Neuguinea ist der Ozean flach, ein Schelfmeer ähnlich der Nordsee, kaum tiefer als 100 Meter. Während der letzten Eiszeit, als der Meeresspiegel über 100 Meter niedriger als heutigen Tags war, bildete die Gegend eine breite Landbrücke, über die die Vorfahren der australischen Aborigines aus Neuguinea einwanderten. Gut zehntausend Jahre ist es inzwischen her, dass das Meer die Verbindung zerschnitt, doch in ihren alten Mythen überliefern die Aborigines noch immer die Namen von kleinen Bergen, die längst von den Wellen verschluckt wurden. Die Menschen hatten die große Schlange erzürnt, erzählen sie sich, so dass diese das Wasser schickte.
Karte: Torres Strait Regional Authority
Nur die höchsten Erhebungen zwischen Australiens Cape York und dem an dieser Stelle sehr nahen Neuguinea blieben von der Überflutung verschont und bilden seitdem Inseln. Bewohnt werden sie heute von Menschen, die mit den Melanesiern Neuguineas verwandt sind, doch die europäische Politik hatte sie schon im 19. Jahrhundert zu Australiern gemacht. Die meisten ihrer Mitbürger wissen allerdings nicht einmal von der Existenz dieser ethnischen Gruppe, und so führen die Torres-Insulaner, ähnlich den Aborigines auf dem Festland, ein Leben am Rande der Gesellschaft.
So lange man in Ruhe gelassen wird, mag das nicht einmal das Schlimmste sein, doch in Zeiten des Klimawandels macht sich diese Vergessenheit schmerzhaft bemerkbar: Sechs der Inseln sind sehr flache Korallen-Atolle. Ihre Bewohner berichten von Hochwassern und Sturmfluten, so genannten King Tides, wie sie selbst die ältesten Einwohner nie erlebt haben und auch nicht aus den Überlieferungen ihrer Vorfahren kennen. Das Meer nagt am Land und bedroht Siedlungen. Offensichtlich ist das bereits eine Folge des Anstiegs der Pegelstände, die derzeit im globalen Mittel etwa drei Zentimeter pro Jahrzehnt klettern. Doch der weltweite Durchschnitt sagt wenig über lokale Verhältnisse aus, die von Wassertemperaturen, Meeresströmungen und anderen Faktoren bestimmt werden. Zudem nimmt die Zerstörungskraft von Sturmfluten mit steigendem Meeresspiegel überproportional zu.
Doch obwohl das alles durchaus auch in Australien bekannt ist, gibt es bisher kaum wissenschaftliche Untersuchungen über die Lage auf den Inseln, geschweige denn einen Notfallplan, der diesen Namen verdienen würde. Hin und wieder schauen australische Politiker vorbei, und eine britische Wissenschaftlerin hat inzwischen ein Programm gestartet. Einerseits sollen die Inselbewohner über den Klimawandel und seine Folgen aufgeklärt werden, andererseits sammelt sie die Erzählungen der Alten, um ein Verständnis der klimatischen Bedingungen auf den Inseln zu entwickeln. Die Insulaner denken derweil über Umsiedlung nach, oder kämpfen hartnäckig mit Sandsackbarrieren und Wällen aus Beton und Autoreifen gegen die Fluten.
Die Fahne der Torres-Straße-Inseln. In einigen Jahrzehnten könnte sie in den Fluten untergehen
Falsche Hoffnungen
Unterdessen hat Australien zwar endlich das Kyoto-Protokoll ratifiziert und damit seine Blockadepolitik in den internationalen Klimaverhandlungen aufgegeben, aber es exportiert munter weiter Kohle. Mit der werden in aller Welt Kraftwerke betrieben, deren Wirkungsgrad selten wesentlich über 30 Prozent liegt. Zu allem Überfluss wird mit den endlichen und klimaschädlichen fossilen Brennstoff auch noch verschwenderisch umgegangen.
Auch hiesige Kohlefans wollen ihren Brennstoff unter anderem vom fünften Kontinent beziehen, und rühmen sich gerne ihrer neuen Technik. Die modernen, derzeit in Planung befindlichen Kohlekraftwerke erreichen immerhin einen Wirkungsgrad von über 40 Prozent. Aktuell wird viel Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt, um schließlich auf etwas über 50 Prozent zu kommen. Das wäre auch dringend nötig, denn die viel gepriesene Kohlendioxidabscheidung wird, wenn sie denn je funktionieren sollte, energetisch derartig aufwendig, dass der Gesamtwirkungsgrad um rund zehn Prozentpunkte gemindert würde.
Im Fachjargon wird diese Abscheidung CCS genannt, was für carbon capture and storage steht. Kohlendioxid (CO2) soll also nicht nur im Kraftwerk eingefangen, sondern auch dauerhaft und sicher eingelagert werden, zum Beispiel unterirdisch. Frühestens 2020, so heißt es bei Vattenfall und E.on, soll dieses Verfahren marktreif sein, aber zur Verteidigung der aktuellen Kohlepläne – 27 Kraftwerke sind im Bau oder in der Planung – wird es bereits herangezogen.
Bild: co2capture.org.uk
Bei Greenpeace geht man davon aus, dass die Einsatzfähigkeit der CCS-Technik sogar bis 2030 auf sich warten lassen könnte. So steht es zumindest in einem am Montag veröffentlichten Greenpeace-Report (2), der den Titel "Falsche Hoffnungen" trägt. Milliardensummen müssten in die Entwicklung gesteckt werden, Geld, das besser für erneuerbare Energien und die Steigerung der Energieeffizienz ausgegeben würde. Entwicklungskosten, vergeudete Energie und steigende Rohstoffpreise würden den Strompreis mächtig in die Höhe treiben.
"Deutschland kann sich nicht für eine fossile Technik in neuem Gewand entscheiden, von der wir heute noch nicht wissen, ob sie jemals funktioniert", so Greenpeace Energie-Expertin Gabriela Goerne. "Unter dem Vorwand, diese Technik werde in Zukunft zur Verfügung stehen, bauen Energiekonzerne weiter klimaschädliche Kohlekraftwerke. Doch was soll passieren, wenn die Versprechungen der Industrie als falsche Versprechungen erkannt werden? Daran will offensichtlich niemand denken."
Russland tritt auf die Bremse
So sieht es in einem Land aus, das sich auf der globalen Bühne gerne als Klimaschutzvorkämpfer präsentiert. Und andernorts? Um die Verhandlung über internationalen Klimaschutz ist es nicht allzu gut bestellt. Eigentlich müsste schon in eineinhalb Jahren ein neues Abkommen unterschriftsreif sein, das das Kyoto-Protokoll fortschreibt. Doch die USA und nun auch Russland bremsen nach Kräften. Vor wenigen Wochen hatte US-Präsident George Bush angekündigt, die USA würden ihre Treibhausgas-Emissionen noch bis ins Jahr 2025 weiter steigern. Das hat nach einem Bericht (3) die russische Führung dazu veranlasst, ihrerseits alle Reduktionsziele, die über die bisherigen Vereinbarungen hinausgehen, abzulehnen.
Allerdings geht Russland von einem ganz anderen Niveau aus: Während die Emissionen der USA heute etwa 17 Prozent über den Werten von 1990 liegen, hatte es in Russland in den 1990ern aufgrund der schweren Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen starken Rückgang des Treibhausgasausstoßes gegeben. 2005 emittierte Russland 2,13 Milliarden Tonnen CO2 bzw. andere Treibhausgase, die in CO2-Äquivalente umgerechnet werden. Das waren etwas mehr als das Minimum von zwei Milliarden Tonnen, das 1998 auf dem Tiefpunkt der Krise erreicht worden war, aber immer noch rund 28 Prozent unter dem Niveau von 1990, das zugleich das Maß ist, das Russland im Kyoto-Protokoll zugestanden wurde. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl entsprechen die derzeitigen Emissionen einem Treibhausgasausstoß von 15 Tonnen pro Kopf und Jahr. In Deutschland sind es 12 Tonnen, in den USA etwa 21 Tonnen.
Miese Aussichten für Eisbären
Drei zu fünf schätzen (4) Wissenschaftler der Universität des US-Bundesstaates Colorado in Boulder die Chance, dass in diesem Jahr das Eis auf dem arktischen Ozean noch weiter zurück geht, als im Rekordsommer 2007. Letztes Jahr hatte sich erstmals seit Menschengedenken in der kanadischen Inselwelt die so genannte Nodwest-Passage geöffnet, die entlang der Nordamerikanischen Küste vom Nordatlantik durch die Beaufortsee und Behringstraße in den Pazifik führt. Im September 2007 hatte die Eisbedeckung im Mittel nur 4,28 Millionen Quadratkilometer betragen, stattliche 23 Prozent weniger als das bisherige Rekordminimum.
Ihre Warnung vor einem weiteren Eisrückgang in diesem Sommer begründen die Forscher damit, dass das Eis rund um den Nordpol inzwischen ganz ungewöhnlich dünn ist. Satellitenmessungen hatten, wie berichtet (5), ergeben, dass das älteste und damit dickste Eis inzwischen so gut wie verschwunden ist. "Die Eisdecke ist dünner und jünger als alles was wir aus den Aufzeichnungen kennen", meint Sheldon Drobot, der die Eisvorhersagegruppe an der Uni in Boulder leitet. 63 Prozent des Eises sei jünger als der Durchschnitt und nur zwei Prozent älter.
Der Rückgang des Eises auf dem arktischen Ozean hat übrigens keinen unmittelbaren Einfluss auf den Meeresspiegel. Eis verdrängt nämlich die gleiche Menge an Wasser, die in ihm gefroren ist. Allerdings bedeuten die großen eisfreien Flächen im Sommer, dass sich die Region während des langen Polartages wesentlich stärker als bisher erwärmen wird. Das arktische Eis wirft etwa 60 Prozent des einfallenden Sonnenlichts direkt in den Weltraum zurück. Das Meer nimmt hingegen die Sonnenenergie fast vollständig auf. Damit steigt nicht nur die Temperatur des Wassers, sondern auch der umliegenden Küstenregionen. Dort wiederum taut der bisher dauerhaft gefrorene Boden, der so genannte Permafrost, langsam auf und könnte künftig größere Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen.
Ausdehnung des arktischen Meereises am 2. Mai. Die orangene Linie markiert die mittlere Eisbedeckung für Anfang Mai, die seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 gemessen wurde. Dunkelgraue Gebiete zeichnen Datenlücken aus. Die entsprechend eingefärbte Fläche ist die aufgrund der Messungen der vorherigen Tage geschätzte Eisbedeckung. Bild: National Snow and Ice Data Center
Passend dazu hat der WWF Ende April ein Studie (6) (Große PDF-Datei) veröffentlicht, die eindringlich vor dem raschen Klimawandel in der Arktis warnt. Nicht nur die dortigen Ökosysteme und die von ihnen lebenden menschlichen Gemeinschaften seien nachhaltig bedroht, sondern auch global seien Konsequenzen zu erwarten. Das Eis auf Grönland verliere in den letzten Jahren deutlich schneller an Masse, als von den Modellen der Wissenschaftler vorhergesagt. Keiner wisse bisher, wie schnell der Eisverlust voranschreiten wird. Das ist fatal, denn auf der weltweit größten Insel lagert genug Eis, um die Ozeane um gut sieben Meter ansteigen zu lassen.
Die Autoren weisen wie schon einige Wissenschaftler (7) darauf hin, dass das Wissen über die Gletscher auf Grönland noch sehr lückenhaft ist. Außerdem warnen sie davor – wie schon im letzten Herbst die skandinavischen Länder (8) –, dass sich die Arktis gefährlich nahe an einem "Punkt ohne Wiederkehr" befinden könnte. Ist dieser erst einmal überschritten, werden Meereisverlust, Abschmelzen der Gletscher und Auftauen des Permafrosts zum Selbstläufer. Das wärmere Klima schafft Bedingungen, die die Temperaturen weiter steigen lassen. In hundert oder noch mehr Jahren – vielleicht auch schon früher – könnte das für über eine Milliarde Menschen nasse Füße bedeuten, wenn nicht bald die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre stabilisiert wird.
Links
(1) http://www.independent.co.uk/news/world/asia/sinking-without-trace-australias-climate-change-victims-821136.html
(2) http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/CCS_Studie_False_Hope_2008_d.pdf
(3) http://www.earthportal.org/news/?p=1088
(4) http://www.colorado.edu/news/r/1fb96a0f5e60677e20ddafee67219e8d.html
(5) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27735/1.html
(6) http://assets.panda.org/downloads/final_climateimpact_22apr08.pdf
(7) http://www.realclimate.org/index.php/archives/2007/03/the-ipcc-sea-level-numbers/#more-427
(8) http://www.enn.com/top_stories/article/24187
Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27870/1.html