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"Steife Brise in Brunsbüttel", GEA - 04.03.2010

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Arne

Beiträge: 539

BI Teilnehmernummer: 98

New PostErstellt: 04.03.10, 14:23  Betreff: "Steife Brise in Brunsbüttel", GEA - 04.03.2010  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

04.03.2010

Zwickmühle - OB Palmer verteidigt bei Podiumsdiskussion Beteiligung an Kohlekraftwerk, lässt aber Hintertür offen

Steife Brise in Brunsbüttel

Von Arnfried Lenschow

TÜBINGEN. Der Mann, der Tübingen blau machen will, kam ganz in Schwarz. Einer der Zuhörer bei der Podiumsdiskussion am Dienstagabend über die Tübinger Beteiligung am Bau eines drei Milliarden Euro teuren Steinkohlekraftwerks in Brunsbüttel mutmaßte daher, dass diese Farbwahl vielleicht auch die politische Haltung widerspiegeln könnte.

Denn Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer war als Verteidiger des Kohlekraftwerks angetreten, neben Bettina Morlok, der Geschäftsführerin der beim Bau federführenden Südweststrom Kraftwerk Gesellschaft. An der ist nicht nur Tübingen, sondern insgesamt 80 Stadtwerke beteiligt.

Palmer und Morlok mussten sich geballtem, kompetentem Widerstand auf dem Podium erwehren, was zu einer anregenden Diskussion führte, bei der am Ende zumindest eines klar war: auch diejenigen, für die der Kampf gegen den Klimawandel politische Priorität hat, sehen ganz unterschiedliche Wege, ihr gemeinsames Ziel zu erreichen.

»Moin, moin« hatte der promovierte Physiker Arne Firjahn das Publikum begrüßt. Als Vertreter der Bürgerinitiative in Brunsbüttel gegen das geplante Kraftwerk, das im Übrigen eine Milliarde Euro teurer sei in Bezug auf die erwartete Leistung als andere, listete er die Auswirkungen dieses Baus auf: vom Fischsterben bis zu den Schadstoffen wie Blei, Quecksilber, Arsen und vieles andere, was bei der Verbrennung von 500 Tonnen Kohle pro Stunde, so die geplante Kapazität der beiden Kraftwerksblöcke, anfallen würden. Ganz zu schweigen vom anfallenden CO2. Fünf oder sechs geplante Kohlekraftwerke seien deutschlandweit in letzter Zeit schon gestoppt worden, berichtete Firjahn, der zuversichtlich ist, dass dies auch in Brunsbüttel gelingt.

»Auch Windkraftanlagen, für die alle sind, erschlagen Vögel« Jedes dieser Argumente könne er widerlegen, konterte Palmer, ohne es allerdings zu tun. Der OB rechtfertigte sein Eintreten für den Kraftwerkbau, »eine Entscheidung, die mir bisher politisch am meisten geschadet hat«, mit ganz anderen Erwägungen. Zum einen sieht er das Tübinger Engagement bei der Südweststrom als Gegengewicht zu den vier großen, nationalen Energieversorgern. »Wenn die bestimmen, gibt es mehr Kohlekraftwerke und mehr Atomkraftwerke.« Auf der anderen Seite sei es eben eine Frage der Abwägung, was an Schäden vertretbar sei. »Auch Windkraftanlagen, für die wir alle sind, erschlagen Vögel.« Schließlich würde auch keiner von ihm fordern, den Autoverkehr in Tübingen zu verbieten, obwohl es Jahr für Jahr Tausende Verkehrstote im Land gibt.

Das neue Kohlekraftwerk habe einen Wirkungsgrad von 46 Prozent, alte Anlagen nur 30, nachgerüstet vielleicht 34 Prozent. »Wenn durch das neue Kraftwerk alte Anlagen vom Netz gedrückt werden, gibt es weniger CO2«, sagte Palmer. Dass dies geschehe, sieht er als folgerichtig an, da das neue Kraftwerk billiger produzieren könne.

Diesen Optimismus wollte der Ingenieur Joachim Nitsch nicht teilen. Der Berater der Bundesregierung, der vor zwei Jahren eigentlich auch den Tübingern zur Beteiligung am Bau ins Brunsbüttel geraten hatte, sieht inzwischen völlig veränderte Rahmenbedingungen. Angesichts bereits im Bau befindlicher Kohlekraftprojekte, die bis 2015 fertig sein und zehn Gigawatt Leistung bringen sollen, sieht er zu viele Kohlekraftwerke im Land. Politisch müsse man dafür sorgen, dass von den 53 Gigawatt an Kohlekraftleistung bis 2020 20 Gigawatt abgeschaltet werden. »Sonst ist unsere ganze CO2-Bilanz im Eimer.«

Auch der saarländische Volkswirtschafts-Professor Uwe Leprich vom Institut für Zukunftsenergiesysteme bezog Gegenposition. In dieser schnelllebigen Zeit sieht er die Investitionsrisiken als zu groß an und empfiehlt eine »Exit-Strategie«. »Dieses Kohlekraftwerk ist die Lehman-Aktie in ihrem Portfolio.«

Eine solche Anlage hält er mit der geplanten CO2-Reduktion für nicht kompatibel. Außerdem sieht er das Stromnetz der Zukunft von »fluktuierenden neuen Energien« bestimmt, also von Solarkraft oder Windkraft, die nicht gleichmäßig über den Tag fließen. »Dazu aber brauchen wir kleine Anlagen, ein atmendes System, das puffern kann.«

Einigkeit herrschte schließlich darüber, dass eigentlich ein kleiner dimensioniertes Gaskraftwerk die bessere Alternative wäre. Damit könnte sich auch die Bürgerinitiative in Brunsbüttel anfreunden, versicherte Arne Firjahn. Ein solches Gaskraftwerk scheiterte allerdings vor drei Jahren in Wertheim, auch dank Unterstützung der Grünen, was OB Palmer noch heute ärgert. 

Immerhin hatte der OB noch ein kleines Bonbon mitgebracht. Auf die Frage von Dorothee Lorenz vom rührigen Arbeitskreis Klima Tübingen, der diese Podiumsdiskussion organisiert hatte, warum Tübingen nicht die Investitionen in den ebenfalls mit der Südweststrom geplanten Offshore-Windpark verdopple, sagte Palmer, dass er genau das beabsichtige, dem Gemeinderat vorzuschlagen. »Der Windpark ist mit Herzblut, das andere trage ich mit. Das ist in einer Realo-Welt nicht zu vermeiden.«

Im Übrigen nahm Palmer auch jeden einzelnen Tübinger in die Pflicht. Schließlich gebe es bisher nur zehn Prozent Ökostrom-Kunden, also seien noch 90 Prozent dagegen. »Wenn wir in drei Jahren 100 Prozent Ökostrom beziehen, dann haben wir den Ausstieg aus dem Kohlekraftwerk geschafft«, sagte Palmer.

Den wird es möglicherweise auch geben, wenn das Genehmigungsverfahren für das nach derzeitigem Stand 2015 in Betrieb gehende Kraftwerk abgeschlossen ist, das Palmer nach 20 Jahren bereits wieder abschalten möchte. Vermutlich in zwei Jahren, wenn sich endgültig die Frage nach Bau oder Nicht-Bau stellt, werde er sich nochmals ganz genau Rahmenbedingungen und Wirtschaftlichkeit anschauen. Gegebenenfalls würden die Tübinger Anteile - die Stadt hält für rund 1,4 Millionen Euro 0,4 Prozent - verkauft oder total abgeschrieben. »Das wäre immer noch weit weniger als der Verlust, den wir mit den automatischen Parkhäusern hatten.« (GEA)

Quelle: http://www.gea.de/region+reutlingen/tuebingen/steife+brise+in+brunsbuettel.1027348.htm





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Arne

Beiträge: 539

BI Teilnehmernummer: 98

New PostErstellt: 04.03.10, 19:22  Betreff: Re: "Steife Brise in Brunsbüttel", GEA - 04.03.2010  drucken  weiterempfehlen

Hier noch die KOMMENTAR-Spalte zum Artikel des REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER

Die Realität der Öko-Träume

VON ARNFRIED LENSCHOW

Ökologisch gut sein wollen alle. Aber die Verhältnisse, die sind nun mal nicht so. Insofern ist es ehrenwert, dass Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sich den Realitäten stellt und auch in Fragen der Stromerzeugung keine Angst hat, sich die Hände – und das grüne Ideal-Gewissen – schmutzig zu machen durch Eintreten für ein Steinkohlekraftwerk im fernen Brunsbüttel.

Andererseits hat sich in den vergangenen zwei Jahren nicht nur in puncto Bewusstseinswandel ungeheuer viel getan. Die erneuerbaren Energien wurden in einem Maße ausgebaut, wie dies kaum einer erwartet hatte. Dass die automobile Zukunft elektrisch ist, wird auch nicht mehr bezweifelt. Der Trend geht zu kleinräumigen Strukturen im Energiebereich, etwa zu Elektroautos, die im Ruhezustand Kapazitätsspitzen im Stromnetz abfedern könnten und nachts aufgeladen werden, wenn beispielsweise Windstrom im Überangebot da ist. Angesichts dieses schnellen Wandels stellt sich dann doch ein Unbehagen ein, wenn ein solches Großprojekt wie das Steinkohlekraftwerk in Brunsbüttel in Angriff genommen werden soll. Irgendwie wirkt dies eben doch, als ob ein alter Gaul noch mal fit gespritzt wird für ein Rennen, das längst gelaufen ist. Die großen Energieversorger mit ihren eigenen Mitteln des Gigantismus in einer absehbar vom Aussterben bedrohten Technik zu schlagen hat ein Geschmäckle.

Freilich hilft Wehklagen nicht, wenn keiner auch persönliche Konsequenzen zieht. Dass die Großversorger ohne Druck von außen die notwendigen Schritte gegen den Klimawandel machen, dürfte eine fromme Hoffnung sein. Da braucht man sich nur den von ihnen bejubelten Ausstieg vom Atomausstieg anzusehen, der auch noch als ökologische Lösung verkauft wird. Wenn die Großkonzerne darauf verweisen können, dass auch das ach so grüne Tübingen bei der Kohlekraft doch eigentlich das Gleiche tut, ist dies fatal. Insofern hätte ein Ausstieg aus dem Projekt Signalwirkung. Den Boden dafür zu bereiten, haben die 90 Prozent Tübinger mit in der Hand, die heute noch keinen Ökostrom beziehen.





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Reimer

Beiträge: 852


New PostErstellt: 08.03.10, 09:39  Betreff: Re: "Steife Brise in Brunsbüttel", GEA - 04.03.2010  drucken  weiterempfehlen

Und so berichtet die Norddeutsche Rundschau über die Podiumsdiskussion:

(vom 08.03.2010 - "Entlang des Kanals")



[editiert: 08.03.10, 09:40 von Reimer]



Dateianlagen:

Podiumsdiskussion in Tübingen.jpg (44 kByte, 238 x 435 Pixel)
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