Bund streicht Stromtrassen im Land
Netzagentur hält neue Höchstspannungsleitung an Schleswig-Holsteins Ostküste für unnötig – der Kieler Energieminister Habeck widerspricht
Kiel/Berlin
In Schleswig-Holstein sollen deutlich weniger
neue Stromleitungen gebaut werden als bisher geplant. Das geht aus der
Schlussfassung des Netzentwicklungsplans hervor, den der Präsident der
Bundesnetzagentur, Jochen Homann, gestern in Berlin Wirtschaftsminister
Philipp Rösler (FDP) überreichte.
Demnach wird zwar die 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung
an der Westküste errichtet. Auch sollen zwei neuartige, verlustarme
Gleichstromautobahnen entstehen, die Windstrom ab Brunsbüttel und
Wilster nach Süddeutschland transportieren. Eine ursprünglich
vorgesehene dritte ab Kaltenkirchen entfällt jedoch ebenso wie die
geplante 380-kV-Trasse an der Ostküste und die Aufrüstung mehrerer 220-kV-Leitungen
auf 380 kV (siehe Karte). „Wir haben nur diejenigen Maßnahmen
aufgenommen, von deren Dringlichkeit wir jetzt überzeugt sind“, sagte
Netzagentur-Chef Homann.
Der neue Plan legt fest, welche Verbindungen in den nächsten zehn
Jahren nötig sind, um die wachsende Produktion von Strom aus
erneuerbaren Quellen dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht wird.
Dass eine neue Leitung an Schleswig-Holsteins
Ostküste nun als überflüssig gilt, stieß beim Kieler Energieminister
Robert Habeck (Grüne) auf Kritik. „Ich bin nicht überzeugt, dass es
keinen Bedarf für eine 380-kV-Leitung gibt“,
sagte er. Schon heute müssten Windräder in Ostholstein zeitweilig
abgeschaltet werden, weil deren Strom nicht ins Netz eingespeist werden
könne. Habecks Staatssekretärin Ingrid Nestle kündigte daher an, man
werde „zeitnah mit dem Bund klären“, wo an der Ostküste doch gebaut
werden müsse.
Auch Ostholsteins Landrat Reinhard Sager (CDU) kritisierte den Plan
der Netzagentur und forderte Habeck zum Handeln auf: „Die
Landesregierung steht in der Pflicht, dass die Energiewende auch in
Ostholstein gewährleistet wird.“ Es dürfe nicht sein, dass Strom aus dem
Kreis nicht abgenommen werden könne. Netzbetreiber Tennet erklärte
gemeinsam mit den drei anderen großen Netzgesellschaften ebenfalls, dass
die von der Agentur gestrichenen Leitungen „mittel- bis langfristig
weiterhin notwendig“ seien.
Bundesweit hält die Netzagentur nur 51 der 74 von den Betreibern
vorgeschlagenen Maßnahmen für erforderlich. Statt 3800 Kilometer neuer
Trassen sollen nur noch 2800 Kilometer entstehen. Und statt auf 4400
Kilometern sollen bestehende Leitungen nur noch auf 2900 Kilometern
aufgerüstet werden. Allerdings räumte Netzagenturchef Homann auch ein,
dass der Bedarf sich künftig ändern könne und daher regelmäßig überprüft
werde. „Auch gestrichene Projekte können wieder auf die Tagesordnung
kommen“, sagte er. Das gelte vor allem dann, „wenn Klarheit über den von
Bund und Ländern angestrebten nationalen Ausbauplan für erneuerbare
Energie besteht“.
Henning Baethge