Habeck attackiert Gabriel und Seehofer
Kieler Minister wirft großer Koalition
Vollbremsung beim Netzausbau vor – derweil hat Tennet gleich drei
Vorschläge für die „Südlink“-Stromtrasse
Berlin/Kiel
Eine gute Nachricht gab es gestern für den Kieler Energieminister
Robert Habeck: Die Hochspannungsleitung „Nordlink“ vom schleswig-holsteinischen
Wilster über Büsum unter der Nordsee hindurch nach Norwegen wird
gebaut. Durch das 623 Kilometer lange Unterseekabel soll Windstrom aus
Schleswig-Holstein nach Norwegen transportiert
werden und umgekehrt Strom aus Wasserkraft von Norwegen nach
Deutschland. Die Regierung in Oslo habe für den Bau des Projekts jetzt
die Lizenzen an den staatlichen Netzbetreiber Statnett erteilt, teilte
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gestern mit.
Das ist allerdings auch die einzige erfreuliche Botschaft, die Habeck
zuletzt in Sachen Stromnetzausbau von seinem Bundeskollegen Gabriel
vernommen hat. Ansonsten ist der Kieler Grünen-Politiker nicht gut auf den SPD-Chef zu sprechen und erst recht nicht auf CSU-Chef
Horst Seehofer. „Die große Koalition legt beim Netzausbau eine
Vollbremsung aufs Parkett“, schimpft Habeck gegenüber unserer Zeitung
und fragt sich, ob Gabriel sich vom bayrischen Ministerpräsident
„steuern lässt“. Grund für Habecks scharfe Kritik ist der Widerstand
Seehofers gegen zwei der drei gesetzlich längst beschlossenen
Gleichstromautobahnen durch Deutschland – und Gabriels Bereitschaft, dem
Bayern noch mal drei Monate Zeit zu geben, um über die Trassen
nachzudenken.
Obwohl Seehofer die neuen Leitungen im Bundesrat abgesegnet hat,
äußert der Bayer nach lauten Protesten seiner Bürger mittlerweile sowohl
Zweifel an der Ost-Süd-Verbindung von Sachsen-Anhalt
in sein Heimatland als auch an der „Südlink“-Trasse mit ihren zwei
weitgehend nebeneinander laufenden Strängen zwischen Wilster und dem
fränkischen Grafenrheinfeld sowie Brunsbüttel und dem schwäbischen
Großgartach. Zwar halten selbst führende baden-württembergische CDU-Politiker
die neuen Leitungen für unerlässlich, um nach dem Abschalten der
letzten Atommeiler im Jahr 2022 Windstrom aus dem Norden in den
industrie- und verbrauchsstarken Süden zu bringen. Doch will Seehofer
die bayrischen Konsumenten und Betriebe künftig lieber durch vor Ort
produzierten Strom aus neu zu bauenden Gaskraftwerken versorgen – die sich bisher allerdings wegen hoher Kosten kaum rechnen.
Für Habeck gefährden Gabriel und Seehofer mit ihrer Verschleppung den
Atomausstieg. „All das geht auf Kosten der Versorgungssicherheit und
Bezahlbarkeit der Energiewende“, kritisiert der Kieler. Schon jetzt sei
der Netzentwicklungsplan „ins Stocken geraten“, dessen Fortschreibung
Anfang Oktober hätte vorliegen sollen, nun aber erst im November kommt.
In einem Brief an Gabriel fordert Habeck seinen Bundeskollegen auf, „dem
Druck des bayrischen Ministerpräsidenten nicht nachzugeben und sich
dafür zu verwenden, dass das Projekt Südlink zügig und vor allem gut
geplant umgesetzt wird“. Das Schreiben hat Habeck auch im Namen seiner
Kollegen aus den anderen „Südlink“-Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg
verfasst. Und auch der Chef des zuständigen Netzbetreibers Tennet, Lex
Hartman, warnte am Wochenende: „Uns läuft die Zeit davon.“
Einen Fortschritt immerhin gibt es bei dem Projekt – und der ist Tennet
zu verdanken: Das Unternehmen hat jetzt nach vielen Veranstaltungen mit
betroffenen Bürgern alle in Frage kommenden Varianten für die 800
Kilometer lange „Südlink“-Trasse zusammengestellt und veröffentlicht und
will sie nun ohne eigene Priorisierung der Bundesnetzagentur vorlegen,
die dann weiter entscheidet. Unter anderem bevorzugt Tennet nun nicht
mehr eine Unterquerung der Elbe bei Hetlingen im Kreis Pinneberg,
sondern hält den Übergang nach Niedersachsen auch durch den geplanten
A-20-Autobahntunnel bei Glückstadt für möglich oder noch weiter
elbabwärts durch ein unterirdisches Kabel bei Brokdorf (siehe Grafik).
Dann würde die Stromleitung zu einem weit kürzeren Teil auf Landesgebiet
verlaufen als bisher geplant. Und das wäre noch eine zweite gute
Nachricht für Habeck.
Henning Baethge