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Fukushima: Frust und Fortschritt. WZ vom 11.03.2015

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Claudia

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BI Teilnehmernummer: 106

New PostErstellt: 29.03.15, 19:44  Betreff: Fukushima: Frust und Fortschritt. WZ vom 11.03.2015  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Seite 1:

Immer mehr Japaner sterben an den Folgen von Fukushima
Fukushima /sh:z

Vier Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima in Folge eines Tsunamis sterben immer mehr Japaner an den Folgen der jahrelangen Flucht vor der Strahlung. Wie die japanische Tageszeitung „Tokyo Shimbun“ berichtete, erhöhte sich die Zahl der Opfer seit März vergangenen Jahres um 18 Prozent auf 1232 Tote. Zwar kam durch den Super-Gau vom 11. März 2011 infolge eines Erdbebens und gewaltigen Tsunamis niemand direkt ums Leben. Doch sterben immer mehr Menschen an den gesundheitlichen Auswirkungen des harten Lebens in den provisorischen Behelfsunterkünften. Noch immer können rund 120 000 Menschen wegen der Strahlung nicht zurück in ihre Heimat. Zehntausende hausen weiterhin in engen Behelfsunterkünften.
Zum Jahrestag der Katastrophe hat Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck die Bundesregierung aufgefordert, energisch gegen öffentliche Subventionen für neue Atomkraftwerke in Europa vorzugehen. „Wer wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in Japan für den Atomausstieg wirbt, muss auch dafür sorgen, dass wenigstens in der EU der Bau von neuen Atomkraftwerken nicht noch durch öffentliches Geld gefördert wird“, sagte Habeck gestern in Kiel.


Seite 3:

Frust und Fortschritt
Vier Jahre nach Japans Atom-Katastrophe in Fukushima: Noch immer leben Zehntausende Anwohner in Behelfsunterkünften
Fukushima

Nichts wünscht sich Hideo Takahashi so sehr wie die Rückkehr in sein altes Zuhause. Als am 11. März 2011 ein Erdbeben der Stärke 9,0 und ein gewaltiger Tsunami den Nordosten Japans verwüstete und es im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi zum Super-Gau kam, musste Takahashi mit seiner Familie fliehen. Die Flutwelle beschädigte oder zerstörte mehr als eine Million Gebäude und hinterließ fast 19 000 Todesopfer und Vermisste. Takahashis eigenes Haus blieb zwar unbeschädigt, doch sein Heimatdorf Iitate, nur 30 Kilometer von der Atomruine entfernt, wurde wegen der radioaktiven Strahlung evakuiert. „Es heißt, die Dekontaminierung in Iitate sei bald abgeschlossen“, erzählt der inzwischen 64 Jahre alte Landwirt. Er lebt heute, vier Jahre nach der Katastrophe, mit seiner Frau und seiner pflegebedürftigen Mutter in einem Wellblechgebäude am Rande der Provinzhauptstadt Fukushima.

Mit seinem schönen Haus in Iitate ist es nicht zu vergleichen. Immerhin ist es hier aber geräumiger als in den containerähnlichen Behelfsunterkünften, in denen weiter Zehntausende Überlebende des Tsunami sowie viele andere Atomflüchtlinge hausen. „Das Schlimmste ist die Unsicherheit über die Zukunft“, sagt Takahashi.

Dabei wird die Regierung des atomfreundlichen Ministerpräsidenten Shinzo Abe nicht müde, aller Welt zu versichern, dass der Wiederaufbau vorankomme und die Lage in der Atomruine unter Kontrolle sei. Die Realität sieht jedoch komplizierter aus. Rund 120 000 Bewohner Fukushimas sind wegen der Angst vor Strahlung noch immer Flüchtlinge. Zwar hat die Regierung die Evakuierungsanordnung in einigen Bereichen der Provinz aufgehoben, doch immer mehr Flüchtlinge verlassen ihre Heimat und wollen woanders ein neues Leben beginnen. Viele beklagen, die Dekontaminierung der Region verlaufe zu langsam.

Immer mehr Japaner sterben an den Folgen der jahrelangen Flucht vor der Strahlung. Wie die japanische Tageszeitung „Tokyo Shimbun“ gestern berichtete, erhöhte sich die Zahl der Opfer seit März vergangenen Jahres um 18 Prozent auf 1232 Tote. Zwar kam durch den Super-Gau vom 11. März 2011 in Folge eines Erdbebens und gewaltigen Tsunamis niemand direkt ums Leben. Doch sterben immer mehr Menschen an den gesundheitlichen Auswirkungen des harten Lebens in den provisorischen Behelfsunterkünften. Andere begehen Selbstmord.

Dem Atombetreiber Tepco ist es allerdings gelungen, die abgebrannten Brennstäbe aus dem Reaktorgebäude 4 vollständig zu bergen. Zudem äußerten sich Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde IAEA lobend über die zumindest schon teilweise gelungene Umleitung des Grundwassers um die Reaktorgebäude herum. Dennoch stehen die 6000 Arbeiter, die täglich in der Atomruine im Einsatz sind, weiter vor gewaltigen Schwierigkeiten. Die Situation bleibe sehr komplex, und die Beseitigung des Brennstoffes stelle eine riesige, langfristige Herausforderung dar. Japan verfügt weder über Zwischen- noch Endlager für die hochgradig radioaktiven Abfälle. Hinzu kommt das gewaltige Wasserproblem. Das Gelände des Atomkraftwerks ist mit Tanks übersät, in denen Millionen Liter verstrahlten Wassers aus der Kühlung der Reaktoren lagert. Tagtäglich fallen 300 bis 400 Tonnen kontaminiertes Grund- und Kühlwasser an. Mit Hilfe eines Filtersystems, das strahlendes Wasser von allen radioaktiven Isotopen bis auf Tritium säubert, will Tepco bis Mai das gesamte Wasser gereinigt haben – zwei Monate später als geplant.

Doch gibt es immer wieder Rückschläge. So wurde kurz vor dem vierten Jahrestag der Katastrophe bekannt, dass Tepco monatelang verheimlicht hatte, dass verseuchtes Regenwasser in den Pazifik gelangte. Die von dem Atomunfall besonders schwer betroffenen Fischer von Fukushima reagierten entsprechend wütend: „Unser Vertrauensverhältnis ist zerstört“, wetterte Fischereiverbandschef Hiroyuki Sato. Der Ärger kam just zu einem Zeitpunkt auf, da die Fischer darüber berieten, ob man Tepcos Plan akzeptieren soll, von Strahlen gereinigtes Grundwasser in den Ozean abzuleiten – eine Maßnahme, die auch die IAEA empfiehlt. Denn langsam geht der Platz für neue Tanks aus. Doch trotz all der weiter bestehenden Probleme und der Tatsache, dass sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen ein Wiederanfahren der nach Fukushima abgeschalteten Atomreaktoren ausspricht, will die rechtskonservative Regierung Abe schon bald die ersten wieder in Betrieb nehmen. Vier der 48 kommerziellen Reaktoren in Japan haben bereits grünes Licht bekommen, nachdem sie die neuen, verschärften Sicherheitsauflagen laut der Atomaufsichtsbehörde erfüllt haben.

Bauer Takahashi hat dafür keinerlei Verständnis. „Ich begreife so was nicht“, sagt er und schüttelt den Kopf. Die Regierung wolle, dass Anwohner wie er schnell zurückkehren, um den Eindruck von Normalität zu erwecken. Doch viele haben die Hoffnung auf eine Rückkehr aufgegeben.
Lars Nicolaysen


[editiert: 29.03.15, 19:48 von Claudia]
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Claudia

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BI Teilnehmernummer: 106

New PostErstellt: 29.03.15, 19:52  Betreff: Re: Fukushima: Frust und Fortschritt. WZ vom 11.03.2015  drucken  weiterempfehlen

Gastbeitrag von Seite 2:


Die Menschen überschätzen sich
Fukushima und Folgen – Deutschland hat begriffen, dass die Atomkraft nicht beherrschbar ist
Stephan Richter /Prof. Dr. Mojib Latif

Es ist kaum zu glauben, der Reaktorunfall von Fukushima ist schon wieder vier Jahre her. Auch heute sind die Folgen des Unfalls noch allgegenwärtig. So liegen beispielsweise hunderttausende Plastiksäcke mit radioaktiven Abfällen auf Feldern und an Stränden in der Nähe des Unglücksortes. Wohin der Abfall einmal gebracht werden soll, weiß niemand.

Tagesgespräch ist die atomare Katastrophe von Fukushima längst nicht mehr. Aber anders als bei vielen anderen Umweltkatastrophen hat Fukushima tiefe Spuren hinterlassen. So dämmert es immer mehr Menschen, dass wir uns, was die Energiegewinnung anbelangt, in eine Sackgasse haben manövrieren lassen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir hatten bis vor kurzem nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen Atomkraft und fossiler Energie. Beide Arten der Energiegewinnung sind eine Gefahr für die Umwelt und bedrohen die Lebensgrundlagen auf der Erde.

Aber wie konnte es überhaupt zu der Nuklearkatastrophe von Fukushima kommen? In Japan, einem Hochtechnologieland. Einem Land, in dem einfach alles zu funktionieren schien. Die Ursache ist ziemlich einfach. Die Menschen überschätzen sich – überall auf der Welt. Die Lektion, die wir aus dem Atomunfall von Fukushima gelernt haben sollten, lautet: „Die Natur hält sich nicht an Grenzwerte“. Wir müssen stets auch das scheinbar Unmögliche denken. Erdbeben können sehr viel stärker sein, als man denkt. Und Flutwellen, die gefürchteten Tsunamis, sich sehr viel höher auftürmen. So kam das Unvermeidbare, weil sich die Experten geirrt hatten. Ein extrem starkes Seebeben, mindestens zehnmal stärker und ein Tsunami mindestens zehn Meter höher als „erlaubt“ suchten die japanische Küste heim. Die gigantische Flutwelle überspülte spielend die Schutzmauern und setzte die Stromversorgung des Reaktors außer Kraft. Der Super GAU, die unkontrollierbare Kernschmelze, war die logische Konsequenz.

Fukushima war aber auch ein Lehrstück für die Vertuschung, die wir immer wieder nach Umweltkatastrophen registrieren müssen. Kraftwerksbetreiber wie Politiker versuchten alles, um den Atomunfall klein zu reden und hielten und halten selbst heute noch wichtige Informationen unter Verschluss. Der Höhepunkt dieser Schmierenkomödie war erreicht, als die Verantwortlichen nach ein paar Wochen sich ihrer lächerlichen Blaumänner entledigten – angezogen, um Aktivität vorzutäuschen und um zu zeigen, dass man alles im Griff habe. Wieder mit Anzug und Krawatte versehen traten sie dann vor die Kameras. Um Normalität zu demonstrieren, das Ende der Katastrophe. Sie gingen einfach zur Tagesordnung über. In Wirklichkeit war das Krisenmanagement einfach nur von Hilflosigkeit geprägt. Der Atommeiler war weiterhin außer Kontrolle.

Zumindest die Deutschen haben begriffen, dass die Atomkraft nicht beherrschbar ist, mit der Folge des endgültigen Atomausstiegs. Eine kluge Entscheidung. Auch deswegen, weil wir bei uns im Norden nur zu gut wissen, dass man radioaktiven Abfall nicht sicher lagern kann. Jedenfalls nicht für lange Zeiträume. Die dahinrottenden Atommüllfässer von Brunsbüttel sprechen hier Bände. Wer glaubt eigentlich noch daran, dass man Atomabfälle über Jahrtausende sicher „wegsperren“ kann?

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat aber noch etwas bewirkt. Etwas, womit man nicht rechnen konnte. Fukushima war auch der Anlass für die im Ausland viel beachtete deutsche Energiewende, die stärkere Hinwendung zu den erneuerbaren Energien, zu Sonnenenergie oder Windkraft. Die Energiewende ist notwendig, damit Deutschland beim Klimaschutz Vorreiter bleibt. Denn die Verbrennung der fossilen Brennstoffe zur Energiegewinnung ist die Ursache der globalen Erderwärmung. Verbrennen wir Erdöl, Erdgas und Kohle, entsteht unweigerlich Kohlendioxid (CO2), und das heizt bekanntermaßen die Erdoberfläche auf. Das weiß man seit über 100 Jahren.

Der Weltklimarat hat in seinem letzten Bericht aus dem Jahr 2014 festgestellt: „Der menschliche Einfluss auf das Klima ist klar“. Und das können wir auch in Schleswig-Holstein spüren: Winter, die keine Winter mehr sind, häufen sich. Der Meeresspiegel steigt Zentimeter um Zentimeter. Und Starkregenereignisse nehmen zu.

Die Energiewende liegt aber auch im ureigenen Interesse Deutschlands. Sie sichert unsere Zukunft und sorgt dafür, dass wir uns in Deutschland auch in Jahrzehnten noch auf eine sichere Energieversorgung verlassen können.

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