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Stromkunden haften für Meereswindparks
Verbraucher sollen für Netzprobleme zahlen / Betreiber prüfen schon Ansprüche
Kiel/Berlin /bg
Auf die Stromkunden kommen noch höhere Belastungen wegen der Probleme
bei den Netzanschlüssen für Meereswindparks zu. Wie aus dem
überarbeiteten Entwurf der schwarz-gelben
Koalition für das Energiewirtschaftsgesetz hervorgeht, soll
Netzbetreiber Tennet künftig für jeden von ihm verursachten Störungsfall
nur Schäden bis zu einer Höhe von 17,5 Millionen Euro selbst tragen.
Darüber hinausgehende Ansprüche der Windparkbetreiber kann Tennet sich
über eine Umlage von den Verbrauchern zurückholen – es sei denn, das
Unternehmen hat grob fahrlässig gehandelt. Der Bundestag soll das Gesetz
heute beschließen.
Zwar ist darin die Umlage für die Stromkunden weiterhin auf 0,25 Cent
pro Kilowattstunde begrenzt – das sind jährlich etwa zehn Euro pro
Haushalt. Doch wird dieser Betrag durch die neue Regelung schneller
erreicht als nach der bisher geplanten. Experten gehen sogar davon aus,
dass die Obergrenze von 0,25 Cent nicht ausreichen wird, sondern steigen
muss. Insgesamt kommen durch die Umlage auf die Stromkunden nach
Berechnung der Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren Kosten von
1,5 Milliarden Euro zu.
Mit den neuen Gesetzesplänen reagiert die Koalition auf Proteste des
holländischen Staatsunternehmens Tennet. Dessen Chef Lex Hartman hatte
die zunächst vorgesehenen Haftungsregeln kürzlich als „Tod von Offshore“
bezeichnet, weil Tennet dann auch bei einfacher Fahrlässigkeit mit bis
zu 100 Millionen Euro pro Störungsfall selbst belastet worden wäre. Und
einfache Fahrlässigkeit, hatte Hartmann zu bedenken gegeben, passiere
bei Offshore-Projekten „jeden Tag“. Gestern
zeigte sich die Netzgesellschaft zufrieden mit dem Einlenken der
Koalition: „Es ist sehr positiv, dass es jetzt eine Einigung gegeben
hat“, sagte Tennet-Sprecherin Ulrike Hörchens unserer Zeitung.
Schleswig-Holsteins Energiewendeminister
Robert Habeck (Grüne) sagte unserer Zeitung, es sei „richtig, dass eine
Haftungsregelung auf den Weg gebracht wird“. Allerdings dürften die
Verbraucher nicht übermäßig belastet werden. „Es ist ein schmaler Grat,
auf dem man sich bewegt.“
Mit RWE Innogy kündigte gestern bereits der erste Windparkbetreiber vor Schleswig
-Holsteins
Küste an, Schadenersatzansprüche gegen Tennet zu prüfen. Das
Unternehmen plant 30 Kilometer nördlich von Helgoland den Windpark
„Nordsee Ost“, der ursprünglich dieses Jahr ans Netz gehen sollte. Doch
Tennet habe die Anschlusszusage um zwei Jahre verschoben, so dass die
Inbetriebnahme nun bis Mitte 2014 dauere, so ein Sprecher von RWE
Innogy.
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Die Energiewende wird immer teurerFehlende Netze: Große Strommengen können nicht eingespeist werden / Probleme beim Anschluss von Offshore-Parks kostet Verbraucher Milliarden
Berlin
Es war im Sommer. Peter Altmaier hatte gerade ein paar Seehunde
gefüttert, als ihn Jörn Klimant zurück in die vertrackte Realität der
Energiewende holte. Der Landrat von Dithmarschen klagte im Gespräch mit
dem Bundesumweltminister, dass in Schleswig-Holstein
immer höhere Entschädigungskosten anfielen, da Windstrom aus Sorge vor
einem Netzkollaps nicht eingespeist werden dürfe. Altmaier nahm das zur
Kenntnis. Wie groß aber das von Klimant beschriebene Problem wirklich
ist, zeigt die Bilanz für 2011.
Weil sonst eine Überlastung des Netzes drohte, konnten bis zu 407
Gigawattstunden (GWh) Windstrom 2011 nicht eingespeist werden, hat das
Unternehmen Ecofys in seiner jährlichen Bestandsaufnahme für den
Bundesverband Windenergie (BWE) ermittelt. Die Bundesnetzagentur kommt
auf ähnliche Zahlen, sie summiert die Drosselung der Wind-, Solar- und
Biomasseleistung auf 420 GWh. Der nicht produzierte Windstrom entspricht
einer Strommenge, mit der 116 000 Haushalte ein Jahr lang versorgt
werden könnten – der erzwungene Verlust war damit etwa dreimal so hoch
wie 2010. Die Schwerpunkte der von den Stromnetzbetreibern veranlassten
Abregelungen lagen in Nord- und Ostdeutschland.
Aber nicht nur, dass Strom nicht fließt: Je nach Begründung der
Netzbetreiber muss er fast vollständig vergütet werden – dies wird dann
auf die Stromrechnung der Bürger aufgeschlagen. Schätzungen gehen von 18
bis 35 Millionen Euro aus. Das ist aber immer noch eine kleine Summe im
Vergleich zu den Milliardenzahlungen, die die Bürger ab 2013 für
Probleme beim Anschluss von Windparks auf See über den Strompreis
schultern sollen.
Gestern sickerte durch, dass Union und FDP den Gesetzentwurf hierzu
noch einmal zulasten der Bürger verschärft haben. Demnach soll der
Netzbetreiber Tennet bei Schäden durch Leitungsausfälle in der Nordsee
pro Fall nur noch maximal 17,5 Millionen Euro selbst tragen. Bisher
waren bis zu 100 Millionen Euro vorgesehen. Als jährliche Obergrenze für
alle Schadensfälle gilt für Tennet jetzt ein Höchstbetrag von insgesamt
110 Millionen Euro, den das Unternehmen tragen müsste.
Wegen der Komplexität der Technik und der schon absehbaren
Entschädigungen für aktuelle Probleme beim Anschluss drohen daher höhere
Kosten für die Bürger. Bisher sollen es knapp zehn Euro pro Jahr und
Haushalt sein – so soll durch mehr Planungssicherheit der teure
Netzanschluss beschleunigt werden.
Gerade im Norden zeigen sich auf See wie auch an Land die Probleme
bei diesem Teil der Energiewende. „Die neuen Zahlen zeigen, wie dringend
ein zügiger Netzausbau ist“, betont ein Sprecher des
Windenergieverbands. In ihrer Not hat die Branche schon angeboten,
selbst Leitungen an Land zu verlegen.
Und was meint die Politik zu dem Dilemma? Es gibt zwei Denkschulen:
Altmaier will den Windausbau drosseln, den Zubau zwischen den Ländern
besser koordinieren und ans Tempo des Netzausbaus anpassen. Dies steht
auch im Fokus der angestrebten Reform des Erneuerbare
-Energien
-Gesetzes. Den Gegenpol bilden Leute wie der Kieler Umweltminister Robert Habeck (Grüne): Er will Fakten schaffen. Schleswig
-Holstein
möchte die Windenergieleistung bis 2020 auf 9000 Megawatt
verdreifachen. Ein hohes Tempo soll den Druck für einen schnelleren
Netzausbau hochhalten und die Energiewende zementieren.
Georg Ismar
Kommentar von Seite 2:
Teure Konzeptlosigkeit
Der Wildwuchs bei der Energiewende wird zum unkalkulierbaren finanziellen Risiko für Stromverbraucher
Bernd Ahlert
Es herrscht pures Chaos. Die Energiewende in Deutschland droht völlig
aus dem Ruder zu laufen. Es grenzt an unlauteres Geschäftsgebaren, was
die Bundesregierung bei der Organisation der Energiewende an den Tag
legt. Völlig wahllos werden Millionen privater Solaranlagen auf Dächer
geschraubt und der produzierte Strom zur Freude der Eigentümer zu einem
hoch subventionierten Preis abgenommen. Da wird Strom von
Windkraftanlagen produziert und sogar bezahlt, kann aufgrund mangelnder
Netzkapazitäten aber gar nicht abgenommen werden. Betriebe sollen sogar
Geld erhalten, wenn sie bei Engpässen kurzfristig weniger Strom
verbrauchen. Zugleich stockt der dringend benötigte Ausbau des
Stromnetzes und der Bau von Offshore-Windparks
verzögert sich. Bei all dem Wildwuchs gibt es nur eine politisch
gewollte Konstante: Egal ob Strom produziert wird oder nicht, ob er
abgenommen wird oder nicht – teuer bezahlt wird das von den Stromkunden.
Vorläufiger Höhepunkt des Wahnsinns ist ein Gesetzentwurf, der
milliardenschwere Entschädigungszahlungen auf die Stromkunden abwälzt.
Das Geld sollen Investoren bekommen, wenn ihre Offshore-Windräder
nicht an das Stromnetz angeschlossen werden können. Das ist so, als
wenn der Käufer eines Neuwagens sein Auto nicht erhält, weil der
Spediteur nicht in der Lage ist zu liefern – und die
Schadenersatzforderungen des Herstellers an den Spediteur müssen vom
Käufer bezahlt werden.
Nein, bei der von der Bundesregierung eingeläuteten Energiewende
fehlt es schlicht an einem Konzept. Ein nationaler Entwicklungsplan zum
Ausbau regenerativer Energien und des Stromnetzes, der Planungs- und
Investitionssicherheit gewährleisten könnte, existiert überhaupt nicht.
Auch ein verbindlicher Zeitplan fehlt. Stattdessen wird bei der
Energiewende vor sich her gewurstelt und ins Ungefähre geplant. Immer in
der Gewissheit, dass die Konzeptlosigkeit zwar Milliarden verschlingt,
aber die Stromabnehmer das bezahlen müssen. Fragt sich nur, wie lange
die Geschröpften da mitspielen.