Stern-online vom
03.07.2013:
Industrie muss mehr für
CO2-Emissionen zahlen
Eine
zeitweise Verknappung der CO2-Zertifikate soll die Preise im Emissionshandel
erhöhen. Das Vorhaben wurde von Klimakommissarin Connie Hedegaard initiiert und
soll CO2-arme Technologien fördern.
Die
Industrie in Europa soll für Luftverschmutzung nach dem Willen des EU-Parlaments mehr zahlen. Die Abgeordneten stimmten
am Mittwoch in Straßburg für eine zeitweise Verknappung der Zertifikate für den
Ausstoß des Treibhausgases CO2. Dies soll den Preis nach oben treiben und so
den Ausstoß des klimaschädlichen CO2 (Kohlendioxid) verteuern. Die Reform
braucht noch das Ja der EU-Staaten.
Die
Industrie in der EU muss Rechte für die Emission von CO2 vorlegen, die
Unternehmen können damit untereinander handeln. Durch den niedrigen Preis von
derzeit vier Euro pro Tonne Kohlendioxid fehlen Anreize für klimafreundliche
Investitionen. Angepeilt hatte die EU-Kommission einst einen Zielwert von 30
Euro - doch unter anderem die wirtschaftliche Flaute der vergangenen Jahre
drückte Nachfrage und Preis.
Deshalb will
das Parlament nun der EU-Kommission erlauben, 900 Millionen CO2-Zertifikate
zurückzuhalten (das sogenannte "Backloading"). Zum Vergleich: Im
Zeitraum von 2013 bis 2015 bringt die EU-Kommission insgesamt 3,5 Milliarden
dieser Zertifikate auf den Markt. Die vorübergehend zurückgehaltenen CO2-Rechte
sollen noch im laufenden Jahrzehnt freigegeben werden. Die Initiatorin des
Reformvorhabens, Klimakommissarin Connie Hedegaard, war erleichtert. Das
EU-Parlament mache mit seinem Votum deutlich, wie wichtig Investitionen in
CO2-arme Technologien seien, sagte sie.
"Europäischer Emissionshandel vor dem Aus
gerettet"
Der
#link,http://www.stern.de/panorama/matthias-groote-91460365t.html;SPD-Europaabgeordnete
Matthias Groote#, der den Kompromiss zwischen den Fraktionen im Parlament
ausgehandelt hatte, war nach der Abstimmung zufrieden: "Das EU-Parlament
hat den Europäischen Emissionshandel vor dem Aus gerettet", sagte er. Er
appellierte an die Bundesregierung, die Reform voranzutreiben. Deutschland hat
bisher nicht klar Position bezogen, weil Wirtschafts- und Umweltministerium in
der Frage über Kreuz liegen.
Aus dem
Berliner Bundeskabinett kamen entsprechend gegensätzliche Reaktionen. Das
Straßburger Ja zum Backloading sei bedauerlich, teilte das
Wirtschaftsministerium mit. Unweltminister Peter Altmeier (CDU) äußerte sich
hingegen positiv. Er sagte mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen zwischen
Europaparlament und EU-Staaten, nun gebe es "eine gute Grundlage für eine
tragfähige Lösung".
Aus dem
industrienahen Flügel im Europaparlament kam hingegen beißende Kritik an der
"Wendehals-Entscheidung", wie es Herbert Reul von der CDU nannte.
Europa mache sich "lächerlich". Der beschlossene Eingriff werde den
Preis der CO2-Verschmutzungsrechte nur minimal um etwa einen Euro steigern und
sei deshalb "völlig sinnlos". Reul lehnt den Eingriff ab, weil er das
Vertrauen der Industrie in den CO2-Markt untergrabe. Ähnlich äußerte sich der
FDP-Abgeordnete Holger Krahmer.
DIHK sieht Gefahr für die Industrie
In die
gleiche Kerbe schlug der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Backloading verunsichere die Industrie europaweit, die EU-Staaten müssten den
Beschluss korrigieren, forderte der BDI. Der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag (DIHK) warnte davor, dass höhere CO2-Preise die Firmen vor
Investitionen abhalten könnten. Backloading sei "das falsche Signal in
Zeiten massiver Schwäche der europäischen Wirtschaft".
Ganz anders
war hingegen die Resonanz unter Umweltschützern. Greenpeace begrüßte das Votum.
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch,
sprach von einem guten Tag für den Klimaschutz, pochte zugleich aber auf einen
stärkeren Eingriff. "Solange die 900 Millionen Zertifikate nicht vor 2020
ganz dem Markt entzogen werden können, bleibt das Backloading nur heiße
Luft", sagte Bals.
Die Reform
war im April wider Erwarten im Europaparlament vorerst gescheitert, nun
passierte sie doch noch das Straßburger Plenum. Das aktuelle Vorhaben ist nur
ein erster Schritt bei der Reform des Emissionshandels. Bis Jahresende will
EU-Klimakommissarin Hedegaard weitere, langfristige Vorschläge machen.
Umweltorganisationen hoffen auf eine dauerhafte Verknappung der
CO2-Zertifikate.