„Nicht hinter angeblichen Risiken verschanzen“
Vor Schleswig-Holsteins morgiger Bundesrats-Initiative gegen Fracking: Energiewendeminister Robert Habeck stellt sich der Kritik des Kieler Geologie-Professors Andreas Dahmke
Morgen bringt die Landesregierung eine Initiative für ein
gesetzliches Verbot von Fracking mit giftigen Chemikalien in den
Bundesrat ein. Über das Für und Wider der umstrittenen Erdgasgewinnung
aus tiefen Gesteinsschichten diskutiert Energiewendeminister Robert
Habeck (Grüne) mit dem Fracking-Befürworter Andreas Dahmke, Professor für Geologie an der Kieler Universität.
Herr Habeck, einerseits warnen Sie vor Risiken durch Fracking – andererseits verhindern Sie mit ihrer Fracking-kritischen Politik, dass die Forschung die tatsächlichen Risiken näher eingrenzen kann. Ist das nicht ein Widerspruch?
Habeck: Ich sehe Ihren Punkt, aber ich
erkenne darin keinen logischen Widerspruch. Das wäre nur dann der Fall,
wenn man den Standpunkt vertritt, Fracking solle durch Feldversuche
salonfähig werden. Will ich aber nicht. Schon die Stoffe, die für
Fracking eingebracht werden, sind mit Risiken behaftet. Fracking findet
in anderen Ländern ja bereits durchaus Anwendung, teils mit verheerenden
Ergebnissen.
Herr Dahmke, sehen Sie sich in Ihrer Forschung durch die Politik begrenzt?
Dahmke: Eigentlich sagen alle drei
wesentlichen deutschen Gutachten: Wir sollten unter bestimmten
Voraussetzungen Demonstrationsvorhaben machen. Das gilt für ein
Gutachten des Bundesumweltamtes ebenso wie für eines im Auftrag der
nordrhein-westfälischen Landesregierung und ein
weiteres im Auftrag der geologischen Dienste der Bundesländer. Ob die
Risiken nämlich wirklich so groß sind, wie oft behauptet, ist bisher
nicht klar. Wir brauchen Feldversuche nicht nur, um die Risiken
abzuschätzen. Wir brauchen sie auch, um zu schauen, ob in Deutschland
ein lohnendes Potenzial vorhanden ist. Auch das wissen wir überhaupt
nicht. Volkswirtschaftlich ist doch interessant zu wissen: Kann die
Brückentechnologie Erdgas durch Fracking einen nennenswerten
Eigenversorgungsanteil erhalten?
Habeck: Die Grundfrage ist: Gucke ich
mir erst an, was geht, und wiege danach ab? Oder will ich entlang von
politischen Leitlinien eine gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben,
die diesen Weg gar nicht notwendig macht? Letzteres ist meine Antwort,
ersteres ist die von Herrn Dahmke.
Dreht sich die Debatte vielleicht nochmal zu
Gunsten von Fracking, wenn die Strompreise durch die Subventionierung
der Erneuerbaren Energien weiter steigen?
Habeck: Fracking drückt den Preis, das
sieht man in Amerika. Die Prognosen für Deutschland sind aber viel
pessimistischer, zuletzt in einem Gutachten der KfW-Bank
dargestellt. Vor allem aber geht es um eine politische Entscheidung:
Erdgas soll nur als eine möglichst kurze Brücke eingesetzt werden.
Wissenschaftliche Neutralität in Ehren, aber sie darf
Werteentscheidungen nicht ersetzen. Als die Kernenergie begonnen wurde,
war der Mainstream in der Gesellschaft auch total scharf darauf.
Fracking brauchen wir nicht, wenn wir den Ausbau der Erneuerbaren
Energien konsequent fortsetzen.
Dahmke: Dass Technologien besser
rückblickend bewertet werden können, gilt natürlich auch für die
Erneuerbaren. Aber Herr Habeck hat es ja für das Fracking richtig
differenziert: Es gibt eine politische und eine naturwissenschaftlich-technische
Einschätzung. Mein Part ist hier die letztere. Und da kann ich in
Anlehnung an die erwähnten Gutachten nur wiederholen: Die Risiken sind
akzeptabel, um Fracking weiter zu verfolgen. Wenn man gleich sagt,
politisch wollen wir das nicht, muss man ehrlicherweise auch sagen: Wir
glauben, der Weg ist nicht der richtige – und sich nicht hinter gar
nicht greifbar beschriebenen angeblichen Risiken verschanzen.
Habeck: Das Bergrecht sieht bei
Fracking wie bei allen anderen Maßnahmen immer Einzelfallentscheidungen
vor, und die sollen sich nur wirtschaftlich begründen. Das ist das
Problem bei der Verhinderung von Fracking. Wir haben derzeit keine
Möglichkeiten, die Nutzung des Untergrundes politisch zu gestalten.
Deshalb wäre der Schritt, um Wissenschaft und Politik in den Diskurs zu
zwingen, eine gesetzliche Möglichkeit zu einer Raumordnung für den
Untergrund zu schaffen. Da kann man dann Dinge definieren, die man will,
zum Beispiel Geothermie fördern oder das Grundwasser schützen. Und
Dinge, die wir nicht wollen, können wir dann ausschließen, weil sie in
Konkurrenz mit den Zielen stehen. Dahmke:
Das Bergrecht hat in seiner jetzigen Form seine Schuldigkeit getan. Es
passt einfach nicht mehr in die heutige Gesellschaft. Es hat ein
riesiges Problem in der Akzeptanz. Bei der Forderung nach einer
Raumordnung für den Untergrund bin ich vollkommen dabei. Aber wie
gestalten wir die? Sie müsste diskriminierungsfrei sein bei Methoden und
Anwendungen. Ich denke, da unterscheiden wir uns dann. Bevor wir eine
Raumordnung bekommen, müssen wir unseren Untergrund besser kennenlernen
können. Wir haben da ein großes Problem in Schleswig-Holstein. Wir haben wenige tiefe Bohrungen. Und wir schützen derzeit manchmal Bereiche, die wir kaum kennen.
Habeck: Das ist doch folgerichtig. Ich
kann doch nicht sagen: Wir können das Risiko nicht einschätzen, also
gehen wir es mal volle Latte ein.
Dahmke: Aber zu sagen, weil wir es nicht kennen, gehen wir nicht ran, kann es auch nicht sein.
Habeck: Es zu kennen, Daten zu
sammeln, zu erforschen, ist völlig richtig. Aber genauso gehört dazu,
eine unterirdische Raumplanung dann auch politisch zu gestalten. Über
der Erde sagen wir ja auch nicht: Überall wo ihr wollt, könnt ihr jetzt
Kies abbauen oder Windräder hinstellen.
Dahmke: Aber da gibt es doch auch
Kriterien, nach denen man an bestimmten Orten einen Kiesabbau verbietet
und an anderen erlaubt. Dafür müssen wir zu schützende Güter erstmal
kennen, ebenso die Auswirkungen bestimmter Maßnahmen. Um dieses Modell
aufs Fracking zu übertragen: Ob die Injektion von Stützwasser ein so
großes Problem für das Grundwasser wäre, wie teils behauptet, wissen wir
beide nicht. Das hängt auch sehr von den geologischen Eigenschaften des
Untergrundes an einem bestimmten Ort ab.
Habeck (steht auf und geht in Richtung Fenster seines Ministerbüros): Ich komme gleich wieder.
Dahmke: Jetzt habe ich Sie schon vom Tisch vertrieben!
Habeck (kehrt mit einem massiven Gegenstand von der Fensterbank an den Tisch zurück):
Das hier ist eine Probe des Schiefergesteins, das theoretisch im Fokus
steht, gefrackt zu werden. Es geht darum, diesen Gesteinsfels so zu
zertrümmern, dass aus den Poren, die da drin sind, Gas oder Öl austritt.
Und dann kommt da noch der Chemie-Cocktail rein. Da muss ich doch kein Wissenschaftler sein, um sagen zu können: Das will ich nicht.
Dahmke: Aber Herr Habeck, bei der von
Ihnen befürworteten Geothermie pressen Sie wesentlich mehr Wasser in den
Untergrund, verursachen wesentlich größere Klüfte in viel größeren
Gesteinsvolumina. Die Klüfte entstehen auch nicht durch die Chemikalien.
Die Risse werden durch Wasserdruck aufgesprengt. Dann kommt eine
Stützmasse wie Quarzsand hinein, damit die Risse offen bleiben. Die
Chemikalien sorgen nur dafür, dass diese Stützmasse entsprechend
eingebracht werden kann und dass in den Rissen keine Bakterien wachsen.
Wir unterscheiden beim Fracking einerseits in Wasser-Fracking. Das ist die große Sprengung. Das machen wir für Geothermie. Und es gibt Stützmittelfracking, was in Schleswig-Holstein
politisch so schön „neutral“ als „toxisches Fracking“ bezeichnet wird.
Diese Stützmittel werden durch Chemikalien besonders gut ins Gestein
hineingebracht. Aber die Chemie macht keine Risse, sondern sorgt nur
dafür, dass die Risse durchlässig bleiben.
Habeck: Sie sagen ja selbst – so, wie
ich es von anderen Fachleuten erfahren habe – , dass sich die
Geothermietechnik auch ohne Einsatz von Chemikalien praktizieren lässt.
Dahmke: Und beim so genannten
„toxischen Fracking“ sagen alle Gutachten, dass die Hauptgefahr darin
liegt, dass oben auf dem Bohrplatz etwas passieren könnte. Nicht unten.
Habeck: Was ein Argument mehr dagegen ist.
Dahmke: Der Einsatz der Chemikalien
verkauft sich vielleicht gut als politisches Argument gegen Fracking,
aber das ist nicht das Hauptproblem beim Fracking. Das Hauptproblem
besteht in dem Flowback. Sie holen aus den Rissen wieder Wasser hoch,
scheiden das Gas oder das Erdöl ab und müssen dann dieses
Formationswasser wieder verpressen. Das hat einen sehr hohen Salzgehalt
und zum Teil hohe Quecksilbergehalte, hohe natürliche Radioaktivität.
Unterm Strich mögen wir an bestimmten Standorten sogar beide bezüglich
eines Risikos vielleicht zum gleichen Ergebnis kommen. Aber als
Wissenschaftler sage ich, die pauschale Argumentation passt nicht,
sondern muss schon spezifisch für den Standort sein.
Herr Dahmke, ist der Widerstand in Deutschland
inzwischen nicht so groß, dass Fracking ungeachtet offener
Forschungsfragen gar nicht mehr durchzusetzen ist?
Dahmke: Wir können auf alles
verzichten. Nur wir müssen natürlich wissen, um welchen Preis. Es
wundert mich schon, dass das sehr arme Schleswig-Holstein
ein möglicherweise beträchtliches Wertschöpfungspotenzial a priori
ablehnt. Zudem haben wir doch insgesamt das Problem, dass sich Politik
und Wissenschaft sehr parallel und wenig im Kontakt entwickeln. Und
jetzt nimmt man für den Landtagsbeschluss gegen das Fracking einfach
Gutachten, die dies gar nicht hergeben – und macht die einfach so quer,
dass es passt. Wieder einmal wird vom Ziel ,Wir wollen das nicht’ her
argumentiert. Beim Ausbau von Strom- oder Straßentrassenausbau haben
Experten die gleichen Akzeptanzprobleme. Expertenmeinung wird permanent
problematisiert und eigentlich nicht mehr geglaubt.
Habeck: Das mag für Sie ein Problem
sein. Aber das ist doch das Primat gesellschaftlicher Meinungsfindung.
Wir haben Expertenmeinung zur Gentechnik, zur Genomforschung, zur
Atomenergie. Man kann sich doch auch dort nicht auf den Standpunkt
stellen und sagen: Alles, was wissenschaftlich hinreichend dokumentiert
ist, soll auch gemacht werden. Es gibt ethische und politische Gründe,
die Manches in Frage stellen. Und wenn wir zehnmal Babys klonen können,
wir wollen es einfach nicht.
Dahmke: Diese Freiheit ist doch
generell unbestritten. Nur nochmal: Die Gutachten zum Fracking sagen,
wir sollten Demonstrationsobjekte machen.
Was wäre denn das Schlimmste, was beim Fracking passieren kann?
Dahmke: Das ist so ähnlich wie die
Frage, was das Schlimmste ist, wenn ein Flugzeug fliegt. Es kann
abstürzen. Natürlich kann da ein Blowout passieren. Das höchste Risiko
ist, dass bei der Einrichtung eines Bohrplatzes irgendwelche Chemikalien
auslaufen, so ähnlich wie wenn eine Tankstelle leckt. Wir müssen
irgendwann auch mal zur Kenntnis nehmen, dass wir unser Leben nicht nach
Worst Case-Szenarien ausrichten können, sondern
nach Wahrscheinlichkeiten. Wir können auch nicht ausschließen, dass
Windkraftanlagen bei einem Jahrhundertsturm niedergemäht werden.
Trotzdem stellen wir sie auf.
Nach einem Bericht der „Zeit“ sollen sich
mittels Fracking in Deutschland allenfalls 13 bis 19 Jahre
Erdgasvorkommen ausbeuten lassen. Warum sich überhaupt so abkämpfen für
einen derart kurzen Zeitraum?
Dahmke: Wir haben keine gesicherten
Erkenntnisse über Mengen und damit auch nicht über Zeiträume. Ich bitte
nur zu gucken, welches Potenzial wir haben. Mir wäre es lieber, wenn wir
auch etwas auf Eigenversorgung zurückgreifen könnten, um für
internationale politische Konstellationen gewappnet zu sein, die nicht
immer so sein müssen wie jetzt.
Habeck: Warum sollten wir eine Technik salonfähig machen wollen, die uns hilft, auch noch das unkonventionelle CO2
aus dem Boden herauszuholen? Dazu muss ich gar nicht vorher eine
neutrale Debatte führen. Ich fahre doch auch nicht in Gebiete in den
Urlaub, wo ich gar nicht hinwill. Ich überlege doch erst, was ich machen
will und dann wo ich hin fahre.
Dahmke: Unsere Hauptprimärenergieversorgung wird in Zukunft Erdgas sein.
Habeck: Wo kommt diese Analyse denn
her? Die Bundesregierung sagt parallel zu dem, was die EU vorgibt – das
ist nicht grüner Parteisprech –, dass wir die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent senken wollen.
Dahmke: Gucken Sie sich die Haupt-Primärenergieträger
an. Das Öl geht zurück, schon aus Kostengründen. Wenn ich
Dekarbonisierung richtig verstanden habe, heißt das doch, dass wir erst
aus der Kohle gehen, dann aus dem Erdöl und dann aus dem Erdgas. Für
Mobilität und zum Teil auch für Wärme werden wir aber lange beim Erdgas
bleiben.
Herr Dahmke, Sie haben öffentlich gefordert, Bürger-Initiativen an der Fracking-Forschung zu beteiligen. Wie soll das funktionieren?
Dahmke: Wenn Bürgerinitiativen Fragen
und Probleme haben, darf man sie nicht marginalisieren. Dadurch bauen
sich die Fronten nur noch weiter auf. Deshalb fände ich es sinnvoll,
wenn Forschungsförderer x Prozent der Forschungsmittel ganz bewusst den
Kritikern für eigene Untersuchungen zur Verfügung stellen. Im Moment ist
es häufig so, dass die Forscher hier und die Bürger dort sind. Wir
haben kaum Möglichkeiten, in einen vernünftigen Dialog zu kommen. Das
gilt aber nicht nur für Fracking, das gilt bis zum Trassenbau hin.
Habeck: Dort nehmen die
Bürgerinitiativen sehr stark nicht zur Kenntnis, was die Wissenschaft
ihnen vorgibt. Die Hoffnung, die Gleichstrom-Erdkabeltechnik
einzusetzen, ist fachlich ein paar Mal widerlegt worden, und trotzdem
hört man immer wieder, das sei doch die Lösung aller Probleme.
Interview: Frank Jung & Kay Müller