Claudia
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Erstellt: 21.04.15, 23:21 Betreff: Noch hundert Jahre Atommüll im Land. WZ vom 21.04.2015
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Noch hundert Jahre Atommüll im Land Umweltminister Habeck warnt vor Problemen mit ewigen Zwischenlagern – und schließt nicht mal ein Endlager in Schleswig-Holstein aus Kiel/Berlin
Schleswig-Holstein ohne Atommüll – das wird womöglich kein heute lebender Bürger des Landes mehr erleben. Denn wie aus einem Papier der Bund-Länder-Kommission zur Suche eines nuklearen Endlagers in Deutschland hervorgeht, werden die letzten Castor-Behälter mit hochradioaktivem Müll „zwischen 2075 und 2130“ in das noch zu findende Endlager gebracht – also unter Umständen erst in mehr als hundert Jahren. Solange droht der Müll der drei schleswig-holsteinischen Reaktoren in Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel in deren Zwischenlagern direkt am Meiler zu bleiben. Mehr noch: Der grüne Kieler Umweltminister Robert Habeck schließt nicht mal aus, dass auch das gesuchte bundesweite Endlager im nördlichsten Bundesland entstehen könnte. Habeck ist Mitglied der Suchkommission.
Dass der Atommüll noch bis zu 115 Jahre in Zwischenlagern deponiert werden muss, kommt für Habeck „nicht überraschend“, wie er gestern unserer Zeitung sagte: „Das Endlager soll 2050 betriebsbereit sein – aber die Einlagerung wird Jahrzehnte dauern.“ Umso wichtiger sei es, bei der Suche keine Zeit zu verlieren, fordert der Grüne: „Ich finde es falsch, wenn sowohl Teile der Atomindustrie als auch Teile der Bürgerinitiativen noch mehr Zeit fordern.“ Während die Energiekonzerne hoffen, dass mit längerer Dauer des Verfahrens der von ihnen favorisierte und ursprünglich mal als Endlager ausgewählte Salzstock im niedersächsischen Gorleben wieder ins Spiel kommt, halten die Gorleben-Kritiker genau das Gegenteil für wahrscheinlich und bremsen deshalb ebenfalls.
Derzeit stehen in Brokdorf 26 Castoren mit hochradioaktivem Müll, in Krümmel 19 und in Brunsbüttel 9 – also insgesamt 54. Bis Brokdorf in gut sechs Jahren wegen des Atomausstiegs als letzter Meiler im Land vom Netz geht, werden weitere 87 Castoren in den drei Zwischenlagern hinzukommen, die auch dann dort bleiben, wenn die Atomkraftwerke längst abgerissen sind. Habeck fürchtet daher große Probleme: „Am Ende haben wir für viele Jahrzehnte Zwischenlager auf der grünen Wiese – aber nach Abwicklung der Atomindustrie kaum noch Personal, das offene Castoren noch gesehen hat und genug über den Umgang mit hochradioaktiven Abfällen weiß.“
Zudem fragt der grüne Minister sich, wie die oberirdischen Atomlager dann dauerhaft gegen Gefahren wie Sabotage, Terroranschläge oder Flugzeugabstürze gesichert werden könnten. „Sollen wir die von der Wach- und Schließgesellschaft bewachen lassen?!“ Habeck verlangte vom Bund und der Atomwirtschaft ein bundesweites Konzept: „Wir müssen die offenen Fragen beantworten und möglicherweise auch über zentrale Zwischenlager nachdenken.“
Nicht zuletzt die Kosten für die Entsorgung des Atommülls steigen durch den langen Zeitraum der Zwischenlagerung zu. Kommissionschef Michael Müller von der SPD sagte der „Frankfurter Rundschau“, dass für den Rückbau der Meiler und die Entsorgung des Mülls „50 bis 70 Milliarden Euro“ fällig würden. Dagegen haben die Stromkonzerne dafür bisher nur Rückstellungen von 36 Milliarden Euro gebildet. Gebaut werden könnte das atomare Endlager letztlich sogar in Schleswig-Holstein. Zwar ist das nicht sehr wahrscheinlich: In der bisher letzten veröffentlichten Karte der Bundesanstalt für Geowissenschaften aus 2007 sind als geeignete Regionen nur Gebiete in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg verzeichnet. Doch auch in Schleswig-Holstein gebe es die prinzipiell geeigneten Salz- und Tonsteinschichten, sagte Habeck und gab zu bedenken, dass die Kriterien für das Endlager jetzt neu festgelegt würden. „Die Kommission geht von einer weißen Landkarte aus“, sagte Habeck. „Alle Länder müssen deshalb damit rechnen, in die Auswahl zu kommen.“ Von der Bundesregierung forderte die Kommission gestern, „unverzüglich eine Regelung zu erarbeiten“, die mögliche Standortregionen vorläufig vor Eingriffen durch Bergbau oder Fracking schützt. Henning Baethge
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