Schwäbisches Tagblatt - 15.06.2008
Devise: Brunsbüttel flach halten
Manchen Grünen wäre es lieb, man würde gar nicht darüber reden, andere wollen es aber wissen
Mit dem Grünen-Landesvorstand hat Boris Palmer sich darauf verständigt, das Kohlekraftwerk in Brunsbüttel aus der Diskussion zu nehmen. Die Tübinger Kritiker des Projekts erreicht er damit nicht.
Tübingen. Wenn der Landesausschuss der Grünen („Kleiner Parteitag“) am heutigen Samstag in Filderstadt tagt, soll die Beteiligung der Tübinger Stadtwerke an einem neuen Kohlekraftwerk in Brunsbüttel kein Streit-Thema sein. In einem Brief an den Landesvorstand bekräftigte der grüne Tübinger Oberbürgermeister – wie gestern in unserer überregionalen „Südwestumschau“ berichtet –, dass er „voll und ganz“ hinter dem grünen Parteiprogramm und dem „möglichst raschen“ Abschied von fossilen Energiequellen stehe. Die Brunsbüttel-Beteiligung sei durch Umstände zustande gekommen, die er „nicht zu verantworten“ habe; ein Ausstieg sei wegen der hohen Kosten nun nicht mehr möglich.
Dass der Streit um Brunsbüttel damit beigelegt sei, glaubt bei den Tübinger Grünen allerdings niemand. Dem Landesausschuss werden Resolutionen gegen neue Kohlekraftwerke in Mannheim und Karlsruhe vorliegen. „Es ist nicht auszuschließen, dass in dem Zusammenhang auch Brunsbüttel angesprochen wird“, sagt die Tübinger Landtagsabgeordnete Ilka Neuenhaus, selbst eine Gegnerin dieses Kraftwerks.
Ein Arrangement, keine Einigung
Neuenhaus fordert mit einem Teil der grünen Tübinger Gemeinderatsfraktion, dass die Kosten des Ausstiegs von den Stadtwerken konkret vorgerechnet werden. Beim Aufsichtsrat der Stadtwerke, dem Palmer als OB vorsitzt, vermisst sie diese Transparenz. Auch könne das Wirtschaftlichkeits-Argument allein nicht ausreichen: „Das benutzen andere Politiker, nicht die Grünen.“
„Einig geworden ist man sich nicht“, sagt der grüne Tübinger Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann, ebenfalls ein Kritiker des Kohlekraftwerks. Mit dem „Arrangement“ wolle der Landesvorstand aber vermeiden, dass der Streit offen ausgetragen wird.
Auch im grünen Kreisverband, der das Brunsbüttel-Projekt ablehnt, werde dieser Konsens beachtet. „An der Basis rumort und gärt es weiter, aber es gibt eine Beißhemmung gegen Palmer“, sagt Hermann.
Denn auf beiden Seiten sei Glaubwürdigkeit in Gefahr. Wenn die Partei einerseits eine Kampagne gegen Kohlekraftwerke beginne und Palmer die Tübinger Beteiligung an Brunsbüttel öffentlich verteidige, „ist er Kronzeuge der politischen Gegner“.
Palmer wird in seiner Partei übelgenommen, dass er in einem Artikel in der „Zeit“ vom 21. Mai das Brunsbüttel-Engagement der Stadtwerke offensiv rechtfertigte. Offenbar hat die grüne Parteispitze danach auf ihn eingewirkt, sich bei diesem Thema mit Äußerungen zurückzuhalten.
Die Tübinger grün-alternative Gemeinderatsfraktion ist über Brunsbüttel gespalten. Man habe mit Palmer differenziert darüber diskutiert, sagt der Fraktionsvorsitzende Roland de Beau clair, der Palmers Position nachvollziehen kann, „auch wenn es nicht hundertprozentig grüne Politik ist“. Wenn sie zehn Prozent ihres Stroms aus der Kohle bezögen, könnten die Tübinger Stadtwerke immer noch 90 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen, meint de Beauclair. Die inner-grünen Differenzen sieht er gelassen: „Man muss nicht immer einer Meinung sein.“
Das findet auch seine Fraktionskollegin Sabine Koch, die jedoch zu den Brunsbüttel-Gegnern gehört. „Ich halte es für einen großen Fehler“, sagt die Geo-Ökologin, die im Arbeitskreis Energie engagiert ist. Sie wirft den Stadtwerken vor, dass sie zu wenig Anstrengungen unternähmen, um Alternativen zu fossilen Energieträgern auszubauen. Koch ist auch überzeugt, dass der Kohle-Preis in der Zukunft steigen, Kohle-Strom also teurer werden wird als heute veranschlagt.
Zur Energiewende passt es nicht
Zum jetzigen Zeitpunkt sei ein Ausstieg noch möglich, die Stadtwerke hätten bis jetzt 175 000 Euro für sieben bestellte Megawatt investiert. „Es gibt immer die Möglichkeit, diese Anteile zu verkaufen, vielleicht macht man dabei gar nicht so viel Miese“, meint Koch.
Für sie jedenfalls wird Palmer mit dem Festhalten an Brunsbüttel unglaubwürdig. Er verteidige die Unabhängigkeit der kleinen Stadtwerke, die aber hier das Spiel der großen Stromkonzerne mitspielten. „Den wenigsten ist bewusst, dass so ein Kohlekraftwerk 50 Jahre läuft. Wenn man die Energiewende will, kann man da nicht mitmachen.“