ePaper - 16. Juni 2011
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Netzausbau: Die unendliche Geschichte
Seit 20 Jahren stockt der Bau einer Hochspannungsleitung von Schleswig-Holstein nach Schwerin – das stößt jetzt auch beim Bund auf Kritik
KIEL/BERLIN

Philipp Rösler zeigte sich besorgt über das Schneckentempo in Norddeutschland. „Es gibt eine große Stromtrasse zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, die seit 20 Jahren zur Fertigstellung ansteht – doch sie ist wegen unterschiedlicher Regelwerke in beiden Ländern bis heute nicht gebaut“, kritisierte der Bundeswirtschaftsminister und FDP-Chef kürzlich vor der versammelten Hauptstadtpresse. Daher sei es nötig, dass der Bund künftig die Zuständigkeit für die Netzausbauplanung übernehme. Denn mit der Energiewende soll der Bau neuer Leitungen zum Transport von Strom aus erneuerbaren Quellen höchstens noch vier Jahre dauern.

Röslers Kritik trifft vor allem Schleswig-Holsteins Landesregierung. Denn während die vom Minister angesprochene 380-Kilovolt-Leitung von Krümmel nach Schwerin auf mecklenburgischer Seite seit einem Jahr endlich fertig ist, verzögert sich der 19 Kilometer lange Lückenschluss von Elmenhorst im Kreis Herzogtum Lauenburg bis zur schleswig-holsteinischen Landesgrenze ständig weiter. Noch immer steht kein einziger Mast an der Trasse parallel zur A 24 – und daran wird sich auch dieses Jahr nichts ändern.

Dass sich der Bau der ersten Höchstspannungsleitung zwischen den beiden Nachbarländern schon zwei Jahrzehnte hinzieht, hat mehrere Ursachen. Zunächst entstand erheblicher Verzug, weil die nach der deutschen Einheit vom damaligen Netzbetreiber Veag geplante Trasse von Hamburg über Lübeck nach Schwerin aus Naturschutzgründen nicht durchsetzbar war. Veag begrub die Pläne; vor neun Jahren übernahm Vattenfall und später die Firma „50 Hertz Transmission“ das Stromnetz im Osten. 2003 stellte Vattenfall neue Pläne für eine Leitung von Krümmel nach Schwerin vor. „Windsammelschiene“ heißt die Trasse inzwischen, weil sie den Strom von Windrädern an der Ostsee aufnehmen und weiterleiten soll. Der lyrische Name änderte aber nichts an den profanen Problemen, die 50 Hertz seither begleiten.

Dabei geht es nicht um Ärger mit protestierenden Bürgern, sondern mit dem Kieler Wirtschaftsministerium und dessen zuständigem Landesbetrieb Straßenbau. „Schleswig-Holstein ist das mit Abstand langsamste Bundesland, mit dem wir zusammenarbeiten“, klagt 50-Hertz-Projekleiterin Yvonne Saßnick. Der Landesbetrieb Straßenbau habe erkennbar zu wenig Erfahrung mit der Planung von Stromleitungen: „Die Bearbeitungszeiten sind lang, die Prüfvermerke unklar.“ Mecklenburg-Vorpommern dagegen sei viel schneller. Deshalb habe auch eine nachteilige Änderung im Bundesnaturschutzgesetz in 2010 dort keine Rolle gespielt: „Da waren wir in Mecklenburg-Vorpommern längst mit der Planfeststellung durch.“

In Schleswig-Holstein aber noch nicht – und deshalb fingen die Probleme hier jetzt richtig an. Denn mit der Gesetzesnovelle änderten sich die Vorschriften für Ausgleichsmaßnahmen beim Leitungsbau. Bis dahin musste ein Netzbetreiber für jeden gefällten Baum an anderer Stelle der Region einen neuen pflanzen oder oft auch drei. Gab es keine geeigneten Flächen, wurden Entschädigungszahlungen fällig. Die neuen Gesetze dehnten nun das für den Ausgleich in Frage kommende Gebiet enorm aus – mit der Folge, dass 50 Hertz plötzlich ein zweites Mal und diesmal bis an die dänische Grenze nach Aufforstungsflächen suchen musste, statt sich zum Teil freikaufen zu können. „Das hat Zeit gekostet“, sagt Saßnick.

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) will die Kritik an seiner Behörde allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Dass die Planung langsamer als in Mecklenburg-Vorpommern gehe, liege am Netzbetreiber, der die erforderlichen Akten zu spät vorgelegt habe: „50 Hertz hat erst Anfang 2010 Unterlagen eingereicht, die Ersatzaufforstungen und eine Ausgleichszahlung vorsahen.“ Da habe man aber das geänderte Naturschutzrecht schon berücksichtigen müssen. Und einen auf die neue Rechtslage zugeschnittenen Antrag habe 50 Hertz erstmals im März dieses Jahres präsentiert. „Der wird gerade geprüft“, erklärt der Minister. Spätestens Anfang 2012 erwarte er, grünes Licht geben zu können. Ende 2012 könnte die Leitung dann nach Einschätzung von 50 Hertz stehen. De Jager sagt, er unterstütze das Projekt „uneingeschränkt“ – was schon deshalb plausibel erscheint, weil die „Windsammelschiene“ auch schleswig-holsteinischen Windstrom nach Osten befördern könnte.
Henning Baethge
 
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