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"Neue Industrielle Revolution gefordert", Telepolis - 15.10.2008

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Arne

Beiträge: 539

BI Teilnehmernummer: 98

New PostErstellt: 15.10.08, 11:53  Betreff: "Neue Industrielle Revolution gefordert", Telepolis - 15.10.2008  drucken  weiterempfehlen

Neue Industrielle Revolution gefordert

Wolfgang Pomrehn 15.10.2008

Die Energie- und Klimawochenschau: Während einst straßenkampferprobte Grüne inzwischen der Hamburger CDU aus der Hand fressen, wird der Ton einst zurückhaltender Wissenschaftler immer drängender. Klimaschutz darf nicht länger aufgeschoben werden

Der Streit um das von Vattenfall geplante Kohlekraftwerk geht weiter. Vor zwei Wochen hatte die grüne Umweltsenatorin der Hansestadt, Anja Hajduk, zähneknirschend ihre Genehmigung zum Bau zweier Kraftwerksblöcke im Stadtteil Moorburg gegeben. Ebenso grummelnd hatte die grüne Basis letzte Woche die Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition beschlossen, obwohl man im Frühjahr noch die Verhinderung des Kraftwerks zum wichtigsten Wahlkampfziel gemacht hatte. Zu bequem scheinen die hanseatischen Regierungssessel zu sein, als dass man sich über Klimawandel und derlei Dinge des grauen Alltags beunruhigende Gedanken machen möchte.

   
Das geplante Kraftwerk Hamburg-Moorburg. Bild: Vattenfall

Doch noch ist das Spiel nicht aus. Vattenfall hat angekündigt, gegen die Genehmigung gerichtlich vorzugehen. Konzern-Sprecher Rainer Schubach sieht politische Schikanen, die einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlage unmöglich machen sollen.

Schubach verweist darauf, dass sein Unternehmen im November 2007 von den Hamburger Behörden eine Vorabgenehmigung bekommen hatte, die einen vorzeitigen Baubeginn ermöglichte. CDU-Bürgermeister Ole von Beust hatte damit vor der Bürgerschaftswahl vollendete Tatsachen schaffen wollen. Nun argumentiert Vattenfall, dass "den in diesem Zusammenhang mit der Stadt vertraglich getroffenen Vereinbarungen ... durch die Bestimmungen der Genehmigungsbescheide die Basis entzogen (zu sein scheint)".

Der Konzern will in den nächsten Jahren zwei Milliarden Euro in das neue Kraftwerk investieren, das eine elektrische Brutto-Leistung von 1640 Megawatt (MW) haben wird. Geplant ist außerdem, 450 MW Wärmeleistung in das Fernwärmenetz einzuspeisen. Im Umkehrschluss heißt das, dass der größere Teil der Abwärme, die bei einem elektrischen Wirkungsgrad von maximal 46 Prozent (brutto) knapp 2000 MW ausmachen dürfte, ungenutzt an die Umwelt abgegeben wird.

Legt man die Werte für ein gleichgroß geplantes Kraftwerk in der Nähe von Greifswald zugrunde (Kohlekraftwerk im Touristenparadies), dann sind von Vattenfalls Anlage beachtliche Emissionen zu erwarten: Bei 7500 Volllaststunden entstünden je 6.420 Tonnen Stickoxide, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid, 642 Tonnen Feinstäube, 4,815 Tonnen Blei, 1,123 Tonnen Cadmium, 0,963 Tonnen Quecksilber und 0,802 Tonnen Arsen. Last but not least würden zehn bis elf Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen. Wahrscheinlich würde das Mega-Kraftwerk aber nur 6.000 oder weniger Stunden jährlich im Betrieb sein, sodass die Emissionen etwas niedriger, aber immer noch hoch genug ausfielen.

Etwas elbabwärts von Moorburg, in der niedersächsischen Stadt Stade vor den Toren Hamburgs, sind gleich drei neue Kohlekraftwerke geplant (800, 1000 und 1100 MW, jährliche CO2-Emissionen rund 16 Millionen Tonnen). Auf der anderen Elbseite in Brunsbüttel sind ebenfalls drei Kraftwerke geplant (800, 800 und 1600 MW, rund 18 Millionen Tonnen jährliche CO2-Emissionen). Das 1600-MW-Kraftwerk dort steht jedoch auf der Kippe, nach dem sich das spanische Unternehmen Iberdrola kürzlich wegen erwarteter hoher Kohle- und CO2-Preise zurückgezogen hat. Grafik: Bürgerinitiative für eine Umweltverträgliche Industrie Stade

"Zögern unverantwortlich"

Vielleicht sollte sich Vattenfall-Chef Göran Josefsson mal mit seinem Kollegen Hans Joachim Schellnhuber unterhalten. Die beiden eint nämlich, dass sie Klimaberater der Kanzlerin sind. Ansonsten scheint der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung keinen Austausch mit Josefsson zu pflegen - oder dieser stellt seine Ohren beständig auf Durchzug.

Von den neuesten Erkenntnissen der Klimaforschung, die Schellnhuber letzte Woche in Berlin auf einer Pressekonferenz des Bundesumweltministers vorstellte, scheint man jedenfalls in der Konzernzentrale noch nichts gehört zu haben. Oder betreibt man die Kohlepolitik etwa wider besseren Wissens?

Schellnhuber berichtete von der Stuide zweier US-amerikanischer Forscher, die ein Gedankenexperiment angestellt hatten. Veerabhadran Ramanathan und Yan Feng gingen von der seit langem bekannten Tatsache aus, dass erstens das Klimasystem aufgrund der Trägheit der tiefen Ozeane verzögert auf die steigenden Treibhausgaskonzentrationen reagiert und zweitens Aerosole, das heißt, feine Partikel, die von Kraftwerken, Feuerstellen und Verbrennungsmotoren emittiert werden, kühlend auf das Klima wirken. Die Autoren haben nun überlegt, was passiert, wenn die vor allem in Asien dringend nötige Abgasreinigung durchgesetzt würde. Das Ergebnis ist alarmierend: Fiele der kühlende Effekt der Luftverschmutzung vollständig weg, würde sich die Erde um 2,4 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau oder gut 1,6 Grad gegenüber heute erwärmen.

Damit würde das globale Klima in einen Bereich gelangen, den viele Wissenschaftler als gefährlich einschätzen. Oberhalb von plus zwei Grad Celsius (1,2 Grad mehr als derzeit) wird es immer wahrscheinlicher, dass verschiedene positive Rückkoppelungsmechanismen angestoßen werden. Großflächiges Auftauen des arktischen Permafrosts könnte zum Beispiel größere Mengen des Treibhausgases Methan (CH4) freisetzen. Ebenso könnte der östliche Teil des Amazonasurwaldes vertrocknen, wodurch große Mengen CO2 in die Atmosphäre gelangen würden. Beides würde zu einer weiteren Erwärmung führen.

Die Schlussfolgerung der Autoren ist, dass, um einen noch dramatischeren Anstieg der globalen Temperatur zu vermeiden, unbedingt Maßnahmen zur Luftreinhaltung mit solchen zur Vermeidung von Treibhausgasen einher gehen müssen. Außerdem sollten zuerst Maßnahmen zur Rußbekämpfung ergriffen werden, denn dieser leiste durch Ablagerungen auf Schneeflächen und Gletschern einen Beitrag zur Erwärmung und sei zugleich eines der gesundheitsschädlichsten Bestandteile der Abgase.

Schellnhuber unterstützt in einem eigenen Artikel den "Weckruf" der beiden Kollegen, stimmt aber wesentlichen Annahmen nicht zu, die dem Gedankenexperiment zugrunde lagen. Eine derart drastische Reduktion der Aerosolemissionen, wie von den Autoren angenommen, sei in den nächsten Jahrzehnten unrealistisch. Außerdem würde die atmosphärische CO2-Konzentration, wenn die Emissionen weit genug heruntergefahren werden, auch wieder absinken. Der Ozean würde der Atmosphäre weiter das Treibhausgas entziehen.

Der Potsdamer geht daher davon aus, dass das Reißen der Zwei-Grad-Latte noch vermieden werden kann. Notwendig sei allerdings eine "ambitionierte" Klimaschutzpolitik. Das Maximum der globalen Emissionen müsse bereits zwischen 2015 und 2020 erreicht werden. Danach müssten die Emissionen rasch abnehmen, um 2100 bei Null (CO2-Neutralität) zu landen. Möglich sei das nur, wenn die industrielle Revolution jetzt beginne. Ein Zögern sei unverantwortlich.

Ende der Sondermüllverbrennung?

Kohle-Politik ist ein wichtiger Aspekt des Klimaschutzes, aber nur einer unter mehreren. Ramanathan und Feng geben die Anteile am von Menschen verursachten Treibhauseffekt wie folgt an: Kohle 18 Prozent, Öl 17, Gas 9, Zement und Änderung der Landnutzung 11 und andere Treibhausgase 45 Prozent. In Deutschland überwiegt jedoch das CO2, also Kohle, Öl, Gas und Zementproduktion, mit etwa 85 Prozent, wobei allein auf das Konto der Kohle etwa 30 Prozent aller deutschen Treibhausgasemissionen gehen.

Ein anderes, weniger beachtetes Problem ist das der internationalen Schifffahrt. Deren Emissionen sind bisher von den Klimaschutzverträgen ausgenommen, aber immerhin hat man sich jüngst in London auf strengere Standards für die Abgase der Schiffsdiesel geeinigt. Das Schiff hat zwar von allen modernen Transportmitteln mit Abstand das beste Verhältnis zwischen Leistung und Emissionen. Wegen der starken Expansion des Welthandels ist aber inzwischen sein Anteil an den Treibhausgasemissionen nicht mehr zu vernachlässigen.

Im Jahre 2000 haben Schiffe in aller Welt 812 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen, immerhin fast so viel wie die deutschen CO2-Emissionen. Seither dürfte der Beitrag zum Treibhauseffekt weiter gestiegen sein. In der EU, die immerhin fast die Hälfte der internationalen Handelsflotte kontrolliert, hat der CO2-Ausstoß des Schiffsverkehrs von 1990 bis 2004 immerhin um 45 Prozent zugenommen. Nach Angaben der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) wurden 2007 bereits rund 843 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen, was bereits 2,7 Prozent der globalen Emissionen waren.

Hinzu kommen noch jede Menge andere schädliche Substanzen wie Schwefeldioxid (SO2) und Stickoxide. Schiffstreibstoff hat manchmal einen derartig hohen Schwefelanteil, dass man ihn auch als Sondermüll bezeichnen könnte. Für die Raffinerien ist der Schiffsverkehr eine gute Gelegenheit, ihre sonst nicht verwertbaren Rückstände los zu werden. Da ein erheblicher Teil des Schiffsverkehrs entlang der Küsten führt, sind diese Emissionen nicht nur ein allgemeines Umwelt-, sondern für viele Menschen auch ein ganz konkretes Gesundheitsproblem.

Immerhin haben sich in London nun die Delegierten der IMO auf strengere Standards geeinigt. Von 2010 an darf der Treibstoff nur noch ein Prozent Schwefel enthalten, ab 2015 0,1 Prozent. Die strengen Grenzwerte gelten jedoch nur für einige Küstenregionen und Binnenmeere. Für die hohe See gelten laxere Werte, die aber ebenfalls verschärft wurden, wie die Nachrichtenagentur ENS berichtet. Strengere Standards wurden außerdem für Stickoxide verabredet.

In Sachen CO2-Emissionen wurden jedoch keine Beschlüsse gefasst, außer dass man sich einigte, weiter zu diskutieren. Im Lichte der Arbeit von Ramanathan und Feng (siehe oben) ist das besonders bedenklich. Die aus den SO2-Emissionen entstehenden Sulfate haben einen Anteil von etwa 70 Prozent am kühlenden Effekt der Aerosole. Wenn man also SO2 verringert, ohne gleichzeitig auch die CO2-Emissionen zurückzufahren, dann kommt unterm Strich eine Verstärkung des Treibhauseffektes heraus.

MS "Wilson Grip" mit SkySails-Antrieb. Der Drachen kann eine maximale Zugkraft von acht Tonnen entwickeln, schreibt der Hersteller. Das Schiff brauche, um auf seine Fahrgeschwindigkeit von elf Knoten zu kommen brauche die "Wilson Grip" ca. elf Tonnen Schub. Bild: SkySails

Möglichkeiten zur CO2-Minderung wäre der Einsatz von Zugdrachen, anderen Windantrieben oder Fotovoltaik, wie sie die japanische Reederei Nippon Yuson einsetzen will. Zunächst soll ein Schiff mit Solarzellen ausgestattet werden, die bei Nippon Oil entwickelt wurden und zusammen eine Leistung von 40 Kilowatt haben. Das Unternehmen erhofft sich eine Treibstoffersparnis von ein bis zwei Prozent. Bei SkySails will man unterdessen im nächsten Jahr mit der Serienproduktion beginnen und ist bereits bis zum Jahresende ausgebucht.





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