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"Scheer und Ypsilanti rebellieren gegen SPD-Kohlepolitik" - 26.10.2009

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Arne

Beiträge: 539

BI Teilnehmernummer: 98

New PostErstellt: 05.11.09, 19:50  Betreff: "Scheer und Ypsilanti rebellieren gegen SPD-Kohlepolitik" - 26.10.2009  drucken  weiterempfehlen

Scheer und Ypsilanti rebellieren gegen SPD-Kohlepolitik

+ 26.10.2009 + Nach Andrea Ypsilanti hat auch Energieexperte Scheer bekannt gegeben, nicht wieder für den SPD-Vorstand zu kandidieren. In einem Brief an die Parteispitze begründet Scheer seinen Schritt mit der Umweltpolitik - und attackiert den designierten Vorsitzenden Gabriel.

Die SPD-Bundesvorstandsmitglieder Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer, zwei engagierte Verfechter einer solaren Energiewende, haben ihrem Parteivorstand mitgeteilt, dass sie auf dem Dresdener Parteitag im November nicht mehr für den Vorstand kandidieren werden. In einem Brief an die SPD-Spitze begründet Scheer seinen Schritt mit der Umwelt- und Energiepolitik seiner Partei und greift Sigmar Gabriel als designierten SPD-Chef heftig an, kritisiert aber auch die „undemokratische Basta-Politik“ des früheren SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Scheer war im letzten Bundestagswahlkampf vehement gegen neue Kohlekraftwerke und gegen die CCS-Technologien, also die unterirdische Einlagerung von CO2, zu Felde gezogen. Doch für diese Politik steht in der SPD der Noch-Umweltminister und designierte SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Der Brief des Energieexperten und Präsidenten des Weltenergierats und von Eurosolar, Hermann Scheer, der zugleich Träger des Alternativen Nobelpreises ist, hat folgenden Wortlaut:

.................................................................................................

An die Mitglieder des Bundesparteivorstandes der SPD 

Berlin, 24. Oktober 2009

"Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

nach längerer Überlegung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, nicht mehr für den Parteivorstand zu kandidieren. Ich gehöre diesem seit sechzehn Jahren an und bin damit eines der drei am längsten amtierenden Vorstandsmitglieder. In dieser Zeit habe ich mich stets um konstruktive Beiträge zur SPD-Politik bemüht. Dabei war es für mich wichtig, immer praktische Alternativen benannt zu haben, wenn ich mich kritisch zu Fehlentwicklungen und Versäumnissen geäußert habe.

Meine politischen Aktivitäten sind nicht auf die Mitwirkung in Parteigremien und meine Mitgliedschaft im Bundestag beschränkt, sondern erstrecken sich darüber hinaus auf das breit wachsende gesellschaftliche Akteursspektrum für erneuerbare Energie. Damit habe ich dazu beitragen können, dass dieser lange unterschätzte Kernpunkt ökologischer und wirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit mittlerweile in der Gesellschaft mehrheitsfähig geworden ist. Weil ich dies stets als bekennender Sozialdemokrat getan habe, auch in meinen ehrenamtlichen Rollen als Präsident der überparteilichen Eurosolar-Vereinigung und als Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energie, hat dies – so meine ich sagen zu können – der SPD zu zusätzlichem Vertrauenskapital verholfen, besonders in der jüngeren Generation und unter innovationsoffenen technischen Berufsgruppen. Ein zentrales Anliegen der SPD – will sie dem Anspruch als linke Volks- und Fortschrittspartei genügen – muss es sein, unterschiedliche soziale und kulturelle Strömungen zu gewinnen und zu begeistern. Dass dies gerade mit den von mir akzentuiert vertretenen Positionen gelingen kann, hat das Wahlergebnis vom 27. Januar 2008 in Hessen gezeigt.

Weil ich mit meinen inhaltlichen Vorstößen bisweilen den programmatischen Konformismus der Partei in Frage stellte, nehme ich in Kauf, oft als „Solist“ charakterisiert worden zu sein. Manche meiner Positionen sind heute fester Bestandteil des SPD-Programms. Doch je mehr die eingeleitete Energiewende ans „Eingemachte“ – d.h. den Strukturwandel der gesamten Energiewirtschaft und damit die Überwindung des übermächtigen Einflusses der konventionellen Energiekonzerne – ging, desto heftiger wurde ich in den vergangenen zwei Jahren aus der Partei heraus persönlichen Rufschädigungen ausgesetzt, die meine Motivation zu entstellen versuchten und meine Initiativen in volksverdummender Weise verzerrten, ohne sich je einer sachlichen Diskussion zu stellen. Es ist nicht nur Wolfgang Clement, der öffentlich tat, was andere anonym machten – auch SPD-Ministern oder „Genossen“ aus dem Willy-Brandt-Haus fütterten die Medien mit denunzierenden Schlagworten. Aber in Berlin bleiben keine Quellen geheim.

Der politische Hintergrund dieser Vorgänge ist, dass ich – neben dem Ausstieg aus der Atomenergie – gegen den Bau neuer großer Kohlkraftwerke votiere und damit auch gegen den CCS-Ansatz. Damit bezog ich eine Gegenposition zu der von Sigmar Gabriel als Bundesumweltminister vertretenen. Diese Kohle-Position halte ich für unvereinbar mit dem Ziel des Klimaschutzes. Sie bedeutet enorme Langfristrisiken und wäre eine kontraproduktive, energiepolitische Weichenstellung, weil der zügige weitere Ausbau erneuerbarer Energie schnell zuschaltbarer Regelkraftwerke statt unflexibler Grundlastkraftwerke bedarf. Im übrigen ist dieser Kohleansatz weder mehrheitsfähig noch wirtschaftlich alternativlos und der Rohstoff Kohle ist langfristig zu wertvoll, um ihn weiter in Kondensationskraftwerken zu verstromen. Die Alternativen habe ich detailliert aufgezeigt, nicht nur in Bezug auf das „wie“ eines rapide zu beschleunigenden Ausbaus erneuerbarer Energie, sondern auch in Form eines massiven Ausbaus der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung auf einstweilen noch fossiler Energiebasis. Das 100.000-Mini-BHKW-Programm, dass ich z.B. für Hessen konzipierte, würde zwei große Kohlekraftwerke ersetzen und sozial notwendige billige Wärme bei 100% Effizienzsteigerung erzeugen sowie einen industriellen Schub ermöglichen. Dies wurde noch vor wenigen Monaten als illusionär und industriefeindlich gebrandmarkt. Inzwischen aber ist es ein vielbeachtetes Konzept von VW und dem Ökostrom-Versorger Lichtblick.

Das kann nur als verkehrte und irreale Welt wahrgenommen werden, auch in mir selbst: Einerseits das EEG durchbringen, ohne das wir den Atomausstieg längst hätten quittieren müssen, die Initiative für die mittlerweile gegründete Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IRENA) durchsetzen und weit über die Wählerschaft der SPD hinaus breite gesellschaftliche Resonanz zu erfahren – und andererseits aus medial einflussreichen Parteikreisen heraus als bloßer Nörgler und notorische Minderheit abgestempelt zu werden. Dies hat bei vielen Menschen außerhalb der SPD, die sich mit meinem Engagement identifizieren und darauf bauen, ein Vertrauenskapital verspielt, das ich bei diesen über die Jahre hinweg für die SPD gewinnen konnte. Das war überall spürbar und hörbar, wo ich im Bundestagwahlkampf gesprochen habe. Es hat allerdings der SPD mehr geschadet als mir.

Mir war immer bewusst, dass der kritische und offene Diskurs zwar das Salz demokratischer Erde ist, aber nicht geradewegs in Führungs- oder Regierungsämter führt. Gleichwohl ist es mein Verständnis von sozialdemokratischer Identität, ihr mehr (zurück) zu geben als von ihr zu nehmen. Das würde ich mir von manchen auch wünschen, für die politische Inhalte eher eine Funktion individueller Machtspiele haben. In diese will ich aber nicht involviert sein und auch nicht weiter davon belastet werden. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das ohne Sitz im Parteivorstand eher möglich ist.

Ich bin und bleibe überzeugter Sozialdemokrat und werde innerhalb von Partei, Fraktion und auch außerhalb weiter mit Passion und Tatkraft politisch wirken. Richtige Energie ist bekanntlich erneuerbar. Die SPD auch.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen - Dr. Hermann Scheer"





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