Das Strompreis-Dilemma
Brüssel fragt nach den Regeln für die Subventionierung von Energie in Deutschland und stößt damit eine überfällig Debatte an
Helge Matthiesen
Wenn ein hochindustrialisiertes Land wie Deutschland in kurzer Frist
auf erneuerbare Energien umsteigt, dann ist das ein hochriskantes
Manöver. Diese Einsicht ist nicht ganz neu. Vor den Konsequenzen drückt
sich die Politik jedoch immer noch. Vor allem kurz vor der Wahl. Denn
die Folgen sind unangenehm für alle. Die Ankündigung der EU-Kommission,
die Befreiungen von stromintensiven Betrieben einmal genauer unter die
Lupe zu nehmen, lenkt den Blick noch einmal auf die wesentliche Frage.
Wer zahlt die Zeche für das hochriskante Manöver? Der Ausstieg aus der
Atomenergie ist nicht ohne höhere Preise für die Verbraucher zu haben.
Steigen sie zu stark, dann droht der heimischen Wirtschaft jedoch ein
massiver Standortnachteil und damit einhergehend der Verlust von
Arbeitsplätzen. Kein noch so starker Boom in der Wind- oder Solarbranche
kann das ausgleichen. Die Entlastung der Wirtschaft belastet aber die
privaten Stromkunden. Auf sieben Milliarden Euro pro Jahr beziffern
Experten den aktuellen Wert des Ausgleichs. Viele Unternehmer haben
verstanden, dass sie mit einer Befreiung ordentlich Geld sparen können.
2011 waren erst 813 Betriebe befreit, 2012 schon 2055. Aktuell wird von
3500 bis 4500 Anträgen für das kommende Jahr gesprochen. Das deutet auf
eine Verschärfung der Situation für private Verbraucher hin und auf ein
Regelwerk ohne klare Kriterien.
Vor der Wahl möchte vermutlich keine Partei sagen, ob sie lieber
weniger Arbeitsplätze oder höhere Strompreise möchte. Jeder Versuch, das
Dilemma aufzulösen, macht großen Ärger. Um eine Entscheidung kommt
Deutschland jedoch nicht herum. Das Signal aus Brüssel kommt daher zur
rechten Zeit. Es bringt hoffentlich die notwendige Debatte in Gang und
führt zu einem tragfähigen Kompromiss. Ohne den wird es nicht gehen. Je
früher er kommt, desto besser. Die Verbraucher müssen wissen, was der
Spaß kostet. Die Wirtschaft muss planen können.