Macht zu viel Mais zu wenig Energie?
Immer mehr Menschen in Schleswig-Holstein bekämpfen Monokulturen / Neues Gesetz soll dafür sorgen, dass Biogasanlagen auch wirklich „Bio“ sind
Kiel/Poyenberg
Erntetransporter donnern durch die schmalen
Straßen Poyenbergs. „Bis drei Uhr morgens keine Ruhe“, stöhnt Knut
Fischer, seit 27 Jahren Einwohner des 400-Seelen-Ortes im Kreis Steinburg. Auf den Anhängern der Traktoren, die momentan in ganz Schleswig-Holstein die Mais-Ernte
zu den Siloflächen transportieren, türmen sich zwei verschiedene Sorten
Mais. Der gute und der böse. Der „gute“ wird einmal an Rinder
verfüttert werden, während der „böse“ Mais in Biogasanlagen landen wird.
So schwarz-weiß sehen es jedenfalls viele derjenigen Schleswig-Holsteiner, in deren Nachbarschaft eine Biogasanlage steht.
Zahlreiche Bürgerinitiativen wurden angesichts der wachsenden Zahl
der Biogasanlagen im Land gegründet. Beinahe in jedem Ort, in dem es
eine Biogasanlage gibt oder bald geben soll, finden sich Bürger, die
sich in Gemeinderatssitzungen oder mittels Unterschriftensammlungen
vehement gegen Schmutz und Lärm während der Erntezeit, den vermeintlich
schlechten Geruch der Biogasbehälter und den befürchteten Wertverlust
ihrer Grundstücke wehren. Andere, darunter Landwirte, die noch nicht auf
Biogas umgestiegen sind, beklagen die steigenden Pachtpreise wegen der
großen Landnachfrage für den Maisanbau und eine Wildschweinplage,
ebenfalls aufgrund des großen Maisangebots.
Im Jahr 2005 gab es nur 65 Biogasanlagen in Schleswig-Holstein,
Ende 2009 waren es schon 275, im August 2010 waren es 320. Zudem geht
man beim Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume von
weiteren 80 Anlagen aus, die sich entweder noch im Bau oder im
Genehmigungsverfahren befinden. Alle diese Anlagen müssen „gefüttert“
werden, bevorzugt mit Mais, denn der ist energiereich, leicht anzubauen
und zu ernten, gut lagerbar und im Gegensatz zu Gras, Getreide oder
Rüben wenig mit Sand und Erde verschmutzt, was den Betrieb der Anlagen
stören könnte.
184 000 Hektar Mais wurden in Schleswig-Holstein
in diesem Jahr angebaut, die Hälfte davon wandert in die Silos der
Biogasanlagen, die nach und nach das ganze Jahr über mit ihm beschickt
werden. Im Jahr 2000 stand Mais auf 79 000 Hektar Fläche, 2005 waren es
102 400 Hektar und 2009 bereits 147 500 Hektar. Der Anstieg ist somit
beachtlich, auch wenn manche Landwirte erklären, der Mais, der jetzt zu
den Biogasanlagen gefahren werde, sei eben früher an die Kühe verfüttert
worden, und die Unterscheidung in „guten“ und „bösen“ Mais sei schon
deswegen völlig falsch.
Auf der anderen Seite: Wer kann es den Bauern verdenken, dass sie
sich neue Einnahmequellen erschließen? Für Milch bekommen sie keinen
anständigen Preis mehr, doch mit Hilfe desselben Bodens, derselben
Maschinen und sogar demselben Futter (Mais) lässt sich eine lukrativere
Biogasanlage betreiben – und das auch noch mit dem Gütesiegel „Bio“
darauf. Doch „Bio“ ist gerade das, was in den Augen von Knut Fischer und
vielen Biogas-Gegnern bei der geradezu sprunghaften Vermehrung der Anlagen zu kurz kommt. Nicht nur sei die Mais-Monokultur schlecht für die Artenvielfalt, auch die Anlagen selber produzierten gar nicht immer den „grünen“, das heißt CO2-einsparenden Strom, wie es gesetzlich gedacht war.
In seinem ersten Paragraphen verspricht das Erneuerbare Energien
Gesetz (EEG): „Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse
des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der
Energieversorgung zu ermöglichen“. Doch bleibt eben dieser positive
Effekt für das Klima bei einigen Anlagen auf der Strecke, bemängelt
beispielsweise Knut Fischer. Laut einer Studie vom Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut (vTI, Bundesforschungsinstitut) ist etwa der Betrieb einer Biogasanlage sogar klimaschädlich, wenn das Gär-Restelager nicht genügend abgedeckt ist. Aus ihm entweicht Methan, das ein weitaus stärkeres Treibhausgas ist als CO2. Von deutschlandweit 60 untersuchten Anlagen hatten 65 Prozent kein gasdicht abgedecktes Gär-Rückstandslager.
Neuere und größere Anlagen seien jedoch zumeist hinreichend abgedeckt,
erklärt Dr. Peter Weiland, Forscher im Bereich Umwelttechnologie am vTI.
Und noch eines betont der Wissenschaftler des Bundesinstituts: Um eine
gute Klima-Effizienz aufweisen zu können, sei es
„zwingend notwendig“, dass die von den Anlagen erzeugte Wärme sinnvoll
genutzt wird. Dies sei bislang nur bei etwa 30 Prozent der Biogasanlagen
der Fall.
Werner Holz, Berater für den Bereich Biogasanlagen bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein,
spricht von 40 bis 50 Prozent. Bei Anlagen außerhalb von kleinen
Gemeinden bestehe jedoch häufig kaum die Möglichkeit, die Wärme an den
Verbraucher zu liefern. Der Anlagenbetreiber müsse Leitungen zu den
Häusern legen; fällt die Anlage aus, muss es einen Notfallanschluss
geben. Außerdem wollen die Abnehmer für die Biogaswärme nicht mehr
zahlen als bisher für die Erdgas- oder Erdölheizung. „Am Ende ist das
für den Bauern oft nicht mehr wirtschaftlich“, berichtet Werner Holz.
Doch gerade bei den Anlagen, die die Wärme einfach verpuffen lassen,
fällt das Urteil der Gegner harsch aus: Keine vollkommene Nutzung der
Energie, also kein Bio, also keine Daseinsberechtigung.
Dass diese Daseinsberechtigung bewiesen werden muss, bevor
die Anlage genehmigt wird, wünscht sich Knut Fischer. Er bemängelt die
fehlende Kontrolle der Effizienz der Anlagen. Tatsächlich müssen die
Anlagenbetreiber zwar nachweisen, dass sie genügend Flächen für den
notwendigen Anbau der „NaWaRos“ (nachwachsenden Rohstoffe) haben und
auch wie viel Strom ihre Anlage produzieren soll und ob sie ein
Wärmekonzept haben, aber notwendig für die Genehmigung ist letzteres
nicht. Ist die Anlage in Betrieb, muss der Bauer zudem jährlich einen
Umweltgutachter engagieren, der prüft, ob der Strom von der Anlage so
produziert wurde, wie es dem Stromabnehmer gegenüber angegeben wurde.
Nur wenn die Prüfung positiv ausfällt, erhält der Landwirt die
entsprechenden Boni, wie sie im Erneuerbaren Energien Gesetz vorgesehen
sind.
Eine Effizienzprüfung ist aber auch das nicht. Dabei wäre die
Einführung von Auflagen, die garantieren, dass Biogasanlagen auch
tatsächlich „Bio“ sind, gar nicht so schwer. Das EEG sieht in § 64
Absatz 2 den Erlass einer Verordnung vor, in der Anforderungen an die
nachhaltige Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen und an die
Treibhausgasminderung durch die Anlage gestellt werden könnten. Sogar
der Anspruch des Bauern auf die Vergütung des von ihm produzierten
Stroms kann davon abhängig gemacht werden.
Doch ist eine solche Verordnung bisher nicht erlassen worden.
Stattdessen wird für das Jahr 2012 eine Novelle des Bundesgesetzes
angestrebt. Die Landtagsfraktionen in Kiel haben sich bereits Gedanken
über Änderungen hinsichtlich der Biogasregeln in dem Gesetz gemacht
(siehe Umfrage rechts). „Wir wollen die ‚Vermaisung‘ unserer Heimat
rückgängig machen“, sagt Detlef Matthiessen, energiepolitischer Sprecher
der Grünen.
Orientiert man sich an den Aussagen der Landespolitiker, könnte der
Gesetzgeber versuchen, der momentanen Entwicklung gegenzusteuern, indem
etwa die Boni für den Betrieb der Anlage anders verteilt und berechnet
werden. Anlagenbetreiber, die von vornherein auch auf die Kraft
-Wärme
-Kopplung
Wert gelegt haben, dürften dann am besten dastehen. „Auf die Nutzung
der Wärme haben wir geachtet, denn wer weiß, ob man sich immer auf die
hohe Vergütung nur des Stroms verlassen kann“, sagt Hans
-Jürgen
Jeß, Mitbetreiber einer 600 Kilowatt Anlage in Sarlhusen (Kreis
Rendsburg Eckernförde). Knapp 90 Prozent ihrer Wärme wird durch eine
isolierte Leitung an die Fachklinik im sechs Kilometer entfernten Aukrug
-Tönsheide
geliefert. Im ersten Betriebsjahr hat die Anlage fast fünf Millionen
Kilowattstunden Strom und beinahe die gleiche Energiezahl an Wärme
erzeugt. An so einem Projekt können auch Biogas
-Kritiker wie Knut Fischer kaum etwas bemängeln – auch wenn diese Anlage ebenfalls von Maistransportern versorgt wird.
Kerstine Appunn