Wind gegen MühlenBürger-Initiativen stehen gegen den Rotoren-Boom auf / Sie fordern größere Abstände – und prophezeien Konsequenzen bei der Kommunalwahl
Kiel
Bei neuen Windkraftanlagen mindestens zwei Kilometer Abstand zur
nächsten Wohnbebauung: So lautet angesichts des wachsenden Widerstands
von Bürgern die Minimalforderung des Aktionsbündnisses „gegenwind-sh“, in dem sich 60 Bürgerinitiativen aus Schleswig-Holstein
gegen die vom Land geplante Ausweitung der Rotorenstandorte organisiert
haben. Bisher dürfen die immer größeren Mühlen auf bis zu 400 Meter an
Einzelhäuser und 800 Meter an Siedlungen heranrücken.
„Es ist vermessen, die Leidensfähigkeit betroffener Nachbarn von der
Anzahl der Häuser abhängig zu machen“, findet „Gegenwind“-Vorsitzender
Frank Jurkat. Ebenso fordert der Speditionskaufmann aus Schiphorst
(Kreis Herzogtum Lauenburg) ein Ende der Praxis, dass die Betreiber von
Windkraftanlagen die Lärm-Gutachten selbst in
Auftrag geben. Für Schiphorst ist dies Anlass für latentes Misstrauen
der Bürger: „Da ist der Verdacht von Abhängigkeiten programmiert. Für
die Geräuschmessungen muss eine neutrale Stelle zuständig sein, die die
Gutachter-Kosten dann den Investoren in Rechnung stellt“, lautet einer seiner Appelle für mehr Akzeptanz.
Nachdem der Landtag beschlossen hat, den Anteil der Windkraft-Standorte
an der Landesfläche ab 2013 von 0,75 auf 1,5 Prozent zu erhöhen, sind
aus den Kreisen im Kieler Innenministerium 530 kritisch bis ablehnende
Stellungnahmen eingegangen. Geräusch-Belästigungen
und Schattenwurf führen die Liste der Sorgen an. Dass der mit dem
bloßen Ohr nicht hörbare, sich körperlich aber möglicherweise dennoch
auswirkende Infraschall bei den Genehmigungen überhaupt nicht
berücksichtigt werde, wird ebenfalls häufig beklagt. In bisher 29
Gemeinden hat es nach Informationen unserer Zeitung Anläufe zu einem
Bürgerbegehren – der per Protestunterschrift dokumentierten Vorstufe
eines Bürgerbegehrens – gegeben. Tatsächlich zu einer Abstimmung der
Einwohner in Form eines Bürgerentscheids gekommen ist es in bisher 22
Gemeinden. 19 davon gingen zu Ungunsten der Ausbaupläne für die
Windkraft aus.
Dass die Bürger nicht noch häufiger an die Urnen gerufen wurden,
liegt nach Einschätzung Jurkats daran, dass die Kommunalpolitiker die
Menschen nicht über entsprechende Pläne informieren würden – ein
Bürgerbegehren aber spätestens sechs Wochen nach dem Beschluss der
Gemeindevertretung vorbereitet werden muss. „Jedes Spanferkelessen der
Freiwilligen Feuerwehr wird prominenter angekündigt als ein Votum zur
Windkraft“, kritisiert er. „Da haben die Bürger kaum Chancen,
rechtzeitig zu reagieren.“ Oft manifestiere sich in dem Wirbel um die
Windkraft auch ein Konflikt zwischen alteingesessenen Dorfbewohnern und
Zuzüglern in den Neubaugebieten: „In den Gemeinderäten sitzen zu einem
überproportionalen Anteil Landwirte oder deren Verwandte. Denen gehören
die Flächen, auf denen sie mit neuen Rotoren Geld verdienen wollen. Da
geht es schnell um einige zehntausend Euro pro Jahr.“
Seit November registriert der „Gegenwind“-Frontmann einen stark wachsenden Verdruss. Die Folgen des Landtags-Beschlusses konkretisieren sich nun vor Ort. Als Zusatz-Faktor
für den steigenden Unmut sieht Jurkat Unzufriedenheit mit der
Bürgerbeteiligung durch das Innenministerium. Dieses bot Kritikern an,
auf einer Internet-Seite mit Fristablauf Mitte November Stellung zur Ausweisung der Windkraft-Areale
zu nehmen. „Eine reine Farce“, urteilt Jurkat darüber. Er moniert, dass
die Seite mit teils veraltetem Kartenmaterial online gegangen sei. So
hätten Gemeinden gegenüber den dort dargestellten Flächen Gebiete noch
vielfach nach- oder umgemeldet. In Jurkats Heimatgemeinde Schiphorst
etwa entpuppten sich die Flächen als dreimal größer und völlig anders
geschnitten.
Der „Gegenwind“-Chef prophezeit, dass viele der neuen Bürger-Initiativen
bei der nächsten Kommunalwahl als Wählergemeinschaften antreten werden.
„Schon allein, um langfristig Sicherheit für ihre Vorstellungen zu
haben.“ Denn: Der Ausgang eines Bürgerentscheids ist nur zwei Jahre
binden.
Anders als von Politikern häufig angemerkt, sieht Jurkat keine Lösung
der Konflikte, indem Investoren verstärkt mit dem Instrument eines
Bürger
-Windparks arbeiten – bei dem viele kleine
Anteilseigner von den Einnahmen aus der Stromproduktion profitieren
könnten. „Die Windparks sind nicht so ertragreich und verlässlich wie es
oft versprochen wird“, lautet sein Eindruck. Unter anderem beruft sich
der Lauenburger auf Gerichtsurteile, etwa des Landgerichts Itzehoe, die
ein entsprechendes finanzielles Engagement in bestimmten Fällen als
„Hochrisiko
-Anlage“ charakterisieren. Die Einschätzung, dass einige wenige Betroffene Windkraft
-Anlagen
zu Gunsten des Klimaschutzes für die Allgemeinheit vielleicht einfach
ertragen müssen, lässt Jurkat deshalb ebensowenig gelten: „Für wen denn
ertragen? Für den Profit einiger weniger?“
Frank Jung