Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Grundeinkommen und Beschäftigung

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Seite: 1, 2
Autor Beitrag
Dirk Jacobi

Beiträge: 7


New PostErstellt: 02.08.04, 12:20  Betreff: Re: Grundeinkommen undBeschäftigung  drucken  weiterempfehlen

Lieber Herr Teetz,
die Experimente in den USA in den 70ern zeigten einerseits zwar, dass es zu
einer Reduzierung des Arbeitsangebots kam. Der Effekt war allerdings
relativ gering. (Zu der Thematik erscheinen demnächst zwei Artikel: Looking
Back at the Negative Income Tax Experiments from 30 Years on, Robert
Levine, Harold Watts, Robinson Hollister, Walter Williams, Alice O’Connor,
and Karl Widerquist, in The Ethics and Economics of the Basic Income
Guarantee, Widerquist, Lewis, Pressman (editors), forthcoming. und:
Widerquist, Karl, A Failure to Communicate: What (in Anything) Can we Learn
from the Negative Income Tax Experiments, The Journal of Socio-Economics,
forthcoming.) Von einer "Untergrabung der Arbeitsmoral" kann jedenfalls
keine Rede sein.
Zudem bestand auch ein anderer Kontext als in Deutschland. In Deutschland
ist der finanzielle Anreiz auch nach Hartz IV eine Erwerbsarbeit
aufzunehmen in vielen Fällen nicht groß. Nicht zu vergessen ist in diesem
Kontext das Ehegattensplitting, das die Gruppe der Ehefrauen
gutverdienender Männer (bei der die Experimente in den USA mit der
negativen Einkommenssteuer am stärksten Effekte auf das Arbeitsangebot
hatte) schon jetzt aus dem Arbeitsmarkt fischt.
Ein Grundeinkommen würde im deutschen Kontext für bisherige Empfänger von
Transferleistungen, bei denen Erwerbseinkommen angerechnet wird,
Erwerbsarbeit finanziell attraktiver machen und anderen die Möglichkeit
bieten aus ihrer Erwerbsarbeit auszusteigen. Dabei sehe ich letzteres
durchaus auch als etwas Positives. Wahrlich nicht jede Arbeit ist derart,
dass ich sie irgendjemandem zumuten möchte oder derart, dass sie
Folgeeffekte in Form von Aufstiegsmöglichkeiten oder gesellschaftlicher
Integration mit sich bringt.
Schöne Grüße,
Dirk Jacobi


At 20:20 01.08.04 +0200, you wrote:
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Tobias Teetz

Beiträge: 97
Ort: Berlin


New PostErstellt: 02.08.04, 17:50  Betreff: Re: Grundeinkommen und Beschäftigung  drucken  weiterempfehlen

Lieber Herr Opielka,

das Protokoll des Netzwerkes Grundeinkommen findet inhaltlich meine volle Zustimmung.

Soweit ich informiert bin (Internetforum von Labournet, Ländervergleich von Sozialsystemen) gibt es in allen europäischen Staaten - bis auf Griechenland eine Art von Sozialhilfe - die mancherorts natürlich sehr gering ausfällt.
Frankreich und Deutschland sind sich in ihren Sozialsystemen sehr ähnlich.

Ich würde mir wünschen, dass durch ein bedingungsloses Grundeinkommen auch wieder mehr Betriebe bereit sein könnten, arbeitswillige Mitbürger einzustellen, auch wenn die Arbeitsleistungen zunächst nicht ganz den Wünschen des Arbeitgebers entsprächen. Wichtig ist das mehr Bürger wieder sozial (und ökonomisch) in unsere Gesellschaft eingebunden werden.

In bezug auf die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens möchte ich folgende Anmerkung machen: Zumindestens für das selbstbestimmte Lernen (heutzutage ein Großteil unseres Lebensinhalts) könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen Vorzüge haben. Die Schnelligkeit der Umbrüche in Berufs-, Arbeits-, und Ausbildungsinhalten haben ein erstaunliches Tempo angenommen. In meiner Schul- und Ausbildungszeit habe ich ganz gerne autodidaktisch gelernt. Ein gewisser äußerer Druck durch Zensuren u.ä. ist sicherlich sehr hilfreich für die Leistungssteigerung und Motivation. Aber es gibt auch Gründe für eine freiere Auswahl der eigenen Lerninhalte (nach der Grundschulzeit).
Viele langwierige Lerninhalte - auch in der Chemie - sind durch die Entwicklung der Computertechnik relativ überflüssig geworden. Heutzutage werten Computerprogramme die schwierigen NMR-Spektren von hochkomplexen Molekülen aus. Auch die Syntheseplanung, Literaturrecherche usw. ist heute ohne den Computer kaum noch vorstellbar. Jahrelange Lernarbeit: überflüssig! Ohne übergreifendes Wissen und Leistung geht es natürlich auch nicht, dennoch fühlt sich sicher der eine oder andere Lehrer mit der Auswahl und Weitergabe der Ausbildungs- und Wissensinhalte ähnlich überfordert wie der alte Faust ("Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und..... Und ziehe schon an die zehen Jahr, herauf herab, und quer und krumm, Meine Schüler an der Nase herum- und sehe das wir nichts wissen können" ).und manch ein Lehrer sieht Vorteile in Mephistos Ausbildungsstrategie ("Vergebens, dass ihr ringsum wissenschaftlich schweift, ein jeder lernt nur, was er wissen kann. Doch der den Augenblick ergreift, das ist der rechte Mann.... Grau, teurer Freund ist alleTheorie, und grün des Lebens goldner Baum").

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Teetz

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Michael Opielka
(Administrator)

Beiträge: 101
Ort: Jena/Königswinter



New PostErstellt: 03.08.04, 00:55  Betreff: Re: Grundeinkommen und Beschäftigung (zu Dirk Jacobi)  drucken  weiterempfehlen

Die von Dirk Jacobi erwähnten Papiere lassen sich (neben vielen anderen!) auf der vorzüglichen Homepage des Grundeinkommensnetzwerks unserer amerikanischen Kollegen downloaden:

http://www.usbig.net/

Prof. Dr. Michael Opielka
Institut für Sozialökologie (ISÖ)/
Fachhochschule Jena
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Manuel Franzmann
(Administrator)

Beiträge: 132
Ort: Frankfurt am Main


New PostErstellt: 03.08.04, 01:46  Betreff: Re: Grundeinkommen und Beschäftigung  drucken  weiterempfehlen

Ich möchte an der durch Herrn Kungs, Frau Mohrs und Michael Opielkas Diskussionsbeiträge wesentlich angestoßenen Diskussion gern teilnehmen, in dem ich ein paar vorgetragene Argumente kommentiere.

Daß ein bedingungsloses Grundeinkommen den Übergang in Erwerbsarbeit monetär fließend gestaltet und prämiert, halte ich, wie Sie Herr Kung, für einen Vorteil dieses Grundeinkommensmodells. Zwar stellt auch schon das Modell einer Negativen Einkommenssteuer, wie es etwa von Joachim Mitschke vorgeschlagen wurde, diesbezüglich ein praktikables Modell dar, aber das bedingungsloses Grundeinkommen ist zweifellos noch konsequenter, was von Helmut Pelzer in seiner Kritik am „Bürgergeld“-Modell von Mitschke, wie ich finde, schlagend gezeigt worden ist.
Etwas anderes ist es jedoch, Herr Kung, wenn Sie vor diesem Hintergrund rhetorisch fragen: „Wer wird eine Arbeit aufnehmen, wenn sein Einkommen dadurch nicht steigt?“. Diese rhetorische Frage präsupponiert, daß es den Normalfall darstellt, daß Menschen nur bei lohnendem Zugewinn Erwerbsarbeit aufnehmen. Diese Prämisse muß m.E. aber als empirisch widerlegt gelten. Es gibt sowohl Studien, die auf überzeugende Weise zeigen, daß das Modell eines homo oeconomicus – das ich Ihnen nicht unterstellen will – als allgemeines soziologisches Erklärungsmodell nichts taugt und den Fakten widerspricht (siehe schon Max Webers berühmte Studien zur protestantischen Ethik und zur Entstehung des Geistes des Kapitalismus), als auch Studien, die zeigen, daß auch unter den konkreten Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft nicht allein der monetäre Zugewinn bei der Arbeitsaufnahme zählt. Eine dieser auf die Gegenwart bezogenen Studien hat ja Katrin Mohr zitiert (die neuere Studie von Vobruba et al.), der ich in Ihrer Kritik an der besagten Prämisse vor diesem Hintergrund nur beipflichten kann. Hinzufügen läßt sich, daß insbesondere in Ostdeutschland der Prozentsatz derjenigen, die Sozialhilfe aus Scham nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie dazu berechtigt wären, sehr groß ist. Das allein widerlegte schon diese Prämisse. Was drückt sich in dieser Scham aus? Eine naheliegende Deutung ist: der verinnerlichte leistungsethische Anspruch, ein nützliches Glied der Gesellschaft sein zu wollen und niemandem ohne Gegenleistung auf der Tasche liegen zu wollen. Daß dieser traditionelle leistungsethische Habitus in Ostdeutschland noch stärker ausgeprägt ist, hat offensichtlich mit dem Aufwachsen und der Prägung der älteren Geburtsjahrgänge in Ostdeutschland unter Bedingungen der kulturell rückständigeren DDR zu tun. Aber der Wertewandel, der sich im Vergleich zur noch stark prinzipiengeleiteten Haltung älterer ostdeutscher Bürger längst ereignet hat und in dessen Rahmen auch die Haltung des „Transferzahlungstaktikers“, um einen Ausdruck Joachim Mitschkes zu gebrauchen, Platz gegriffen hat, hat nur bei oberflächlichem Blick zu einer Distanz von der Leistungsethik geführt. In Wahrheit findet man in Interviews mit solchen „Transferzahlungstaktikern“, selbst wenn sie einen Zynismus an den Tag legen dergestalt, daß es ihnen darum ginge möglichst viel „Staatsknete einzusacken“, doch regelmäßig im Hintergrund eine starke Verzweiflung. Das sind alles harte empirische Ergebnisse, an denen es wenig rumzudeuten gibt.

Daß der schon seit Jahren vorherrschende Zeitgeist, der stark von Mustern des betriebswirtschaftlichen Denkens geprägt ist, diesbezüglich außerordentlich naiv ist und sich geradezu borniert gibt, steht auf einem anderen Blatt.

Michael, wenn ich Dich richtig verstehe, dann siehst Du in Deinem Vorschlag einer Grundeinkommensversicherung nicht allein ein Übergangsmodell hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen im Sinne von BIEN (Pauschalbetrag für jeden, ob arm oder reich, ob erwerbstätig oder nicht), sondern siehst Du auch Gründe dafür, die dieses Übergangsmodell am Ende doch vielleicht auch grundsätzlich als das wünschenswertere Modell erscheinen lassen könnten. Du gibst in Deiner Antwort auf Ronald Blaschkes Kritik an Deinem Modell einen Hinweis auf die Natur Deines Zweifels am bedingungslosen Grundeinkommen, auf den ich gerne kurz eingehen möchte. Du sagst „Und (b) scheint es mir auch nicht ausgemacht, dass ein ‚bedingungsloses’ Grundeinkommen unter ungünstigen Bedingungen genau die ’Brot-und-Spiele’-Funktion nicht doch erfüllen könnte, die manche seiner ehrenwerten Kritiker davon abhalten, unsere Idee zu unterstützen.“ Wenn ich diesen Hinweis richtig verstehe, dann siehst Du ein bißchen die Gefahr, daß ein gut ausreichendes bedingungsloses Grundeinkommen, das für sich genommen keine zusätzliche Erwerbsarbeit erzwingt, am Ende bzw. unter bestimmten Bedingungen (welchen eigentlich?) vielleicht dazu führen könnte, daß einige Menschen durch das Grundeinkommen nur ruhiggestellt werden und ein mehr oder weniger sinnloses Leben fristen mit irgendwelchen Formen von unproduktiver Ablenkung und Unterhaltung o.ä.. Meines Erachtens konfrontiert uns diese leise Befürchtung oder vielleicht auch nur Ungewißheit mit der wirklich fundamentalen Frage nach der Autonomie. Was passiert, wenn wie im Falle eines ausreichenden bedingungslosen Grundeinkommens jeder die Möglichkeit hat, weil es keine Sanktionen oder wenigstens sanften Zwang gibt, auf jede Form von Erwerbstätigkeit, ja auf jegliche gemeinnützige Tätigkeit ganz zu verzichten? Die Antwort auf diese Frage kennt natürlich niemand von uns, weil es sich um eine Zukunftsfrage handelt, und es die Diskussion zum Grundeinkommen ist ja auch deswegen so schwer, weil hier ein großer Schritt zu Diskussion steht, über dessen Folgen mit letzter Gewißheit niemand urteilen kann. Aber so ist das immer mit wirklich krisenhaften Zukunftsentscheidungen. Aber obwohl hier auch die Wissenschaft grundsätzlich keine wissenschaftliche Antwort geben kann, so kann sie doch immerhin auf der Basis des gegenwärtigen (wissenschaftlichen) Wissens, das aus Untersuchungen des Vergangenen stammt, eine begründete Prognose aufstellen. Nun haben in der neueren Religionssoziologie Ulrich Oevermann et al. – und ich bin mit meiner Dissertation darum bemüht, zu diesen Forschungen einen Beitrag zu leisten –überzeugend gezeigt, so bin ich der Auffassung, daß Religiosität bzw. ein säkularisierter Glaube als etwas, das den ganzen Lebensentwurf zentral prägt und trägt, sich aus dem Bewußtsein von der Endlichkeit des Lebens notwendig ergibt. Dieses Bewußtsein ist angesichts der durch die Sprache eröffneten Reflexionsmöglichkeiten schlicht unvermeidlich, so daß sich die aufdrängende Fraglichkeit, was eigentlich unser Leben als Ganzes für einen Sinn hat, wenn es irgendwann mit dem Tod endet, zur zentralen Frage schlechthin wird. Jeder muß auf diese Frage im Vollzug seines Lebens eine Antwort haben. Entweder er übernimmt sie zu einem großen Teil, ohne selbst viel nachzudenken, von anderen (wenn dann meist im Verlaufe der Sozialisation). Oder er findet sie eher durch eigenes Nachdenken. Eine Antwort leben muß jeder. Nun liegt es in der Natur der Frage nach dem Sinn des Lebens, daß sämtliche Fragen, die sich in einem Leben stellen können – etwa wie viel man verdient – zwangsläufig unwichtig werden, wenn die Antwort auf die Sinnfrage gegeben bzw. gefunden ist. In diesem Umstand allein liegt schon eine Widerlegung des „homo oeconomicus“ als allgemeines Erklärungsmodell. Denn einen „homo oeconomicus“ kann es höchstens dann geben, wenn die Antwort auf die Frage nach dem Sinn eines ganzen Lebens so ausfällt, daß der homo oeconomicus darin Platz findet. Und daß es genügend historische Fälle gibt, in denen er keinen Platz hatte, hat Max Weber zur genüge gezeigt. Max Weber hat auch, wie aus dieser Argumentation leicht ersichtlich wird, vollkommen zurecht den Geist den Kapitalismus als Konsequenz bestimmter religiöser Vorstellungen, d.h. bestimmter Antworten auf die Sinnfrage analysiert. Was hat das alles mit dem Grundeinkommen zu tun und mit der Frage, was passiert, wenn man mit einem Grundeinkommen sich im Prinzip sogar gemeinnütziger Tätigkeiten enthalten kann? Aus dem Ausgeführten folgt, daß sich für Grundeinkommensbezieher, die sich dazu entscheiden, nichts sinnvolles bzw. gemeinnütziges zu tun, auf kurz oder lang die Sinnfrage stellt. (Etwas sinnvolles zu tun, heißt am Ende auch, etwas gemeinnützig zu tun. Denn es ist die Gemeinschaft, die weiterlebt, man selbst muß sterben.) Sie können das gar nicht vermeiden, weil sich beim Nichtstun bzw. bei Muße unweigerlich Fragen stellen, die sich sonst nicht stellen können, weil man von anderen Dingen okkupiert ist. Diese Fragen zu vermeiden, würde bereits in sich eine pathologische Verdrängung bedeuten. Und man kann nicht seriöser Weise eine solche pathologische Verdrängung als Normalfall behandeln. Also werden sich im Normalfall, so läßt sich prognostizieren, durch die Struktur der Lebenspraxis bei einer müßigen Existenz auf Basis eines Grundeinkommens Sinnfragen aufwerfen, die nach Beantwortung drängen und die, pointiert ausgedrückt, durch eine Existenz vor dem Fernseher nicht zu beantworten sind. Wer sich also heute noch im stillen darauf freuen sollte, nach der Einführung eines Grundeinkommens endlich mal den faulen Lenz in seinem Leben Einzug halten zu lassen, wird sich nach einiger Zeit des Abreagierens dieser Nachwehen der auf Pflicht beruhenden Arbeitsgesellschaft unverhofft in der Lage wiederfinden, daß ihn plötzlich bohrende Sinnfragen aus seiner unproduktiven Existenz wieder autonom heraustreiben. Aus meiner Sicht in diese Prognose diejenige, die sich auf dem Stande des heutigen soziologischen Wissens am ehesten wissenschaftlich begründen läßt.

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Tobias Teetz

Beiträge: 97
Ort: Berlin


New PostErstellt: 03.08.04, 14:36  Betreff: Re: Grundeinkommen undBeschäftigung  drucken  weiterempfehlen

Lieber Herr Franzmann,

in einigen Büchern der modernen Volkswirtschaft wird das Thema des Gratismittagsessen gestreift.
Ein Angestellter wird von seinem Freund zum kostenlosen Mittagessen eingeladen. Ist dies Mittagessen für den Arbeitnehmer wirklich kostenlos ? Antwort: Nein, es entstehen zeitliche Opportunitätskosten. In dieser Zeit hätte der Arbeitnehmer einen wichtigen Artikel lesen können oder ein paar Schriftsätze aufsetzen können.
Unter dem Diktat dieser vorstehenden Arbeitsmoral könnten natürlich auch soziale, mitmenschliche Beziehungen gestört werden, falls man diese Richtung zu weit treibt.

Die Freihheit zur persönlichen Lebensgestaltung hängt natürlich auch von den Personen ab, die davon betroffen sind. Jeder Mensch hat unterschiedliche Talente, Fähigkeiten, Neigungen, Ansichten, diese sollten nach Möglichkeit mit der beruflichen Tätigkeit korrespondieren. Ich habe mir immer gern ein gutes Buch zur Hand genommen und weniger auf das Durchzappen der Fernsehprogramme gesetzt. Die Klassiker: Goethe, Shakespeare, Schiller oder auch philosophische Bücher waren für mich wichtig.

Im Roman "Schöne neue Welt" werden Facetten einer gefährlichen Zukunft, beleuchtet.
Sowohl Reproduktion des Menschen als auch berufliche Tätigkeit sind fortpflanzungstechnisch vorgegeben, auch die Form der Glücksinhalte kann durch Tabletten gesteuert werden. Die Angst vor einer Welt die tiefe Gefühle ausblendet und absolut von einem Weltenlenker vorgezeichnet wird, durchzieht diesen Roman.
Ein junger "Wilder", der nicht durch diese Fortpflanzungsmaschinerie hergestellt wurde, liest Sheakespeares "Romeo und Julia", entwickelt Gefühle, findet aber keinen Zugang mehr zur Gefühlswelt des modernen Menschen. Form und Stil seiner eigenen Gefühle findet er bei keinem anderem Menschen mehr. Der "Wilde" wendet sich von der Lebenswelt der Mitmenschen ab, knüpft sich schließlich an einem Leuchturm auf.
Für die Gefühlswelt der vom Arbeitsmarkt und Wohlstand ausgeschlossenen könnte ähnliches gelten wie für den "Wilden".

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Teetz

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