Forum Grundeinkommen
Offenes Forum zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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Autor Beitrag
Silas Bernd

Beiträge: 115

New PostErstellt: 14.06.05, 19:31     Betreff: Gefahren, Aufgaben, und eine Chance

Die Gefahren, die unserer Gesellschaft und damit der in ihr Lebenden,
uns, drohen, können in zwei Punkte zusammengefasst werden. Diese sind
ihr Festhalten an Verhaltenweisen, die unserem Dasein als Tiere ent-
stammen sowie ihre Überbetonung von Naturwissenschaften und Technik.
Deren Merkmale sind aus erstem die Konkurrenz und aus letztem die
Konzentration auf die Macht.

Aus dem Umfang der Konkurrenz, welchem die Menschen sich ausgesetzt
sehen, erwächst ihre Angst, wesentlich davor, zum Aussenseiter zu wer-
den (S.104), mit der Folge entsprechender Angepasstheit, welche ihren
Ausdruck findet in der Ausbildnug eines "Marketing-Charakter", im dem
"der einzelne sich selbst als Ware und den eigenen Wert nicht [einmal
mehr] als Gebrauchswert, sondern als Tauschwert erlebt." (S.141, Ein-
fügung von mir).
Eine weitere Folge ist die Jagd nach Wissen, darüber, wie man sich am
besten präsentiert, attraktiv erscheint und natürlich auch um seinen
Gebrauchswert zu steigern.
Zugleich aber, da diese Lebensweise nicht unseren wahren Bedürfnissen
entspricht, die sich aus ihr ergebenden Zwänge deren Befriedigung aber
verhindern, entsteht ein übersteigerter Wunsch nach Zerstreuung und
Vergnügen. Unsere Kompensationsversuche sind "ein Ausdruck der Ruhe-
losigkeit und der inneren Flucht vor sich selbst" und unser Konsum
ist "nur ein Mittel(), um sich davor zu schützen, sich selbst oder
anderen nahe zu sein". (S.170)

Naturwissenschaften und Technik werden als den Geisteswissenschaften,
besonders der Religion überlegen wahrgenommen, weil und insoweit ihre
Erfolge greifbar sind. Die Tradierung eines angeborenen Instinktes zu
Haben, zu Besitzen, begünstigt unsere Orientierung an der Macht. An
den Erfolgen technischer Naturbeherrschung können Menschen partizipie-
ren, auch ohne die Wege zu verstehen, sie können Konsumieren, und da-
bei in Passivität verbleiben.
Passivität muß als mit Knechtschaft, gar Krankheit verbunden angesehen
werden (S.94), und diese, den Forderungen des Mensch-seins zuwiderlau-
fenden, Tendenzen erzeugen weitreichende Verdängungsmechanismen, die
unser Bild von der Wirklichkeit verfälschen.
Das Mittel zur Verdängung des Bewußtseins unseres Leides ist der Konsum
von Dingen. Diesem Mittel eignen nun aber zwei, sich verstärkende Neben-
wirkungen;
zum einen belässt es die Konsumenten in Passivität (selbst die Hervor-
bringung des Mittels verlangt eher Geschäftigkeit als Aktivität), und
zum anderen, denn schon hier versagt das Mittel den Zweck, führt die
Empfindung wachsender Leere zu wachsender Abhängigkeit vom Mittel, von
den zur Produktion desselben erforderlichen Strukturen und von der Aus-
beutung der natürlichen Resourcen.
Die fortgeschrittene Bürgergesellschaft hat die Maschine zur Gottheit
erhoben, und wähnt sich schon selbst als Gott. "Entscheidend ist, daß
sich der Mensch im Augenblick seiner größten _Ohnmacht_ einbildet, dank
seiner wissenschaftlichen und technischen Fortschritte _allmächtig_ zu
sein." (S.147)
____

"Zum ersten Mal im Leben des Menschen auf der Erde wird er aufgefordert,
... seine wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu bremsen..."
(S.156) Unser Problem besteht nicht in mangelnder Produktion, welcher wir
mit einer Ausweitung von Naturwissenschaft und Technik begegnen könnten,
sondern im Mangel an Bereitschaft zu Teilen, zu Selbstbescheidung.

Unsere Aufgabe besteht darin, jenem Wahn, die Belange einer Wirtschaft,
der die Frage nach dem Grunde des Treibens gleichgültig ist (S.90), über
alles zu stellen, entgegen, die menschliche Qualität eines Liebens jen-
seits der bloßen Nachwuchspflege, als für den Fortbestand unserer Gesell-
schaft unverzichtbar zu vermitteln.
Wir dürfen "Wirtschaftlichkeit nicht zum Fetisch erheben" (S.179)
"Wirtschaft-als-Lebensinhalt ist eine tödliche Krankheit,... Das Wirt-
schaft nicht Lebensinhalt sein _darf_, ist uns von allen großen Lehrern
gesagt worden; das sie es nicht sein _kann_, zeigt sich heute. (S.158)
Erforderlich ist eine "radikale Änderung des Wirtschaftssystems", das
uns zwingt "die Industrie durch krankhaft übersteigerten Konsum auf
Touren zu halten" und das "nur um den Preis kranker Menschen möglich
ist" (S.168..).
"Die Arbeit des Bauern wie auch des Handwerkers war kein feindseliger,
ausbeuterischer Angriff auf die Natur. Sie war eine Form der Zusammen-
arbeit mit ihr; keine Vergewaltigung, sondern eine Umgestaltung der Na-
tur in Einklang mit ihren Grenzen" (S.140). Solche eigentliche, ursprüng-
liche Form der Aktivität, in welcher der Mensch sich als Subjekt seines
Handelns erlebt, ist zugleich ein "Prozeß des Gebärens" (S.91). Dieses
Gebären aber gehört zum Prinzip einer mütterlichen, dh. im Gegensatz zur
väterlichen, unverlierbaren Liebe (S.140). In der nicht entfremdeten
Tätigkeit erfährt der Mensch Freiheit, "die freie, bewußte Tätigkeit"
entspreche dem "Gattungscharakter des Menschen" und für Marx bedeutete
der Kampf zwischen Kapital und Arbeit nichts weniger, als den Kampf
zwischen Tod und Leben, Vergangenheit und Zukunft (S.94..).

In der Existenzweise des Habens wird der Akt des Ungehorsam durch er-
neute Unterwerfung und damit durch die Wiederherstellung des hierar-
chischen Verhältnis, gesühnt. Die Existenzweise des Seins begegnet
ungeeignetem Verhalten mit dem heilenden Akt eines Liebens im Sinne
eines wieder-Eins-werdens, einer Erlösung aus der Einsamkeit, dem Ge-
trenntsein, eben der Entfremdung, in der wir uns befinden (S.121..).
Aus ihr ergibt sich die Gleichheit der Menschen voreinander.
Das Verschwinden der Instinktbestimmt- und auch -geborgenheit trennte
uns von der Natur. Spätestens mit der Erkenntnis der Kugelgestalt der
Erde müssen wir auf die Überwindung dieser Trennung hinwirken.
Das Haben gehört noch zu unserem 'Tiersein', wird uns also die ursprüng-
liche Geborgenheit nicht zurückbringen können. "Um unsere Ernergien in
eine Richtung zu lenken, um unsere isolierte Existenz mit all ihren
Zweifeln und Unsicherheiten zu transzendieren und um ... dem Leben ei-
nen Sinn zu geben" bedürfen wir eines "Objekt totaler Hingabe" (S.133).

Die Überlebenschance unserer Gesellschaft hängt an der Frage, "ob uns eine
solche Umorientierung vom Vorrang der Naturwissenschaft auf eine neue So-
zialwissenschaft glücken wird". Diese notwendige Umorientierung hat zur
Voraussetzung, das hochmotivierte, fähigen Menschen ihr Tätigsein in den
Dienst einer neuen humanistischen Wissenschaft stellen, deren wesentliche
Aufgabe zunächst darin besteht, ein Bewußtsein für den Umfang der Probleme
zu schaffen (S.166..).
Die Forderung des bedingungslosen Grundeinkommen ist die nach einem "be-
dingungslosen Recht, nicht zu hungern und nicht obdachlos zu sein", und
sie gründet darauf, "das der Mensch das uneingeschränkte Recht zu leben
hat, ob er seine 'Pflicht gegenüber der Gesellschaft' erfüllt oder nicht."
(S.181) Die Installation solchen Gundeinkommens hätte "eine völlig andere
Einstellung zur Arbeit" zur Folge, mit der "nicht mehr der materielle Ge-
winn den Ausschlag gibt, sondern andere psychische Befriedigungen als Mo-
tivation wirksam werden können." (S.166)
"Nur eine von Grund auf veränderte sozio-ökonomische Struktur und ein
völlig anderes Bild der menschlichen Natur können zeigen, daß Bestechung
nicht die einzige (oder die beste) Möglichkeit ist, um Menschen zu beein-
flussen. (S.106)
Der Gedanke an ein bedingungsloses Grundeinkommen, das dabei vermutlich
überhaupt keine zusätzlichen Kosten erzeugt, "wird all jenen undurchführ-
bar oder gefährlich erscheinen, die überzeugt sind, daß 'Menschen von
Natur aus faul' sind." (S.182)
____

Die Chance zur Durchsetzung eines, der Achtung der Würde des Menschen
geschuldeten, bedingungslosen Grundeinkommen, als eines wichtigen Teiles
der unabdingbar geforderten Umgestaltung unserer Gesellschaft, besteht
wesentlich in dem den Menschen eigenen "Verlangen, ein Gefühl des Eins-
seins mit andern zu erleben". Dieses "wurzelt in den Existenzbedingun-
gen der Spezies Mensch und stellt eine der stärksten Antriebskräfte
des menschlichen Verhaltens dar." (S.104)
Wenn wir sagen, daß der Mensch zum Menschen erst durch den Menschen werde,
so sagen wir damit auch, daß der Mensch das Ergebnis eines Altruismus ist;
Es ist eben ein _anderes_ Mittel, mit dem der Mensch die Evolution fort-
setzt. Das die natürliche Entwicklung übersteigende ist Kultur. Kultur
aber ist die Tradierung erworbenen, dh. nicht allgemein menschlichen, in
allen vorhandenen, Wissens, und sie hat die Teilung der Arbeit notwendig
zur Folge. Mit der Teilung der Arbeit sind wir aber aufeinander angewie-
sen. Arbeitsteilung erzeugt Solidarität und "als Hauptquelle der sozialen
Solidarität () wird sie gleichzeitig zur Basis moralischer Ordnung" (Emil
Durkheim; Über die Teilung der sozialen Arbeit).
Für unser Anliegen der Einrichtung des Grundeinkommen steht dieser Soli-
darität wesentlich die materielle Ungleichheit als eine Folge von Zwang,
und zunehmend auch als eine Folge von Gesetzlosigkeit, als Folge der Glo-
balisierung, entgegen. Der Reiche vermag sich mittels seines Besitzes am
Geld der gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entledigen.

Die Empfindung eines Leides aus "dem Verlust von Eigentum und ökonomi-
scher Unabhängigkeit" (S.190), das die ArbeitnehmerInnen als in einem
Lohnverhältnis stehende, eben nicht mehr, wie noch vor der Industrie-
alisierung als selbständige Handwerker und Bauern, erfahren, kann viel-
leicht mit der religiösen Dimension der anstehenden gesellschaftlichen
Umorientierung gemindert werden; "Im neuen Testament wird mit Freude
belohnt, wer dem Haben entsagt, während Traurigkeit das Los desjenigen
ist, der an seinem Besitz festhält.." (S.116).
Tatsächlich war ja auch im Konzept des Sozialismus das Privateigentum
an Produktionsmitteln zu Gunsten eines gesellschaftlichen, aufgehoben.
Darauf, und damit auf die Macht über andere Menschen, können und sollen
wir also, zu Gunsten eines höheren Gutes, verzichten.
Worauf wir nicht werden verzichten können ist aber die Überwindung der
Entfremdung, die nicht zuerst mit der Industrialisierung, sondern mit
dem Zwang zu solcher Arbeit, eingezogen ist. Unter Entfremdung leidet,
vielleicht mehr noch als die Arbeitklasse, die Mittelschicht. "Heute
zieht die Vision einer neuen Gesellschaft alle diejenigen an, die an der
Entfremdung leiden, die abhängig beschäftigt sind und deren Eigentum
nicht auf dem Spiel steht, mit anderen Worten, die Mehrheit der Bevöl-
kerung, nicht bloß eine Minderheit." (S.191)

Wir müssen ein wachsen des Leidendruckes, besonders bei der hierfür em-
pfänglichen 'Intelligenz', als Chance begreifen. Denkende Menschen sind
eher bereit, sich die nahezu unüberwindbar erscheinenden Probleme bewußt
zu machen, sich in die Einsamkeit zu begeben, die sich aus dem Engagement
für neue, unbekannte Wege, ergibt.
Sache und immer noch auch der Begriff des 'bedingungsloses Grundeinkommen'
sind relativ neu, eine originäre Wortschöpfung, die noch wenig bekannt ist
und dies ist ein wesentlicher Grund der Ablehnung; ohne Zitate, eben dem
Gewohnten, fehlt vielen Menschen der Halt.

"Wollen wir zugleich das Heutige wachsam betreiben und das morgige
hellsichtig bereiten, dann müssen wir in uns selber und in den nach
uns kommenden Generationen eine Gabe ausbilden die als Aschenbrödel
und vorbestimmte Prinzessin in der Innerlichkeit der Menschen lebt."
Martin Buber, Elemente des Zwischenmenschlichen
________


liebe Grüße -
Bernd

Seitenabgaben zu: Erich Fromm; Haben oder Sein, dtv, 1976, 1983

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