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1991: Hoch oben im Riesenrad

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Jan
Administrator

Beiträge: 85
Ort: Oebisfelde


New PostErstellt: 11.10.11, 22:56  Betreff: 1991: Hoch oben im Riesenrad  drucken  weiterempfehlen

Hoch oben im Riesenrad
 
Jahrmarkt in Amsterdam. Zwischen Schiffschaukel und Achterbahn ragte majestätisch das Riesenrad in den Himmel, rückte Gondel für Gondel vor, bis jede Gondel mit neuen Besuchern besetzt war.
"Komm!" Ich nahm Devi bei der Hand. "Wir steigen in die Luft, und wenn wir oben sind, genau in der Mitte, bleiben wir stehen."
Wir waren die Letzten, die einstiegen. Kaum saßen wir in der Gondel, begann sich das Rad zu drehen. Unsere Gondel stieg und stieg und stieg.
Das Rad hatte erst eine viertel Umdrehung gemacht, doch als wir nach unten schauten, hatten wir den Trubel des Jahrmarkts schon weit unter uns gelassen.
"Schau nur", rief ich, "wie hoch wir sind!"
Der frische Nachtwind hatte den Geruch von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln längst verweht. Es roch nach den rauhen Wolken, die in durchlässigen Steifen durch die Luft fegten. Der Erdboden mit seinem festen Asphalt, auf dem wir vorhin noch gestanden hatten, schwand langsam aus der Erinnerung.
Schwindelnde Höhe! Die Achse des Riesenrades schien nicht auf der Erde, sondern im Himmel verankert zu sein. Ganz leise, wie zum Abschied, klangen die Sirenen der Geisterbahn und das Geklingel der Rennautos an unser Ohr - als Erinnerung an eine längst vergangene Zeit.
Kräftig pfiff der Wind durch das knarrende Holzgerüst. Das Stoffdach unserer Gondel schlackerte. Devi fror. Ich schlug meinen Mantel auf, und wir kuschelten uns hinein.
Der Jahrmarkt war nur noch als ein einziger schwacher Lichterschein zu erkennen. Unter uns zogen die beleuchteten Straßenzüge von Amsterdam vorbei, die Grachten, die Waterkant. Und immer höher schwang das Rad, trug uns nach oben.
Eine breite schwarze Fläche: das Wasser des Ärmelkanals. Schon tauchten gegenüber die Lichter der englischen Küste auf.
Jetzt war uns, als sähen wir den Umriß der Erde. Sterne leuchteten rund um den Schatten des Erdballs. Und die Gondel stieg und stieg und stieg.
"Schau nur, die Sonne!" rief ich.
"Mitten in der Nacht, wie kann das sein?"
In tiefem Türkis stieg hinter dem runden Horizont der Erdkugel - erst violett, dann rosa, dann orange - die Sonne auf. Weißgelb und gleißend stand der Ball am Himmel, gleichzeitig aber war der gesamte Sternenhimmel mit den Planeten deutlich zu erkennen.
"Schau, der rote Mars, und da, die Venus!"
Noch bevor wir die einzelnen Planeten finden konnten, hatten wir uns schon so weit von unserem Sonnensystem entfernt, daß wir es nur noch als silberne Stecknadelköpfe im Nebel der Milchstraßen sahen.
Das Getöse des Jahrmarkts war endgültig verhallt, verschluckt von einer tiefen rührenden Stille. Und in dieser Stille erklang unendlich sanft ein kaum hörbares Summen. Eine Melodie, die jemand leise zu sich selber sang, selbstvergessen, als höre niemand zu.
Wir spürten die warme Gegenwart eines uralten ewigen Wesens. Die Luft — oder wie man es nennen mochte — war zum Anfassen weich und warm, als wäre der Raum erfüllt von einer Flüssigkeit, die langsam teigiger und schließlich zu einem festen Knet wurde, der sich geschmeidig an die Wangen schmiegte, um den Nacken legte, unsere Körper umschloß und in sich barg.
Ein Geräusch erklang wie platzender Seifenschaum. Mir war, als läge ich in tiefem Traum. Hatte ich nicht gerade geträumt, mit Devi auf der Erde durch den Jahrmarkt zu laufen? Wir waren in die Gondel eines Riesenrads gestiegen und im Schwung des Rades von der Erde abgehoben. Und wir hatten geträumt, in festen Körpern zu stecken aus Fleisch und Blut. Plötzlich mußte ich lachen über den kindlichen Glauben, diese Traumkörper seien zum Anfassen echt und fest.
Der Seifenschaum glitzerte, die platztenden Bläschen wirkten wie Milchstraßen und Sternennebel. Die Nebel waren wie unterschiedliche Wesenheiten, die jeweils eine eigene Welt regierten. Mir war, als sei das ganze Universum nur mein Traum. Das Universum wurde ruhiger, verschwommener, dann war es völlig aus meinem Bewußtsein verschwunden.
Ich spürte nur noch Devi, ganz nah bei mir. Und alles, was ich von ihr spürte, war diese dünne kitzelnde Naht zwischen uns. Und die Naht war immer weniger zu spüren. Unsere Seele, unser Geist floß ineinander. Da war kein Du mehr, das ich umfaßte. Es war e i n Wesen. Wie eine runde Haut umspannte ich mich selbst, mein Universum.
Ich versank in meinen Traum, sank in meine Schöpfung wie in einen tiefen, tiefen See. Ich ging unter und vergaß mich selbst.
Die Welt stand still. Wie lange? Jahrmillionen? Oder waren es nur zwei Sekunden?
Ein leises Ruckeln. Unsere Gondel zitterte, hielt an. Ich öffnete die Augen. Devi saß im Brautkleid neben mir. Ihre Wangen waren rosig frisch, wie angegossen legte sich das schwere Geschmeide ruhig und warm um ihren Hals.
Jetzt erst sah ich die Blumengirlanden, die weißen Schleier und rosa Bänder, die unsere Gondel schmückten. Das Rad stand still. Und unsere Gondel stand an der obersten Stelle, genau in der Mitte.
"Wie schade", meinte Devi. "Gleich geht es wieder nach unten."
"Wenn du willst, können wir ewig hier bleiben. Wir schalten das Rad einfach ab."
"Gute Idee! – Wie einfach."
"Ja. Alles ist einfach."
Wir schauten uns an, offen und unschuldig, wie Kinder im Paradies. "Wenn du willst, Devi, kehren wir nie mehr zur Erde zurück. Wir bleiben einfach hier oben."
Devi schob ihre Augenbrauen hoch und sah mich hilflos an. Sie überlegte, ob sie das wirklich wollte. "Vielleicht", meinte sie leise, "sollten wir doch noch mal runter. Ich hab nämlich was vergessen."
Ruck. Sanft setzte sich das Rad in Bewegung. Gondel für Gondel rückte es weiter. Die Gäste stiegen aus und mischten sich in den Trubel.
"Was meinst du, Devi? Ob sie alle dasselbe erlebt haben?"
"Glaube ich nicht. Sonst würden sie sich nicht so schnell im Trubel verlieren."
"Hat dir unsere Hochzeitsfahrt gefallen?"
"Ja. Es ging so tief. Ich war ganz hin."
Unsere Gondel war am Boden angekommen. Wir stiegen aus und betraten – wie zum erstenmal – die Erde.
Plärrend lockte das Geheul der Geisterbahn.


Dese Geschichte ist auch enthalten in dem Kurgeschichtenband:
https://www.alfa-veda.com/9783945004067-jan-mueller-reich-ueber-nacht.html



[editiert: 04.01.23, 13:22 von Jan]
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