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Können "Blaue Augen" wirklich swingen?

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Frickibär

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Ort: Mannheim


New PostErstellt: 06.04.06, 07:47  Betreff: Können "Blaue Augen" wirklich swingen?  drucken  weiterempfehlen

Können "Blaue Augen" wirklich swingen?
JOURNAL: Jazzmusiker entdecken aktuelle Popsongs - hinter der künstlerischen Vision steckt aber oft eine clevere Produzentenidee

Von unserem Redaktionsmitglied Georg Spindler


Es rumort in der Jazzszene. Ein Bildersturm scheint bevorzustehen: Lösen bald Popstars wie Sting, Björk, Bob Dylan oder gar Ralph Siegel altehrwürdige Klassiker wie Duke Ellington, Thelonius Monk oder die Standard-Komponisten des "American Songbook" als Themenschreiber ab? Dass Vertreter der swingenden Zunft immer öfter auf Vorlagen der aktuellen Popmusik zurückgreifen, scheint diesen Eindruck zu bestätigen.

Längst ist es nichts Besonderes mehr, wenn der Pianist Brad Mehldau aus der Beatles-Nummer "Martha My Dear" ein tumultuarisches Stimmengeflecht einander wild durchkreuzender Linien entfesselt. Oder wenn der Saxofonist Chris Potter den melancholischen Radiohead-Song "Morning Bell" in ein bewegendes, bluesgetränktes Lamento verwandelt. 1996, als Herbie Hancock auf der CD "The New Standard" dem Trend einen Namen gab und Titel von Nirvana und Peter Gabriel verjazzte, galt das noch als Sensation. Ebenso wie das im gleichen Jahr erschienene Album "German Songs" des deutschen Trompeters Till Brönner.

Seitdem wird aber eifrig diskutiert. Solche Popsongs seien harmonisch doch allzu dürftig im Vergleich zu den etablierten Standards von Gershwin und Co, lautet das Verdikt der puristischen Vertreter. Gerade in der Erweiterung des starren Repertoire-Kanons, liege der besondere Reiz, erklären die Parteigänger der Hancock-Richtung. Dass vor allem die jüngeren Jazzmusiker Popsongs als Spielmaterial entdecken, hat auch damit zu tun, dass viele von ihnen nicht mehr ausschließlich mit Jazz aufgewachsen sind; sie kennen Pink Floyd und Led Zeppelin ebenso gut wie Miles Davis.

Dabei erfüllen die neuen Standards die gleiche Funktion wie einst die Bebop-Variationen über "I Got Rhythm" oder "All The Things You Are": Vertrautes Material wird verfremdet und gibt durch die Entfernung vom Original dem Zuhörer Kriterien und Vergleichsmöglichkeiten, um die Kreativität einer Bearbeitung einzuschätzen. Eben dies funktioniert heute bei den klassischen Standards nicht mehr - sie sind dem jungen Publikum oftmals unbekannt.

Ob das Bedürfnis nach Kommunikation aber gleich so weit gehen muss, auch Vorlagen von Schlager-Mogul Ralph Siegel zu verjazzen, wie dies das Trio um den deutschen Pianisten Carsten Daerr auf seinem Album "Germany 12 Points" getan hat, dies sorgt nun in der einheimischen Szene für Zündstoff. Zwar haben die sich weit von den Vorlagen entfernenden Bearbeitungen des Trios viel Lob durch Kritiker erhalten, die sich den Trend nicht entgehen lassen wollten. Aber auch der kühnste Improvisationsausflug des Trios vermag die melodische Plattheit von Stücken wie "Dschinghis Khan" nicht zu vertuschen.

Siegfried Loch, Produzent des Siegel-Albums und Inhaber des Plattenlabels ACT, sieht das anders: "Ich freue mich, dass die junge Jazz-Generation keine Berührungsängste mit der deutschen Musikgeschichte hat", entgegnet er im Gespräch mit unserer Zeitung. Er räumt ein, dass die Ideen zu mehreren vergleichbaren Konzeptalben, die auf ACT erschienen sind, von ihm stammen. So habe er die Berliner Band jazzindeed mit einer eigenen Platte zunächst abgelehnt. Als sie aber bei einem Konzert den Neue-Deutsche-Welle-Hit "Blaue Augen" als Zugabe spielten, habe er ihnen erklärt: "Wenn ihr in der Art ein ganzes Album macht, kommen wir ins Geschäft."

Meist handle es sich bei den Popjazz-Projekten "um den verzweifelten Versuch von Produzenten, neue Märkte zu eröffnen", findet der Kölner Pianist Florian Ross. Er hat für ein weiteres ACT-Album neben deutschen Schlagern auch Hits von Xavier Naidoo und Herbert Grönemeyer arrangiert. "Eigentlich schöne Stücke, aber sie leben von den Interpreten. Musikalisch sind sie unfassbar banal. Ich selbst würde sie nie spielen", erklärt Ross. "Vom Gehalt her sind die meisten alten Standards einfach anspruchsvoller", geht er auf Distanz zum Trend. Der hat übrigens seinen Ursprung in Mannheim: Schon 1958 arrangierte der Pianist Wolfgang Lauth deutsche Standards wie "Kauf dir einen bunten Luftballon". Die Schlager von Peter Kreuder oder Theo Makeben seien ebenso gut wie die US-Evergreens, findet Lauth. "Um etwas Gehaltvolles aus diesen Vorlagen machen zu können, muss das harmonische Gerüst stimmen, dann kannst du alles verjazzen." Es gebe aber Grenzen, sagt der Altmeister: etwa Ralph Siegel.

ACT-Chef Loch sieht seine Aufgabe darin, "für die Musiker ein größeres Publikum zu erreichen." Der Erfolg gibt ihm recht: Seine Bands zählen zu den gefragtesten deutschen Jazz-Acts. Die Frage ist nur: Welchen Preis zahlen sie dafür? Florian Ross hat eine klare Meinung: "Ich sehe die immer stärkere Tendenz, Dinge miteinander zu verbinden, auch wenn sie nicht zueinander passen. Aber als Hobby-Koch weiß ich: Wenn du Camembert in den Wok wirfst, kommt nur warmer Käse raus."

© Mannheimer Morgen - 06.04.2006



Quelle: www.morgenweb.de







...ich glaube, diesen Artikel aus dem "Mannheimer Morgen" lasse ich mal besser unkommentiert...



"doch wenn ich arm bin, habe ich nur meine träume. die träume breite ich aus vor deinen füßen. tritt leicht darauf, du trittst auf meine träume." (William Butler Yeats)


[editiert: 11.04.06, 11:02 von applepie]
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