Retinoblastom - Forum

 
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Ildiko
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Beiträge: 29

New PostErstellt: 08.01.03, 21:13     Betreff: Meine Geschichte Antwort mit Zitat  

Modeschmuck beweglicher L Ketten Hal...
Ich bin am 27.03.1966 in Brasov (Kronstadt)/Rumänien geboren.

Ich war neun Monate alt, als mein Vater das berühmte Katzenauge in meinem rechten Auge entdeckt hat. Erstmal wurde meine Mutter von den Ärzten in Kronstadt abgewiesen: Sie wüßten nicht, was es sei, und sie solle mich auch nicht wiederbringen. Die Diagnose wurde dann von einem alten Arzt aus einer benachbarten Kleinstadt gestellt, der meiner Mutter auch die Reaktion der anderen Ärzte erklärt hat: Krankheiten, die in unserem sozialistischen Land nicht heilbar seien, dürfe es nicht geben. Er hat die Entfernung des Auges auch so kunstvoll bewerkstelligt, daß sich meine Prothese fast parallell zum anderen Auge mitbewegt.

Weitere neun Monate später war das andere Auge dran. Es hieß erstmal wieder, es sei nichts, meine Mutter bilde sich da was ein. Der alte Arzt stellte schließlich fest, auch dieses Auge sei nun krank, und daß er nicht helfen könne: Die ihm zur Verfügung stehende Technik reiche nur aus, um mir das Auge zu entfernen. Er schickte uns weiter, nach Cluj (Klausenburg), da sollte ein Professor mit der Behandlung der Krankheit experimentiert haben. Und dieser war auch ein außerordentlicher Mensch. Er hatte tatsächlich versucht, die Tochter eines Freundes zu retten, doch erfolglos. Ich bin diesen Ärzten dankbar dafür, was sie getan haben, und noch mehr dafür, daß sie mich nicht als Versuchskaninchen mißbraucht haben. Dieser Klausenburger Arzt hat versucht, durch Elektrothermokoagulation den Ablauf der Krankheit zu verzögern und hat, seine Position riskierend, meiner Mutter verraten, daß es in London Hilfe gäbe. Für meine Mutter schien damals London genauso unerreichbar, wie der Mond. Doch sie begann die Pilgerfahrten zum Gesundheitsministerium in Bukarest (16 Mal innerhalb von vier Monaten). Sie wurde immer wieder vor die Tür gesetzt, es wurde ihr erklärt, es sei nichts weiter dabei, wenn ein Kind sterbe, es würden doch zehn andere an seine Stelle geboren. Bis ihr eine Sekretärin aus Menschlichkeit verriet, das Ministerium hätte nur für wichtige Menschen Geld zur Verfügung und meine Mutter solle nach einem Sponsor suchen.

Es ergab sich, daß die unitarische Kirche 400 Jahre ihrer Gründung feierte und daß Bischöfe aus aller Welt nach Siebenbürgen anreisten. (Unitarismus = im 16. Jh. radikale Reformationsbewegung, die die Heilige Dreifaltigkeit bestritt, Michael Servetius wurde in Genf auf dem Scheiterhaufen verbrannt, andere flohen ostwärts, nach Polen u. Siebenbürgen. 1568 zählt als das Gründungsjahr der Konfession in Siebenbürgen.) Meine Eltern konvertierten zum Unitarismus und der Bischof der britischen unitarischen und freichristlichen Kirche versprach, die nötigen Geldmittel aufzutreiben. Davor hatte meine Mutter durch eine englische Familie (wieder Zufall und kolossale Menschen) Kontakt zu Prof. Stallard in London aufgenommen (er hat meines Wissens die Behandlungsmethode mit den Applikatoren entwickelt). Er hatte angeboten, den Eingriff unentgeltlich vorzunehmen und auch einen Teil der Anästhesie- und Krankenhausaufenthaltskosten, die unumgänglich waren, zu bezahlen.

Am 16. Dezember 1968 (ich war inzwischen zweieinhalb und der klausenburger Arzt befürchtete, es sei zu spät) flogen wir los, ohne einen Penny in der Tasche. Im Flugzeug schenkte eine jüdische Passagierin meiner Mutter 10 Dollar. Am Flughafen in London wurden wir vom Bischof und von einem aus Siebenbürgen stammenden Pfarrer erwartet. Der Panda-Teddy, den sie mir da schenkten, ist bis zum heutigen Tag mein Maskottchen. Prof. Stallard stellte mich zuerst seiner Frau vor (ich bin inzwischen ein VIP geworden!), untersuchte mich dann, und versprach meiner Mutter, auf meiner Hochzeit zu tanzen. (Es ist nicht dazu gekommen: die radioaktiven Applikatoren hat er immer persönlich vom Labor abgeholt, in der Kitteltasche befördert, und dabei seine Leber verstrahlt. Es ist ein Pakt mit dem Teufel, den diese Männer da schließen, um uns zu helfen. Mein Leipziger Arzt hatte Schilddrüsenkrebs aus ähnlichem Grund, doch der hat zum Glück überlebt.)

Ich habe viele Erinnerungen von diesen drei Wochen in London. Das nötige Geld kam an einem karitativen Teeabend zusammen. Ich saß auch da und bekam einen riesengroßen blauen Luftballon geschenkt, auf dem eine gelbe Sonne lachte. (solche fast fotografisch genaue, Erinnerungen habe ich sehr viele.) Zum Glück hat diese einmalige Strahlentherapie ausgereicht. Die Chemo bekam ich dann in Klausenburg. Und ich konnte ein ganz normales Leben führen, normal beschult werden, hatte cca. 90% Sehschärfe am linken Auge, bloß mein peripheres Gesichtsfeld fehlt fast ganz. Obwohl wir Ungarn sind, gaben mich meine Eltern in die deutsche Schule. War ein guter Schachzug, da ich mich dadurch freier in der Welt bewegen konnte. Mit 10 begannen dann die Scherereien mit dem angekündigten Strahlenkatarakt und parallell dazu mit der Iridozyklitis. In 10 Jahren bekam ich so viele Kortikoide, daß es einen Bullen umgehauen hätte. Da hat meine Mutter zu jenem Arzt in der DDR Kontakt aufgenommen, den uns noch Prof. Stallard empfohlen hatte, als die Zeit verging und wir nicht nach London fahren konnten. Prof. Lommatzsch hat mich behandelt, als sei ich sein eigenes Kind. Da wir natürlich nicht offiziell fahren konnten, mußten wir als Touristen anreisen und ich mußte "schwarz" behandelt und 1986 "schwarz" operiert werden. Nach der Wende wurde Prof. Lommatzsch u.a. vorgeworfen, Patienten unter konspirativen Bedingungen behandelt zu haben. Das war ich!!! Nachdem seine Professur neu besetzt und ihm 2 Jahre lang wegen Stasimitarbeit der Prozeß gemacht wurde, wurde er rehabilitiert. Er durfte sich entscheiden zwischen DM 30 000 einmaliger Abfindung und einer lebenslanger Monatsrente von DM 100. Er hat das letztere gewählt. No comment. Ich muß bloß sagen, ich hab mal bei seiner Sekretärin, mal bei ihm gewohnt, da wir das Hotel nicht bezahlen konnten, daß ich mich heute noch vor seinem Drängen kaum retten kann, wenn ich in Leipzig bin, da er mir neue Prothesen bezahlen will. Er ist schon mal von der Geburtstagsfeier seiner Frau weg, da ich hereingeschneit kam, hat mich in seine Praxis gefahren und gründlich untersucht.

Und dann habe ich noch nicht erzählt von der Brieffreundin aus Westdeutschland, die mir die sauteuren Kortikoide 10 Jahre lang zuschickte (eine Dosis war ein viertel Monatsgehalt meiner Mutter), von meiner mütterlichen Freundin aus Stralsund, die jedes Mal, wenn sie mit ihrer Familie in den Karpaten Urlaub machte, uns Geld wechselte (denn ab Anfang der 80er konnte man bei uns nicht mal mehr offiziell Ostgeld wechseln). Ich bin vielen Menschen gegenüber bis in die Puppen verschuldet. Das ist es, was ich aufschreiben möchte. Ich habe sehr darunter gelitten, immer wieder als Bettler dastehen zu müssen, obwohl diese Menschen es mich niemals haben spüren lassen. Ich kann meine Schuld abarbeiten, wenn ich helfe

Es paßt nur bedingt her, doch abschließend möchte ich hier Mahatma Gandhis Worte:zitieren: "Die Tyrannei ist nicht so sehr die Schuld des Tyrannen, als die des Unterdrückten. Der Tyrann vermag nämlich nur das aufzuzwingen, dem zu widerstehen das Opfer nicht die Kraft besitzt. Die eigene Schwäche und Bosheit besiegen ist daher schon der halbe Sieg." (Probleme, Ängste, Selbstmitleid sind doch ganz tüchtige Tyrannen.)

Ich muß gestehen, daß ich in den letzten Wochen das Internet systematisch nach Fachliteratur zur späten psychotherapeutischen Begleitung vormals krebskranker Kinder abgesucht und nichts gefunden habe. Ich befürchte, die Fachwelt hat uns vorerst gar nicht wahrgenommen. Eigentlich bin ich enttäuscht, andererseits reift meine Überzeugung, handeln zu müssen. Vielleicht lenken diese unsere Beiträge die Aufmerksamkeit auf dieses Gebiet.
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