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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Mehr Rechte für Pflegefamilien

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Admin

Administrator

Beiträge: 103

New PostErstellt: 22.02.07, 10:32  Betreff: Mehr Rechte für Pflegefamilien  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

29.07.05 . 15:08

Mehr Rechte für Pflegefamilien

Podcast, Jugendhilfe

Ines Kurek-Bender, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien (PFAD), plädiert für eine soziale und rechtliche Besserstellung von Pflegeeltern.

„Pflegeeltern sind oft unvorbereitet. Sie bekommen keine ausführlichen Informationen über das Kind, dass sie übernehmen“, sagt Ines Kurek-Bender.

An mangelnder Kommunikation scheitert die partnerschaftliche Beziehung zwischen den Parteien. „Pflegefamilie ist ein Schutzraum für das Pflegekind…Pflegeeltern wissen oft am besten, was gut für ihr Kind ist“, bemerkt die Geschäftsführerin des PFAD. Deshalb sollte das Jugendamt den Pflegeeltern mehr Vertrauen entgegenbringen.

Auf Dauer untergebrachte Pflegekinder werden oft ohne Vorankündigung aus ihrer Pflegefamilie herausgerissen. Aus Kostengründen schickt sie das Jugendamt zurück in die Herkunftsfamilie oder weist sie in ein Jugendheim ein.

Quelle: TM-Sozial http://www.tm-sozial.de/

Interview: „Aus Pflegefamilien werden im Alltag richtige Familien“

Inhalt: "Pflegeeltern zu sein ist das Sich-Einlassen auf "fremde" Kulturen" "Missbrauchte und vernachlässigte Kinder werden zu Pflegekindern" "Die Beziehung zu den leiblichen Eltern sollte nur zum Wohl des Kindes gepflegt werden" "Das Jugendamt sollte beraten und vermitteln" "Bereitschaftspflege ist eine Art Krisenintervention" "Pflegekinder werden nur sehr selten zur Adoption freigegeben" "Es gibt zu wenig Pflegedienste, die Pflegekinder vermitteln" "Pflegeeltern werden selbstbewusster im Umgang mit Behörden" "Die Pflegefamilie ist eine öffentliche Familie"

Interviewdauer: 14.11 Minuten Podcast, Jugendhilfe Dateien: TM-sozial_Interview_Ines-Kurek-Bender_07-2005_01.MP3



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Admin

Administrator

Beiträge: 103

New PostErstellt: 22.02.07, 11:14  Betreff: Re: Mehr Rechte für Pflegefamilien  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Ines Kurek-Bender, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien (PFAD), merkt in Bezugnahme auf Verhältnis, Umgang und Erfahrung mit dem Jugendamt folgendes an:

 

Pflegeeltern müssen sich mit den Behörden auseinandersetzen.

 

Der Umgang mit den leiblichen Eltern soll gepflegt werden, wenn es zum Wohle des Kindes ist, was immer strittig ist.

 

Hauptkonflikt zwischen Pflegeltern und Jugendamt

 

Pflegeltern bekommen nicht alle Informationen, die sie benötigen. Im Hilfeplan wird die Befristung absichtlich nicht festgelegt, sondern absichtlich weich gehalten. Die spezielle Vorbereitung der Pflegeltern auf das Kind ist nicht ausreichend gut genug.

Durch das Jugendamtshandeln kann Schaden für das Kind entstehen, eine traumatische Entwicklung.

Normalerweise ist Bereitschaftspflege nur als Krisenintervention gedacht, bis schnellstens geklärt werden muss, was mit dem Kind passieren soll, wo es hin soll, was aber nicht in langfristige oder in Dauerpflege durch verschleppendes Jugendamtshandeln ausarten darf.

Wenn Pflegeeltern ein ihnen anvertrautes Pflegekind behalten wollen, dann müssen sie ein Familiengerichtsverfahren gegen das Jugendamt anstrengen, falls dieses über den Verbleib des Kindes anderer Meinung ist.

Wenn man sehr strittig mit seinem Jugendamt umgeht, kommt es dazu, dass die Hilfen, die man braucht nicht gewährt werden und es viel zu lange dauert. Das Jugendamt reagiert also mit Kritik durch Negativ-Sanktionierung, die Pflegeeltern werden nicht mehr als Partner, sondern als Bittsteller behandelt. Es treten dabei absichtliche Verfahrensverzögerungen ein, die den Amtspersonen in Behörden als Werkzeug und Hebel in der Auseinandersetzung mit dem Bürger dienen.

 

„Es ist einfach nicht schön, wenn man das Jugendamt als Gegner hat.“

 

Durch Sparwillen werden gescheiterte Rückführungen in die Herkunftsfamilien umgesetzt und den Pflegefamilien seitens des Jugendamtes zu wenig Vertrauen entgegengebracht.

Als Pflegefamilie ist man ein öffentliche Familie. Jeder hat eine Meinung dazu. Jeder übt Kritik.

 

--------------------------------------------

Ein sehr hörenswertes Interview.

 

Einiges von dem angesprochenen ist sehr interessant.

 

Einiges ist doch sehr diskutabel, aber natürlich auch auf die interessensgeleitete Perspektive zurückzuführen.

 

- BMU



[editiert: 03.05.07, 18:58 von Admin]
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bennyman
Stammgast


Beiträge: 24
Ort: Kassel Stadt

New PostErstellt: 22.02.07, 17:01  Betreff:  ZU schwarz/weiß Pflegefamilien  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Sicherlich ist Ines Kurek-Bender als Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien (PFAD) eine eindeutige Interessensvertreterin für Pflege- und Adoptivfamilien.

So interessant ihr Interview, ihre Stellungnahme und ihr Auftreten auch sind; ich finde, es mangelt so ziemlich an Einsicht und Selbstkritik. Man hört förmlich, dass Kurek-Bender mit Leidenschaft bei der Sache ist, aber hier wird von ihr die Herkunftsfamilie zu schwarz gemalt und die Pflegefamilie zu weiß gemalt.

Ich meine, mit keinem Wort erwähnt Kurek-Bender, dass es auch schwarze Schafe unter den Pflegefamilien gibt... Man denke nur an den Fall Görgülü und die Erfahrungen mit uneinsichtigen und sturen Pflegeeltern, die durch gezielten Umgangsboykott genau das unterlaufen, was Ines Kurek-Bender in ihrer Funktion als Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien als ein wesentliches Handlungsleitmotiv propagiert, nämlich den Umgang des Kindes mit den leiblichen Eltern zu pflegen.

Mehr Infos zum Fall Görgülü:

http://www.vafk.de/themen/Tagebuch/Tagebuch.htm



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Gast
New PostErstellt: 26.03.07, 10:22  Betreff: Re: Mehr Rechte für Pflegefamilien  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

 
Literatur / Fachbeiträge

 
Die Pflegefamilie und das Streben nach einer heilen Welt
 
Ursachen und Hintergründe, Fiktionen und Hinderungsgründe
 
Frau Dr. Annegret Freiburg hielt diesen Vortrag anlässlich einer Fachveranstaltung von PFAD FÜR KINDER, Landesverband Bayern e. V. am 28. April 2001 im Haus der Evangelischen Heimvolkshochschule in Bad Alexandersbad.
Als ehemals akademische Oberrätin an der Universität Göttingen mit dem Schwerpunkt Familienpädagogik beschäftigt sich Frau Dr. Annegret Freiburg heute ganz besonders mit der Problematik in Pflegefamilien und ist hier federführend bei der Erstellung eines Curriculums zur Vorbereitung und Qualifizierung von Pflegeperson
 
Liebe PFAD-Finderinnen und PFAD-Finder,
 
ich nehme einmal an, dass Sie alle hier sind, um einen PFAD im Gestrüpp des Pflegekinderwesens zu finden, der Ihnen und vielen Pflegefamilien helfen soll, Dornen aus dem Weg zu räumen und Ausblicke zu eröffnen. Ich möchte ein kleines Stück vorausgehen und über einen sehr wichtigen Aspekt reden, der lange Zeit sträflich vernachlässigt wurde, nämlich über die Pflegefamilie. Sie scheint bei vielen Vermittlungen fast so etwas wie ein naturgegebener Hintergrund zu sein, auf dessen Folie sich die brisanten Fragen abspielen, die sich um das Pflegekind, die Pflegeperson, die leibliche Mutter, um rechtliche Probleme oder um Therapien ranken. Folien sind in der Regel dazu da, einerseits etwas zu schützen und andererseits die Durchsichtigkeit zu erhalten. Dieses Bild der Pflegefamilie können wir getrost zugrunde legen.
 
Pflegefamilien rücken in der sozialpädagogischen Fachöffentlichkeit immer deutlicher und differenzierter ins Blickfeld. Galt noch Jürgen Blandows Arbeit "Rollendiskrepanzen in der Pflegefamilie" von 1972 als Pionierarbeit, der lange nichts folgte, so regt sich heute zunehmend das Nachdenken über das, was eine Pflegefamilie ist und was sie für wen und wie leisten kann und soll. Zum einen steht das Pflegekind, seine Sozialisation mit den emotionalen und strukturellen Brüchen im Brennpunkt, aus dem sich der Slogan: "Eltern für Kinder" - nicht mehr: Kinder für Eltern - herausgebildet hat. Des weiteren bemühen sich die Jugendämter um Vorbereitung der Pflegepersonen und deren Begleitung während der Inpflegegabe, mitbedingt durch die Änderung im Hilfekonzept vom JWG zum KJHG. So ist die familiäre Situation ein wichtiger Aspekt für die Auswahl als Pflegefamilie, allerdings mit dem Einwand, dass unter den SozialarbeiterInnen beileibe keine Sicherheit oder Einigkeit über wissenschaftlich abgesicherte Kriterien zur Auswahl herrschen! Ein weiterer Grund ist, wiederum eigens im KJHG vermerkt, der zunehmende Druck zur Aus- und Weiterbildung, der aus den Reihen der Pflegepersonen selbst kommt. Da gibt es nicht nur den PFAD, der sich auch auf Bundesebene als Lobby versteht, da gibt es eine Vielzahl von Pflegefamilien-Vereinen, von Nachrichtenblättern und Heften zum Pflegekinderwesen, die alle umfangreich und fachlich z.T. äußerst qualifiziert über die Probleme "Pflegekind im Zentrum" hinaus die Pflegefamilie aus unterschiedlicher Sicht beleuchten.
 
Zusammenfassend bedeutet dies: Ging es, ausgelöst durch die Heimkampagne, etwa 20 Jahre lang nahezu ausschließlich um die Erforschung und Verbesserung der Situation fremduntergebrachter Kinder, so erweitert sich seit 10 Jahren das Blickfeld hin zu strukturellen Fragen wie: Bedeutung des Systems Familie, der Geschwisterbeziehungen oder des sozialen Netzwerkes, in dem die Pflegefamilie lebt. Hier nun zeigen sich im Pflegekinderwesen deutlich Erkenntnis- und Wissenslücken, von denen ich versuchen will, einige zu füllen.
 
I    Heile Welt-Fiktion
 
Ich beginne mit meiner, zugegebenermaßen provokanten These:
 
Sollte die Pflegefamilie - darf sie - darf sie nicht - nach der heilen Welt streben?
Die "heile Welt" wird als etwas Unrealistisches, Endgültiges und Feststehendes interpretiert und ist dementsprechend unbeweglich. Eine schärfere Interpretation soll hier nicht herangezogen werden, dass die heile Welt eine verführerische, falsche Tatsachen vorgaukelnde sei. Wir befinden uns alle auf unterschiedlichen Wegen zu Harmonie und Ausgleich. Wir sollten uns aber hüten zu beschließen, wir seien angekommen! Sonst begehen wir zwei Fehler:
 
Der erste äußert sich im Verschließen vor neuen, fremden Einflüssen, da sie ja die vollkommene Harmonie stören. Dies hat fatale Folgen für unsere Lern- und Konfliktfähigkeit und damit für die Zukunft.
 
Der zweite Fehler betrifft die von uns Abhängigen, in unserem Fall die Kinder. Sie werden in das Korsett der "heilen Welt" eingeschnürt, womit Ängste und fortwährende Selbstzweifel ausgelöst werden. Eine heile Welt ist allenfalls etwas für Träume, nie jedoch für die Realität!
 
II   Familie als System
 
Mit einem Beispiel sollen die wichtigsten Funktionen im System Familie erläutert werden.
 
Eine Pflegefamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Tochter 13 Jahre, Sohn 11 Jahre, Tochter 7 Jahre und Pflegetochter 3 Jahre bekommt kurz vor dem Mittagessen mitten in der Woche einen Anruf aus dem Jugendamt. Hier säße die 14-jährige Jessica, die dringend eine Pflegefamilie suche. Bisher habe sie bei der Großmutter gelebt, zu der sie jedoch keinesfalls zurückkehren wolle. Jessica: "Wenn ich die Alte sehe, schlage ich sie tot!" Die Großmutter hatte, wenn Jessica nicht gehorchte, sie beschimpft: "Du bist genau so eine Schlampe wie deine Mutter!" - Die Sozialarbeiterin, sehr überzeugt von der Qualität der Pflegefamilie, bittet, mit Jessica vorbeikommen zu dürfen. Noch während des Mittagessens erscheinen die beiden. Alle vier Kinder sind aufgeschlossen und freundlich, man zeigt das gerade neu bezogene Haus und setzt sich zu einem unverbindlichen Gespräch hin. Nach kürzester Zeit erklärt Jessica: "Hier gefällt es mir, hier gehe ich nicht mehr weg!" Der Einwand der Mutter, ihr Mann käme erst später nach Hause und sie wolle alles in Ruhe mit ihm erörtern, wird von den Kindern weggewischt. Auch die Sozialarbeiterin, die das Mädchen hier in guten Händen weiß, überredet die Mutter. So bleibt Jessica da. Im Zimmer der Ältesten wird ein Bett aufgestellt und Platz für Jessica geschaffen. Beim Eintreffen des Vaters ist alles fertig. - Ich greife vor: Jessica verursachte in der ganzen Familie Chaos.
 
  • Jessica kannte kein Familienleben, insbesondere torpedierte sie die Männer-/Vaterrolle und die des Sohnes.


  • Jessica unterminierte den Freundinnenkreis der 13-jährigen Tochter, ging diese doch ins Gymnasium, während Jessica Hauptschülerin war. Das Zusammenleben in einem Zimmer gestaltete sich zur Katastrophe.


  • Jessica brachte verbale und nonverbale Aggressionen, eine äußerst niedrige Frustrationstoleranz und weitere Fehlverhaltensweisen in die Geschwistergruppe, die sich zunehmend in gleicher Weise auseinander setzte.
Gespräche mit dem Jugendamt blieben ohne Konsequenz. Die Mutter, die überwiegend für innerfamiliale Vorgänge die Verantwortung trug - der Vater hatte trotz Bemühens nur wenig Einfluss auf die Eskalation - die Mutter beendete nach einen Jahr das Drama: Jessica musste gehen. Unter diesem Versagen litt die Mutter jedoch so sehr, dass sie für einige Zeit in der Psychiatrie gepflegt werden musste. Kurz nach der Rückkehr nahm sie die 8-jährige eigene und die 4-jährige Pflegetochter und zog in eine andere Wohnung. Die älteste Tochter und der Sohn blieben beim Vater. Zwar zog die Familie nach einer einjährigen Aus-Zeit wieder zusammen, es blieb aber bei allen Familienmitgliedern die Erinnerung an eine Katastrophe bestehen.
 
Dieses Beispiel mag ein wenig plakativ, ja fast reißerisch klingen. Dennoch lassen sich die wichtigsten Faktoren, die eine (Pflege-)Familie bedingen, herausfiltern.
 
A.  Die Pflegefamilie wird als ein personen-übergreifendes soziales System charakterisiert, das stets ein labiles Gleichgewicht anstrebt. (Böhnisch/Lenz, S. 58) Diese sogenannte systemische Sichtweise eröffnet den Blick auf jedwede Konstellation in innerfamilialen Beziehungen und deren Auswirkung auf das gesamte System. So wirkt sich nicht nur die Geburt eines Kindes auf die Geschwisterkonstellation einschneidend aus, sondern ebenso auf die Partnerbeziehung der Eltern oder auf die veränderte Zuwendung der Mutter zu allen ihren Kindern. - Kommt ein Pflegekind neu in die Familie, "verrutscht" das ganze System. Nicht nur von der Seite des Pflegekindes ist also ein vorsichtiges Annähern an die fremde Situation notwendig, sondern ebenso für die Pflegefamilie, handelt es sich doch um eine von den leiblichen Kindern schwer zu verstehende Normenverschiebung. Es langt auch nicht, die neue, kommende Situation "Pflegekind im Familienkreis" vorzudiskutieren ("Die Kinder waren doch begeistert von der Idee!"), da dies einem Trockenschwimmen gleichkommt, sondern um eine real durchgeführte Annäherung beider Seiten. Damit werden familiale Gleichgewichtsverschiebungen vorsichtig ausballancierend eingeführt.
 
Das Hineinpurzeln von Jessica musste auch ohne ihre schwerwiegenden Sozialisationsdefizite und -störungen zu massiven Verschiebungen in der Geschwisterhierarchie und zu Verunsicherungen in der Pflegefamilie führen.
 
B.  Zur systemischen Sichtweise gehören weitere Erkenntnisse: Zwar wird die Familie als ein Ganzes, als eine Einheit interpretiert, jedoch gibt es wie in jedem System Subsysteme. Die wichtigsten Subsysteme in einer intakten Familie sind dasjenige der Eltern und das der Kinder. Ihre unterschiedlichen "Autoritätsbeziehungen" (Schuster) werden von den Kindern als Distanz an Körpergröße, an Erfahrung und Verantwortung wahrgenommen. Sie gelten als "normal" und geben den Kindern ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Löst sich das elterliche Subsystem auf, geschehen Koalitionen mit einem oder mehreren Kindern gegen den Partner, so geraten die Systeme, die Zuordnung der Rollen mit dem Rollenverhalten durcheinander und Verunsicherungen, Fehlverhalten sind die Folge.
 
Jessica konnte weder die Rolle des Pflegevaters noch die Autoritätsbeziehungen der Subsysteme erkennen, Sie attackierte wahllos alles Männliche und löste damit die Subsysteme auf.
 
C.  Ein weiteres, wichtiges Element familialer Systeme ist das der Geschwisterkonstellationen und -beziehungen. Es gehört langsam zur Binsenweisheit des Pflegekinderdienstes, dass Pflegekinder möglichst als letzte in der Geschwisterreihe aufwachsen sollten, um die von den leiblichen Kindern eingenommenen Positionen so wenig wie möglich durcheinander zu rütteln und dem Pflegekind einen Jüngsten-Bonus einzuräumen. Es wird also in der Regel nur für das bisher jüngste Kind schwer, seine Position an ein neues, oft gerade in der Eingewöhnungsphase ungestüm forderndes Pflegekind abzugeben. Bedeutend schwieriger wird das familiale Zurechtrücken, wenn ein Pflegekind zwischen die Geschwisterreihe geklemmt wird oder es die Top-Position als ältestes übernehmen soll. Bereiche wie Vorbildverhalten, Verantwortung und Ernsthaftigkeit, Gewinnen von Ich-Identität und Distanz werden von den leiblichen Kindern infrage gestellt, das Pflegekind fühlt hingegen ein Übermaß an Verantwortungsdruck und Vorbildverhalten aus dem Subsystem Kinder, dem es nicht gewachsen sein kann.
 
Jessica wurde als Älteste, jedoch bei weitem nicht Leistungsstärkste in emotionaler, sozialer und intellektueller Hinsicht in die Familie implantiert. Alle Kinder waren überfordert, insbesondere die beiden ältesten hielten den Attacken von Jessica nicht stand.
 
D.  Jedes System hat ein "Steuerungszentrum". In der Familie ist dies im Idealfall das Elternpaar. Es zeigt sich jedoch, dass auch heute noch die innerfamilialen Steuerungsfunktionen weitgehend von den Müttern wahrgenommen werden; dies gilt insbesondere für Pflegefamilien, in denen über die Hälfte der Mütter keiner außerhäuslichen Arbeit nachgehen. Hier fühlt sich die Mutter aufgerufen, das familiäre Gleichgewicht zu erhalten bzw. herzustellen und als Prellbock von Wahrnehmungen und Gefühlen nahezu aller Familienmitglieder stets da zu sein. Sie ist einerseits die Person, die die meiste Autorität in der Familie auf sich vereint, andererseits am leichtesten in ihrer Identität verletzt werden kann und vom Partner Unterstützung erwartet. Aus anderen Forschungszusammenhängen wissen wir, dass z. B. bei Alkoholismus des einen Partners der andere in sogenannte Co-Abhängigkeit gerät, indem vertuscht und nach außen eine Fassade der heilen Familie dargestellt wird. Ebenso setzt die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH), die zur Vermeidung von Fremdplatzierung der Kinder eingerichtet wurde, in der Regel beim Verhalten der Mutter an, um die Familie vom Zentrum her zu stabilisieren. - So lautet meine These: Die Mutter ist das Herzstück der Familie. Ihre innere und äußere Stabilität, ihre Wahrnehmung von Vorgängen in der Familie, ihr ausgewogenes Verantwortungsbewusstsein, ihr Erziehungsverhalten und Durchsetzungsvermögen und - last not least - ihr Organisationstalent entscheiden weitgehend über die Funktionsfähigkeit der Familie.
 
In unserem Fall war die Pflegemutter überfordert: Es misslangen trotz langer, verständnisvoller Gespräche der Eltern mit Jessica nicht nur deren Integration, sondern jegliche Verhaltensänderung. Gefährlich wurde es für die psychische Gesundheit der Pflegemutter in dem Moment, als der Abbruch innerlich vollzogen wurde. Das sensibel ausgebildete Verantwortungsbewusstsein hat das subjektiv empfundene "Versagen" nicht verkraftet. Sie fühlte sich, wohl auch durch die Attacken Jessicas, von ihrem Ehemann nicht unterstützt und löste sich innerlich von ihm.
 
Zusammenfassend zeigt das Beispiel, dass nicht nur wichtige Gesichtspunkte in der Vermittlungspraxis sträflich missachtet wurden, sondern dass innerfamiliale Vorgänge aus der Kontrolle gerieten. Dazu zählen das Selbstbild der Pflegemutter, das Rollenverständnis von Pflegevater und Sohn, die für Jessica unerträgliche Dichte in der Familie und ihre Fehlposition als Älteste.
 
Es lassen sich vier Hauptfunktionen herausfiltern, die bei Pflegefamilien zu beachten sind:
 
   1.  In der Pflegefamilie wird ein System des Gleichgewichts angestrebt. Durch die Aufnahme eines Pflegekindes verschieben sich die Systeminhalte und müssen austariert werden. Dasselbe gilt für die Phase der Trennung vom Pflegekind.
   2.  In jeder Familie existieren Subsysteme, deren wichtigste einerseits das elterliche, andererseits das der Kinder ist. Unterschiedliche Funktionen wie Erziehung und Schutz, Geborgenheit und Sicherheit bestimmen die Subsysteme. Grenzüberschreitungen bzw. Auflösungen gefährden den Bestand der Familie.
   3.  Das kindliche Subsystem unterliegt bestimmten Rollen und Funktionen. Die Geschwisterreihe sollte durch die Aufnahme bzw. Abgabe eines Pflegekindes nicht gestört - schlimmer: zerstört - werden. Als problemlosestes Vorgehen hat sich die Inpflegegabe des Pflegekindes als jüngstes Kindes in der Pflegefamilie erwiesen.
   4.  Die Mutter spielt im Familiensystem eine zentrale Rolle. Sie wird gestützt durch das elterliche Subsystem. Gerade in der Pflegefamilie ist sowohl ihre physische wie psychische Gesundheit als auch ihr Stil von entscheidender Bedeutung.
 
III   Selbst- und Fremdbilder unterschiedlicher Familiensysteme
 
Nun wende ich mich den Vorstellungen in den Köpfen der Familienmitglieder, insbesondere der Pflegeeltern als dem "Autoritäts-Subsystem" zu.
 
Pflegefamilien leben mit dem Anspruch der Umwelt (= Fremdbild), eine gute Familie für Kinder zu sein und mit dem Selbstbild, dies auch leisten zu müssen. Sie wenden daher viel Sorgfalt auf, um dem Selbst- und Fremdbild gerecht zu werden. Allerdings ist die Interpretation dessen, was Sorgfalt bedeutet und wie Familien danach handeln, höchst unterschiedlich. Dazu einige Beispiele:
 
  • Familie A interpretiert sich als ganz normale Familie. Sie ist stolz darauf, dass ihr Pflegekind in der Geschwisterreihe äußerlich und innerlich "passt", so dass kein Außenstehender auf den Gedanken käme, es handele sich nicht um ein eigenes Kind. Die Sorgfalt nach innen, d. h. innerhalb der Familie, besteht darin, alle Kinder gleich liebevoll und konsequent u. ä. zu behandeln. Nach außen zeigt die Familie ein Bild des guten Zusammenlebens, die in der Lage ist, Unebenheiten auszugleichen und stürmische Perioden locker wegzustecken.


  • Familie B ist sehr bemüht, das Pflegekind "richtig" zu erziehen. Sie nimmt jede Beratung im Jugendamt wahr und sucht breit gestreut Hilfe bei dieser schwierigen Aufgabe. Die eigenen Kinder sind über das Pflegekind so weit wie nötig aufgeklärt und halten sich zurück. Alle haben an fünf familientherapeutischen Sitzungen teilgenommen. Nach innen sammelt sich die Familie um das Zentrum Pflegekind, nach außen signalisiert die Familie leichte Überforderung.


  • Familie C hat ein großes Haus geerbt. Im Garten toben stets mehr Kinder als die Familie selbst hat. Die Mutter möchte, solange die Kinder sie brauchen, zu Hause bleiben, dafür reicht aber das Geld kaum. Da nehmen sie zwei Pflegekinder auf und alles ist im Lot. Nach innen versuchen die Pflegeeltern, Schwierigkeiten oder Probleme durch die natürliche Umwelt heilen zu lassen: "Die haben genügend Auslauf und Anregungen", hingegen heißt es von außen: "Die haben ja nur wegen des Geldes die Pflegekinder aufgenommen!"


  • Ehepaar D wollte ein Kind adoptieren, um ihm nicht nur ein Zuhause zu geben, sondern auch, um endlich eine richtige Familie zu sein. Nun ist es ein Pflegekind, um dessen Probleme D's wissen. Sie bedenken jeden Schritt genau, schirmen sich aber nach außen ab, um Familie leben zu können.
 
Ich behaupte, dass sich alle vier Familien den Schritt, Pflegekinder aufzunehmen, sehr gut überlegt haben. Doch stehen im Hintergrund sehr unterschiedliche Motive und Vorstellungen, was eine gute Familie charakterisiert, die wiederum unterschiedliche Erziehungspraktiken zur Folge haben. Nun würde sich z. B. ein Vorfall ereignen, der alle vier Familien gleich überraschend trifft: Das Pflegekind hat im Kaufhaus gestohlen! Es bedarf nicht viel Phantasie sich vorzustellen, wie unterschiedlich die Familien das Problem angehen würden. Wir können auch nicht prognostizieren, welche Familie die für alle Beteiligten beste Problemlösung erarbeiten würde. Es könnte sogar sein, dass alle vier Familien gute Lösungen auf höchst unterschiedlichen Wegen erreichen würden.
 
  • Im ersten Fall könnte sich das gesamte Familiensystem aktivieren, Stützhilfen aus dem Subsystem Eltern, Akzeptanzhilfen aus dem Subsystem Kinder kommen. Eine befristete Systemverschiebung zugunsten des Pflegekindes bei gleichzeitigem Verdeutlichen von Handlungsgrenzen wäre außerdem denkbar.


  • Im zweiten Fall würden fachlich kompetente Hilfen von außen und ein verstärktes Bemühen um Liebe und Vertrauen zu den Pflegeeltern greifen können.


  • Im dritten Fall würden die Pflegeeltern den Vorfall als ein normales Aufarbeiten der früheren Erlebnisse interpretieren und, neben einem Gespräch und der Schadenswiedergutmachung nichts unternehmen nach dem Motto: "Das verwächst sich."


  • Im vierten Fall würden die Pflegeeltern neben der gründlichen Ursachenforschung das Selbstbewusstsein des Kindes einerseits, andererseits Regeln des Zusammenlebens stärken.
Sie erkennen - alle Wege führen nach Rom.
 
In diesem Abschnitt wollte ich Ihnen deutlich machen, wie Familien unterschiedlich miteinander umgehen, welchen Stellenwert das Subsystem Eltern hat und wie unterschiedlich Werte und Normen sich im Erziehungsalltag auswirken.
 
IV   Problematische Pflegeverhältnisse
 
Nicht jede Inpflegegabe gelingt. Ich habe Ihnen am Beispiel Jessica solch ein komplexes Geschehen, habe die krankmachenden und zerstörerischen Verhaltensweisen geschildert. Da war die Auflösung des Pflegeverhältnisses nicht nur folgerichtig, sondern auch notwendig und dennoch zu spät! Hier möchte ich anknüpfen.
 
Bei vielen Inpflegegaben geschieht eine mehr oder minder gründliche Vorinformation der Pflegepersonen, wenngleich es immer noch negative Ausnahmen gibt. Ebenso wird eine Selbstauskunft der Pflegepersonen schriftlich und mündlich zu Rate gezogen, wenn ein Kind vermittelt werden soll. Ich behaupte jedoch, dass der Faktor Familiensystem weithin immer noch zu wenig beachtet bleibt. Dies gilt nicht nur für das Verhältnis Pflegekind - Subsystem Kinder, sondern auch für das Partnerschaftsverhältnis Eltern.
 
Würden auf einem Kontinuum die verschiedenen Familientypen angeordnet, so würden die Randpositionen von der geschlossenen Familie einerseits und von der diffundierenden oder durchlässigen Familie andererseits begrenzt. Geschlossen heißt, dass Interaktionen mit der Umwelt weitgehend entfallen. Insbesondere Inhalte, die Vorgänge in der Familie betreffen, werden nur innen, nicht jedoch mit Hilfe Dritter bearbeitet. Dies ist die klassische "Heile-Welt-Familie" nach außen. Anders verfahren Familien mit diffundierenden Außengrenzen. Alle Vorgänge in der Familie werden nach außen getragen. Beide Extremtypen sind Konstruktionen, können aber zur Klärung über die Familie beitragen. Am gefährlichsten für das Aufwachsen von Kindern sind diese reinen Formen: Entweder verschließen sie sich völlig nach außen , was eine Regression der Familienbeziehungen zur Folge hat oder sie lassen die familialen Außengrenzen für die Kinder nicht mehr erkennen und das Sicherheitssystem zerfließt. In der Kurzbeschreibung der vier Familientypen zählen zu den mehr geschlossenen sicher die Quasi-Adoptivfamilie D, tendenziell auch die Familie A, die sich als normal bezeichnet. Durchlässig ist sicher die "laissez-faire"-Familie C, streckenweise auch die Pflegekind-zentrierte Familie B. Obwohl diese Beispiele für ein Gelingen von Pflegeverhältnissen herangezogen wurden, könnte ich nunmehr umgekehrt verfahren und ein Misslingen aufgrund der Familienkonstellation konstruieren. Es müssen also weitere Faktoren hinzukommen, um Prognosen über Gelingen bzw. Misslingen stellen zu können, wie z. B. die Persönlichkeit des Pflegekindes, der Zeitpunkt der Unterbringung u. a.. Sie sind nicht Gegenstand dieser Darstellung .
 
1.   Die unstrukturierte Familie
 
Es gibt theoretische Erörterungen, die von der Prämisse ausgehen, dass Pflegekinder in milieunahen Pflegefamilien am erfolgreichsten untergebracht würden. Die Begründungen sind bestechend: So würde die Anpassungsleistung, die jedes Pflegekind vollbringen muss, auf ein Minimum reduziert, da es viele Verhaltensweisen aus seiner leiblichen Familie wiedererkennen würde. Außerdem würde es in seiner Persönlichkeit wiedererkannt, genösse schneller und früher Anerkennung und wäre somit schneller integriert. Das mag für wenige Pflegekinder zutreffen und ist für eine Kurzzeitpflege sicher der richtige Weg. Für die Mehrzahl der Pflegekinder gibt es zwei entscheidende Einwände: In der Regel werden Kinder fremduntergebracht, wenn aufgrund von Alkoholismus, ungebremster Aggressivität u. ä. eine Trennung unumgehbar wird oder das Kind als (Sex-)Objekt benutzt wird. Immer ist es die mangelnde Struktur, eben wegen verminderter Steuerungsfähigkeit, die bei einer solchen Familie diagnostiziert wird. Ich bezeichne ein solches Aufwachsen als krankmachend, als pathogen. Kommt nun ein Pflegekind in eine ähnlich unstrukturierte Familie, wenn auch nicht verbunden mit Alkoholismus u. ä., kann es seine Defizite nicht oder nur schwer aufarbeiten. Es ist zwar in einem laissez-faire Umfeld, wird aber in seinen Anlagen wenig oder gar nicht gefördert. Sie werden einschränken, dass es doch solche Pflegefamilien nicht gebe, doch kenne ich einige und auch daraus entwachsene Pflegekinder. Sie gehören zu den Jugendlichen, die hilflos zwischen Ich-Übersteigerung und Realitätsferne schleudern.
 
2.   Die starre Familie
 
Häufig treffen wir das Gegenteil an, nämlich die Pflegefamilie, die starr versucht, auf jedes Unterstützungssystem zu verzichten, da sie sich der Kontrolle ausgeliefert fühlt. Auftretende Probleme, unvermeidlich mit Pflegekindern, werden innerfamiliär versucht zu lösen, da sie ja "niemanden etwas angehen". Das ist schlicht falsch. Zum einen ist das Pflegekind in öffentlicher Erziehung. Das bedeutet, dass zuvörderst die staatlichen Organe - Jugendamt und Familiengericht - für sein Wohlergehen verantwortlich sind, zum anderen bedeuten aber undurchlässige Grenzen ein Erstarren im Inneren. Es fahren sich Interaktionen fest und die Subsysteme werden unbeweglich, nicht mehr anpassungsfähig an neue Gegebenheiten. Auch ein Aufwachsen in einer solchen Familie bezeichne ich als pathogen, da Veränderungen als angstauslösend empfunden werden. Solche Familien kenne ich nur indirekt, sie verschließen sich jeder Außenöffnung, sei es als Fortbildung, Beratung oder einfach im Freundeskreis. Und da bei vielen Jugendämtern immer noch das Wort gilt: "Die beste Pflegefamilie ist diejenige, von der wir nichts sehen oder hören!" fällt eine solche pathogene Struktur erst auf, wenn das Pflegekind in den Brunnen gefallen, sprich: ein Pflegestellenabbruch unvermeidlich geworden ist. Zu den aus der leiblichen Familie unaufgearbeiteten Schädigungen kommen weitere seelische Verletzungen und Schädigungen durch die Pflegefamilie. Viele dieser Kinder werden "familienunfähig", werden stationär in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt und/oder kommen in ein Heim.
 
Auch die Pflegefamilie leidet unter dem Abbruch, den sie mit bestem Willen, jedoch unpassenden Mitteln vermeiden wollte.
 
3.   Das zerbrechende elterliche Subsystem
 
Von der Systematik her wäre eigentlich ein vorläufiger Schlussstrich zu ziehen. Da mir aber ein weiterer, für Pflegekinder höchst pathogener Vorgang zunehmend Kopfzerbrechen bereitet, füge ich ihn noch an. Es handelt sich um das Zerbrechen der Ehe und die Konsequenzen für die Pflegefamilie. Pflegeeltern sind genau wie andere Paare den subjektiven und objektiven Erwartungen und Problemen einer modernen Gesellschaft ausgesetzt. Scheidungen werden unvermeidlich. Was bedeutet dies für Pflegekinder? Das Zerbrechen einer mühselig aufgebauten Sicherheit bedeutet erneute Trennungserfahrungen, die die Bindungsfähigkeit zusammenschrumpfen lassen. Konsequenterweise bindet der Pflegeelternteil, bei dem das Pflegekind verbleibt, das Kind besonders eng an sich. So kann es, nachdem sich das elterliche Subsystem aufgelöst hat, zu einer sehr engen Bindung zwischen Pflegekind und Elternteil kommen. Ein neues, pathogenes Subsystem entsteht; das Pflegekind wird zum "Substitut" des fehlenden Partners (H.-E. Richter). Ein deutliches Beispiel bietet der Erfahrungsbericht: "Stephan, ein Kind findet ein Zuhause" (U. Hoffmann).
 
V   Konsequenzen
 
Wir haben alle ein Bild von Vollkommenheit menschlicher Beziehungen im hintersten Eckchen unserer Seele und streben danach mit unterschiedlichen Mitteln. Nun ist Vollkommenheit als Ziel vorhanden, dennoch bewegen wir uns immer nur auf dem Weg dort hin. Und eine heile Welt ist ein solches Ziel, aber eine Fiktion ohne Realitätsgehalt. Überfordern wir jedoch nicht Pflegefamilien, wenn wir ihnen vorgaukeln, dass sie diese Vollkommenheit erreichen sollten, um dem Pflegekind eine heile Welt zu bieten? Klarheit und Überschaubarkeit ist angesagt, ganz sicher - jedoch keine ideologischen, unerfüllbaren Vorgaben. Wir müssen mehr über Familien, ihre Strukturen und Systeme wissen, müssen diese deutlicher in Entscheidungen zur Unterbringung fremder Kinder einbeziehen, um die Welt, in der Kinder aufwachsen, mit allen Freuden aber auch Kümmernissen lebbar zu gestalten.
 
So sind Pflegefamilien keine Idealfamilien im luftleeren Raum, sondern höchst unterschiedliche Systeme. Es bedarf heute eines größeren Wissens um lauernde Gefahren in den Familienkonstellationen.
 
Gerade die SozialarbeiterInnen im Pflegekinder-Dienst sollten deutlicher ihre Kenntnisse über Familienstrukturen an die Pflegepersonen vermitteln, aber auch Lücken in ihrem Wissen erkennen und füllen, denn ihre große Macht über Kinderschicksale muss mit Wissen und Empathie einhergehen.
 
Die Verpflichtung zur Fortbildung der Pflegepersonen sollte bereits im Pflegevertrag verankert werden. Gleichzeitig muss es eine bessere Beratung und Begleitung in Anfangs- und Krisenzeiten geben.
 
Der Hilfeplan sollte so angelegt werden, dass er im ersten Vierteljahr offen gehalten wird, um die Stimmigkeit von Familie und Pflegekind zu überprüfen. Erst danach kann, analog zur SPFH, erneut über eine Dauerpflege entschieden werden.
 
Literatur:
 
Blandow, J. (1972): Rollendiskrepanzen in der Pflegefamilie, Juventa-Verlag, München
Böhnisch, L., Lenz, K. (Hrsg) (1997): Familien, Juventa-Verlag, Weinheim und München
Hoffmann, U. (1993): Stephan, ein Kind findet ein Zuhause
Freiburg A (1999): Die Pflegefamilie im Spannungsfeld zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, unveröffentlichtes Manuskript
Richter, H. E. (1976): Patient Familie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main
Schuster, R (1998): Interaktionen zwischen Müttern und Kindern, Juventa-Verlag, Weinheim und München
 

http://www.pfad-bayern.de/literatur/fachbeitraege/beitrag1.htm

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New PostErstellt: 29.03.07, 13:47  Betreff: Mutter und Vater im Auftrag des Amtes  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

 Mutter und Vater im Auftrag des Amtes

Von Ruth Buder

Ein Gute-Nacht-Küsschen, noch eins und noch eins. Anna* und Alina, die beiden aufgeweckten, gackernden Mädchen im Schlafanzug können gar nicht aufhören, ihren "Papi" zu knutschen. Manfred Schulz (47) ist ihr Papi und auch wieder nicht. Er und seine Frau Silvia (42) haben die beiden dreijährigen Mädchen in Pflege genommen.

Das Ehepaar gehört zu den Menschen im Oder-Spree-Kreis, die Kinder für kurze oder längere Zeit bei sich aufnehmen. Es sind Kinder, die ihren Eltern über das Jugendamt entzogen wurden - mit ihrem Einverständnis, aber auch ohne. 160 Kinder leben derzeit im Landkreis Oder-Spree in Pflegefamilien. "Die Zahl ist über die Jahre etwa gleichbleibend", sagt Helga Helm, die zuständige Sozialarbeiterin beim Jugendamt. "Wir haben immer mehr Kinder in Pflegefamilien als in Heimen." Das hänge auch damit zusammen, dass Kinder unter vier Jahren nicht in Heimen mit Schichtdienst, also mit wechselnden Erziehern, untergebracht werden dürfen. Familien, die bereit seien, Kinder aufzunehmen, gebe es ausreichend. "Wir haben immer freie Plätze bei Pflegeeltern, so dass auch in Notfällen ganz schnell gehandelt werden kann", berichtet Helga Helm.

Ganz schnell gehandelt werden musste auch bei Anna. Die 3-Jährige wurde der Mutter entzogen. Über eine Nachbarin hatte das Jugendamt erfahren, dass das Mädchen in der Dunkelheit und in einer kalten Wohnung leben muss, weil der Strom abgeschaltet worden war und die Mutter sich unzureichend um das Kind gekümmert hat. Anna fand bei Familie Schulz ein neues Zuhause. 24 Stunden darf das Jugendamt ein Kind in Obhut nehmen, wenn es eine Gefährdung sieht. Danach muss entweder das Einverständnis der Erziehungsberechtigten oder eine Entscheidung des Gerichts vorliegen. Bei Anna stimmte die Mutter einer vorübergehenden Pflege zu. Das Gericht wird demnächst entscheiden, wie es mit Anna weitergeht.

In Alina hat sie so etwas wie eine Schwester gefunden. "Wenn die Leute die Mädchen sehen, denken sie oft, es sind Zwillinge", sagt Pflegemutter Silvia Falke-Schulz. Sie und ihr Mann sind berufstätig, haben selbst drei Söhne, einer von ihnen lebt noch zu Hause. Fremden Kindern helfen, warum tun sie das? "Es macht mir einfach Spaß, das herauszukitzeln, was in den Kindern steckt, den Erfolg zu sehen", sagt Silvia Falke-Schulz. Das Umfeld könnte für Alina und Anna gar nicht besser sein. Schulzes leben auf dem Land, inmitten von Kaninchen, Katzen, Hunden und Pferden. Am Tage besuchen sie die Kita. Alina, das ist heute schon klar, wird bei Schulzes in Langzeitpflege bleiben - bis zum 18. Lebensjahr. Kontakt zur Mutter und Oma werde sie nach wie vor haben.

Schwermut, wenn ein Pflegekind sie wieder verlässt, wollen Manfred und Silvia Schulz nicht zulassen. "Wenn wir das Gefühl haben, wir konnten helfen und das Kind kehrt zu seiner leiblichen Mutter zurück, dann ist es gut", sagt der Pflegevater.

(* Name von der Redaktion geändert)


Montag, 26. März 2007 (19:23)

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