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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Umgang mit dem in Familienpflege untergebrachten Kind

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Gast
New PostErstellt: 01.11.07, 09:26  Betreff: Umgang mit dem in Familienpflege untergebrachten Kind  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Walter: Umgang mit dem in Familienpflege untergebrachten Kind, §§ 1684, 1685 BGB - psychologische Aspekte FPR 2004 Heft 8 415 -419

Umgang mit dem in Familienpflege untergebrachten Kind, §§ 1684, 1685 BGB - psychologische Aspekte*

Diplom-Psychologe Dr. Eginhard Walter, Berlin

Der Umgang von Pflegekindern mit der Herkunftsfamilie erfordert auf Grund der unterschiedlichen Ausgangslagen eine differenzierte Betrachtung. In Fällen einer Kindeswohlgefährdung, insbesondere wenn diese für das Kind traumatisierenden Charakter hatte, bedarf es bei der Beantwortung der Fragen, ob und wie ein Umgang realisiert werden soll, einer sehr genauen und verantwortungsvollen Risikoabwägung. Hierzu werden einige wesentliche psychologische Beurteilungskriterien diskutiert.
I. Ausgangssituation

In der Fachdiskussion wird teilweise bemängelt, dass die relevanten umgangsrechtlichen Bestimmungen der §§ 1626, 1684 und 1685 BGB nicht ausreichend zwischen Kindern aus Trennungsfamilien und fremd untergebrachten Kindern differenzieren1. Pflegekinder waren, anders als Kinder nach Trennung und Scheidung der Eltern, defizitären Erziehungsbedingungen und Gefährdungen in der Herkunftsfamilie ausgesetzt, was auch bei Umgangsregelungen Berücksichtigung finden muss.

Probleme bei der Beurteilung der Frage, ob Pflegekinder und leibliche Eltern nach einer Unterbringung von ihrem wechselseitig bestehenden Recht auf Umgang Gebrauch machen können, entstehen jedoch nicht durch unzureichende gesetzliche Vorgaben, auch wenn bei den Neuregelungen des Umgangs im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform vor allem die Trennungs- und Scheidungssituation von Eltern im Zentrum der Betrachtung stand.

§ 1684 IV BGB eröffnet dem Familiengericht ausreichend die Möglichkeit, den Umgang von Eltern mit ihren getrennt lebenden (Pflege-)Kindern für längere Zeit oder auf Dauer einzuschränken oder auszuschließen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Es bedarf aber einer größeren Sensibilisierung der am familiengerichtlichen Verfahren Beteiligten für die spezifische Situation des Pflegekindes mit dem Ziel einer präziseren Bewertung des Einzelfalls.

Gleiches gilt für den Umgang des in einer Pflegefamilie lebenden Kindes mit anderen Bezugspersonen, etwa Großeltern oder Geschwistern, der allerdings nur stattfinden soll, wenn dies dem Wohl des Kindes dient, also nach § 1685 BGB einer niedrigeren Ausschlussschwelle unterliegt.

Um unzutreffenden Verallgemeinerungen vorzubeugen, erscheint es notwendig, einige Differenzierungen vorzunehmen: Nicht jeder Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie geht eine Kindeswohlgefährdung voraus. Eine erste Gruppe von Eltern, oft Alleinerziehende, geben ihr Kind selbst in Pflege, wenn ihre derzeitige persönliche Situation eine adäquate Erziehung nicht zulässt. Ein solches Handeln ist angemessen und verantwortungsvoll, wenn nur so einer mangelnden Versorgung des Kindes vorgebeugt werden kann. Nicht selten entstehen derartige Pflegeverhältnisse im engeren Verwandtschaftskreis. Bei gegebener Kindeswohlgefährdung ermächtigt eine zweite Gruppe von Eltern das Jugendamt, das Kind unterzubringen. Eine dritte Gruppe schließlich kooperiert nicht, worauf das Jugendamt nach § 50 III SGB VIII das Familiengericht informiert und dieses den Eltern das Sorgerecht oder einen Teilbereich auf der Grundlage der §§ 1666, 1666a BGB entzieht.

Die Anzahl freiwilliger Unterbringungen und der Unterbringungen mit Sorgerechtsentzug halten sich etwa die Waage2, und die Frage des Umgangs zwischen Pflegekind und leiblichen Eltern kann nicht losgelöst von dieser jeweilig anders gelagerten Ausgangslage betrachtet werden, unterscheiden sich die Eltern dieser drei Gruppen doch hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen, Einsicht in die Notwendigkeit einer Fremdbetreuung zu erlangen und die Pflegestellenunterbringung zu akzeptieren.
II. Psychologische Beurteilungskriterien
1. Vulnerabilität des Pflegekindes

Die Verletzlichkeit eines Kindes ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, etwa vom Alter, seiner physischen und psychischen Konstitution und seinem Entwicklungsstand. Jüngere Kinder sind dabei verletzlicher als ältere, auf Grund ihrer geringeren physischen und psychischen Widerstandskräfte, ihrer größeren Abhängigkeit und ihrer geringeren Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien), etwa den Möglichkeiten, sich eigenständig Unterstützung und Hilfe zu suchen. Bei der Beurteilung des Ob und des Wie von Umgangskontakten bedarf es bei ihnen ohnehin besonderer Aufmerksamkeit. Erst nach und nach entwickeln Kinder Persönlichkeitsmerkmale, die Schutzfaktoren darstellen, physische, etwa eine stärkere körperliche Robustheit, und psychische, wie Bindungssicherheit, Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeitsüberzeugung und ausdifferenzierte Strategien zur Bewältigung von Belastungen.

Der Aufbau einer solchen Resilienz gelingt aber in der Regel nur dann ausreichend, wenn die kindliche Entwicklung unter Bedingungen verläuft, die außergewöhnliche und anhaltende Belastungen und Überforderungen eines Kindes nicht auftreten lassen. Davon kann jedoch bei Kindern, die ein Gefährdungsgeschehen erlebten und deshalb in einer Pflegefamilie untergebracht wurden, kaum ausgegangen werden. Das Erleben physischer oder psychischer Vernachlässigung, physischer oder psychischer Misshandlung, sexuellen Missbrauchs oder eskalierter Partnerschaftsgewalt und die jeweiligen Folgen3 erhöhen die Vulnerabilität eines Kindes. Entscheidend für die Wirkung ist dabei nicht allein die Qualität und Intensität der Gefährdung, es ist auch ihre emotionale und kognitive Bewertung. Kinder, die derartige kritische Lebensereignisse erfuhren, bedürfen eines besonderen Schutzes, nicht nur, dann jedoch besonders, wenn diese Erfahrungen die Grenzen eines Traumas erreichten oder überschritten.

Von einem Trauma ist dann auszugehen, wenn die verfügbaren Bewältigungsmechanismen des Kindes angesichts eines physischen und/oder psychischen Übergriffs versagen. „Ein Gefühl des Überwältigtwerdens stellt sich ein, die Kontrolle über die Situation und das psychische Gleichgewicht brechen zusammen. Die inneren Bilder von sich selbst und von der Welt sind bedroht4.“ Akute Belastungsreaktionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Anpassungsstörungen können als Folge eines als katastrophal empfundenen, kurzzeitig wirkenden schweren oder anhaltenden Traumas auftreten. Die Störungsbilder behindern eine erfolgreiche Bewältigung der Erlebnisse. Emotionale Beeinträchtigungen wie Ängste, Selbstzweifel, Unsicherheit und damit einhergehende psychosomatische Reaktionen können zu erheblichen Beeinträchtigungen im Sozial- und Leistungsbereich des Kindes führen. Die Überflutung mit Stressfaktoren kann eine anhaltende affektive Alarmsituation hervorrufen.

All dies muss bei Umgangsregelungen von Pflegekindern gegebenenfalls Berücksichtigung finden. Nachvollziehbare und begründete Abneigungen, Vorbehalte und vor allem Ängste des Kindes bezogen auf die Herkunftsfamilie, die mit einer Verweigerung des Umgangs korrelieren können, aber nicht müssen, dürfen nicht übergangen werden. Da hier die Gefahr einer sekundären Traumatisierung bestehen kann, bedarf die Entscheidung über Umgangskontakte einer sehr genauen und fachlich angemessenen Prüfung. Der Schutz eines traumatisierten Kindes hat Vorrang.
2. Bindungen des Pflegekindes

Ausgehend von einer grundsätzlichen Rückkehroption des Kindes in die Herkunftsfamilie (s.u.) ist die Aufrechterhaltung vorhandener emotionaler Bindungen des Kindes von großer Bedeutung. Eine Voraussetzung ist jedoch, dass ein Bindungsaufbau stattfinden konnte. Hierfür ist ausschlaggebend, dass eine Bezugsperson ausreichend verfügbar ist und ein angemessenes Feinfühligkeitsverhalten zeigt, d.h. Bedürfnisse des Kindes mit ausreichender Kontinuität wahrnimmt, richtig interpretiert, zeitnah (prompt) und angemessen, also entsprechend dem geäußerten Bedürfnis, befriedigt5. Internationale Studien (mit allerdings stark schwankenden Zahlen) belegen, dass etwas mehr als die Hälfte aller Kinder eine sichere, die anderen eine unsichere, meist eine unsicher-vermeidende Bindung aufbauen. 15 bis 20% der Kinder zeigen zusätzlich ein desorganisiertes Bindungsmuster6. (Pflege-) Kinder, die defizitären Entwicklungsbedingungen unterlagen, zeigen häufiger unsichere und desorganisierte Bindungsmuster7.

Umgang hat den Zweck, Bindungen des Kindes zu seinen Bezugspersonen nach einer Trennung aufrechtzuerhalten. Dies gilt nicht nur für sichere, sondern grundsätzlich auch für unsichere und desorganisierte Bindungen, die von der Bindungstheorie durchaus „als ein im Rahmen der Norm liegendes Adaptionsmuster“ angesehen werden8. Teilweise erleben sogar gerade unsicher gebundene Kinder Trennungen als besonders belastend9.

Der Umgang verliert allerdings diesen Zweck, wenn er eine Situation aufrechterhält, in der Zuwendungs- und Schutzbedürfnisse eines Kindes immer wieder enttäuscht oder missachtet werden. Er eröffnet dem Kind hier lediglich eine Quelle wiederkehrender Frustration. Ähnlich sind Fälle schwerer frühkindlicher Deprivation zu bewerten, in denen ein Kind auf Grund fehlender Feinfühligkeit der Bezugspersonen gar keine Bindungen aufbauen konnte und Bindungsstörungen vielfältiger Ausprägung entwickelt. Bindungsverhalten ist etwa nicht vorhanden, undifferenziert (distanzlos), übersteigert, oder es zeigt sich eine Rollenumkehr (Parentifizierung)10.
3. Wille des Pflegekindes

Der geäußerte oder gezeigte Wille eines Kindes, in dem sich in der Regel dessen Bindungswünsche widerspiegeln, ist im Umgangskonflikt auch bei Pflegekindern von besonderer Bedeutung. Folgt man dem kindlichen Willen in einer so wichtigen Frage wie dem gewollten oder nicht gewollten Umgang, so stärkt man die Selbstwirksamkeitsüberzeugung des Kindes, die Überzeugung, eine schwierige Lebenssituationen mitzubestimmen und damit zumindest teilweise auch kontrollieren zu können. Dies stärkt das kindliche Selbstvertrauen und reduziert emotionalen Stress, da die Situation zumindest nicht völlig der kindlichen Kontrolle entgleitet. Bleibt der Wille aber unbeachtet und unberücksichtigt, besteht die Gefahr, dass die Grundüberzeugung, Situationen im engsten Lebensumfeld überhaupt mitgestalten zu können, schwindet. Das Geschehen wird als unkontrollierbar empfunden, was zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins führen, den emotionalen Stresspegel erhöhen und aggressive oder resignative Reaktionen hervorrufen kann.

Gleichwohl ist der Wille eines Kindes immer auf seine Konstanz, Intensität, Zielgerichtetheit, insbesondere aber auf seine Autonomie zu prüfen11. Zu Letzterem gehört die Klärung der Motive, die hinter dem Willen stehen. Diese Prüfung kann in zwei Richtungen erfolgen: Im Falle einer Zustimmung des Kindes zum Umgang sind Beeinflussungen der Herkunftsfamilie auszuschließen, die vor dem Hintergrund erlebter Gefährdungsmomente beim Kind etwa Druck und Angst erzeugen können. Im Falle einer Ablehnung des Umgangs durch das Kind ist das Augenmerk auf eventuelle Beeinflussungen durch die Pflegeeltern zu richten, die in der Praxis vereinzelt auch Eigenmotive verfolgen.

Wünscht ein Kind den Umgang, so sollte dem gefolgt werden, sofern sich keine Hinweise dafür erkennen lassen, dass durch den Umgang das Kindeswohl gefährdet wäre. Ist dies allerdings der Fall, kann dem selbstgefährdenden Kindeswillen nicht mehr entsprochen werden. Lehnt ein Kind nach erfahrenen Übergriffen aber den Umgang mit seiner Herkunftsfamilie ab, so ist auch diesem dann nachvollziehbaren Wunsch aus psychologischer Sicht zu folgen12.
4. „Erziehungsfähigkeit“ der Eltern

Von den zum Umgang berechtigten leiblichen Eltern wird bei der Beurteilung der Möglichkeit von Umgang keine umfassende Erziehungsfähigkeit (mehr) erwartet werden müssen, da die Erziehung des Kindes nun Aufgabe der Pflegeeltern ist. Der Begriff der Erziehungsfähigkeit im Zusammenhang mit der Prüfung umgangsrechtlicher Fragestellungen ist insofern ungenau. Das zentrale Kriterium der Beurteilung des Umgangs ist die Bewertung der elterlichen Fähigkeit, die Umgangskontakte mit dem Kind so zu gestalten, dass dessen Wohl nicht gefährdet wird. Konkret bedeutet dies, während des Umgangs die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse des Kindes sicherzustellen. Zu diesen Grundbedürfnissen zählen jene nach körperlicher Unversehrtheit und emotionaler Sicherheit13.

a) Grund der Unterbringung. Die Frage der Durchführbarkeit von Umgang ist deshalb einmal abhängig von den einer Unterbringung zu Grunde liegenden Gefährdungsmomenten und dem verbleibenden Gefährdungsrisiko. Zu berücksichtigen ist dabei das oben Gesagte: Den Eltern ist bei der Frage des Umgangs, nach der Fremdunterbringung weniger an Kompetenz abzuverlangen als bei der Herausnahme selbst. Zu prüfen wird also sein, von welcher Qualität und Intensität die auf das Kind wirkenden Gefährdungen sind und wie sich diese auf die gegebene Vulnerabilität des Kindes auswirken.

Führten beispielsweise bei der Vernachlässigung eines Achtjährigen vor allem Schulversäumnisse und mangelnde Gesundheitsfürsorge zur Herausnahme, so wird das Fortbestehen dieser Erziehungseinschränkung kaum negative Auswirkungen auf einen Umgang am Wochenende haben, da die Schul- und Gesundheitsfürsorge verantwortlich von den Pflegeeltern wahrgenommen werden kann, selbst wenn die vernachlässigende Haltung der Eltern mit gleicher Intensität fortbesteht. Kam es dagegen zu Misshandlungen in elterlichen Überforderungssituationen, so müsste eine Korrektur des elterlichen Fehlverhaltens vor (unbetreuten) Umgangskontakten sichergestellt werden.

b) Interesse am Kind und Empathie. Ferner wird das Interesse der leiblichen Eltern am Kind zu bewerten sein.

So kann nach Pflegestellenunterbringungen nicht immer davon ausgegangen werden, dass Eltern über eine ausreichende Motivation verfügen, Kontakte zum Kind regelmäßig wahrzunehmen. Werden Kontakte nur unregelmäßig eingehalten, so können sie für das Kind zu einer wiederkehrenden Quelle von Frustration werden und das Selbstwertgefühl (weiter) destabilisieren.

Auch die Instrumentalisierung eines Kindes für andere Interessen zeigt ähnliche Effekte. Von besonderer Bedeutung ist hier die Nichtakzeptanz der Unterbringung, die eine Manipulation des Kindes im Kampf mit den Pflegeeltern und dem Jugendamt beinhalten kann. Verstöße gegen die Wohlverhaltensklausel des § 1684 II BGB schüren Loyalitätskonflikte, erschweren oder verhindern eine Integration des Kindes im neuen Lebensverband und destabilisieren es damit zusätzlich zu den gegebenenfalls ohnehin vorhandenen Folgen der Unterbringungsgründe. Lässt sich ein solches Elternverhalten mit beraterischen Mitteln und/oder gerichtlichen Auflagen nicht korrigieren, sollte der Umgang dauerhaft eingeschränkt oder auch ausgeschlossen werden, um dem Kind eine neue Lebensperspektive bieten zu können.

Gerade diese zentralen Forderungen gegenüber der Herkunftsfamilie, die Unterbringung zumindest zu tolerieren, das Kind nicht zu instrumentalisieren und die Umgangskontakte regelmäßig zu gestalten, stehen in engem Zusammenhang mit der zu fordernden Empathie, der Fähigkeit, sich emotional in die Gefühlswelt des Kindes hineinzufühlen bzw. sich kognitiv in dessen Rolle zu versetzen, eben Loyalitätskonflikte zu erkennen und Belastungen des Kindes zu erspüren.
III. Rückkehroption

Nach § 37 I SGB VIII ist es nach einer Fremdunterbringung Aufgabe der Jugendhilfe, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums durch Beratung und Unterstützung so weit zu verbessern, dass sie das Kind wieder selbst erziehen kann. Die Beziehung des Kindes zur Herkunftsfamilie soll gefördert werden. Erst wenn eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen nicht möglich ist, soll mit den Beteiligten eine andere auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.

Nimmt man diesen Vorrang der Rückkehroption ernst, so bedeutet dies, dass einer auf Dauer angelegten Fremdplatzierung ein Prüfprozess vorausgehen muss. Dem Umgang kommt hier die Aufgabe zu, eine Rückkehroption überhaupt offen zu halten. Dieser hat sich am vom Alter und Entwicklungsstand abhängigen kindlichen Zeitempfinden zu orientieren. Die Funktion des Umgangs ist es ferner, durch Bindungsabbrüche provozierten emotionalen Stress zu vermindern. Wird der Kontakt allein zur Eingewöhnung des Kindes unterbrochen, um die Eingewöhnung „zu erleichtern“, kann - immer unter der Voraussetzung vorhandener Bindungen - beim Kind genau diese Reaktion auftreten.

Findet kein Umgang mehr statt, muss mit zunehmender Dauer der Unterbringung über eine Rückkehr gerade kleinerer Kinder kaum mehr entschieden werden. Es wird eine zunehmende Entfremdung von der Herkunftsfamilie eintreten, vorhandene Bindungen an die früheren Bezugspersonen werden nach und nach erlöschen, und das Kind wird sich in der Pflegefamilie integrieren und neu binden. Dies wird eine unter psychologischen Gesichtspunkten zu verantwortende Rückführung des Kindes verunmöglichen. Rechtlich greift hier dann richtigerweise § 1632 II BGB. Aber auch mit Umgangskontakten wird sich ein Kind umorientieren und nach und nach in die neuen Lebenszusammenhänge integrieren. Eine Rückkehroption kann deshalb nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden, die Dauer des Prüfprozesses hat sich an den Bedürfnissen des Kindes nach stabilen Lebensverhältnissen zu orientieren.

Hinsichtlich der elterlichen Erziehungsfähigkeit ist die Rückkehroption eines Kindes vor allem von drei Faktoren abhängig:

-

von der Einsichtsfähigkeit und -bereitschaft der Herkunftsfamilie,
-

deren Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft und
-

der Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft insbesondere mit der Jugendhilfe.

In der Praxis wird man von unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten einer Rückkehr des Kindes ausgehen müssen. Daran hat sich dann der weitere Umgang zu bemessen. Immerhin kehren aber in der Bundesrepublik etwa 39% aller Pflegekinder wieder in familiäre Verhältnisse zurück, d.h. zu Eltern, Elternteilen mit Stiefelternteil oder Partner, zu allein Erziehenden oder aber zu Großeltern oder Verwandten14. Vollzeitpflege kann nicht mehr generell als eine auf Dauer angelegte Hilfeform angesehen werden.

Auch wenn keine Rückkehroption gegeben ist, ist aber hinsichtlich des Umgangs eine Risikoabwägung zwischen den Nachteilen eines völligen Kontaktabbruchs und den aus dem Umgang resultierenden Gefährdungen vorzunehmen. Zu den Nachteilen eines Kontaktabbruchs gehört es, dass das Kind - in Abhängigkeit von Alter und Entwicklungsstand zum Zeitpunkt der Unterbringung - ein realistisches Bild der leiblichen Eltern verlieren wird. Zwei Risiken resultieren daraus: (1) unrealistische Idealisierung der Eltern, gegen die die Pflegeeltern im Erziehungsalltag, der notwendige Regeln und Grenzsetzungen beinhaltet, ankämpfen müssen, oder (2) eine überzogene Abwertung der Eltern, die mit dem Bewusstsein, von nur „schlechten“ Eltern abzustammen, die Identitätsfindung erschwert.

Welche Bedeutung dem Wissen um die eigene Abstammung zukommt, zeigen Erfahrungen aus der Adoption, wo Adoptierte nicht selten ihre leiblichen Eltern suchen. Das Interesse an der eigenen Herkunft erwacht dabei im Kindesalter und intensiviert sich in der Jugendphase15. Eine aktive Suche erfolgt meist später. Die Frage der Herkunft stellt sich meist in lebenszyklisch bedeutsamen Phasen, wie der Loslösung vom Elternhaus, dem Beginn einer eigenen Partnerschaft, der Eheschließung und der Geburt eigener Kinder16. Es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass dies bei Pflegekindern mit anhaltendem Kontaktabbruch zu den leiblichen Eltern grundsätzlich anders ist. Wie ein adoptiertes muss auch ein in Dauerpflege lebendes Kind zu einer eigenen, besonderen Identität finden, eben einer als Pflegekind. Es wird sich mit spezifischen Fragen auseinander setzen, etwa seiner früheren Geschichte in der Herkunftsfamilie, den Gründen der Fremdunterbringung und der Trennung von den Eltern und gegebenenfalls auch den Geschwistern. Und es kann sich dabei unter Umständen auch mit einer Tabuisierung oder einseitigen Bewertung dieser Fragen durch die Pflegeeltern konfrontiert sehen. Fehlen Umgangskontakte, fehlen Informationen. Nicht zuletzt deshalb wird in der Fachöffentlichkeit zunehmend die offene Adoptionsform thematisiert, bei der adoptierte Kinder reale Kontakte zu den leiblichen Eltern behalten17.
IV. Umgang mit anderen Bezugspersonen

Vor allem, wenn eine Aufrechterhaltung von Umgangskontakten zu den leiblichen Eltern nicht möglich ist - besteht kein Interesse oder muss der Umgang ausgeschlossen werden -, stellt sich aus oben genannten Gründen die Frage, ob zumindest Kontakte zu anderen Mitgliedern der Herkunftsfamilie aufrechterhalten werden können. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein Pflegekind den Kontakt zur gesamten Herkunftsfamilie verliert.

Auch hier ist aber eine Risikoabwägung zu treffen. Zu beachten ist auch hier, ob diese Bezugspersonen das Kind im Rahmen des Umgangs schützen können oder gar selbst gefährden und wie sie die Fremdunterbringung insgesamt bewerten.

Vor allem der Aufrechterhaltung von Geschwisterkontakten wird in der Praxis dabei nicht selten zu wenig Beachtung geschenkt. Gerade vor dem Hintergrund erlebter Gefährdungen in der Familie unterstützen sich Geschwister oft wechselseitig, und ihre Beziehung gewinnt eine besondere Bedeutung. Zu beachten ist hier aber, dass gerade ältere Kinder durch den Umgang oder dessen Ausgestaltung nicht in parentifizierten Rollen gehalten werden.
V. Möglichkeiten des begleiteten Umgangs

Eine Möglichkeit, Gefährdungsmomente während des Umgangs, sei es zu den leiblichen Eltern oder anderen Bezugspersonen, zu kompensieren, bildet der begleitete Umgang18. Allerdings dürfen auch dessen Möglichkeiten nicht überschätzt werden.

Zum einen wird eine Umgangsbegleitung nicht alle Gefährdungsmomente auffangen können und ist von der Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Herkunftsfamilie abhängig. Insbesondere, wenn Gewalthandlungen vorliegen, sei es, dass das Kind direktes Opfer von Misshandlungen und/oder Zeuge eskalierter Partnerschaftsgewalt war, bedarf es deshalb einer genauen vorherigen Prüfung, ob ein begleiteter Umgang das Kind ausreichend schützen kann.

Zum anderen wird der begleitete Umgang in der Praxis, sofern er über die Jugendhilfe finanziert wird, meist nur zeitlich begrenzt, also als Krisenintervention angeboten. Ziel ist eine möglichst rasche Verselbstständigung der Kontakte. Damit scheidet der begleitete Umgang in der Regel als Option aus, wenn es um eine langfristige Absicherung des Kindeswohls bei Umgangskontakten geht.

*Der Autor ist als Diplom-Psychologe, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Instituts Gericht&Familie Berlin/Brandenburg tätig.

1Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens, Kontakte zwischen Pflegekind und Herkunftsfamilie, 2004.

2Salgo, Zentralblatt für Jugendrecht (ZfJ) 2003, 361 (362).

3Kindler, Partnerschaftsgewalt und Kindeswohl, Eine meta-analytisch orientierte Zusammenschau und Diskussion der Effekte von Partnerschaftsgewalt auf die Entwicklung von Kindern: Folgerungen für die Praxis, 2002; Maywald, FPR 2003, 299 (303f.).

4Maywald, FPR 2003, 299 (304).

5Ainsworth, Feinfühligkeit versus Unempfindlichkeit gegenüber Signalen des Babys, in: Grossmann (Hrsg.), Entwicklung der Lernfähigkeit in der sozialen Umwelt, 1977, S. 98 bis 107.

6Vgl. mit weiteren Literaturhinweisen: Fthenakis, Väter, Bd. 1: Zur Psychologie der Vater-Kind-Beziehung, 1988, S. 223; Brisch, Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie, 1999, S. 47; Unzner, FPR 2003, 312.

7Brisch (o.Fußn. 6), S. 48.

8Brisch (o.Fußn. 6), S. 83.

9Spangler/Grossmann, Biobehavioral organization in securely and insecurely attached infants, Child development, 1993, S. 1439 bis 1450.

10Brisch (o.Fußn. 6), S. 83ff.

11Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2002, S. 69ff.

12Peschel-Gutzeit, FPR 2003, 290 (291).

13Dettenborn/Walter (o.Fußn. 11), S. 63.

14Vgl. Vollzeitpflege im Wandel, in: Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe (KOMDat - Jugendhilfe), Informationsdienst der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, H. 2/1998.

15Textor, ZfJ 1990, 10.

16Golomb/Geller, Adoption zwischen gesellschaftlicher Regelung und individuellen Erfahrungen, 1992.

17V. Beyme, Familiendynamik, 1993, S. 371; Paulitz, ZfJ 1996, 305; Oberloskamp/Griebel/Fthenakis/Baer/Paulitz, Stiefeltern- und Verwandtenadoptionen, in: Paulitz (Hrsg.), Adoption, 2000, S. 66 bis 120.

18Walter, KindPrax spezial 2003, 7 bis 13.
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