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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht

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Seite: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9
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Gast
New PostErstellt: 04.01.08, 08:48  Betreff: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Inland Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht
"Überflüssig, unglaubwürdig und populistisch"

Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, meint: "Die Diskussion gaukelt den Menschen Zusammenhänge vor, die es nicht gibt." ]
Die Debatte um härtere Strafen für kriminelle Jugendliche geht unvermindert weiter, aber auch die Kritik daran nimmt zu. Der Deutsche Richterbund nannte den Streit "überflüssig". Der Vorsitzende des Bundes, Christoph Frank, sagte: "Die Diskussion gaukelt den Menschen Zusammenhänge vor, die es nicht gibt. Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch." Die Politik erliege hier erneut der Versuchung, Fragen des Strafrechts für plakative Botschaften zu missbrauchen, kritisierte Frank in der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Das Thema sei aber viel zu ernst, um vor Wahlen immer wieder instrumentalisiert zu werden.

Die gesetzlichen Möglichkeiten für den Umgang mit straffälligen Jugendlichen seien absolut ausreichend, betonte Frank. Defizite gäbe es allerdings bei den kommunalen Erziehungsangeboten für Straftäter. "Jugendgerichte können die gesetzlichen Instrumente nicht vollständig nutzen, weil es in den Gemeinden oft an Personal und Maßnahmen fehlt, die sich um straffällige Jugendliche kümmern."
DAV und SPD gegen Verschärfung

Aufnahme der Überwachungskamera vom Überfall zweier Männer auf einen Rentner (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Unionspolitiker hatten nach einem brutalen Überfall zweier Jugendlicher auf einen Rentner kurz vor Weihnachten in der Münchner U-Bahn die Debatte über härtere Strafen begonnen. ]
Als "reinen Populismus" bezeichnete der Deutsche Anwaltsverein (DAV) Forderungen, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familienrecht im DAV, Ingeborg Rakete-Dombek, sagte der "Frankfurter Rundschau", "solche Patentrezepte ganz kurz vor Wahlen zu äußern", fördere die Glaubwürdigkeit von Politik nicht gerade.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach sich in den Tagesthemen gegen Veränderungen im Jugendstrafrecht aus. "Unser rechtliches Instrumentarium ist völlig ausreichend", sagte Wiefelspütz. Es handele sich um eine "Scheindebatte, die nach den Landtagswahlen schnell wieder beendet sein wird".
Unterstützung für Merkel

Die Opposition unterstützte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die eine sachliche Debatte über Jugendgewalt angemahnt hatte. "Man muss die Besorgnis der Bevölkerung ernst nehmen. Deswegen ist eine Debatte über sinnvolle Maßnahmen richtig", sagte der FDP-Innenpolitiker Max Stadler. Der Grünen-Politiker Volker Beck unterstrich, dass sich Merkel über ihren Sprecher gegen schnelle Antworten ausgesprochen hat. "Ich interpretierte die Äußerungen des Regierungssprechers als Signal an die Scharfschützen in der Union, insbesondere an den hessischen Ministerpräsidenten, das Thema runterzukochen und Sachlichkeit walten zu lassen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion.
Video

* Video Bildunterschrift: Merkel mahnt zu "besonnener Debatte" in der Diskussion über härtere Jugendstrafen, tagesschau 01:15 Uhr [Frank Jahn, ARD Berlin]
.
* intern Weitere Video-Formate .

Unionspolitiker legen nach

Einzelne Politiker von CDU und CSU verschärften den Ton trotz der mahnenden Worte aus Berlin weiter: CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer sagte in den Tagesthemen, man müsse über die Einführung von Erziehungscamps nachdenken. Sie stellte sich hinter die Äußerungen Roland Kochs, der ein härteres Vorgehen gegen kriminelle Ausländer und eine verstärkte Anwendung des Erwachsenenstrafrechts gefordert hatte.

Unionspolitiker hatten nach einem brutalen Überfall zweier Jugendlicher auf einen Rentner kurz vor Weihnachten in der Münchner U-Bahn die Debatte über härtere Strafen begonnen.

  • InternPfeiffer: "Härtere Strafen ändern nichts".
  • InternDiskussion über Lager für Jugendliche in den USA .
  • InternU-Bahn München: Sechs Leute für 800 Kameras [br].
  • UmfrageUmfrage: Eine populistische Debatte?.

*
Weltatlas
Weltatlas: Deutschland
[Flash|HTML] .

Stand: 03.01.2008 16:51 Uhr
http://www.tagesschau.de/inland/jugendgewalt12.html
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Gast
New PostErstellt: 04.01.08, 20:26  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Jugendkriminalität
Im Windkanal der Kuschelpädagogik

Von Christian Geyer
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Ein Schlagwort der Debatte: das Jugendcamp

Ein Schlagwort der Debatte: das Jugendcamp

04. Januar 2008 Für einen Moment, für einen klitzekleinen Moment sah es so aus, als sei alles gesagt. Es war der unheimlichste Moment in dem großen Sagen, das jetzt „Kriminalitätsdebatte“ heißt. Sollte zu ihr wirklich niemand mehr etwas zu sagen haben? War das Thema etwa nicht gut, ja breitmöglichst aufgestellt? Sollte es jetzt, während dieses unheimlichen, quälend langen Moments des Auf-der-Stelle-Tretens, ins Nichts des kommunikativen Beschweigens zurückfallen? Das Thema.

Welches Thema? Das Thema trifft ins Herz aller Dinge, es ist ein Trichterthema, das alles schluckt, was man hineinwirft, und lautet in der amtlichen, bis gestern Nachmittag gültigen Langfassung: „Jugendkriminalität - Schlachten in der Wohnküche - Anstandskatalog - Bildungsoffensive - prügelnde Väter - Parallelwelten der Müllentsorgung - Kuschelpädagogik - Jugendcamps - Warnschussarrest - Schnellschussverbot - mutige vs. feige Staatsanwälte - Jugendliche, die mit gemieteten Autos einen dicken Otto machen, seien sie ausländisch, seien sie deutsch - haben wir ein Erkenntnisproblem? - Abschiebung, konsequente - unsere Sitten und Gebräuche - Erhöhung der Höchststrafe“.

Als sich niemand mehr fand, der noch etwas in den Trichter werfen wollte, als schon die ersten Stimmen etwas von einer „Rohrkrepierer-Debatte“ murmelten, da hatte der Unionspolitiker Norbert Röttgen ein politisches Einsehen und hielt allen, die zum Thema nichts beitrugen, vor, das Thema zu tabuisieren. Das saß! Wer will an der scharfen, ja schneidend scharfen Kontur eines Themas zweifeln, das die Kraft hat, alle, die nicht mitreden, in die Ecke der Tabuisierer zu stellen? Frau Zypries war eine der Ersten, die darum bemüht waren, aus der Tabu-Ecke herauszukommen; sie sei nicht generell gegen Jugendcamps, sagte sie, nur gegen die amerikanischen. Diese Kombination der vorgegebenen Stichworte war in der Tat neu, alle anderen Kombinationen schienen zum Zeitpunkt der Einlassung der Ministerin schon ausgereizt. Debattenkultur, so führte Zypries vor, ist Fristkultur.
Zum Thema

* Merkel für „Warnschuss-Arrest“
* Jugendkriminalität: Fortbildungen und Antigewaltprogramme
* Muslime werfen Koch „gefährliche Hetze“ vor
* Richterbund: Debatte über härtere Strafen für Jugendliche „überflüssig“
* Junge Gewalttäter verletzen in München zwei Männer

Hitliste der Argumente

Wobei, wenn man die argumentative Lage richtig einschätzt, das Votum für einen Warnschussarrest zumeist als konsensuale Basis diente, von der aus eine Abweichung recht eigentlich erst formulierbar wurde. Mit der Aussage „Auch ich bin für einen Warnschuss-Arrest, füge aber hinzu . . .“ wurden bis Freitag Nachmittag im Einzelnen zitiert: Ronald Pofalla (ohne Wenn und Aber), Wolfgang Schäuble (nicht ganz klar, ein Sprecher relativierte), Christian Wulff (fügte hinzu, es gebe mittlerweile Kinder, „die mit dem Wort ,Regel' nichts mehr anfangen können“; darüber werde man sprechen müssen, ebenso darüber, „wie Werte und Tugenden vermittelt werden, wie erzogen wird“; womit auch Roland Kochs „Schlachten in der Wohnküche“ auf dem Tisch lag), Armin Laschet (will ergänzend die Leute offenbar schlachten lassen, wie sie wollen: „Die Frage von Jugendgewalt ist keine ethnische Frage. Jugendliche Gewalttäter haben oft keine Perspektive, keine Bildungs- und Lebenschancen - egal, ob sie Inländer oder Jugendliche aus Zuwandererfamilien sind“), Dietmar Bartsch (fügt hinzu, dass er bei der Müllentsorgung keine Parallelwelten geben dürfe, dass aber ganz generell auch Schnellschüsse zu vermeiden seien - letztere Teilaussage stand in der Hitliste der Argumente bis Freitag auf Platz zwei gleich hinter dem Plädoyer für den Warnschuss-Arrest).

Kenner der deutschen Debattenkultur fragten an dieser Stelle natürlich nach Christian Pfeiffer. Wo bleibt Pfeiffer? Der Kriminologe, der sonst immer mit von der Partie ist. Die Antwort: Pfeifer war schon da gewesen. Er hatte gesagt: „Je besser die Bildungsintegration, umso günstiger die Kriminalitätsentwicklung.“ Und damit der Ansicht von Oberstaatsanwalt Roman Reusch (ein im „Bild“-Raster „Mutiger“; ist Pfeiffer „feige“? ) widersprochen, der gesagt hatte: „Jugendliche aus solchen (ausländischen Problem-)Familien dazu anzuhalten, zu lernen und zu arbeiten, kommt dem Versuch gleich, Wasser mit einem Sieb aufzufangen.“ Auch Reusch hat deshalb, versteht man ihn richtig, gegen einen Warnschuss-Arrest nichts einzuwenden (allein Pfeiffer zeigt sich hier halsstarrig und kündigt an diesem diesem vergleichsweise harmlosen Punkt den Konsens auf; sofort eröffnet sich ein neuer, hier nicht weiter verfolgbarer Zweig der Debatte: Profiliert sich Pfeiffer wider besseres Wissen?).

Der kurze Moment des Schweigens

Ist nun alles gesagt? Was soll die Frage? Jetzt geht es doch erst richtig los! Jetzt, da das Modell „Kriminalitätsdebatte“ die erste Teststrecke im Windkanal hinter sich hat, da es im kontinuierlichen Gebläse geformt und im Luftstrom Kontur gewonnen hat, ist es tauglich für die ersten TV-Runden im neuen Jahr. Die Redaktionen von Anne Will, Maybrit Illner und und und stellen ihre Tableaus der Diskutanten zusammen. Die Schlacht um die Wulffs, Laschets, Pfeiffers, um die mutigen und die feigen Staatsanwälte, um die Jugendcamp-Ausbilder aus Amerika und Hessen ist in vollem Gange. Schon schicken die Sender ihre Pressemitteilungen, aus denen hervorgeht, dass sie begriffen haben, was das Thema der Stunde ist: „Am Montag, dem 7. Januar 2008, empfängt Claus Strunz in der ersten Ausgabe von ,Was erlauben Strunz' nach der Winterpause Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm und die Geschäftsführerein des Streetwork-Vereins ,Gangway e.V.', Elvira Berndt.“

Unheimlich war der kurze Moment des Schweigens. Unheimlich, weil er das stumme Zentrum einer politischen Debatte war, die Erkenntnis vorspiegelt, wo erkennbar nur Meinung zu allem und jedem ist. Aus welcher Nacht tritt das Expertentum, das nun plötzlich von jedem beansprucht wird? Es ist, als suche eine haltlose Debatte verzweifelt die Form zu gewinnen, die sie durch ihre orgiastischen Wortmeldungen gerade demoliert. Ja, die Themen liegen auf der Straße. Aber wehe dem, der sie in den Windkanal der Diskursmaschine bläst. Wer diesen Wind sät, nimmt in Kauf, einen Sturm der Hetze zu ernten. Ob der Sturm bis zum hessischen Wahltermin durchbläst?



Text: F.A.Z., 05.01.2008, Nr. 4 / Seite 31
Bildmaterial: AP
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~EACA332A37BCF419CB6A739DCCFCC883B~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell
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Gast
New PostErstellt: 04.01.08, 20:32  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

© ZEIT online 4.1.2008 - 19:01 Uhr

* Schlagworte:
* Gesellschaft
* Kriminalität
* Jugendstrafrecht

Falsche Annahmen

Roland Koch hat einen Sechs-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Jugendgewalt vorgeschlagen. Doch seine Forderungen haben Mängel. Eine Kritik des Kriminologen Arthur Kreuzer

© boing/ Photocase

Der schreckliche Überfall auf einen Münchener U-Bahn-Gast durch einen 17-jährigen Griechen und einen 20-jährigen Türken hat eine ungeahnt heftige Diskussion ausgelöst: Einseitige, polemische, von Wahlkampf zeugende Parolen und Gegenparolen hier, sachliche, um Lösungen sozialer Probleme von jungen Straffälligen und namentlich Migranten bemühte Überlegungen dort. Da stellen Unionspolitiker fast unisono im Sinne des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch fest „Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer“ und fordern eine Verschärfung des Jugendstraf- und Abschieberechts. Da schallt es schrill zurück etwa von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, Koch sei ein Versager, denn 80 Prozent der jugendlichen Straftäter in Hessen würden wieder straffällig. Dieser Wert gilt indes für alle innerhalb von vier Jahren nach der Entlassung begangenen Straftaten in Deutschland, hat nichts mit Hessen oder allen Jugendstraftätern zu tun. Endlich wird aber auch über Missstände in der Integrationspolitik, über Gründe und Prävention von Jugendgewalt, über Trainingslager für orientierungslose, gewaltbereite junge Menschen, über Alternativen zu deren bloßer Wegschließung in Haftanstalten ernsthaft nachgedacht. Erfolgversprechende Modellprojekte aus verschiedenen Bundesländern werden erstmals öffentlich wahrgenommen.

Die Forderungen nach schärferen Sanktionen beruhen auf vier fragwürdigen Annahmen. Der Münchener Vorfall signalisiere eine neue Dimension brutaler Gewalt, wie es etwa die bayerische Justizministerin Beate Merk ausdrückt. Das wird seit geraumer Zeit auch bei ausländerfeindlichen Ausschreitungen behauptet. Tatsächlich kennen wir Brutalität von früher, als in den sechziger Jahren Hamburger Rocker-Gruppen oder später Skinhead-Cliquen ähnliche Gewaltmuster zeigten. "Schwule Ticken" nannten die das damals oder "Kanaken Ticken" oder "Plattmachen", wenn sie – durch die Gruppe geschützt und sich in ihr stark, sonst indes chancenlos am Rande der Gesellschaft fühlend – Schwächere, Wehrlose oder Ersatzfeinde gezielt provozierten, zusammenschlugen und die Opfer am Boden mit Stiefeln traktierten. Es sind immer wieder aufflackernde, im Erscheinungsbild variierende Gruppen, Formen und Symptome misslingender Eingliederung von Randständigen vor allem in Ballungsgebieten unserer unwirtlicher und anonymer werdenden Gesellschaft.

Die zweite Annahme lautet, Jugendgewalt gehe großenteils mit dem Ausländerstatus einher. Der Status In- oder Ausländer hat jedoch gar nichts mit Kriminalität zu tun. Der Kriminologe Klaus Boers fand in seinen Schülerbefragungen, dass sich deutsch- und türkisch-Stämmige überhaupt nicht im Delinquenzniveau unterschieden. Andererseits sind aber Gewaltmassierungen unter jungen Menschen in Großstadtcliquen nicht zu verkennen. In ihnen dominieren mitunter junge Männer aus Zuwanderermilieus unterer sozialer Schichten. Sie brauchen vorbeugend eine angemessene Integrationspolitik, letztlich möglicherweise auch harte Strafen. Frühere Fehler eines gewollten Nebeneinanders verschiedener kultureller und sprachlicher Welten in unserem Land müssen korrigiert werden. Die deutsche Sprache zu erlernen, ehe sie am allgemeinen Schulunterricht teilnehmen, ist für alle verbindlich. Die eingewanderten Familien müssen für unsere Vorstellungen von Gesellschaft, Bildung und Werten gewonnen werden.

Strafhärte und rigide Strafandrohungen könnten Gewalttäter abschrecken, so die dritte Annahme. Dass Prävention mehr bewirken kann als Repression, ist aber inzwischen eine Binsenweisheit. Ebenso, dass Strafe am wenigsten erreicht, oft sogar Rückfälligkeit fördert. Dennoch können wir auf sie nicht verzichten. Sie kann nach geltendem Recht ziemlich empfindlich ausfallen. Hartgesottene, in ihrer Fehlsozialisation gefestigte Menschen lassen sich aber nicht durch Strafen abschrecken. Wenn überhaupt schreckt schnelle und wirksame Verfolgung ab. Hinreichend präsente Polizei und technische Neuerungen sind also der sinnvollere Weg.

Außerdem sei das Jugendstrafrecht zu milde. Es ist jedoch nicht milde, sondern flexibler, erzieherischer, Jugendliche stärker fordernd und fördernd als das Erwachsenenstrafrecht. Seine Erfolge in dem einen Jahrhundert seiner Entwicklung können sich sehen lassen. Ganz in diesem Sinn ist ausgerechnet in dem von Koch regierten Land eines der fortschrittlichsten Jugendstrafvollzugsgesetze kürzlich verabschiedet worden.

Nicht erst die Münchener Gewalttat hat Unionspolitiker veranlasst, mit Forderungen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts aufzuwarten. Schon Anfang 2006 hat sich auf mehrjähriges Betreiben unionsgeführter Länder der Bundesrat solche Forderungen in einem Gesetzentwurf zu eigen gemacht. Der Entwurf schmort im Bundestag, weil der Koalitionsvertrag lediglich eine Ausweitung nachträglicher Sicherungsverwahrung auf junge Täter vorsieht, alles andere jedoch ausspart. Warum also sollten Koch und Co. die neuerliche Gewalt nicht zum Anlass nehmen, beharrlich, zugleich wählerwirksam auf diesen unerfüllten Forderungskatalog zu pochen? Ebenso verständlich und nötig ist es aber, auf Schwächen einzelner Forderungen des Sechs-Punkte-Plans von Koch hinzuweisen.

„Wir wollen die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren wieder zum Regelfall, das Jugendstrafrecht zur Ausnahme machen“, heißt es dort. Nahezu alle Fachverbände und Wissenschaftler lehnen das ab. Gerade Gewalttäter weisen oft erhebliche Erziehungsdefizite und Gewalterfahrung in früherer Kindheit auf, sind unreif und müssten auch nach den Unions-Vorschlägen als Jugendliche bestraft werden. Auf den Gutachteraufwand, dies zu beurteilen, könnte verzichtet werden, sähe man eine generelle jugendstrafrechtliche Gleichbehandlung aller jungen Straftäter vor.

„Wir wollen einen Warnschussarrest, der jüngst auch unter der Bezeichnung „Schock-Haft“ diskutiert wurde. Nur wenn notorische jugendliche Straftäter neben einer Bewährungsstrafe gleich spüren, wie sich Gefängnis von innen anfühlt, besteht die Chance, ihre kriminellen Karrieren so schnell wie möglich zu unterbrechen.“ Diesem Oldtimer der Hardliner ist Entscheidendes entgegenzuhalten: Der Sherman-Report in den USA hat das Versagen von Schock-Inhaftierungen, „Boot Camps“ und Gefängnis-Probier-Programmen nachgewiesen. Bei uns zeigt die Rückfallstatistik eine um zehn Prozent höhere Rückfälligkeit der Jugendarrestanten gegenüber den sogar zu Jugendstrafe Verurteilten, die unter Bewährung stehen. Ambulante, sozialpädagogisch ausgefüllte Maßnahmen sind eben freiheitsentziehenden überlegen. Jugendarrest bedeutet zumeist ein bisschen Knast, negatives Lernen in einer Subkultur mit Hackordnung und illegalen Geschäften, Gewöhnung an Haft, Verschlechterung anschließender stützender Sozialarbeit. Jugendarrest zu Beginn der Bewährung käme ohnehin erst über ein Jahr nach der Tat zum Tragen, folgte ihr also nicht auf dem Fuße. Er strafte die richterliche Bewährungsprognose Lügen, der Freiheitsentzug könne bedingt ausgesetzt werden, weil der Jugendliche auch ohne Vollzug unter Bewährungsaufsicht ein rechtschaffenes Leben führen werde. Den Ernst der Lage zu verdeutlichen, dazu eignen sich notfalls deftige Arbeitsauflagen oder Trainingskurse.

Dieser Kritik begegnen Unionspolitiker mit dem Hinweis auf Erziehungslager wie Lothar Kannenbergs Boxcamp in Diemelstadt. Solche Camps – sagt beispielsweise Wolfgang Bosbach – „könnten ein Ausweg für Jugendrichter sein, die einem straffälligen Jugendlichen einen `Schuss vor den Bug` geben wollten, aber fürchteten, im Gefängnis könnte der Verwahrte Leute kennenlernen, die er besser nicht kennt“. Derartige Einrichtungen bieten einigen jugendlichen Gewalttätern tatsächlich Chancen, sich über mehrere Monate an einen geregelten Alltag, Pflichten und Rücksichtnahme zu gewöhnen. Sie sind sinnvolle Alternativen auf der Suche nach etwas Besserem als Strafvollzug. Sie sind aber kein Jugendarrest oder auch nur eine jugendrechtliche Strafe. Das Boxcamp gründet auf Freiwilligkeit. Es ist eine öffentlich geförderte private Einrichtung der Jugendhilfe, nicht eine "Justizvollzugsanstalt". Das hat nichts mit Jugend-, Einstiegs- oder Warnschussarrest zu tun.

"Wir wollen die Höchstgrenze der Jugendstrafe bei Heranwachsenden für schwerste Verbrechen von 10 auf 15 Jahre erhöhen." Unter der genannten Bedingung, das Jugendstrafrecht generell auf Heranwachsende anzuwenden erscheint diese Forderung konsequent und angemessen.

"Wir wollen das jugendstrafrechtliche Handlungsinstrumentarium [...] erweitern [...] zum Beispiel das Fahrverbot zu einer eigenständigen Sanktion des Jugendstrafrechts [ausbauen]." Das ist zwar heftig umstritten, weil kein Bezug zum Verkehrsverhalten verlangt wird. Aber es kann sinnvoll etwa an die Stelle des teuren, meist negativ wirkenden Arrests treten und junge Straftäter spürbar in ihrer Freiheit einschränken.

"Wir wollen zum Schutz der Bevölkerung die Sicherungsverwahrung auch bei Heranwachsenden zulassen." Über diese Forderung – so fragwürdig sie ist – wird bereits anhand eines Gesetzentwurfs der Regierungskoalition beraten. Die Gesetzesanwendung und vor allem die Prognoseproblematik sind bei jungen Menschen freilich noch schwieriger als bereits jetzt im Erwachsenenrecht.

"Ausländer müssen bei einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zwingend ausgewiesen werden können." Bei längeren Strafen, wie sie die Münchener Täter zu erwarten haben, ist die Abschiebung sowieso zwingend und parteiübergreifend gewollt. Andererseits ist sie immer ausgeschlossen, wenn Todesstrafe oder Folter im Herkunftsland drohen oder wenn die Täter wie Russlanddeutsche den deutschen Pass haben. Schwierig ist eine Abschiebung in Länder der EU. Außerdem sind die meisten jungen ausländischen Straftäter hier geboren. Sie wurden hier (fehl)sozialisiert und sind gezeichnet vom Integrationsversagen unseres und nicht eines anderen Landes. Dann sollten wir unsere Hausaufgaben machen, Familien zusammenlassen und junge Täter mittlerer Kriminalität nicht in Länder abschieben, die nicht ihre Heimat sind.
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© ZEIT online


zum Thema

* Schlagworte:
* Gesellschaft
* Kriminalität
* Jugendstrafrecht

DIE ZEIT 02/2008
o
Abschieben hilft nicht
-

Schönreden aber auch nicht: Jugendkriminalität ist kein Ausländer-, sondern ein Unterschichtproblem. »
ZEIT online 01/2008
o
"Jugendliche brauchen konsequente Behandlung"
-

Anti-Aggressionstrainer Horst Schawohl organisiert Trainingskurse für Intensivstraftäter und hält eine Verschärfung des Jugendstrafrechts für überflüssig »


http://www.zeit.de/online/2008/02/jugendstrafrecht?page=all
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Gast
New PostErstellt: 07.01.08, 08:10  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Sonntag, 6. Januar 2008
"Wahlkampfgetöse"
Debatte um Jugendgewalt

Im Streit um schärfere Gesetze gegen junge Kriminelle hat die SPD der Union eine Abfuhr erteilt. Auf einer Klausurtagung der SPD-Spitze in Hannover sagte Parteichef Kurt Beck, beim Jugendstrafrecht gebe es keine Gesetzeslücken, sondern "allenfalls Handlungsdefizite".

Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf eine baldige Verschärfung der Gesetze gedrängt. Der CDU-Vorstand verabschiedete dazu einstimmig einen Forderungskatalog, der unter anderem einen "Warnschussarrest" und die schnellere Abschiebung von ausländischen Straftätern vorsieht.

Lex-Koch-Debatte

Merkel appellierte an den Koalitionspartner, Gesetzesänderungen nicht auf die lange Bank zu schieben. "Es muss was passieren. Es darf nicht nur geredet werden", sagte die Kanzlerin nach einer CDU-Klausur am Vortag in Wiesbaden. Mit dem Forderungskatalog stärkte die CDU-Spitze vor allem dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch den Rücken, der bei der bevorstehenden Wahl um seine Mehrheit bangen muss. Koch hatte das Thema nach dem Überfall von zwei ausländischen Jugendlichen auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn wieder auf die Tagesordnung gebracht.


Merkel regte an, noch vor den Landtagswahlen am 27. Januar in Hessen und Niedersachsen innerhalb der Koalition über die Jugendgewalt zu sprechen. "Vielleicht passiert ja jetzt was." SPD-Chef Beck entgegnete, eine Verschärfung des Jugendstrafrechts sei unnötig. "Zu reden ist über die Anwendung. Alles andere ist Schaumschlägerei." Nach einer Emnid-Umfrage sind 66 Prozent der Bundesbürger dagegen, kriminelle ausländische Jugendliche in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu stellen.

Forderungskatalog der Union

In dem Papier legt sich die CDU auch auf einen bis zu vierwöchigen "Warnschussarrest" fest. Der Arrest soll als abschreckende Maßnahme zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe verhängt werden können, was bisher nicht möglich ist. Für 18- bis 21-Jährige soll das Erwachsenenstrafrecht die Regel werden. Bei schweren Verbrechen soll die Höchststrafe für Heranwachsende, für die wegen mangelnder Reife Jugendstrafrecht gilt, von 10 auf 15 Jahre angehoben werden. Geplant ist auch, Ausländer bei Straftaten schneller abzuschieben.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte am Sonntag in München, man müsse die bestehenden Gesetze konsequent anwenden, aber auch mögliche Lücken in der Gesetzgebung schließen. "Es gibt junge Menschen, die müssen ziemlich früh klarer gemacht bekommen, dass es Grenzen gibt, die sie im eigenen Interesse respektieren."

Kritik an Kochs Wahlkampfstrategie

SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier warf der CDU vor, Ängste zu schüren. "Der Wahlkampf des brutalstmöglichen Populismus, wie Koch ihn betreibt, wird sich diesmal nicht auszahlen", sagte der Außenminister. Der hessische Ministerpräsident wies den Vorwurf, Stimmung gegen Ausländer zu machen, im "Tagesspiegel" zurück. Es müsse möglich sein, "über Missstände auch dann zu sprechen, wenn sie Zuwanderer betreffen".

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle wandte sich gegen ein härteres Jugendstrafrecht. "Wir haben in Deutschland kein Gesetzesdefizit. Wir haben ein Vollzugsdefizit", sagte er beim FDP-Dreikönigstreffen in Stuttgart.

Die Gewerkschaft der Polizei schlug einen Runden Tisch zum Thema Jugendgewalt vor. Wichtiger als neue Gesetze sei, dass sich die Praxis verändere, sagte Gewerkschaftschef Konrad Freiberg der "Saarbrücker Zeitung". Die gegenwärtige Debatte sei "nur Wahlkampf".
http://www.n-tv.de/900252.html
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Gast
New PostErstellt: 07.01.08, 08:21  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

6. Januar 2008
JUGENDKRIMINALITÄT
Von der Leyen für Erziehungscamps - unter Voraussetzungen

Strukturierte Tage, die Einsicht, dass nur Anstrengung zum Ziel führt: Wenn kriminell gewordene Jugendliche diese Erfahrungen in Erziehungscamps machen, seien solche Einrichtungen sinnvoll, sagt Familienministerin von der Leyen.

Berlin - Wie bringt man kriminell gewordene Teenager zurück auf den richtigen Weg? Unter bestimmten Voraussetzungen könnten Erziehungscamps helfen, glaubt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU). "Da kommen Jugendliche hin, für die es vielleicht zum allerersten Mal im Leben Struktur im Tag gibt", sagte sie am in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Zudem erlebten die Jugendlichen erstmals, dass es im Leben Regeln gebe, die für sie und die anderen gelten.

Vielleicht am wichtigsten sei, dass die Jugendlichen in solchen Camps lernen müssten, "dass nur die Anstrengung zum Erfolg führt und dass dann der Erfolg erst gut schmeckt", sagte die Ministerin. "Wenn diese drei Dinge gesichert sind, dann ist es sinnvoll."

ase/dpa
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Gast
New PostErstellt: 07.01.08, 08:24  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

06. Januar 2008

HESSEN-WAHLKAMPF
SPD-Spitze verschärft Attacken auf Koch

Von Carsten Volkery, Wetzlar

Verantwortungslos, erbärmlich, brutalstmöglicher Populismus - Vizekanzler Steinmeier nimmt sich den hessischen Wahlkämpfer Roland Koch vor. Auf ihrer Vorstandsklausur in Hannover will die SPD nun zeigen, dass sie keineswegs "weich" bei der Inneren Sicherheit ist.

Wetzlar - Diesmal muss Frank-Walter Steinmeier sich nicht künstlich in Rage reden, wie es so oft das Los des Wahlkämpfers ist. Diese Rede läuft wie von selbst. "Roland Koch" - die beiden Worte reichen schon aus, um den Saal in wohliges Schaudern zu versetzen. Wie dieser Roland Koch "wieder einmal" Ängste schüre, das sei "verantwortungslos", wettert Steinmeier. "Das ist nicht Reden für die schweigende Mehrheit, das ist erbärmlich." Und um es noch deutlicher zu machen: "Ein Wahlkampf auf diesem Niveau ist eine Beleidigung für jeden Stammtisch."

Frank-Walter Steinmeier: "Ein Wahlkampf auf Kochs Niveau ist eine Beleidigung für jeden Stammtisch"
Großbildansicht
DPA

Frank-Walter Steinmeier: "Ein Wahlkampf auf Kochs Niveau ist eine Beleidigung für jeden Stammtisch"
Er habe sich ja gefragt, im fernen Berlin, als diese Meldungen aus dem deutschen Süden hereinflatterten: "Was ist da eigentlich los in Hessen?", sagt Steinmeier. Wieso redet die hessische CDU plötzlich von Hausschlachtungen und Müllentsorgung? Haben die keine anderen Sorgen? So klingt es fast schon lustig, im Saal wird gegrinst, aber Steinmeier erinnert daran, wie bitter ernst das alles ist. Als Außenminister wundere es ihn schon sehr, wie der Regierungschef eines Bundeslandes mit einem internationalen Flughafen und einer internationalen Metropole im Wahlkampf mit Ausländerfeindlichkeit zu punkten versuche. Es solle Koch zu denken geben, dass seine Parolen nur bei einer einzigen Partei Beifall gefunden hätten: den Republikanern. Und Steinmeier fragt: "Ist das nicht ein zu hoher Preis für einen Wahlkampf?"

Der Außenminister und Vizekanzler ist zum Neujahrsempfang der SPD ins hessische Wetzlar gekommen, um die hiesigen Genossen auf den Wahlkampfendspurt einzuschwören. Bis zu den Wahlen am 27. Januar absolviert Steinmeier neben Parteichef Kurt Beck die meisten Wahlkampfauftritte. Das entspricht seiner neuen Rolle: Seit er zum stellvertretenden Parteivorsitzenden nominiert und schließlich gewählt wurde, spricht der deutsche Chefdiplomat immer häufiger Klartext. Das CDU-Grundsatzprogramm verglich er mit Kaufhausmusik, der Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel warf er vor, Außenpolitik "für die schnelle Schlagzeile zuhause" zu machen.

Umfrage: Mehrheit lehnt Kochs Kurs ab

Nun also ist er in Hessen, um sich den derzeitigen Lieblingsfeind aller Sozialdemokraten vorzunehmen. Koch hat die SPD wieder einmal ins Herz getroffen. Seit er seinen Wahlkampf unter das inoffizielle Motto "Schutz vor kriminellen jungen Ausländern" gestellt hat, toben die Genossen - in Hessen und dem Rest der Republik. "Zum Kotzen" sei dieser Koch, heißt es im Berliner Willy-Brandt-Haus.

FÄLLE VON JUGENDGEWALT
Immer neue Fälle von Jugendgewalt haben in ganz Deutschland eine Debatte über den Umgang mit jungen Straftätern ausgelöst. SPIEGEL ONLINE dokumentiert Fälle der vergangenen Wochen.

*
Chemnitz: Taximord - verdächtigt wird ein 16- Jähriger
*
Bremen: 19- jähriger Kickboxer prügelt Studenten ins Koma
*
Augsburg: 17- Jähriger gesteht Mord und Vergewaltigung einer 18- Jährigen
*
Hamburg: 16- Jähriger hat mehr als 50 Einbrüche begangen
*
Neuruppin: Achtjähriger Messerstecher verletzt Schüler
*
Grevenbroich: 15- jähriger Junge gesteht Mord aus Eifersucht

Diesmal werde sich dieser "brutalstmögliche Populismus nicht auszahlen", schwört Steinmeier in der Kulturhalle in Wetzlar-Naunheim. Er könnte Recht behalten: Laut einer neuen Umfrage lehnt eine Mehrheit der Wähler Kochs Wahlkampf ab. Allerdings sind gerade beim Ausländer-Thema Umfragen mit besonderer Vorsicht zu behandeln.

Einen Erfolg jedenfalls kann Koch bereits verbuchen: Die SPD hat er kalt erwischt - ebenso wie viele in der CDU übrigens. Doch während sich die CDU-Spitze notgedrungen hinter ihren Wahlkämpfer stellt und sich bei ihrer Vorstandsklausur in Wiesbaden auf eine Verschärfung des Jugendstrafrechts geeinigt hat, tut sich die SPD mit einer Gegenstrategie schwer. Man ist empört über die "Stimmungsmache" gegen Ausländer, aber vor allem geschockt, dass Koch plötzlich die Schlagzeilen dominiert. Der eigene Wahlkampfschlager Mindestlohn rückte schlagartig in den Hintergrund.

SPD tut sich schwer mit Konter

Zunächst versuchte die SPD es mit Ignorieren. Bloß keine Themen aufdrängen lassen, lautete die Devise. Lieber sich auf den Mindestlohn konzentrieren. Doch erwies sich dies als illusorisch, je länger die Debatte um Jugendgewalt dauerte. Stattdessen entstand die Gefahr, dass die SPD als abgehoben wahrgenommen wurde - ein Desaster für eine Partei, die "nah bei den Menschen" (SPD-Slogan) sein will. SPD-Chef Beck äußerte sich schließlich gestern im SPIEGEL. Er signalisierte Gesprächsbereitschaft - was von Koch und Merkel sogleich als Triumph gefeiert wurde. Merkels spöttische Bemerkung, jetzt habe "eventuell" auch die SPD die Brisanz des Themas erkannt, dürfte das Klima in der Großen Koalition auf einen neuen Tiefpunkt bringen.

In Hessen hat Koch nun wieder Oberwasser: Seit Tagen protzt er mit seiner Fähigkeit, einen Wahlkampf zu drehen. Doch die hessische SPD, in der zuletzt die Siegeszuversicht keimte, will sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. "Der Kampf ist hart geworden", sagt die Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti in Wetzlar. Aber: "Wir lassen uns unsere guten Themen nicht von Koch kaputtmachen." Bildung, Mindestlohn, Energiewende - die SPD habe es nicht nötig, "Politik mit Angst zu machen", sagt die Herausfordererin. "Wir machen Politik mit Hoffnung."

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"Anstandskatalog" überzogen?

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von sophie_gal
Die anfängliche Sprachlosigkeit gegenüber Kochs Chuzpe ist einer neuen Angriffslust gewichen. In Wetzlar verweisen Steinmeier und Ypsilanti auf die Bilanz des Regierungschefs: Jugendhilfe gestrichen, mehr als tausend Polizeistellen gekürzt, zwölf Polizeireviere zugemacht, weitere 20 vor der Schließung, 160 Stellen in der Justiz gekappt. "Von was redet Herr Koch hier eigentlich?", fragt Ypsilanti und erntet donnernden Applaus. Steinmeier fügt hinzu: "Wir brauchen keine Wahlkampfparolen, sondern mehr Polizisten."

Steinmeier verwahrt sich auch gegen den Vorwurf, die SPD nehme die Innere Sicherheit nicht ernst. Seit Otto Schily sei klar, dass die SPD sich nicht wegducke. Diese Botschaft wird wohl auch von der SPD-Vorstandsklausur in Hannover ausgehen.

Das betonte vor Sitzung auch der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil: Die SPD habe bei diesem Thema "keinen Nachholbedarf". Die Sozialdemokratie sei "hart gegen Verbrechen aber noch härter gegen die Ursachen". Es sei schade, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei dem Thema von Koch habe "treiben lassen".

In Wetzlar wurde deutlich, wie die SPD Kochs neuen Wahlkampfslogan "Sicher leben" in den verbleibenden drei Wochen bis zur Wahl kontern will. "Sicher leben", so Steinmeier und Ypsilanti, das beinhalte mehr als bloß eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Der Mindestlohn gebe mehr Sicherheit im Leben, als es Kochs Parolen je könnten, sagt Steinmeier. "Auch in Hessen macht sich jede Mutter mehr Sorge, wie sie die Klassenfahrt ihrer Tochter bezahlen kann, statt über Burka tragende Mitschülerinnen."
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,526936,00.html
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New PostErstellt: 07.01.08, 21:38  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Diskussion über kriminelle junge Ausländer: «Sehr populistisch, sehr gefährlich»

(mv) 07.01.2008, 16:08

Düren. Bei der Polizei in Düren kümmert man sich um kaum einen Bereich so intensiv wie um den der Jugendkriminalität. Und weil in langen Jahren eine große Kompetenz entstanden ist, ärgert man sich in dieser Behörde derzeit sehr über Sprüche, die von Roland Koch aus Hessen durch die Bundesrepublik schallen.

Bitte hier klicken !

«Sehr populistisch, sehr gefährlich», findet Kriminalrat Ingo Wünsch die Rede von einer Bedrohung der Bevölkerung durch jugendliche Ausländer. Wünsch, der Leiter der Direktion Kriminalität in Düren ist, bezieht sich auf Statistiken aus den Jahren 1997 bis 2006, wobei für 2007 noch keine Zahlen vorliegen, diese würden allerdings den Trend bestätigen: Die Jugendkriminalität, die meist eine Kriminalität von 14- bis 18-jährigen Jungen ist, ist im Kreis Düren ganz leicht gesunken, während z. B. die Gewaltkriminalität insgesamt in den letzten zehn Jahren gestiegen sei. «Dass wir ein Problem haben mit den Jugendlichen», das leugnet Wünsch nicht. Aber die Art und Weise wie Koch mit dem Thema umgehe, das sei «unsachlich und gesamtgesellschaftlich gefährlich».

Jugendliche mit Migrationshintergrund hätten oft als Kinder Sprachprobleme, deshalb in der Schule Defizite, mangelhaft und für diese Gesellschaft unpassend sei bisweilen die Erziehung in der Familie, die Anerkennung in der Gesellschaft holten sich diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen, indem sie Straftaten begehen. «Die Polizei steht dabei am Ende der Kette, wird aber immer zuerst um Hilfe gerufen.» Die Bevölkerung befinde sich in einem Irrglauben, wenn sie annimmt, «dass wir als Polizei die Lösung des Problems sind».

In der Tat: Die Polizei kann die Probleme nicht lösen, die etwa entstehen, wenn in den Schulen keine Sozialarbeiter beschäftigt werden und wenn zwischen einer Straftat und der Strafmaßnahme zwei Jahre vergehen, wenn also die Strafe niemals auf dem Fuße folgt. «Lange Laufzeiten stehen dem generalpräventiven Effekt entgegen», sagen die Kriminalisten. Es bedeutet: Ist die Zeit von der Straftat bis zur Sanktion zu lang, dann verpufft die abschreckende Wirkung, sowohl für den Täter als auch für seine Umgebung.

Migration und Kriminalität zu verbinden, schon dass hält Wünsch für vollkommen daneben. Auch in den Statistiken der Dürener Polizei unterscheidet man hinsichtlich der Jugendkriminalität nicht zwischen Tätern mit und Tätern ohne Migrationshintergrund. Auch ob nun Russen, Albaner, Türken, Griechen, Kosovaren oder andere die größten Probleme machen, ist nicht ablesbar.

Wünsch und sein Kollege Willi Jörres können Maßnahmen nennen, «wo wir Vorreiter sind in ganz NRW». So gibt es in Düren vier Mal im Jahr einen Diversionstag, wo sich Polizei, Jugendhilfe und Staatsanwaltschaft mit einem Jugendlichen und seiner speziellen Straftat befassen und Maßnahmen einleiten. «Bis zu 40 Jugendliche treten da an, und das vier Mal im Jahr», weiß Jörres.

Außerdem gebe es spezialisierte Jugendsachbearbeiter, zwei Jugendstraßenpolizisten, die Kontakt zu Jugendeinrichtungen und -gruppen pflegen. Es gibt das Projekt «Cool im Konflikt», ein Frühwarnsystem, wo sich Polizei, Schule und Jugendamt sehr engmaschig über auffällige Jugendliche unterhalten. Nicht zuletzt habe jedes Kind Eltern. «Wenn die sich überfordert fühlen, erwarte ich, dass sie sich an die entsprechenden Stellen wenden», so Wünsch.

Befragt zu Intensivtätern und Mehrfachtätern, erklärt der Fachmann: Mehrfachtäter ist jemand, der fünf Mal oder noch öfter in einem Jahr auffällig wird, zum Beispiel mit Schwarzfahren oder Ladendiebstahl. Davon gibt es knapp über 100 Jugendliche im Kreis Düren. Intensivtäter haben wegen Gewaltdelikten schon mehrfach strafrechtliche Sanktionen erlebt, im Kreis sind aktuell sechs auf freiem Fuß.
http://www.an-online.de/sixcms/detail.php?template=an_detail&id=394511&_wo=Nachrichten:Topnachrichten&_g=Diskussion-ueber-kriminelle-junge-Auslaender:-%c2%abSehr-populistisch,-sehr-gefaehrlich%c2%bb
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New PostErstellt: 07.01.08, 22:08  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

erstellt am: 05.01.2008
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Jugendgewalt ist derzeit ein großes Thema. Foto: ddp
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Kreis Viersen (RP) In Schloss Dilborn landen jugendliche Intensivtäter, das Bethanien-Kinderdorf nimmt Kinder aus kriminellen Familien auf. Beide Jugendhilfe-Einrichtungen sehen Erziehungs-Camps nicht als den Königsweg.

Noch nicht oder gerade eben strafmündig, aber mit hohem kriminellem Potenzial: Immer mehr jugendliche Intensivtäter lassen den Ruf nach hartem Drill laut werden. Die Nachfrage nach geschlossenen Plätzen in der Jugendhilfe steigt. Klaus Esser, Leiter des Bethanien Kinder- und Jugenddorfs Waldniel, und Guido Royé, Leiter der Jugendhilfe-Einrichtung Schloss Dilborn in Brüggen, halten Erziehungscamps allein nicht für die Lösung. Beide glauben auch, das Problem habe die Gesellschaft teils selbst verursacht: durch Spardruck auf die Jugendhilfe-Kosten.

Spardruck rächt sich

Klaus Esser spürt in Bethanien seit Jahren den Kostendruck der Kommunen: „Wir als Jugendhilfe-Fachleute haben immer darauf hingewiesen, dass sich das Sparen am falschen Ende rächt.“ Das sieht Guido Royé genauso: „In jeder Biografie gibt es einen Haken: keine zeitige Konsequenz. Das liegt daran, dass an entscheidender Stelle Finanzmittel gekürzt wurden.“ Jugendliche werden nicht plötzlich aggressiv, weiß Klaus Esser, sie haben eine Problemkarriere hinter sich. Warum nicht früher etwas unternommen wird? Esser: „Pädagogen geben eine klare Antwort: Eltern wurden aufmerksam gemacht, aber haben die Probleme nicht erkennen wollen.

Hilfsinstitutionen werden in Anspruch genommen, aber nur solange nicht zuviel gefordert wird. Das Jugendamt hat nicht oder zu spät oder mit nicht ausreichenden Hilfen reagiert. Das ist auch ein Ergebnis des Kostendrucks, der auf den Jugendämtern lastet und der Sozialarbeiter entscheidungs- und handlungsunfähig macht.“ Es sei zynisch, aber es brauchte den Fall Kevin und das Medieninteresse an vernachlässigten Kindern, „um in Jugendämtern wieder Entscheidungen für die Unterbringung in Heimen und Kinderdörfern zuzulassen“. Erziehung fängt beim Kleinkind an, stellt Klaus Esser klar. „Wenn es bis zum Jugendlichen nicht gelungen ist, Vertrauen und Respekt zu entwickeln, kann das auch kein Erziehungscamp leisten, höchstens eine gute Jugendhilfe-Einrichtung.“
INFO

Modellprojekt

Modellprojekt

Pioniere Der Justizminister (Baden-Württemberg ist neue Wege gegangen. Seit 2003 gibt es zwei Einrichtungen für innovativen Jugendstrafvollzug: Projekt Chance in Creglingen und Seehaus Leonberg. Mit dem „Projekt Chance“ startete das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) 2003 ein bundesweit einzigartiges Modellprojekt: Jugendstrafvollzug in freien Formen – Training statt Haft – in einer Jugendhilfeeinrichtung Internet www.cjd-creglingen.de; www.prisma-jugendhilfe.de

Klientel Mehrfach- und Intensivtäter von 14-18 Jahren (Seehaus bis 21), die erstmals zu Strafe ohne Bewährung verurteilt wurden.

Mit solchen Camps hätte man eine Tat wie den brutalen Übergriff auf einen Rentner in München nicht verhindert, ist Guido Royé überzeugt. „Mit diesen Maßnahmen erreicht man nur einen Teil der Zielgruppe. Die Tätergruppe verhält sich aber nicht homogen.“ Gesondert betrachtet werden müssten Intensivtäter mit Migrationshintergrund. Es gehe um einen anderen kulturellen Hintergrund, und es gebe Täter aus Flüchtlingsfamilien, die auf der Flucht selbst Gewalt erlebt haben – Jugendliche mit schweren Traumata: „Das Problem wird nicht gewürdigt.“ Im November wird eine Fachtagung auf Schloss Dilborn diesen Fragen nachgehen und Antworten erkunden. Royé: „Wir bleiben am Ball.“
http://www.rp-online.de/public/article/regional/niederrheinsued/viersen/nachrichten/viersen/517740
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New PostErstellt: 07.01.08, 23:39  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

© ZEIT online 7.1.2008 - 14:00 Uhr
Wie feige, Frau Merkel!

Von Michael Schlieben

Nur wenige Kommentatoren unterstützen die CDU, die schärfere Strafen für kriminelle Ausländerkinder fordert. Eine Presseschau
Sie stehen in der Kritik: Merkel und Koch

Sie stehen in der Kritik: Merkel und Koch

© Sean Gallup/Getty Images

"Richtig!" Mit Ausrufezeichen und Fettdruck, ihren üblichen Stilmitteln, schlägt sich die Bild-Zeitung an diesem Montag auf Roland Kochs Seite. Sie teilt seine Einschätzung, dass zu viele „junge kriminelle Ausländer“ in Deutschland leben – schließlich hat er sie ja zuerst in diesem Blatt verbreitet. Da aber kaum eine andere Zeitung mit gleicher Stoßrichtung in die Debatte eingestiegen ist, gibt Bild dem hessischen Ministerpräsidenten und Wahlkämpfer nun kräftig Flankenschutz: Es sei wichtig, „dass über die Dinge gesprochen wird, die falsch laufen in diesem Land, für die die Wähler Lösungen erwarten.“ Für Bild gehören da „Kriminalität“, „Jugendgewalt“ und „gescheitertes Multikulti“ natürlich ganz oben auf die Liste.

Diese Meinung hat das Boulevard-Blatt aus dem Hause Springer allerdings ziemlich exklusiv. Selbst die Verlagsschwester Welt betrachtet das Thema differenzierter. Auch hier schreibt der Kommentator zwar, dass Koch ein Thema angepackt habe, „über das man reden muss – auch im Wahlkampf“. Fairerweise dürfe man aber nicht verschweigen, dass der Anteil der ausländischen Straftaten in Deutschland zurückgehe. Darauf hinzuweisen unterlasse Koch leider, bedauert die Welt.

Ein drittes Blatt, das der Unionskampagne zumindest partiell etwas Gutes abgewinnen kann, ist erwartungsgemäß die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In ihrem Leitartikel weist sie darauf hin, dass Koch „die SPD unangenehm überrascht“ habe. Immerhin sei es ihm gelungen, „die vorweihnachtliche Mindestlohndebatte mit einer harten sicherheitspolitischen Debatte erst einmal vom Tisch zu fegen.

Das war es dann aber auch schon an Zustimmung für den Koch-Vorstoß, zumindest an veröffentlichter. Die überwiegende Mehrheit der Kommentatoren hält es wie die Mehrheit der Bevölkerung: 66 Prozent der Bundesbürger halten es für "eher falsch", kriminelle ausländische Jugendliche in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu stellen, ergab eine Umfrage ausgerechnet für die Bild am Sonntag!

Besonders die Süddeutsche Zeitung geht streng mit dem Unionswahlkampf ins Gericht. Heribert Prantl kritisiert unter der Überschrift „Helden und Maulhelden“ die bisherigen Anstrengungen des hessischen Ministerpräsidenten auf dem nun beanstandeten sicherheitspolitischen Feld: De facto habe Koch in seinem Land „jeweils mehr als hundert Stellen im Strafvollzug und in der Justiz abgebaut“, ferner der Jugend- und Gefangenenhilfe Zuschüsse gestrichen. „In Hessen stehen Jugendliche wochenlang auf Warteliste, bis sie den Arrest antreten müssen“, schreibt Prantl. Nicht das Gesetz müsse verändert, sondern seine Praxis verbessert werden. Da könnte Koch mit gutem Beispiel vorangehen.

Noch schärfer formuliert Stefan Braun, ebenfalls in der Süddeutsche Zeitung. Braun kritisiert nicht Koch, von dem sei man ohnehin nichts anderes gewohnt; Braun ist enttäuscht von der Bundeskanzlerin, die sch hinter Koch gestellt und sich damit „zum ersten Mal dem Rausch einer politischen Kampagne“ ergeben habe. Dass Merkel Koch unterstützt, widerspreche ihrer bisherigen, „in der Gesellschaftspolitik betont moderaten Linie. Sie schwächt ihren Integrationsgipfel wie auch Wolfgang Schäubles Islamkonferenz, sie lässt das Motto des jüngsten Parteitags 'Die Mitte' wie billige Taktik erscheinen.“

Für den SZ-Kommentator hat Merkel damit einen kapitalen strategischen Fehler begangen: „Sollte Koch mit seiner populistischen Kampagne Rot-Rot-Grün aus dem Feld schlagen, wird in den Augen der CDU-Anhänger auf ewig er derjenige sein, der das geschafft hat - hart, provozierend, rücksichtslos, sturmerprobt. Verliert er hingegen, wird das nicht nur als seine Niederlage gewertet werden.“ So werde die „Kanzlerin zum Spielball anderer“. Das sie ihren persönlichen Stil aufgebe, sei „weder mutig noch klug, sondern feige“, schlussfolgert die SZ.

Die Nürnberger Nachrichten werfen der CDU ein „sehr begrenztes“ Wissen vor, was die tatsächliche Arbeit von Jugendrichtern angehe. Bei ihren Forderungen nach drastischen Strafen habe die Union „völlig übersehen, dass gerade bei Jugendlichen effektive Vorbeugung wichtiger ist als harte Strafen“. Damit lässt sie wichtige Chance ungenutzt.

Auch die Braunschweiger Zeitung konstatiert ein falsches Problembewusstsein bei der Union: „Die Debatte verläuft nach populärem Muster: Man lamentierte über die 'Jugend von heute', die einfach schlechter sei als die Jugend der Elterngeneration, und fordere Zucht, Disziplin und möglichst langen Knast.“ So einfach sei das Problem aus Sicht des Blattes aber nicht zu lösen, was verantwortungsbewusste Politiker eigentlich wissen müssten. Doch denen gehe es offenbar gar nicht um die Lösung eines Problems, sondern um die Wahlen. Die Union verfahre nach dem Motto: „Wenn es um die Macht geht, sind komplizierte Debatten nur hinderlich.“ Die könne man erfahrungsgemäß dann wieder führen, wenn die Wahlen vorbei sind. Also rät der Kommentator zur Geduld: „Warten wir noch ein paar Wochen, dann reden wir über die Jugend von heute wieder ganz vernünftig.“

Anders sieht es der Berliner Tagesspiegel. Er sorgt sich um die Langzeitwirkung dieses Wahlkampfs für die politische Kultur in Deutschland: Die Neuausrichtung der CDU am rechten Rand durch Roland Koch, gefolgt von Angela Merkel, sei nicht wieder rückgängig zu machen – so wenig wie Kurt Becks Umdefinition der SPD von der Reform- zur Linkspartei light. „Die Parteien dieser großen Koalition jedenfalls machen schon mal die eigenen Ränder stark. Man wird dann ja sehen, wer mehr davon profitiert – die Volksparteien oder die, die noch weiter außen Stimmen fischen.“

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zum Thema

ZEIT online 02/2008
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Falsche Annahmen
-

Roland Koch hat einen Sechs-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Jugendgewalt vorgeschlagen. Doch seine Forderungen haben Mängel. Eine Kritik des Kriminologen Arthur Kreuzer »
ZEIT online 02/2008
o
Populistisch pur
-

Weshalb die CDU mit dem Jugendstrafrecht und die SPD mit dem Mindestlohn Wahlkampf machen. »
ZEIT online /2008
o
Unterschichtsdebatte
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Wie tief ist die deutsche Gesellschaft gespalten? Analysen, Kommentare, Hintergründe »


http://www.zeit.de/online/2008/02/presseschau-cdu-merkel-koch?page=all
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New PostErstellt: 07.01.08, 23:41  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Jugendkriminalität
Hart, aber unfair

Von Regina Mönch und Michael Hanfeld
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Über die Erfahrung mit kriminellen Jugendichen darf nicht jeder sprechen

Über die Erfahrung mit kriminellen Jugendichen darf nicht jeder sprechen

07. Januar 2008 Die Talkshow „Hart aber fair“ am Mittwoch verspricht spannend zu werden. Denn Frank Plasberg wird die richtigen Gäste haben - die Antipoden der Debatte über Jugendkriminalität, den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Mit ihnen hätte auch aus der Sendung von Anne Will am Sonntag etwas werden können, mit der B-Besetzung des Außenministers Frank-Walter Steinmeier und des bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein wurde das Thema zwar besonnen, aber fahrig bis zur Unkenntlichkeit besprochen. Einer aber fehlt bei Plasberg wie bei Will: der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch, dessen Abteilung sich um jugendliche Intensivtäter kümmert. Sein Vorgesetzter, der Leitende Oberstaatsanwalt Andreas Behm, hat dem Ermittler die Auftritte untersagt (siehe: Berliner Staatsanwalt darf nicht zu Plasbergs Talkshow). Und zwar nicht nur, weil er sich als Dienstherr selbst das Rederecht vorbehält, sondern weil Reusch einen anderen Standpunkt vertritt als er.

Der Produzent der Talkshow „Hart, aber fair“, Jürgen Schulte, bestätigte dies ausdrücklich: „Der Leitende Oberstaatsanwalt Behm hat die Absage für den Oberstaatsanwalt Reusch dezidiert damit begründet, dass dieser nicht seine Meinung vertritt. Ich hatte meine Anfrage noch gar nicht zu Ende formuliert, als Oberstaatsanwalt Behm sagte, dass dieses Thema Chefsache sei und Reusch nicht seinen Standpunkt vertrete.“ Die Absage, so Schulte, war keine Überraschung, man habe Reusch schon einmal im vergangenen Mai angefragt und auch damals - als es um das Thema Integration ging - eine Absage erhalten.
Zum Thema

* Bloß nicht Roland Koch wählen!
* Berliner Staatsanwalt darf nicht zu Plasbergs Talkshow
* Im Windkanal der Kuschelpädagogik
* Jung, männlich, bildungsfern: Die Verlierer der Integration

Auftrittsverbot seit Sommer

Das passt ins Bild. Seit Sommer 2007, seit einem „Spiegel“-Streitgespräch über die Gewalttätigkeit Jugendlicher, vor allem die atemberaubenden Strafkarrieren junger Migranten aus der Türkei oder arabischen Ländern, darf der Oberstaatsanwalt Reusch nicht mehr öffentlich auftreten. Im Prinzip sagte er im „Spiegel“ nichts anderes als in Artikeln, die zuvor in juristischen Fachzeitschriften erschienen sind. Der Maulkorb hatte für Empörung unter Berliner Staatsanwälten gesorgt, deren Berufsverband die Justizsenatorin und Reuschs Vorgesetzten Behm scharf kritisierte. Die Senatorin hatte Reusch unterstellt, in Berlin würde Untersuchungshaft für (brutale) jugendliche Straftäter angeordnet, ohne die Buchstaben des Gesetzes zu achten.

Im Umfeld der Senatorin Gisela von der Aue (SPD) munkelte man, die Abteilung von Reusch, die sich mit den Serien krimineller Gewalttaten sehr junger Täter befasst, solle aufgelöst werden. Das ist zum Glück nicht geschehen. Trotzdem mussten Zuhörer im Berliner Roten Rathaus erstaunt registrieren, dass auf einem Podium ausgerechnet der Mann fehlte, dessen erfolgreiche Arbeit Thema des Abends war: Roman Reusch, der seit vier Jahren diese in Deutschland einmalige Institution leitet. Im Unterschied zu Politikern, die sich in der Öffentlichkeit allein um die Zukunft junger Schläger zu sorgen scheinen, spricht Reusch gern über die verängstigten, gequälten Opfer, etwa die Mitschüler von Intensivtätern oder Verkäuferinnen, die nach mehrfachen Überfällen nur mit Beruhigungsmitteln ihren Arbeitstag überstehen. Und er ist nicht bereit, die wachsende Zahl männlicher Straftäter aus Migrantenfamilien - 2006 waren es achtzig Prozent, die wegen häufiger Rohheitsdelikte erfasst sind - als vorübergehendes Phänomen zu bagatellisieren, das nur medial überhöht werde.

Um Mäßigung bemüht

Die Talkshow von Anne Will am Sonntag litt unter dem Fehlen einer solchen Stimme. Bei ihr war man derart um Mäßigung bemüht, dass es schien, es gebe nur einen Grund, über Jugendkriminalität zu reden - weil Wahlkampf sei. Die Frage, ob die Verbrechen junger Intensivtäter nicht lange unter den Teppich gekehrt wurden, weil es für die Politik ein heißes Eisen ist, an dem man sich nicht die Finger verbrennen will, geriet nicht in den Blick (siehe: Bloß nicht Roland Koch wählen!). Bei Anne Will schien von vornherein klar, dass man eine Luftblase platzen lassen wollte. Nicht einmal hinreichende empirische Grundlagen für eine Diskussion gab es - für die hätte jemand wie der Oberstaatsanwalt Reusch sorgen können. Den, das sei zur Ehrenrettung gesagt, die Redaktion von Anne Will auch angefragt hatte. Sie handelte sich - wie andere - eine Absage des Dienstherrn ein.

Der ARD kann man hier übrigens bei der Arbeit zusehen. Dass die beiden Talkshows dasselbe Thema haben, sei nicht der Idealfall, aber auch nicht der Casus belli, erklärt der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann. Als „Hart, aber fair“ ins Erste kam, sei den Chefredakteuren klar gewesen, dass der Fall eintreten könne: „Wir streben das nicht an, aber wenn ein Thema so dominierend ist wie dieses, kann es zu der Konstellation kommen. Er habe, sagte Baumann, mit den Redaktionen gesprochen, aber nicht in dem Sinne, dass eine der Talkshows das Thema lassen sollte.

Auf die Aufhebung des Redeverbots für den Oberstaatsanwalt warten wir weiter. Sein Vorgesetzter Behm verwies im Gespräch darauf, dass mit dem Hinweis auf eine unterschiedliche Linie kein inhaltlicher Dissenz, sondern die Perspektive gemeint sei. Die des Oberstaatsanwalts Reusch beziehe sich auf die Intensivtäter, doch seien beim Thema Jugendkriminalität auch die „Schwellentäter“ und die Ersttäter zu beachten.



Text: F.A.Z., 08.01.2008, Nr. 6 / Seite 36
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~EFF174FE1662749539BAF8E2CCF2FD530~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell
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New PostErstellt: 07.01.08, 23:42  Betreff: Re: Kritik an Debatte über härteres Jugendstrafrecht  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

© ZEIT online 7.1.2008 - 16:28 Uhr

* Schlagworte:
* Politik
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* CDU
* Jugendstrafrecht

Angela Richtungslos

Von Kai Biermann

Bundeskanzlerin Merkel propagierte bislang Integration. Nun unterstützt sie Roland Kochs Ruf nach harten Strafen für junge Kriminelle. Der plötzliche Schwenk entlarvt ihre Schwäche.

© Getty images/ Montage: ZEIT online

In der Politik kann es von Vorteil sein, keine klare Meinung zu zeigen. Immerhin bieten sich dann keine Angriffsflächen. Allerdings kann dieser Vor- auch schnell zu einem Nachteil werden, fällt doch plötzliches Engagement für irgendetwas schnell als taktisches Manöver auf. Und weist so jeden deutlich auf das erste Manko hin. Dieses Problem hat derzeit Angela Merkel.

Noch vor wenigen Tagen ließ die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende zum Thema Jugendgewalt ihren Sprecher sagen: Die Diskussion sei notwendig, Vorschläge zu einer Verschärfung des Jugendrechts müssten aber „sorgfältig geprüft werden“. Es könne "keine schnellen Antworten" auf Vorfälle wie jüngst in einer Münchner U-Bahn geben. Nach der CDU-Vorstandsklausur am Wochenende forderte Merkel nun plötzlich, härtere Gesetze zu machen, und zwar so schnell wie möglich. Als ob Schwerkriminelle bisher straffrei ausgegangen wären, formulierte sie das Mantra jedes Populisten: „Es muss etwas passieren, es darf nicht nur geredet werden.“

Merkel ist nicht eben bekannt dafür, eine klare Position zu beziehen und sie gilt auch nicht als Freundin des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der die Debatte in seinem Landtagswahlkampf begonnen hatte. Umso erstaunlicher ist der Wandel der CDU-Chefin respektive der Bundeskanzlerin.

Der Umschwung hat Gründe, und die sind nicht schön. Koch droht in Hessen laut Umfragen der Verlust der absoluten Mehrheit, genau wie Ole von Beust im Hamburg. Sie müssten künftig wohl mit der FDP, beziehungsweise mit den Grünen koalieren, wollten sie an der Macht bleiben. Nicht schlimm, könnte man denken. Doch die Verluste für die beiden CDU-Regierungschefs könnten Merkel viel Ärger bescheren. Immerhin würde dann in der Union mit ziemlicher Sicherheit die Frage gestellt, ob Merkels Kurs der Mitte und der gesellschaftlichen Modernisierung der richtige ist und ob er nicht verantwortlich ist für die sich abzeichnenden Stimmeneinbrüche.

Die Konservativen in der Union sind schon lange unzufrieden, ebenso wie die Reformer, die Merkel einst hinter sich scharte. Bisher schweigen sie, da die CDU nie ihren Chef angeht – zumindest, solange er erfolgreich ist. Ein bisschen Rechtspopulismus also kann aus Merkels Sicht nicht schaden, um auch den Rand des Großgebildes Volkspartei wieder zu versäumen und spätere kritische Fragen zu vermeiden. Machtkalkül halt. Möglicherweise aber unterschätzt Merkel die darin liegende Gefahr.

Nicht die Debatte selbst ist es dabei, die Bauchschmerzen verursacht. Über Gesetze und deren Umsetzung und mögliche Anpassung an veränderte Lebenswirklichkeiten zu diskutieren, ist legitim und notwendig. Bauchschmerzen jedoch macht der Tonfall des Ganzen, den sich nun auch Merkel zu eigen gemacht hat. Die Kampagne rührt an ausländerfeindlichen Ressentiments und ist so völlig anders als der bisherige Kurs Merkels, die beispielsweise einen Integrationsgipfel einberief und unter deren Ägide die CDU endlich anerkannte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Sie entwertet so ihre frühere Strategie, die auf Ausgleich bedacht war und darauf, sich nicht an die Spitze irgendwelcher Forderer zu stellen – und sich von ihnen nicht instrumentalisieren zu lassen. Nun wird sie zusehen müssen, wie ihre Stimme als willkommene Unterstützung in einem emotionalen und überhaupt nicht auf Ausgleich bedachten Wahlkampf genutzt wird.

Abgesehen davon, dass die Unions-Politiker sich möglicherweise gerade um die völlig falschen und gar nicht so großen Sorgen kümmern. Fragte doch das TNS-Institut im Auftrag des Spiegel, ob die Deutschen aufgrund des größeren Anteils ausländischer Jugendlicher an Straftaten Angst vor einer Begegnung mit ausländischen Jugendlichen hätten. Die Antwort: 79 Prozent sagten Nein, nur 20 Prozent Ja. Und ob dann wenigstens Erziehungslager für sinnvoll gehalten würden? Nein, finden 70 Prozent, Ja wieder nur 20 Prozent.

Da wirkt es seltsam, wenn Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Spiegel davon spricht, man müsse die Sorgen der „schweigenden Mehrheit ernst nehmen, gerade im Wahlkampf“. Das sei kein Populismus und entsprechende Vorwürfe nur „grober Unsinn“. Ähnlich äußerte sich auch Merkel, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Politik müsse die Ängste der Menschen ernst nehmen, sagte sie.

Welche Ängste? Sicher, gleichzeitig befürworteten in der Umfrage 65 Prozent, das Strafrecht sollte verschärft werden, um besser gegen Jugendliche vorgehen zu können. Doch wozu? Das deutsche Jugendstrafrecht ist hervorragend, es bietet Augenmaß, Härte, Milde, Erziehung – fast jedes sinnvolle Mittel darf mit ihm angewendet werden. Wenn sich denn nur genug Betreuer/Erzieher/Sozialarbeiter finden, um sie auch anzuwenden. Für die aber gibt es immer weniger Geld. Mit Jugendlichen arbeitenden Projekten werden von Bund und Kommunen die Mittel gekürzt, jedes Jahr weiter. Auch und gerade in Hessen.

Der „schweigenden Mehrheit“ kann man kaum vorwerfen, dass ihr dieser Zusammenhang nicht klar ist, sie kommt selten mit dem Jugendstrafrecht in Kontakt. Politiker aber fordern wider besseres Wissen Dinge, die nicht nur nicht notwendig sind, sondern auch vom eigentlichen Problem ablenken: Dass es keinen Mangel an Gesetzen gibt, sondern einen Mangel an politischem Willen, ausreichend Stellen zu finanzieren, um bestehendes Recht anzuwenden. Das ist nicht nur Populismus – also ein sich volksnah geben –, sondern gezielte Desinformation.

Dass Merkel bei dieser Kampagne mitmacht, zeugt nicht nur von ihrem Unvermögen und ihrer Schwäche, sich gegen andere Mächtige in ihrer Partei zu wehren, wenn es eng wird. Es zeugt auch von einer weitgehenden Richtungslosigkeit ihrer Politik.

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zum Thema

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ZEIT online 02/2008
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Falsche Annahmen
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Roland Koch hat einen Sechs-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Jugendgewalt vorgeschlagen. Doch seine Forderungen haben Mängel. Eine Kritik des Kriminologen Arthur Kreuzer »
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Unionspolitiker setzen auf schärfere Sanktionen gegen jugendliche Straftäter. Sie fordern Erziehungslager und eine vereinfachte Abschiebung krimineller Ausländer »
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"Jugendliche brauchen konsequente Behandlung"
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Anti-Aggressionstrainer Horst Schawohl organisiert Trainingskurse für Intensivstraftäter und hält eine Verschärfung des Jugendstrafrechts für überflüssig »
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Wiederholungstäter Koch
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Hessens Ministerpräsident fordert wieder einmal härtere Strafen für straffällig gewordene jugendliche Ausländer - wider alle Vernunft. Ein Kommentar »


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