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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 

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Autor Beitrag
Gast
New PostErstellt: 21.04.07, 11:27     Betreff: Die Bedeutung des abwesenden Elternteils für das Kind Antwort mit Zitat  

Gossip Girl - Die komplette fünfte S...


FPR 2004 Heft 02   56   -60

Die Bedeutung des abwesenden Elternteils für das Kind*

Professor Dr. Franz Resch und Dr. Eva Möhler, Heidelberg

Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Umstände, unter denen Kinder von einem Elternteil getrennt werden könnten, und die möglichen seelischen Folgen solcher Trennungen. Dabei werden verschiedene Faktoren in ihrer Bedeutung gewichtet und therapeutische Implikationen abgeleitet.

I. Einleitung

Zunehmend mehr Kinder wachsen mit der Realität auf, auf die kontinuierliche Präsenz eines Elternteils, in den meisten Fällen immer noch des Vaters, verzichten zu müssen. Diese Situation kann psychisch ein ganzes Spektrum von Symptomen zur Folge haben, welches von einer guten symptomlosen Anpassung an die Situation bis hin zu gravierendem seelischen Leidensdruck der Kinder mit Hospitalisationsnotwendigkeit reicht. In der kinderpsychiatrischen Praxis kann dieser Leidensdruck als Nebenbefund oder auch als zentraler Vorstellungsgrund erhoben werden.

Zahllose Faktoren spielen eine Rolle bei der Situationsbewältigung eines Kindes. Hierher gehören zum Beispiel die Umstände, unter denen die Trennung von einem Elternteil erfolgt, ebenso wie die aktuelle Situation, in der sich das Kind befindet. Aber auch das Alter, Disposition und Vulnerabilität (Verwundbarkeit) des Kindes, die Beziehung, die das Kind zuvor zum Elternteil gehabt hat, Wissensstand des Kindes über und aktuelle Kontaktmöglichkeiten zum abwesenden Elternteil sind nur einige der Einflussgrößen. Der vorliegende Beitrag versucht, die unterschiedlichen Faktoren zu beleuchten und in ihrer Bedeutung für die Anpassung des Kindes an die Abwesenheit eines Elternteils zu gewichten.

Zunächst muss dabei unterschieden werden, ob der abwesende Elternteil früher einmal die primäre Bezugsperson des Kindes (z.B. die Mutter) war oder ob dem Kind die primäre Bezugsperson erhalten bleibt und der Kontakt zum anderen Elternteil (z.B. dem Vater) abgebrochen wird.

II. Abwesenheit der primären Bezugsperson

Die Schäden, welche eine plötzliche Trennung insbesondere eines jungen Kindes von seiner primären Bezugsperson hervorruft, sind vor allem von Bowlby intensiv untersucht und beschrieben. Seinen Beobachtungen zufolge erleiden Kinder in einer solchen Situation seelische Schäden, die sich im Extremfall im Vollbild einer psychischen Deprivation mit Stereotypien, Autoaggression und seelischem Hospitalismus manifestieren1. Seine Untersuchungen stützten sich häufig auf die Situation, dass früher Kinder in den ersten Wochen eines Krankenhausaufenthalts nicht besucht werden durften. Sie sollten erst einmal „zur Ruhe kommen“. Die Konsequenzen beschrieb Bowlby2 folgendermaßen: „Das Kind … wird … im Allgemeinen eine ganz bestimmte Verhaltensabfolge an den Tag legen. … . Wir haben sie als die Phasen der Auflehnung, der Verzweiflung und der Loslösung bezeichnet. In der Phase der Verzweiflung wird das Kind ruhiger, so dass das Besuchsverbot richtig gewesen zu sein schien. Ist dann ein Besuch wieder zugelassen, wird das Kind in einem Zustande der Apathie angetroffen. Es hat die Phase der Loslösung erreicht. Und kehrt das Kind wieder nach Hause zurück, wartet auf die Eltern die Aufgabe, ihrem Kinde zu helfen, die ihm zugefügte Beziehungsstörung zu überwinden.“ Dem Erkenntnisfortschritt der Kinder- und Jugendpsychiatrie, insbesondere der Bindungs- und Deprivationsforschung, verdanken wir, dass derartige Situationen - zumindest in Krankenhäusern - nicht mehr vorkommen.

Aber so, wie Bowlby das Trennungserlebnis mit den drei Phasen der Auflehnung, der Verzweiflung und Loslösung beschreibt, können wir es, weil es zum allgemeinen menschlichen Verhaltensinventar gehört, heute immer noch bei Kindern antreffen, denen aus welchen Gründen auch immer ein kompletter Beziehungsabbruch zur primären Bezugsperson zugemutet wird. Verzweiflung ist eine kindliche Form von reaktiver Depression, die wiederum zum Formenkreis der langfristig wirkenden „psychischen Deprivation im Kindesalter“ gehört, womit gemeint ist, das Kind wird der ihm sonst gegebenen Chancen zur ungestörten Entwicklung beraubt.

Extrembilder wie das des seelischen Hospitalismus sehen wir in der klinischen Praxis jedoch heute nur noch selten. Eine schwächere Version ist das Krankheitsbild der anaklitischen Depression, welches Spitz3 als Folge einer traumatischen Trennung zur primären Bezugsperson beschreibt, mit Rückzugsverhalten, Lust- und Antriebslosigkeit und gelegentlich auch der Verweigerung von aktiver körperlicher Bewegung. In der klinischen Praxis häufiger anzutreffen ist das „failure to thrive“-Syndrom als Ausdruck einer frühkindlichen Beziehungsdeprivation. Junge, z.B. in Heimen untergebrachte Kinder zeigen Wachstumsstörungen und/oder chronisches Untergewicht trotz adäquatem Nahrungsangebot4. Als Langzeit-Folgeschaden einer solchen Situation beschreibt Bowlby die Entwicklung eines „affectionless characters“5, also die Ausbildung einer emotional abgestumpften und nicht erlebnisfähigen Persönlichkeit.

III. Abwesenheit des „anderen“ Elternteils

Die negativen Auswirkungen einer kompletten „father absence“ sind unter anderem dokumentiert worden durch die prospektive Langzeituntersuchung von Golombok und Mitarbeitern6, welche einen geringeren Selbstwert der „vaterlosen“ Kinder feststellte, insbesondere, was kognitive und physische Kompetenz anbetraf. Dabei wiesen Untersuchungen von Ferri7 und Rutter8 nach, dass Kinder, deren Väter gestorben waren, weniger Auffälligkeiten zeigten als Kinder, deren Eltern geschieden oder getrennt waren. Ähnliche Ergebnisse finden sich bei McLanahan und Sandefur9, welche den Übergang zum Erwachsenenalter bei Jugendlichen aus Scheidungsfamilien, die ohne Vater aufwuchsen, verglichen mit Jugendlichen, deren Väter gestorben waren. Aus diesen Ergebnissen leitete Amato10 ab, dass der Konflikt zwischen den Eltern als der wesentliche Prädiktor des emotionalen Stresses angesehen werden muss. Cherlin et al.11 untersuchten den Einfluss von Scheidung und konsekutiver „Vaterlosigkeit“ auf Kinder und fanden heraus, dass insbesondere die Kinder stark reagierten, welche vor der Scheidung bereits symptomatisch gewesen waren. Um den Einfluss des Konflikts als potenzielle Ursache für die kindlichen Auffälligkeiten auszuschließen, untersuchten McLanahan und Sandefur12 Kinder, die von Geburt an von allein erziehenden Müttern großgezogen wurden, und kamen zu dem Schluss, dass diese im Vergleich zu anderen Kindern ein niedrigeres sozialemotionales Funktionsniveau erreichten. Diese Daten stehen jedoch im Gegensatz zu einer älteren Untersuchung von Ferri13, in der sich die Kinder allein erziehender Mütter sozioemotional nicht unterscheiden von anderen Kindern. Dabei sind wiederum die Umstände bedeutend, unter denen der Vater verschwand, und insbesondere das, was das Kind über die Hintergründe der „father absence“ weiß. Die psychoanalytische Literatur betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Identifikationsfigur, und insofern muss es als schwere Belastung angesehen werden für ein Kind, wenn es weiß, dass sein Vater wegen Totschlags oder anderer schwerer Verbrechen im Gefängnis sitzt.

Aus unserer klinischen Erfahrung ergibt sich dabei häufig folgendes Bild:

Nach einer Scheidung wünschen Kinder in den allermeisten Fällen, den Kontakt zum nicht sorgeberechtigten Elternteil aufrechtzuerhalten. Die neue Gesetzgebung, Jugendämter, Psychologen und Beratungsstellen versuchen, dem Rechnung zu tragen. Dennoch gibt es Fälle, in denen der Umgang mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil, zumeist immer noch der Vater, nicht durchführbar ist, 1. weil der Elternteil, „untergetaucht“ ist oder 2. weil der Umgang gerichtlich ausgeschlossen ist oder 3. weil das Kind nicht „will“. Dies sind drei außerordentlich unterschiedliche Situationen und zu jeder dieser drei Situationen wollen wir gesondert Stellung nehmen.

1. Der Elternteil ist komplett untergetaucht/abwesend

Hier ist wieder zu differenzieren, ob es sich um eine primäre Abwesenheit handelt, das heißt das Kind kennt den Elternteil gar nicht, oder ob es irgendwann zum Beziehungsabbruch kam, durch Tod, Trennung oder Ähnliches. Von Bedeutung scheinen in diesem Zusammenhang dabei unter anderem auch die Informationen, welche das Kind über den abwesenden Elternteil hat. Die Heterogenität dieser Ausgangssituationen macht eine empirische Untersuchung der Bedeutung des abwesenden Elternteils extrem schwer. Gleichzeitig wird von psychoanalytischen Autoren oft betont, dass ein komplexes Unwissen über den Vater oder den anderen Elternteil in der Adoleszenz oft zu massiven Problemen führen kann, da für diese Kinder und Jugendlichen gar keine Identifikationsleitfigur vorhanden sei, insbesondere, wenn der gleichgeschlechtliche Elternteil verschwunden ist. Andererseits ist auf die kompensatorische Wirkung von Lehrern, Freunden, Nachbarn etc. hinzuweisen, die sich dem Kind zuwenden. Hier ist dann wieder die Bedeutung des kindlichen Temperaments und der Ausgangspersönlichkeit zu betonen, da eigene Kinder auf Grund ihres Naturells in der Lage sind, hinreichend Kontakt zur Ersatzpersonen aufzubauen und zu halten, während sich andere die für sie notwendige Zuwendung und Modellfunktion nicht so ohne weiteres aufbauen können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der anwesende Elternteil: Baut er Kontakte zu anderen, das Kind potenziell unterstützenden Erwachsenen auf? Und noch wichtiger: Vermittelt er dem Kind ein positives Bild vom abwesenden Elternteil oder ein negatives? Insbesondere in Fällen des kompletten Ausfallens eines Elternteils sind die Aussagen des anderen Elternteils für das Kind von entscheidender Bedeutung, denn sie prägen das Bild, welches sich das Kind macht. Und dieses Bild wiederum beeinflusst das Selbstbild des Kindes in ganz entscheidendem Maße, da es ja weiß, dass es auch mit dem abwesenden Elternteil „ein Fleisch und Blut“ ist. Auch andere mit dem abwesenden Elternteil leiblich verwandte Familienangehörige wie Großeltern oder Onkel und Tanten können hier eine kompensatorische oder auch aggravierende Rolle spielen, je nachdem, ob und wenn ja, wie sie einen Kontakt zum Kind herstellen, aber auch, wie sie sich dem Kind gegenüber zum abwesenden, aber auch zum anwesenden Elternteil stellen.

2. Der Umgang ist gerichtlich ausgeschlossen

Auch hier können ganz verschiedene Hintergründe vorliegen: Zum einen sind Fälle von Kindesmisshandlung oder sexuellem Missbrauch zu erwähnen, in denen der Umgang des Kindes mit dem misshandelnden Elternteil ausgesetzt wird. Der persönliche Umgang des Kindes mit seinem anderen Elternteil ist also durch gerichtlichen Beschluss ausgeschlossen worden. Und zwar in der Regel, weil dieser Elternteil entweder durch seine Person oder durch die Umstände, in denen er lebt, die Entwicklung des Kindes gefährden oder gar schädigen würde. Das bedeutet, zum „Schutz von Wachstum und Entwicklung des Kindes“ muss das Kind auf seinen Anspruch auf Pflege und Vertiefung der familiären Vertrautheit mit dem Elternteil verzichten, bei dem es nicht ständig lebt. Solange die Gründe eindeutig sind, ist der Verzicht dem Kinde nicht nur zuzumuten, sondern zu seinem Wohle auch geboten.

3. Der Umgang ist nicht gewünscht

Eine ganz andere Situation liegt vor, wenn Kontakte zum nicht sorgeberechtigten Elternteil - mit (scheinbarer) Billigung aller Beteiligten - nicht durchgeführt werden. Als Zufallsbefunde bei der Erhebung einer Familienanamnese tauchen da - meist - Väter auf, welche die Kinder seit Jahren nicht gesehen haben, weil „die Kinder keine Lust haben“ oder „es sich nicht ergeben hat“.

Hinter solchen Aussagen stehen meist Vorgaben des sorgeberechtigten Elternteils, denn für ein Kind hat jedes noch so abwesende Elternteil eine elementare Bedeutung, so dass die kindliche Sichtweise niemals mit „es hat sich nicht ergeben“ wiedergegeben werden kann. Das legt den Schluss nahe, dass für den Kontakt der Kinder zum nicht sorgeberechtigten Elternteil das Verhalten des Sorgeberechtigten und anwesenden Elternteils von entscheidender Bedeutung ist: Fördert Letzterer die Kontakte des Kindes zum anderen Elternteil, oder unterbindet er sie?

Leider treffen wir in der klinischen Praxis außerordentlich häufig auf den Fall, dass ein Elternteil den anderen vor den Augen und Ohren des Kindes massiv abwertet und dies nicht nur in Begutachtungssituationen, sondern auch in Situationen, wo dies primär gar nicht thematisiert wurde. Dies führt langfristig natürlich nicht nur zum negativen Selbstbild das Kindes, sondern - in Fällen, wo sporadischer oder sogar regelmäßiger Kontakt zwischen Kind und nicht sorgeberechtigtem Elternteil stattfand - zu einer Entfremdung des Kindes vom nicht sorgeberechtigten Elternteil, was für das Kind letztlich ein großer Verlust ist. Der Kinderpsychiater Gardner14 prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „Parental Alienation Syndrome“ (PAS), der schon auf den Krankheitswert dieses Entfremdungszustands für das Kind hinweist. Dahinter steht in erster Linie weniger die Absicht des sorgeberechtigten Elternteils, den anderen Elternteil zu kränken, auch wenn es oft den Anschein hat. Vielmehr nimmt der Elternteil, bei dem sich das Kind befindet, im täglichen Zusammenleben etwas von der Konfliktsituation des Kindes zwischen beiden Eltern, dem „Dazwischenstehen“, wahr, und er fürchtet - oft für ihn/sie selber unbewusst - das Kind könne abtrünnig werden und sich dem anderen Elternteil zuwenden. Die sich darin äußernde Verlustangst findet im Mangel an Unrechtsbewusstsein kein Regulativ, so dass durch eine totale Kontaktsperre die vorhandenen Ängste zerstreut werden sollen.

Bei der Kontakt- und Umgangsvereitelung handelt es sich nicht etwa immer um einen Vorsatz, sondern in den meisten Fällen um Emotionen, die vom sorgeberechtigten Elternteil auf das Kind übertragen werden.

Gegenüber Ärzten und Sachverständigen oder Jugendämtern werden häufig Argumente benutzt wie: „Das Kind soll endlich zur Ruhe kommen“.

Von den sorgeberechtigten Elternteilen wird erklärt: Das Kind habe in der letzten Zeit schon so viel durchmachen müssen; oder, nach dem Besuch bei dem anderen Elternteil zeige es ein unerklärliches anderes Verhalten als sonst, schlafe unruhig, fürchte sich vor allem, was sonst nicht seine Art sei, nässe oder kote wieder ein. An allem sei vermutlich der andere Elternteil schuld, der irgendetwas mit dem Kinde angestellt haben müsse. Darum sollten keine Besuche mehr stattfinden, denn das Kind solle endlich zur Ruhe kommen. Gelegentlich wird sogar der unberechtigte Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben, welcher die Ämter und Institutionen in die Zwangslage bringt, diesen Vorwurf zu überprüfen. Dies gelingt selten, ohne dass das Kind etwas mitbekommt. Am Bild des „verleumdeten“ Elternteils in Kinderaugen bleibt auf jeden Fall etwas haften.

Tatsächlich kommt das Kind, wenn es keinen Umgang mit seinem anderen Elternteil mehr hat, augenscheinlich zur Ruhe. Die kindliche Erfahrung zeigt, dass das Kind immer weniger nach dem anderen Elternteil fragt. Dieser äußere Schein täuscht jedoch darüber hinweg, dass das Kind, so ohnmächtig, wie es dem Erwachsenen ausgeliefert und von ihm abhängig ist, ganz einfach resigniert und alles, was mit dem anderen Elternteil zu tun hat, zu seinem Selbstschutz unter ein Tabu gestellt hat. Dieses Tabu aber gefährdet die kindliche Entwicklung massiv, wie die gesamte Forschung über verdrängte und abgespaltene (dissoziierte) Emotionen oder Sachverhalte nahe legt15.

In anderen Bereichen hat sich die veraltete Ansicht, eine radikale Trennung von dem Elternteil diene dem Kindeswohl, auch dank der Bindungsforschung, nicht mehr halten lassen:

Selbstverständlich muss dabei differenziert werden, ob ein Kind den Umgang wirklich nicht will, weil es zu Hause einen großen Freundeskreis hat und diesen, insbesondere im Jugendlichenalter, gegenüber dem Zusammensein mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil bevorzugt, oder ein Fall eines psychisch kranken, wesensveränderten Elternteils vorliegt, welcher für das Kind unheimlich oder bedrohlich erscheint. Dann gibt es aber in unserer klinischen Praxis sehr viele Fälle, in denen das Nichtwollen des Kindes lediglich Ausdruck seiner Solidarität zum sorgeberechtigten oder die Hauptfürsorge tragenden Elternteil ist.

Meistens erklärt dabei der sorgeberechtigte Elternteil, das Kind könne ja den anderen Elternteil besuchen, wenn es wolle, aber es wolle ja nicht. Tatsächlich kann aber das Kind nicht, wenn es auch wollte. Diese Manipulation der kindlichen Persönlichkeit wird oft verkannt, häufig sogar bei der offiziellen Anhörung des Kindes, sei es beim Jugendamt oder - leider - durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen oder auch beim Familiengericht nach § 50b FGG, wenn nämlich davon ausgegangen wird, die Aussage des Kindes, den anderen Elternteil nicht besuchen zu wollen, entspräche dem unbeeinflussten, unabhängigen und freien Willen des Kindes. Ein Kind verfügt aber im Spannungsfeld zwischen seinen Eltern keineswegs über eine freien Willen16. Vielmehr ist es von dem einen Elternteil, bei dem es sein Zuhause hat, abhängig, und es kann es sich nicht mit ihm verderben. Nicht immer sind es Unfreiheit und Abhängigkeit, welche das Kind an seiner Zuwendung zum anderen Elternteil hindern. Auch dadurch, dass der das Kind festhaltende Elternteil aus seiner Abneigung gegen den anderen Elternteil keinen Hehl macht, wird das Kind mit einem Negativbild dieses anderen Elternteils ausgestattet, so dass eine nachhaltige Entfremdung die Folge ist mit den oben geschilderten negativen Auswirkungen auf das Kind.

IV. Fogerung und Zusammenfassung

Kinderpsychiatrische Konsultationen in Trennungs- oder Scheidungsfamilien sind häufig und können verschiedene Hintergründe haben. Zum einen kann der Kinderpsychiater als Gutachter hinzugezogen werden bezüglich Sorgerechts- oder Umgangsfragen, in welchem Fall es dann ansteht, eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der weiter oben geschilderten Sachverhalte zu treffen.

Häufiger jedoch ist der Kinderpsychiater nicht gutachterlich, sondern diagnostisch und therapeutisch in seiner Rolle als Arzt gefragt. Oft stellt dabei der „abwesende Elternteil“ nur einen Nebenbefund da, zu dem der sorgeberechtigte Elternteil bezüglich der Symptomatik seines Kindes zunächst gar keinen Bezug herstellt.

In diesem Fall ist es Aufgabe des Kinderpsychiaters, dem Kind ein Forum für seine Gefühle, Wünsche, Sehnsüchte und Befürchtungen bezüglich des abwesenden Elternteils zu geben, die es im Alltag oft nicht aussprechen kann und darf. Insbesondere bei Jugendlichen können lange vergrabene Emotionen zutage treten. Die Beleuchtung dieser ausgeblendeten Areale führt zwar nicht immer zum Symptomrückgang der aus unterschiedlichster Ursache vorgestellten Kinder und Jugendlichen, jedoch sehr häufig zu einer Verminderung des subjektiven Leidensdrucks. Insbesondere sind viele Kinder und Jugendliche sehr dankbar darüber, dass ihre sonst nirgendwo anzubringenden Gefühle gegenüber dem anwesenden Elternteil „legitim“ und für Außenstehende - wenn auch meist nicht für den sorgeberechtigten Elternteil - verständlich sind.

Prognostisch ungünstig und therapeutisch schwierig erscheinen Fälle, in denen der sorgeberechtigte Elternteil - aus noch so verständlichen Gründen - sehr negativ dem abwesenden Elternteil gegenüber eingestellt ist und zusätzlich negative Attribute beispielsweise des Vaters auf den Sohn projiziert (z.B. „das Kind ist so aggressiv, faul und streitsüchtig wie sein Vater“). Besonders akut ist dieses Problem dann, wenn der sorgeberechtigte Elternteil diese Gefühle und seine zum Teil projektiv verzerrte Wahrnehmung des Kindes nicht nur Außenstehenden, sondern auch dem Kind selber explizit mitteilt. Aber auch in Fällen, wo solche Emotionen dem Kind gegenüber nicht verbalisiert werden, erfolgt oft eine implizite Transmission der elterlichen Einstellung ins Unterbewusstsein des Kindes und belastet dessen Selbstbild erheblich. Man findet diese projektiven Phänomene als häufigen Mechanismus zur Abwehr des Leidensdrucks auf Grund missglückter Partnerschaft und der Aufgabe des Alleinerziehens eines symptombelasteten Kindes. Unter Umständen ähnelt das Kind dem anderen Elternteil physisch oder in bestimmten Temperamentseigenschaften wirklich, so dass hier ein Nährboden für elterliche Befürchtungen und Wahrnehmungsverzerrungen vorliegt. Dass diese Ängste und ablehnenden Gefühle des Sorgeberechtigten häufig aus einer leidvollen, unter Umständen sogar traumatischen Vorgeschichte stammen, soll dabei hier nicht unerwähnt bleiben.

Dieser Fall verdeutlicht die Vielschichtigkeit der mit Trennungsfamilien verbundenen Probleme und die sich daraus ableitende Notwendigkeit, auf mehreren Ebenen zu handeln und zu behandeln: Beratung/Therapie des sorgeberechtigten Elternteils und Therapie des Kindes sind meist ein Muss und können oft nur durch gute Kooperation von Jugendämtern und Beratungsstellen und Therapeuten oder Ärzten in ausreichendem Maße gewährleistet werden. Prinzipiell haben therapeutische Anstrengungen meist dann mehr Erfolg, wenn der Therapeut sich nicht scheut, auch die Institutionen einzubeziehen, welche Realität und Alltag des Kindes betreuen. Gleichermaßen wesentlich ist der Grundsatz, dass therapeutische Anstrengungen nur da wirksam sind, wo der Realraum eines Kindes in ädaquatem Umfang gesichert und konfliktarm gestaltet wurde.

Zusammenfassend ist festzuhalten dass die Zunahme der „broken homes“ eine der größten kinderpsychiatrischen, juristischen, psychosozialen und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit darstellt. Der derzeitige empirische Wissensstand ist unseres Erachtens diesbezüglich noch dringend erweiterungsbedürftig. Gleichzeitig ist der kontinuierliche und intensive Dialog zwischen allen in einer Familie involvierten Behörden, Personen und Institutionen meist unverzichtbar, um betroffenen Kindern eine befriedigende Anpassung an eine schwierige und belastende Situation zu ermöglichen.

*Der Autor Resch ist Ärztlicher Direktor der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg. Die Autorin Möhler ist Wissenschaftliche Assistentin in dieser Abteilung.

1Bowlby, Brief and mourning in infancy and early childhood. The psychoanalytic Study of the Child, 1960, 15, 9-52; ders., Attachment and loss. Vol. 2: Separation. Anxiety and Anger, New York, Basic Books, 1973; dt.: Trennung. Psychische Schäden als Folge der Trennung von Mutter und Kind, 1976.

2Bowlby, Attachment and loss. Vol.1: Attachment, New York, Basic Books, 1969; dt.: Bindung. Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung, 1975.

3Spitz, Anaclitic depression: an inquiry into the genesis of psychiatric conditions in early childhood. Psychoanalytic Study of the child 2, 1946, 113-117.

4Leonard/Rhymes/Solnit, Failure to thrive in infants. American Journal of Diseases in Childhood 3, 1966, 600-612.

5Bowlby, Separation anxiety. A critical review of the literature, J. Child Psychol. Psychiatry 1, 251-269.

6Golombok/Tasker/Murray, Children raised in fatherless Families form Infancy: Family Relationships and the Socioemotional Development of Children of Lesbian and Single Heterosexual Mothers, Journal of Child Psychology and Psychiatrie, 1997, 38 (7), 783-791.

7Ferry, Growing up in a one parent family. Slough, U.K., NFER, 1976.

8Rutter, Parent-child separation: Psychological effects on children. Journal of Child Psychologie and Psychiatrie, 1971, 12, 233-260.

9McLanahan/Sandefur, Growing up with a single parent: what hurts, what helps. Cambridge, MA, Harward University press, 1994.

10Amato, Children´s adjustment to divorce: theories, hypotheses and empirical support, Journal of Marriage and the Familiy, 1993, 55, 23-28.

11Cherlin/Furstenberg/Chase-Lansdale/Kiernan/Robins/Morrison/Teittler, Longitudinal studies of effects of divorce on children in Great Britain and the United States, Science, 1991, 252, 1386-1389.

12McLanahan/Sandefur (o. Fußn. 9).

13Ferry (o. Fußn. 7).

14Gardner, Recent Trends in divorce and custody litigation, Academy Forum, Volume 29, Number 2, Summer, 1985, S. 3-7.

15Brunner/Parzer/Schuld/Resch, Dissociative Symtomatology and Traumatogenic Factors in Adolescent Patients, Journal of Nervous and Mental Diseases, 2000, 188, 71-77; Brunner/Parzer/Resch, Dissoziative Symptome und traumatische Lebensereignisse bei Jugendlichen mit einer Borderline-Störung, Persönlichkeitsstörungen, Theorie und Therapie (PTT), 2001, 5, 4-12.

16Klenner, FamRZ 1995, 1529.


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