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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 

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Gast
New PostErstellt: 22.04.07, 07:30     Betreff: Das missverstandene PAS Antwort mit Zitat  

ALPINA Erwachsene Skihelm Grap, Blac...

 


FPR 2003 Heft 06   271-276

Das missverstandene PAS - Wie Sorgerechtsentzug und Geschwisterkoppelung das Wohl der Kinder gefährden*

Rechtsanwältin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Berlin

Das OLG Dresden hat mit seinem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 29. 8. 2002 (NJW 2003, 147 = FPR 2003, 140) einen Beschluss des AG Pirna bestätigt, durch welchen einer geschiedenen Mutter das Sorgerecht für alle drei in der Ehe geborenen Kinder entzogen und allein auf den Vater übertragen worden war. Zur Begründung führt das Gericht an, die Mutter sei wegen des bei ihr festgestellten PAS und mangelnder Bindungstoleranz erziehungsunfähig. Dem eindeutig und klar geäußerten Willen der noch nicht 14 Jahre alten Kinder, bei der Mutter leben zu wollen, komme kein entscheidendes Gewicht zu, ebenso wenig der gleich lautenden Empfehlung des Jugendamts. Und die Geschwister dürften auch dann nicht voneinander getrennt werden, wenn die Eltern dies, entsprechend dem Wunsch der Kinder, zuvor anlässlich der Scheidung selbst so geregelt hätten. Mit dieser Entscheidung dreht das OLG Dresden die Zeit zurück. Längst ist in Judikatur und Literatur die Beachtlichkeit des Willens von Kindern, auch wenn diese noch keine 14 Jahre alt sind, anerkannt, wenn und soweit es um ihre Platzierung im Sorgerechtsstreit geht. Die zwangsweise Geschwisterkoppelung trägt die Entscheidung der sächsischen Gerichte ebenso wenig wie das dort falsch verstandene modische Phänomen PAS. Oder gehen die Uhren in Sachsen anders?

I. Um was geht es?

Die Leitsätze der Entscheidung des OLG Dresden beziehen sich nach der genannten Paragrafenkette einerseits auf die Übertragung der Alleinsorge, § 1671 II Nr. 2 BGB, und andererseits auf den Entzug der elterlichen Sorge, § 1666 BGB. Die Entscheidungsgründe zeigen, dass das OLG Dresden über sehr viel mehr als die Bindung dreier Kinder aneinander entschieden hat: Es lastet der Mutter das so genannte Parental Alienation Syndrome (PAS) an und entzieht ihr deshalb und wegen mangelnder Bindungstoleranz in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren die elterliche Sorge nach § 1666 BGB. Dabei entscheidet das OLG gegen den ausdrücklichen Willen und Wunsch aller drei Kinder und gegen die Empfehlung des Jugendamts und überträgt dem Vater, der mit seiner neuen Lebensgefährtin und deren Tochter in der ehemaligen ehelichen Wohnung auf dem Hof seiner Eltern lebt, die Alleinsorge für die Kinder. Eine solche Entscheidung wirft Fragen auf:

Der mitgeteilte Sachverhalt ist dürftig und lässt auch nicht ansatzweise erkennen, was sich in dieser Familie abgespielt hat. Die vollständige Entscheidung gibt mehr Aufschluss. Danach zieht die Ehefrau und Mutter im Februar 1999 mit allen drei Kindern, einer Tochter und zwei Söhnen, aus der ehelichen Wohnung aus und nimmt an einem anderen Ort im selben Gerichtsbezirk in einem Einfamilienhaus Wohnung. Zuvor hatte sie bei dem zuständigen FamG in Pirna die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für alle drei Kinder auf sich beantragt. Diesem Antrag gibt das FamG mit Beschluss vom 3. 9. 1999 statt wegen der Bindung der Kinder an die Mutter. Das Alter der drei Kinder wird nicht mitgeteilt. Sie müssen noch jung gewesen sein. Denn auch drei Jahre später, als das OLG Dresden im August 2002 entscheidet, hat offenbar keines der drei Kinder, auch nicht die älteste Tochter, das 14. Lebensjahr vollendet.

Das Jahr 1999, in dem die Kinder allein bei der Mutter leben, verläuft offenbar störungsfrei; jedenfalls wird über Verfahren aus diesem Jahr nichts mitgeteilt, sieht man von der Wendung in dem veröffentlichten Sachverhalt ab, „seit Herbst 1999“ habe es mehrere Verfahren gegeben, was aber durch den Sachverhalt des vollständigen Beschlusses nicht belegt wird.

Am 10. 2. 2000 beantragt die Mutter im inzwischen anhängigen Scheidungsverfahren die Übertragung der Alleinsorge für alle drei Kinder auf sich. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens überträgt das FamG am 19. 6. 2000 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder auf den Vater, da dort günstigere Betreuungsmöglichkeiten bestünden. Wie es zu diesem Beschluss kam, ob der Vater gegen den Beschluss des AG Pirna vom 3. 9. 1999 Beschwerde eingelegt hat, wird nicht mitgeteilt. Das OLG Dresden bestätigt den Beschluss vom 19. 6. 2000 am 9. 11. 2000. Noch immer leben die Kinder bei der Mutter, nun also schon seit knapp zwei Jahren. Die Mutter will die Kinder nicht herausgeben und zieht mit ihnen ins Frauenhaus. Der Vater beantragt am 27. 11. 2000 eine einstweilige Anordnung auf Herausgabe der Kinder. Die Mutter tritt diesem Antrag entgegen mit der Begründung, das Wohl der Kinder sei bei dem Vater wegen dessen körperlicher Misshandlungen gefährdet. Am 4. 12. 2000 beantragt die Mutter im Scheidungsverfahren statt der Übertragung der Alleinsorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle drei Kinder für sich. Am selben Tage gibt das AG Pirna dem Antrag des Vaters statt und ordnet die Herausgabe der Kinder an den Vater an; gleichzeitig räumt es der Mutter ein großzügiges Umgangsrecht ein. Am selben Tage kehren alle drei Kinder nun, knapp zwei Jahre nach ihrem gemeinsamen Auszug aus der ehelichen Wohnung, zum Vater zurück.

Im Jahre 2001 eskaliert der Elternstreit: Vom 9. bis 18. 2. 2001 sind alle drei Kinder bei der Mutter auf Ferien. Nach Ferienende wollen die Kinder nicht zum Vater zurück und die Mutter gibt sie auch nicht heraus. Kurz vor Ferienende hatte die Mutter am 15. 2. 2001 den Vater wegen Körperverletzung der Kinder angezeigt und entsprechenden Strafantrag gestellt. Am 18. 2. 2001, also am letzten Ferientag, nimmt das zuständige Jugendamt auf Grund der Aussagen der Kinder diese in Obhut. Am 19. 2. 2001 beantragt die Mutter beim AG Pirna die Herausgabe der Kinder an sich, am 23. 2. 2001 verhandelt das Gericht mündlich, die Eltern einigen sich, dass die Kinder bis zum Eingang eines weiteren Sachverständigengutachtens bei der Mutter bleiben, die Kinder kehren zur Mutter zurück. Am 1. 3. 2001 zeigt die Mutter den Vater und dessen Vater, also den Großvater der Kinder, wegen körperlicher Misshandlung der Kinder an. Offenbar erhebt sie auch den Verdacht sexueller Misshandlungen der Kinder. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Sachverhalt des Beschlusses, wohl aber aus dessen Gründen. Nunmehr leben die Kinder seit Februar 1999, d.h. seit gut zwei Jahren, bei der Mutter, unterbrochen nur durch die Monate Dezember 2000 und Januar 2001, die sie beim Vater lebten, und durch fünf Tage, die sie im Februar 2001 in der Obhut des Jugendamts waren.

Am 15. 5. 2001 geht das neue Sachverständigengutachten ein, und das AG Pirna stellt am 17. 5. 2001 seinen alten Beschluss vom 19. 6. 2000, mit welchem es das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen hatte, wieder her. Darauf übersiedeln die Kinder am 21. 5. 2001 zum Vater. Dieser stellt im laufenden Scheidungsverfahren am 12. 6. 2001 den Antrag, ihm für alle drei Kinder die Alleinsorge zu übertragen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung in der Scheidungssache am 20. 7. 2001 nimmt die Mutter ihren Antrag vom 4. 12. 2000 auf Übertragung der Alleinsorge für alle drei Kinder zurück und beantragt nur noch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter. Der Vater stimmt diesem Antrag zu, nimmt seinerseits seinen umfassenderen Antrag vom 12. 6. 2001 zurück, das Gericht überträgt im Scheidungsurteil vom selben Tage das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter auf die Mutter, und die Tochter kehrt zur Mutter zurück, während ihre beiden Brüder beim Vater bleiben. Ob das FamG in die gemeinsame elterliche Sorge der Eltern eingegriffen und diese einem Elternteil übertragen hat, ergibt sich aus dem Beschluss nicht; hier wird davon ausgegangen, dass das Gericht den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge belassen hat.

Im Herbst 2001 bleiben die beiden jüngeren Kinder anlässlich eines Besuchs bei der Mutter und diese beantragt am 19. 10. 2001 das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch für die beiden Söhne mit der Begründung, diese wollten auch bei ihr und der Schwester leben. In dem vom AG Pirna darauf eingeleiteten Vermittlungsverfahren nach § 52a FGG erklärt die Mutter bei der Anhörung am 2. 11. 2001, die Tochter sei auffällig und suizidal, besuche zweimal in der Woche eine Beratungsstelle, und auch der ältere Sohn sei aggressiv und auffällig. Am 5. 11. 2001 stellt das AG Pirna mit Beschluss vom selben Tage das Scheitern des Vermittlungsverfahrens fest und leitet von Amts wegen ein Sorgerechtsentziehungsverfahren nach § 1666 BGB ein. Zuvor hatte der Vater am 5. 11. 2001 durch seine Verfahrensbevollmächtigte telefonisch mitteilen lassen, er verzichte auf sein Aufenthaltsbestimmungsrecht in Bezug auf die beiden Söhne. Am 16. 11. 2001 entzieht das AG Pirna im Wege der einstweiligen Anordnung beiden Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht und überträgt dieses auf eine Verfahrenspflegerin. Gleichzeitig ordnet das AG Pirna die Unterbringung aller drei Kinder in einem Kinderheim an. Dies geschieht: Die Kinder übersiedeln in ein Kinderheim.

Gegen diese einstweilige Anordnung legt die Mutter Beschwerde ein, das OLG Dresden weist diese am 20. 12. 2001 zurück. Offenbar leben alle drei Kinder seit November 2001 im Heim, auch über Weihnachten, der Beschluss enthält hierzu keine Aussage. Am 15. 1. 2002 stellt die Staatsanwaltschaft das gegen den Vater und Großvater eingeleitete Ermittlungsverfahren nach § 170 II StPO ein. Am 26. 2. 2002 (in dem veröffentlichten Beschluss ist die Rede vom 26. 2. 2001, offenbar ein Schreibfehler) überträgt das AG Pirna gem. § 1666 BGB die elterliche Sorge für alle drei Kinder allein auf den Vater und beschließt eine Umgangsregelung zu Gunsten der Mutter. Am 6. 3. 2002, fast vier Monate nach ihrer Übersiedlung in ein Heim, kehren die Kinder nun zum Vater zurück. Die Mutter legt gegen diesen Beschluss Beschwerde ein mit der Begründung, die Kinder wollten zu ihr und bei ihr leben, ihr Wohl sei bei ihr besser gewährleistet. Der Senat hört am 25. 7. 2002 eine Zeugin an, die Tochter wird der Kinderpsychiatrie vorgestellt, am 22. 8. 2002 hört das OLG die Kinder an. Alle drei Kinder erklären, sie wollten bei der Mutter leben. Das Jugendamt empfiehlt, dem Willen der Kinder zu entsprechen. Mit dem veröffentlichten Beschluss weist der Senat die Beschwerde der Mutter zurück.

II. Die Gründe für den Sorgerechtsentzug

Seine Entscheidung, mit der das OLG Dresden den angefochtenen Beschluss des AG Pirna bestätigt, der den Entzug des Sorgerechts gem. § 1666 BGB in Bezug auf alle drei Kinder zu Lasten der Mutter zum Inhalt hatte, begründet das OLG auf vierfache Weise:

1. 

Die Erziehungsfähigkeit der Mutter sei eingeschränkt
2. 

Der Vater sei uneingeschränkt erziehungsfähig
3. 

Der entgegenstehende Wille der Kinder und die diesem Wunsch der Kinder folgende Empfehlung des Jugendamts seien nicht stichhaltig bzw. nicht von entscheidendem Gewicht
4. 

Eine Trennung der Geschwister komme nicht in Betracht

Alle vier Gründe tragen den Entzug der elterlichen Sorge zu Lasten der Mutter nicht:

Zu 1.: Mangelnde Erziehungsfähigkeit der Mutter

Das Gericht begründet die mangelnde Erziehungseignung der Mutter mit deren angeblich fehlender Bindungstoleranz. Mit diesem Schlagwort wird die wissenschaftliche Erkenntnis umgesetzt, dass das Kind die Trennungssituation am ehesten bewältigen kann, wenn es erfährt, dass es weiterhin zwei an seinem Wohl interessierte Eltern hat. Dafür wird die Fähigkeit und Bereitschaft eines Elternteils, dem Kind ein positives Bild von dem anderen Elternteil zu belassen oder zu vermitteln und den Kontakt mit dem Kind spannungsfrei zu ermöglichen, gefordert. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergibt sich nicht, dass die Mutter eine solche Bindungstoleranz nicht aufgebracht hat. Zwar zeigt der Verlauf des vorbezeichneten Konflikts, dass die Mutter viel Kraft und Initiative darauf verwandt hat, alle Kinder bei sich zu haben und zu behalten. Womöglich hatte sie dafür aus ihrer Sicht aber gute Gründe. Sie war es, die aus der ehelichen Wohnung ausgezogen ist, sie ist im November 2000 mit den Kindern ins Frauenhaus gezogen und hat gegen den Herausgabeanspruch des Vaters geltend gemacht, die Kinder seien bei dem Vater wegen dessen körperlicher Misshandlungen gefährdet. Sie hat schließlich den Vater und dessen Vater im Februar und März 2001 wegen Körperverletzung der Kinder und körperlicher, vermutlich auch sexueller Misshandlung angezeigt. Ob diese Vorwürfe begründet waren, ob jedenfalls ein begründeter Verdacht bestand, wird in den Gründen der Entscheidung nicht mitgeteilt. Der bloße Hinweis darauf, dass das Verfahren ein Jahr nach Eingang der Anzeigen von der zuständigen Staatsanwaltschaft gem. § 170 II StPO eingestellt worden ist, besagt über die Begründetheit der Anzeige und der Verdachtsmomente nichts. Vielmehr mussten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten. Das heißt: Nach dem gesamten Inhalt der Akten und der vorgenommenen Vernehmungen - die Kinder sind polizeilich vernommen worden - musste bei vorläufiger Tatbewertung die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Hätten nun aber z.B. die Kinder bei ihrer polizeilichen Vernehmung die Aussage verweigert, so fehlte es an dem genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, weil mangels Beweismitteln die Verurteilung nicht mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre. Zu diesen Zusammenhängen und zu dem Ermittlungsverfahren, das immerhin fast ein Jahr angedauert hat, nimmt der Beschluss nicht Stellung.

Zwischen Kindern und Mutter scheint dagegen eine enge Beziehung zu bestehen. Die Kinder hatten sich seit der Elterntrennung fast zwei Jahre ausschließlich bei der Mutter aufgehalten und stets den Wunsch geäußert, bei ihr zu sein und zu bleiben. Dennoch hat die Mutter anlässlich der Scheidung im Sommer 2001 zugestimmt, dass die Söhne zum Vater gehen und nur die Tochter bei ihr bleibt. Zu dieser Zeit hatte die Mutter also eine zumindest ausreichende Bindungstoleranz, das FamG hat diese eigene Entscheidung der Eltern akzeptiert und umgesetzt. Wenn dann einige Monate später die Söhne anlässlich eines Besuchs bei der Mutter erklären, sie wollten bei ihr und der Schwester bleiben, so mag das viele Gründe haben. Die Söhne, nunmehr allein auf den Vater, dessen neue Lebensgefährtin und deren Tochter sowie die Großeltern bezogen, mögen Heimweh nach Mutter und Schwester entwickelt haben, vielleicht geht die Mutter liebevoller mit den Kindern um als der Vater. Auch hierüber enthält der Beschluss keine Feststellung. Keinesfalls kann eine solche Entwicklung aber ausreichen, nach Scheitern eines gerichtlichen Vermittlungsversuchs von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten, beiden Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen und die Kinder für viele Monate in einem Kinderheim unterzubringen. § 1666 BGB setzt eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls durch einen oder beide Elternteile voraus. Dafür fehlt es an jeder Feststellung. Die Mutter hat in der mündlichen Verhandlung vom 5. 11. 2001 von gesundheitlichen Schwierigkeiten und Auffälligkeiten zweier Kinder berichtet und davon, dass die Tochter zweimal wöchentlich eine Beratungsstelle aufsucht. Damit hat die Mutter der Tochter eine angemessene Hilfe angedeihen lassen. Den Kindern in dieser Situation einen Heimaufenthalt aufzuzwingen, erscheint eher kontraproduktiv und nur schwer mit deren Wohl zu vereinbaren.

Schließlich spricht gegen die Erziehungseignung der Mutter auch nicht, dass sie verschiedene Gerichtsentscheidungen angegriffen hat. Immerhin hat sie sich vor ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen lassen, hat sich also gesetzeskonform verhalten. Sie hat auch Einsicht gezeigt, als das AG Pirna im Mai 2001 den Aufenthaltsbestimmungsrechtsbeschluss wiederhergestellt hat, und hat die Kinder sogleich zum Vater übersiedeln lassen. Dieselbe Einsicht hat die Mutter gezeigt, als sie anlässlich der Scheidung im Juli 2001 nur noch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter beantragte und damit einverstanden war, dass die Söhne beim Vater blieben.

Vor diesem Hintergrund ist nicht erklärlich, wieso der Mutter schon wenige Monate später jegliche Erziehungseignung abhanden gekommen sein soll, wie das AG Pirna in seinem sorgerechtsentziehenden Beschluss vom 26. 2. 2002 anscheinend festgestellt und der Senat mit seinem Beschluss vom 29. 8. 2002 bestätigt hat.

Das OLG Dresden begründet die mangelnde Erziehungseignung der Mutter weiter mit dem bei ihr stark ausgeprägten PAS (Parental Alienation Syndrome, das OLG spricht stattdessen von Alientation). Auch diese Begründung trägt nicht:

Der Begriff des PAS ist im deutschen Familienrecht neu. Er wurde erstmals 1984 in den USA von Richard Gardner, einem Psychiater der Columbia Universität, geprägt und von diesem im Jahre 1992 erstmals beschrieben1. Ende der 90-er Jahre wurde der Begriff allmählich in die nordamerikanische Judikatur aufgenommen2. In das deutsche juristische Schrifttum kam dieser Begriff erstmals durch einen Beitrag von Ofuatey-Kodjoe/Koeppel3. Das PAS beschreibt eine kindliche Verhaltensweise im Elternkonflikt zum ersten Mal als Phänomen mit Krankheitswert. Das Syndrom kann als unbegründete, kompromisslose Zuwendung des Kindes zu einem (guten und geliebten) Elternteil und die ebenso kompromisslose, feindselige Ablehnung des anderen (bösen und gehassten) Elternteils, mit dem es nicht mehr zusammenlebt, definiert werden4. Das Kind, so die Lehre von PAS, solidarisiere sich mit dem die Trennung nicht verarbeitenden Elternteil und erleide dadurch Wahrnehmungsverluste. In schweren Fällen wird das Kind von dem anwesenden Elternteil programmiert und instrumentalisiert. Zum Teil ist diese Lehre von der deutschen Judikatur aufgenommen worden, erstmals vom AG Rinteln5. Andererseits hat diese Lehre sogleich heftige Kritik erfahren, die bis heute anhält. So macht Bruch6 deutlich, dass die von Gardner entwickelte und vorgelegte Lehre weder eine logisch konsistente noch eine wissenschaftlich erhärtete Grundlage habe. Sie werde deshalb von verantwortungsvollen Sozialwissenschaftlern zurückgewiesen und verfüge weder in der psychologischen Theorie noch in der empirischen Forschung über ein stabiles Fundament. Bruch empfiehlt daher, stets bezogen auf die USA, künftig fachliche Fähigkeiten und Standards in die Arbeit einzubringen, einen vorurteilsfreien Verstand, gesunde Skepsis, exaktes Denken und klare Analysen der Zweckmäßigkeit. Die Kritik, das Konzept des PAS beruhe nicht auf der Grundlage empirisch hinreichend belegter Annahmen, wird von deutschen Autoren geteilt7. Insbesondere die Annahme, es handele sich um eine Krankheit des Kindes, widerspreche dem das gesamte Familiensystem umfassenden systemischen Denkansatz, der keine isolierte Krankheitssicht betone. Das PAS-Konzept werde deshalb von ernsthaften Scheidungsforschern und anderen Fachleuten als zu holzschnittartig und fehlleitend in Bezug auf eine angemessene Intervention erachtet8.

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Lehre vom PAS findet sich in der Entscheidung des OLG Dresden nicht. Der Senat scheint davon auszugehen, dass bei der Mutter ein PAS vorliegt. Damit hätte er das aus den USA importierte PAS-Phänomen missverstanden. Wenn, wie das OLG ausführt, der Sachverständige erster Instanz wirklich ausgeführt haben sollte, er empfehle die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater wegen des bei der Mutter stark ausgeprägten PAS, das bei ihr dazu führe, in ihrem Bedürfnis, Unterstützung zu erfahren, den Kindern ihren Schmerz unverhüllt zu zeigen und die Kinder damit negativ gegen den Vater zu beeinflussen, so hätte der Sachverständige das PAS nicht verstanden. Beim PAS geht es nicht um Symptome bei den Eltern, sondern um eine unzulässige Programmierung („Gehirnwäsche“) der Kinder. Wenn der Senat weiter ausführt, bei der Mutter sei ein PAS festgestellt worden, sie habe gezeigt, dass sie die Kinder nicht loslassen könne, habe Gerichtsentscheidungen nicht akzeptiert und durch das „ständige Hin und Her“ Konfliktsituationen für die Kinder geschaffen, die diese nicht hätten bewältigen können, so könnte ein solches Verhalten, wenn es denn feststünde, die Erziehungsfähigkeit der Mutter in Zweifel ziehen. Mit einem PAS hat dies aber alles nichts zu tun. Die Kinder jedenfalls, und darauf kommt es an, leiden erkennbar alle nicht unter dem PAS: Dafür, dass sie hier etwa den Vater unreflektiert und ohne Begründung ablehnen und ihn aus ihrem Leben gestrichen hätten, liefert der mitgeteilte Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Die Kinder haben erkennbar zu beiden Eltern immer noch eine gute, liebevolle und vertrauensvolle Beziehung, was bei einem PAS auch nur mittlerer Schwere nicht der Fall wäre. Alles in allem ergeben die Ausführungen des OLG zum PAS, dass sie eine Sorgerechtsentziehung zu Lasten der Mutter nicht tragen.

Zu 2.: Uneingeschränkte Erziehungseignung des Vaters

Wenn das OLG Dresden im Gegensatz zur Mutter die Erziehungseignung des Vaters uneingeschränkt bejaht, so erschließt sich die Berechtigung zu dieser Feststellung aus den mitgeteilten Gründen nicht.

Die Betreuungssituation, die der Senat als günstig bezeichnet, besteht darin, dass die Kinder beim Vater und dessen neuer Lebensgefährtin sowie deren Tochter auf dem Hof der Großeltern leben. Diese betreuen die Kinder mit. Dass ein geschiedener, sorgeberechtigter Vater, anders als eine Mutter in solcher Situation, in der Betreuung der Kinder häufig von Verwandten und neuen Partnerinnen unterstützt wird, ist eine fast übliche Konstellation. Sie ist nicht besonders kindeswohlgünstig, muss aber hingenommen werden, wenn keine Alternative besteht. Hier aber besteht eine Alternative bei der Mutter, die die Kinder offenbar vollständig selbst betreut hat und weiter betreuen könnte. Die dem Vater vom Senat attestierte Bindungstoleranz mag vorhanden sein, womöglich erleichtert oder unterstützt durch seine neue Partnerschaft und die Hilfe seiner Eltern. Doch sind auf der anderen Seite Gewaltvorwürfe gegen den Vater und den Großvater erhoben, die - wie ausgeführt - nicht wirklich aufgeklärt zu sein scheinen. So könnten die Kinder insbesondere zum Vorwurf sexueller Misshandlungen, wie dies häufig der Fall ist, geschwiegen haben, so dass es an hinreichenden Beweisen fehlte. Und der Umstand, dass die Tochter, die bei ihrer Anhörung durch den Senat am 22. 8. 2002 seit knapp sechs Monaten wieder beim Vater lebte, in letzter Zeit wieder über Alpträume klagte, könnte auch als Warnsignal gewertet werden.

Insgesamt bleiben also Fragen hinsichtlich der Erziehungseignung des Vaters ebenso offen wie bei der Mutter. Objektive Gründe, der Mutter die elterliche Sorge für ihre Kinder gänzlich zu nehmen und diese alleine auf den Vater zu übertragen, lassen sich nach allem nicht feststellen.

Zu 3.: Entgegenstehender Wille der Kinder und Empfehlung des Jugendamts, dem Willen der Kinder zu folgen

Dient der Kindesschutz aus § 1666 BGB generell der Wahrung der Grundrechte des Kindes und seiner Entwicklung zu einer selbstständigen, eigenverantwortlichen Persönlichkeit, so kann der subjektive Wille des Kindes bei der Konkretisierung seines Wohls nicht unberücksichtigt bleiben9. Die Frage nach der Bedeutung des Kindeswillens wird im Rahmen des § 1666 BGB bedeutsam, u.a. bei der Entscheidung über eine Umplatzierung des Kindes und die Durchsetzung einer solchen Entscheidung10.

Der Kindeswille ist seit den 60-er Jahren als zentrales Entscheidungskriterium anerkannt11. Der Kindeswille hat zwei Funktionen: Einerseits ist er Ausdruck innerer Verbundenheit, zum anderen ein Akt der Selbstbestimmung. Für das Bindungsindiz kommt es auf beachtliche Gründe des Kindes nicht an; gefühlsmäßige Bindungen können und brauchen nicht rational begründet zu werden12. Dieser Wille ist grundsätzlich beachtlich, es sei denn, er beruht auf Beeinflussung und wird so zu einem einstudierten Verhalten und verdeckt damit zugleich die eigentliche seelische Haltung. Dass dies im entschiedenen Fall so sein könnte, begründet das OLG Dresden nicht. Mit seiner schlichten Feststellung, soweit die Kinder vor Gericht erklärt hätten, sie wollten bei der Mutter leben, sei dies nicht ihr eigener Wunsch, sondern ein von der Mutter beeinflusster, deshalb seien Wille und Wunsch unbeachtlich, verstößt das Gericht gegen alle Erkenntnisse der Kinderkunde der letzten Jahrzehnte. Drücken der Kinderwunsch und der Kinderwille emotionale Bindung aus, so kommt es allein auf diese an; auch durch Beeinflussung kann echte und damit schützenswerte Bindung entstehen. Denn jede Erziehung ist Beeinflussung. Und keine persönliche Entscheidung geschieht unbeeinflusst, übrigens auch nicht bei Erwachsenen. Die Disqualifizierung eines immer wieder und klar geäußerten Kindeswillens ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn die Äußerung des Kindes die wirklichen Bindungsverhältnisse nicht zutreffend bezeichnet13. Inwieweit die Kinder hier mit ihrem Wunsch und ihrem Willen, bei der Mutter leben zu wollen, ihrer engen emotionalen Bindung Ausdruck gegeben haben, untersucht das Gericht nicht. Ignoriert in einer solchen Situation das Gericht einen derart wiederholten und mit Festigkeit geäußerten Kindeswillen, so sanktioniert es damit allein das Verhalten des angeblich beeinflussenden Elternteils, hier also der Mutter. Dies geschieht auf Kosten der Kinder und kann zu einem dem Kindeswohl schädlichen Ergebnis führen.

Soweit es bei dem geäußerten Kindeswillen um die Selbstbestimmung geht, scheidet dessen Beachtung aus, wenn der geäußerte Wille sich sicher als bloße Projizierung des Elternwillens feststellen lässt. Auch dafür fehlt es an Feststellungen in dem zitierten Beschluss. Stattdessen entscheidet das Gericht, es könne den „immer wieder klar und eindeutig“ geäußerten Willen der Tochter (und der beiden Söhne) unbeachtet lassen, weil dem geäußerten Kindeswillen erst ab vollendetem 14. Lebensjahr ausschlaggebendes Gewicht zukomme. Eine solche Begründung steht im fundamentalen Widerspruch zu den vorerwähnten Erkenntnissen der Kinderkunde der letzten 40 Jahre. Die vom Senat zur Begründung herangezogene Analogie zu § 1671 II 2 BGB trägt nicht. Dort geht es darum, dass ein Elternteil aus bisher bestehender gemeinschaftlicher Sorge seine Alleinsorge machen möchte, einer solchen gerichtlichen Übertragung darf das über 14 Jahre alte Kind widersprechen. Es wird dies tun, wenn es möchte, dass beide Eltern gleichmäßig sorgeberechtigt bleiben. Hier aber wollen die erkennbar wesentlich jüngeren Kinder, wie ihr immer wieder klar und eindeutig geäußerter Wille zeigt, bei der Mutter sein und bleiben. Die rechtliche Zuordnung zu einem oder beiden Elternteilen spielt für die Kinder angesichts ihrer Jugend ganz sicher noch keine Rolle. Vielmehr geht es um die Respektierung ihrer Bindungen. Vor diesem Hintergrund ist der Umgang des Senats mit den immer wieder geäußerten Wünschen und dem Willen aller drei Kinder und der Empfehlung des Jugendamts, diesen Wünschen zu folgen, nicht nachzuvollziehen und kritikwürdig.

Zu 4.: Keine Geschwistertrennung

Der Senat hat die Entscheidung des AG Pirna aus dem Februar 2002 bestätigt, durch welche dieses die von den Eltern anlässlich der Scheidung einvernehmlich vorgenommene Geschwistertrennung aufgehoben hatte. Er hat hierzu ausgeführt, trotz des Wunsches, ja der Bitte der Tochter, notfalls allein zur Mutter gehen zu wollen, komme eine Trennung der Geschwister nicht in Betracht. Auf Grund ihrer starken inneren Verbindung sollten diese nicht auseinander gerissen werden. Die starke Orientierung der Brüder an der großen Schwester und die intensive gefühlsmäßige Bindung zwischen den Geschwistern seien sichtbar und spürbar. Eine Trennung der Geschwister würde für diese zu einer erheblichen emotionalen Belastung und zu einem seelischen Schaden führen. Dieser habe sich bereits in der Vergangenheit durch die Verhaltensauffälligkeiten während der einvernehmlichen Geschwistertrennung gezeigt. Wenn der Senat zur Begründung hinzufügt, es sei allgemein anerkannt, dass der Kontinuität der Geschwisterbeziehung dann besonders große Bedeutung zukomme, wenn die Elternbeziehung zerrüttet sei und sich das gemeinsame Zusammenleben mit diesen trennungsbedingt aufgelöst habe, so gibt er damit lediglich die anerkannte Erkenntnis wieder, dass Geschwister zum psychosozialen Beziehungsnetz der Kinder gehören und dass die Erhaltung der Geschwisterbeziehung ein wesentliches Anliegen sein muss bei dem Bemühen, dem durch das Ausscheiden eines Elternteils ohnehin belasteten Kind seine emotionale Beziehungswelt im Übrigen so weit wie möglich zu erhalten. Damit durfte es der Senat aber nicht bewenden lassen. Vielmehr muss das Gewicht der Geschwisterbindung für jedes Kind, über dessen Sorgerechtsverhältnisse zu entscheiden ist, gesondert und individualbezogen festgestellt und abgewogen werden14. Erweist sich bei der Gesamtabwägung für eines der Kinder, dass es dem Elternteil zuzuweisen ist, bei dem die anderen Kinder nicht leben oder leben können, z.B. weil die Eltern insoweit eine einvernehmliche Regelung getroffen haben15, so muss im Interesse der durch das Kindeswohlprinzip geforderten Individualgerechtigkeit außer Acht bleiben, dass das zweite Kind sich wünscht, bei dem ersten zu leben; anderenfalls würde das erste Kind zum Objekt der Befriedigung von Geschwisterinteressen16. Im entschiedenen Fall ist die Besonderheit, dass die Tochter sich klar und eindeutig dazu bekannt hat, bei der Mutter leben zu wollen, notfalls auch allein, da „ihr Herz mehr für die Mutter schlage“. Die Mutter hat sich, in Erkenntnis der starken Tochterbindung, deshalb schließlich anlässlich der Scheidung darauf beschränkt, das Aufenthaltsbestimmungsrecht nur für die Tochter für sich zu reklamieren und der Vater ist dem gefolgt. Wenn dann in der Folgezeit die Kinder auf Grund gerichtlicher Anordnung für viele Monate in einem Heim leben müssen, wenn anschließend auch die Tochter zum Vater zurückkehren muss und wenn diese anlässlich ihrer Anhörung vor dem Senat am 22. 8. 2002 erklärt, sie habe in letzter Zeit wieder Alpträume, so musste dies in jedem Fall Anlass sein zu prüfen, ob nicht diese Tochter zu ihrem eigenen Wohl bei der Mutter leben müsse. Dass die Brüder im Herbst 2001 erklärt haben, sie möchten auch bei Mutter und Schwester leben und nicht zum Vater zurückkehren, ist gewiss ein starkes Indiz für eine Geschwisterbindung. Doch hat diese keinen Vorrang gegenüber dem bis zuletzt geäußerten klaren Willen der Tochter, bei der Mutter leben zu wollen. Wenn der Senat die Geschwistertrennung aus Kindeswohlgründen ausschloss, lag es nahe, die elterliche Sorge für alle drei Kinder auf die Mutter zu übertragen. Hielt der Senat aus Kindeswohlgründen es für richtig, dass dem Vater die elterliche Sorge für die Söhne übertragen wurde, so konnte und musste an eine Geschwistertrennung gedacht werden. Derartige Differenzierungen enthält der Beschluss des OLG Dresden nicht.

III. Fazit: Bitterer Nachgeschmack

1. Die Lektüre der Entscheidung macht ratlos: Wie müssen Kinder es empfinden, wenn sie, die im Februar 2001 vom Jugendamt in Obhut genommen werden, im selben Jahr für viele Monate in ein Heim gebracht werden, immer wieder äußern, sie möchten bei der Mutter leben, erleben müssen, dass sie mit ihren Wünschen nicht ernst genommen werden? Wenn das Herz der Tochter, wie sie es ausdrückt, mehr für die Mutter schlägt, und wenn das weder den Sachverständigen noch die Verfahrenspflegerin noch das Gericht interessiert? Warum ignoriert das Gericht die Empfehlung des Jugendamts, dem Willen der Kinder zu folgen? Warum hält es eine Therapie der Kinder, die offenbar empfohlen worden ist, nicht für nötig mit der lapidaren Begründung, der Vater werde dies schon richten? Diese sich aufdrängenden Fragen zum Kindeswohl lässt das Gericht unbeantwortet.

2. Der bittere Nachgeschmack verstärkt sich noch, liest man die nicht mitveröffentlichte Kostenentscheidung. Der Senat hat keinen Anlass gesehen, von der Gebührenbefreiung zu Gunsten der Mutter gem. § 131 III KostO (in der Überschrift wird fälschlicherweise § 130 III KostO genannt) Gebrauch zu machen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde gegen die Entscheidung des FamG, die im Interesse des Minderjährigen eingelegt ist, in jedem Fall gebührenfrei. Hierzu liest man im letzten Satz der Entscheidung, die Mutter habe die Beschwerde nicht im wohlverstandenen Interesse der Kinder, sondern ausschließlich im eigenen Interesse und aus Uneinsichtigkeit eingelegt. Sic! Die Mutter begründet ihre Beschwerde gegen den Entzug ihres Sorgerechts mit dem Wunsch der Kinder, bei ihr zu leben und die Kinder bestätigen dies bei ihrer Anhörung „klar und eindeutig“. Und doch handelt die Mutter nur uneinsichtig und ausschließlich im eigenen Interesse? Eine Begründung für die diesbezügliche Behauptung enthält der Beschluss nicht. Nach der Rechtsprechung gilt die Gebührenfreiheit schon dann, wenn die Beschwerde auch im Interesse des Minderjährigen eingelegt ist. Dabei ist ein großzügiger Maßstab anzulegen17. Die vom Senat allein zitierte Entscheidung des OLG Jena vom 17. 6. 199918 betraf einen Fall, in welchem die Mutter den gänzlichen Ausschluss des Umgangsrechts des Vaters begehrte, und ist auch nach Auffassung des OLG Jena ein absoluter Ausnahmefall.

Sollte diese Kostenentscheidung, die nur als Ohrfeige für die Mutter verstanden werden kann, den Verdacht bestätigen, der den Leser bei den Ausführungen des Senats zum PAS beschleicht? Das vom OLG Dresden fälschlicherweise bei der Mutter entdeckte und festgestellte PAS wird immerhin von einer Reihe von Autoren19 als Instrument der Schuldzuweisungen an die Mütter erkannt. Statistisch, so fügen sie hinzu, sei es leicht belegbar, dass PAS eher bei Kindern festgestellt werde, die schwerpunktmäßig bei den Müttern lebten. Diese Feststellung sei aber trivial, da statistisch gesehen Kinder in Trennungssituationen überwiegend bei Müttern aufwüchsen. Da kann es auch nicht beruhigen, wenn Rauscher20 meint, in der Beschreibung von PAS könne man keinen gezielten Angriff auf Frauen erkennen, weil angesichts der in der Praxis häufigen Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter diese auch potenziell am stärksten in die Gefahr gerate, der programmierende Elternteil zu werden. Die Judikatur ist nach allem gut beraten, wenn sie die zunehmend vor allem in der wissenschaftlichen Lektüre der USA und in Deutschland erhobene Kritik am PAS21 ernst nimmt und mit dem elterlichen Entfremdungssyndrom, wenn überhaupt, künftig nur mit äußerster Vorsicht umgeht.

3. Zurück zum Ausgangspunkt:

Der Beschluss enthält, trotz seines ersten Leitsatzes, wenig neue Überlegungen zur Geschwistertrennung und vor allem differenziert er überhaupt nicht nach Alter und Persönlichkeit der Geschwister, obwohl diese sich im Laufe des langen Verfahrens durchaus unterschiedlich geäußert haben. Dass das Gericht sich über den Willen aller drei Kinder hinwegsetzt, wird im Leitsatz ebenso wenig erwähnt wie die (fälschliche) Anwendung der Lehre vom PAS zu Lasten der Mutter. Die in Bezug genommenen Paragrafen sind entweder falsch (§ 130 III statt § 131 III KostO) oder tragen zur Entscheidung nichts bei. § 1671 II Nr. 2 BGB wird lediglich in Analogie herangezogen, und zwar nur in einem Halbsatz. Tatsächlich enthält der Beschluss keinerlei Ausführungen zur Vorschrift des § 1671 II BGB, sondern allein zu § 1666 BGB. Warum eigentlich hat das Gericht nicht die wesentlich weniger diskriminierende Vorschrift des § 1671 BGB angewendet? Weil es am Antrag fehlte? Hat das FamG einen solchen angeregt, statt nach § 1666 BGB zu verfahren? § 52a FGG, das das Entzugsverfahren nach § 1666 BGB schließlich ausgelöst hat, hätte auch ein solches Verfahren zugelassen. Aber auch diese Fragen bleiben leider unbeantwortet.

*Besprechung von OLG Dresden, Beschl. v. 29. 8. 2002 - 10 UF 229/02, NJW 2003, 147 = FPR 2003, 140. - Die Autorin ist Senatorin für Justiz a.D. in Hamburg und Berlin, war zuvor Vorsitzende eines Familiensenats am OLG Hamburg und ist jetzt Rechtsanwältin in Berlin in der Sozietät Fritze Paul Seelig.

1Gardner, The Parental Alienation Syndrome, 1992.

2Vgl. die eingehende Beschreibung von Bruch, FamRZ 2002, 1304.

3Ofuatey-Kodjoe/Koeppel, DAVorm 1998, 9 und 218; dies., KindPrax 1998, 138; Leitner/Schoeler, DAVorm 1998, 850; Schröder, FamRZ 2000, 592; Rexilius, KindPrax 1999, 149; Stadler/Salzgeber, FPR 1999, 231; dies., KindPrax 1998, 167; Gerth, KindPrax 1998, 171; Wohlgemuth, FF 1999, 138; Krause, JAmt 2002, 2; Jopt/Behrens, ZfJ 2000, 223 (258); Fegert, KindPrax 2001, 3; Klennert, ZfJ 2002, 48; Bruch, FamRZ 2002, 1304; Dettenborn, FamRZ 2002, 1320; Bericht des Arbeitskreises 9 des 14. Deutschen Familiengerichtstags, PAS - Ein Beitrag zur Lösung von Umgangsproblemen?, FamRZ 2002, 1319.

4Büte, Das Umgangsrecht bei Kindern geschiedener oder getrennt lebender Eltern, 2001, Rdnr. 163; OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 975 (977).

5ZfJ 1998, 344; s. auch OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 639; OLG Frankfurt a.M., FamRZ 2001, 638; OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 975.

6FamRZ 2002, 1304 mit einer großen Zahl weiterer Nachweise.

7Salzgeber/Stadler, FPR 1999, 231; Balloff, FPR 2002, 240 (244); Salzgeber, FPR 2002, 258; Dettenborn, FamRZ 2002, 1320.

8Salzgeber, FPR 2002, 258.

9BVerfGE 55, 171 = NJW 1981, 217 (218) = FamRZ 1981, 124.

10Staudinger/Coester, BGB, 2000, § 1666 Rdnr. 71.

11Lemp, NJW 1963, 1659, NJW 1964; 440.

12Staudinger/Coester (o.Fußn. 10), § 1671 Rdnr. 72 m.w. Nachw.

13BayObLG, DAVorm 1982, 604 (609).

14OLG Karlsruhe, FamRZ 1984, 311; OLG Köln, FamRZ 1976, 32; OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1352; Staudinger/Coester (o. Fußn. 10), § 1671 Rdnr. 230 m.w. Nachw.

15OLG Hamm, NJW 1999, 68.

16OLG Karlsruhe, FamRZ 1984, 311.

17BayObLG, RPfleger 1963, 181; Hartmann, Kostengesetze, § 131 KostO Rdnr. 20 m.w. Nachw.

18FuR 2000, 121

19Salzgeber/Stadler, FPR 1999, 231 m.w. Nachw.; Gerth, KindPrax 1998, 171.

20Staudinger/Rauscher (o. Fußn. 10), § 1684 Rdnr. 39.

21Vgl. jüngst Dettenborn, FamRZ 2002, 1320.

 

 

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