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Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
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"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Attributionen in konflikthaften und nach beendeten Partnerschaften

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Gast
New PostErstellt: 07.07.07, 13:45  Betreff: Attributionen in konflikthaften und nach beendeten Partnerschaften  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

JfP 1-2007 » jfp-1-2007-2

Partner auf der Suche nach Erklärungen – Attributionen in konflikthaften und nach beendeten Partnerschaften

Kerstin Zühlke-Kluthke
[Journal für Psychologie, Jg. 15 (2007), Ausgabe 1]

Zusammenfassung

Der Artikel stellt Attributionsinhalte und Attributionsverhalten auf der Grundlage getrennt durchgeführter narrativer Interviews mit jeweils beiden Partnern dar. Die biografisch orientierten Interviews werden mit Partnern in konflikthaften Partnerschaften durchgeführt sowie mit Partnern, die sich getrennt haben. Die Auswertung erfolgt qualitativ vor dem Hintergrund der Attributionstheorien. Die Inhaltsanalyse zeigt, dass die geäußerten Attributionen bei beiden Gruppen – allerdings in unterschiedlicher Rangfolge der Häufigkeit – die Hauptthemen Kommunikation, Kinder und Sexualität nennen. Beim Attributionsverhalten ergibt sich für die Gruppe der Getrennten eine Rangfolge der Zuschreibungen: überwiegend wird der andere Partner für das Scheitern der Beziehung verantwortlich gemacht, gefolgt von der mangelhaften Paarinteraktion. Erst danach werden äußere Einflüsse für das Scheitern verantwortlich gemacht und sehr selten die eigene Person. Für die Gruppe der Konflikthaften ergibt sich bei den Zuschreibungen keine Rangfolge. Die meisten Zuschreibungen betreffen hier die mangelhafte Paarinteraktion.

Schlagwörter: Narratives Interview, Partnerschaft, Attributionen.

Summary

Partner on looks for explanations. Attributions in conflictful and after failed partnerships
The article presents contents of attributions and attribution behavior on basis of narrative interviews with both partners separated accomplished. The biographically oriented interviews are raised with partners in conflictful partnerships and with partners, who are separated. The evaluation takes place qualitatively before the background of the attribution theories. The content analysis shows that the expressed attributions in both groups - however in different order of rank of the frequency - call the main topics communication, children und sexuality. In attribution behavior there is an order of rank of the attributions for the group of the separated pairs: predominantly the other partner is made responsible for the failure of the relationship, followed of the unsatisfactory pair interaction. After it external influences are made responsible for the failure and very rarely the own person. In the group of the conflictful pairs there does not result any order of rank. Most attributions are here the unsatisfactory pair interaction.

Key words: Narrative interview, partnership, attributions.

1. Zielsetzung der Arbeit

Hat die Ehe den Charakter einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft verloren? Ständig steigende Scheidungszahlen weisen darauf hin. Analog zu dieser Entwicklung nehmen alternative Lebensformen zu. Das wird je nach Focus als Bedeutungswandel (Nave-Herz 1989, 220) oder als Verlust der exklusiven Monopolstellung der klassischen Ehe (Tyrell 1988, 151) erklärt.

Nach ihren Lebenszielen befragt, antworten Personen dennoch überwiegend: „eine glückliche Partnerschaft steht für mich an erster Stelle.“ Allerdings führen Konflikte im Laufe der Partnerschaft oder im schlimmsten Fall von Beginn an dazu, dass die Beziehung als eine Leidensquelle empfunden wird. Gespräche mit Betroffenen zeigen das Ausmaß dieses Leidensdrucks und den Versuch stimmige Erklärungen dafür zu finden. In diesem Artikel werden erste Ergebnisse eines laufenden Forschungsvorhabens zu diesen Erklärungen vorgestellt.

Es soll die subjektive Sichtweise der Betroffenen untersucht werden, ausgehend von der Grundfrage, wie Menschen sich Sachverhalte erklären. Hier bieten sich besonders konflikthafte Ereignisse für eine Untersuchung an, weil es eine starke Motivation gibt, Erklärungen für das Scheitern zu finden Diese Erklärungsmuster sind – obwohl es sich doch um die gleiche Partnerschaft handelte – längst nicht immer gleich.

In langjährigen Partnerschaften ergeben sich häufig Anlässe, aus dem Verhalten des Partners Schlüsse zu ziehen. Was glauben die Partner selbst, warum sie sich streiten, obwohl sie seit langer Zeit zusammen sind, Kinder haben und keine objektiv erscheinenden Katastrophen ihren Lebensverlauf prägten? Oder was geben sie selbst als Begründungen an, die ihnen so stimmig erscheinen, dass Trennung der einzig gangbare Weg zu sein scheint? Ich vermute, dass die Partner zum Teil sehr unterschiedliche Zuschreibungen bereithalten, warum etwas passiert ist, obwohl die Partnerschaft gemeinsam erlebt wurde.

Unter diesen Gesichtspunkten ist interessant, welche Unterschiede/Gemeinsamkeiten es in den Zuschreibungen gibt. Insofern ist dann letztlich auch ein Weiterdenken mit Bezug auf therapeutische Überlegungen möglich, als ein retrospektives Betrachten der eigenen Attributionsstruktur den Blick dafür erhellen kann, dass so manch objektiv anmutende Erklärung durchaus sehr subjektiven Charakter hat.

Ein erstes Ziel dieser Arbeit liegt in der Dokumentation und Archivierung unterschiedlicher subjektiver Äußerungen zweier Partner über Konfliktbegründungen nach oder während langjähriger Partnerschaft, die anhand narrativ orientierter Interviews gewonnen werden. Dabei sollen zwei Gruppen befragt werden:

1. Paare, die langjährig zusammengelebt haben und sich getrennt haben sowie
2. Paare, die seit langem zusammenleben, dieses Zusammenleben jedoch als konflikthaft empfinden.

Mein Interesse richtet sich darauf,

* welche kausalen Begründungen bzw. welche Verantwortlichkeitszuschreibungen die einzelnen Partner nun bereithalten, um die Konflikthaftigkeit bzw. die Trennung zu erklären,
* wie häufig, wie deutlich und wie unterschiedlich sie dies tun.

Die Auswertung gerade des Attributionsverhaltens soll an die attributionstheoretischen Aspekte angelegt werden, um dem bisher vorliegenden Mangel an theoriegeleiteter Forschung entgegenzuwirken.

Es soll erforscht werden, ob und worin sich „Noch-Verheiratete“ hinsichtlich verschiedener Attributionen von bereits Getrennten unterscheiden. Dabei werden Attributionsinhalte und Attributionsverhalten ermittelt. Es sollen auffällige Widersprüche in den Attributionen der Partner aufgezeigt werden. Gerade der Aspekt der Hineinnahme der Vergleichsgruppe der „Noch-Verheirateten“ stellt eine Erweiterung und andere Blickrichtung einer eigenen früheren durchgeführten Untersuchung mit Getrennten dar (vgl. Zühlke-Kluthke 2002). Insofern liegt bei der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt im Vergleich der Attributionsmuster der beiden Gruppen. Die daraus gewonnenen Ergebnisse können später in eine Entwicklung eines Re-attributionstrainings für Bindungswillige im Rahmen einer Paartherapie einfließen.

Meine o. a. frühere Untersuchung mit Getrennten hat Anregungen zu einer Magisterarbeit (Schmid 2004) gegeben, die unter Anwendung meiner erarbeiteten Methode und Vorgehensweise zu parallelen Ergebnissen bei glücklichen langandauernden Partnerschaften geführt hat. Hier werden Kinder beispielsweise als Kausalerklärung für das Gelingen der Partnerschaft angesehen, während in meiner Arbeit Kinder als „Sprengstoff“ für die Beziehung betrachtet werden.

Die Arbeit Schmid (2004) bestätigt insofern die Brauchbarkeit der Methode als auch eine Validierung der attributionstheoretischen Analyse von biografischen Aussagen in getrennt voneinander durchgeführten Partnerinterinterviews, der ich mich daher auch in dieser Arbeit bediene.
2. Das Paar als Problemfeld

Aufgrund des Strukturwandels von Ehe und Familie können die Ehepartner heute unharmonische eheliche Beziehungen, in denen ihre Ansprüche nicht erfüllt werden, weniger als früher ertragen und lösen ihre Ehe schneller als früher auf (vgl. zusammenfassend Nave-Herz 2002).

Durch die Ablösung von traditionell-christlichen Wertevorstellungen aber auch durch Individualisierungsprozesse verändern sich die Beziehungen zwischen den Partnern: zunehmende Scheidungsraten nehmen in städtischem Milieu ihren Anfang. Ebenso verändert sich die Partnerwahl. Die Rahmenbedingungen für eine Ehe sind stärker emotional geprägt, wenngleich der Ausdruck „Liebesheirat“ mit Entstehen der modernen Familie durchaus diskutiert werden kann. Die Gestaltung der Beziehung zwischen den Partnern unterliegt einer zunehmenden Entscheidungsfreiheit durch Optionserweiterungen, was zu einer Zunahme des Konfliktpotentials führt (Beck 2001), denn größere Handlungsspielräume und Freiheiten werden nicht nur als vorteilhaft empfunden. Jaeggi (1999) knüpft an diese Individualisierungsdebatte an. Dabei ist ihr zentrales Thema der Konflikt zwischen dem Autonomiestreben und dem Wunsch nach Intimität oder anders ausgedrückt: der ständige Kampf zwischen Nähe und Distanz.

Vielfältige Gründe (andere Partnerschaftsformen, kritische Sichtweisen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sinkender Stellenwert von Kindern, etc.) lassen die Tendenz zum Entstehen von Paarkonflikten und Trennungsabsichten ansteigen. Bei einem Paarkonflikt geht es überwiegend um interindividuelle (soziale) Konflikte. Dabei sind sowohl der Aspekt der wahrgenommenen oder tatsächlichen Interessen- und Bedürfnisunterschiede von den Partnern als auch der Situationsaspekt (die Konfliktpartner müssen Ressourcen aufteilen) wichtige Elemente.

Bei soziodemographischen Merkmalen, die Konflikt – evaluierend in etlichen Arbeiten beschrieben werden, darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese alleine nicht ausreichen, um Ehekonflikte zu erklären. Sie erklären weder die Beweggründe der Partner, noch sagen sie etwas über die Konfliktbedingungen aus. Sie werden daher eher als beeinflussende Variablen betrachtet - die allerdings unter dieser Einschränkung durchaus ihre Berechtigung haben. Im Übrigen gilt natürlich auch hier, dass es niemals nur den einen Grund für anhaltende Konflikte bzw. Trennung gibt. Dies wird auch in dieser Arbeit deutlich, in der die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Kommt es letztlich zur Trennung/Scheidung nach langjähriger Beziehungsdauer, ist dies ein einschneidendes Ereignis im Leben der beiden Betroffenen.

In der Wahrnehmung und Bewertung des Trennungsgeschehens zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Partnern. Während einer der beiden die Scheidung häufig als eine Befreiung aus einer unzumutbar gewordenen Beziehung darstellt, bedeutet sie für den anderen häufig den kaum zu verschmerzenden Verlust einer als tragfähig betrachteten Partnerschaft. In dieser Arbeit geht es um die Prozesse dieser Zuschreibungen.
3. Theoriebezug

„Attribution lässt sich als jener Interpretationsprozess der Erfahrungswelt definieren, durch den der Einzelne sozialen Ereignissen und Handlungen Gründe bzw. Ursachen zuschreibt“ (Six 1994, 122). Zu diesem Konzept gibt es keine einheitliche Theorie. Den verschiedenen Theorieansätzen ist jedoch gemeinsam, dass sie retrospektive Ursachenerklärungen für bestimmte Ereignisse oder Handlungen untersuchen.

Fritz Heider (1896 – 1988), Pionier der Attributionstheorien, versteht seine Handlungsanalyse als Alltagsinstrument zur Erklärung von Ereignissen und Handlungen, das zur Kontrolle und Vorhersage von Verhalten und Ereignissen dient, wenn es gelingt, veränderliche Verhaltensweisen und Ereignisse auf relativ stabile zu Grunde liegenden Bedingungen zurückzuführen, „die sogenannten dispositionalen Eigenschaften seiner Welt“ (Heider 1977, 99). Dabei werden bei Heiders Handlungsanalyse zwei Einflussfaktoren angenommen: Person und Umwelt.

Person- und Umweltattributionen schließen einander nicht aus. Man kann ein Ereignis gleichzeitig, möglicherweise mit unterschiedlichem Gewicht, auf Personen und Umweltfaktoren zurückführen. Die Einzelfaktoren Person- und Umweltkraft werden in stabile und instabile Komponenten unterteilt, wobei die Fähigkeit des Menschen und die Schwierigkeit des Problems als stabil gilt, während persönliche Motivation und Gelegenheit / Zufall als variabel bzw. instabil gelten. Gerade die Attribution auf stabile Ursachefaktoren wird die Erwartungen für zukünftiges Verhalten mitbestimmen.

Die Art und Weise, wie Menschen die Ereignisse in ihrem Leben erklären, kann sich auch in Attributionsstilen niederschlagen, die man ein Leben lang beibehält, und die sich darauf auswirken, wie man sich selbst sieht. Manche Menschen schreiben Probleme stabil-internalen verallgemeinernden Faktoren zu: „Das Problem hab ich schon immer gehabt. Ich bin einfach zu gutmütig und das nutzen andere Menschen aus, so auch mein Mann“.

Andere Menschen wählen eher einen Attributionsstil, der es ihnen ermöglicht, Probleme als variabel-external und auf den Einzelfall bezogen zu sehen: „Manchmal hatte mein Mann einfach eine fürchterliche Laune und das kann eine Beziehung schon mal kurz aus dem Gleichgewicht bringen!“

Da es in dieser Arbeit nicht darum geht “Attribution“ vs. „Nicht-Attribution“ aus den Interviews herauszufiltern, sondern darum, den Unterschied zwischen verschiedenen Arten der Attributionen bei den Paaren und den Partnern aufzuzeigen, werden die Kausalfaktoren besonders betrachtet:
Weiner (1975) bezieht sich bei seiner Weiterentwicklung des theoretischen Ansatzes von Heider auf die Dimensionen des Attributionsprozesses. Er geht davon davon aus, dass man für Erfolg und Misserfolg (hier: gescheiterte oder konflikthafte Partnerschaft) internale (durch das eigene Tun verursachte) und externale (durch Denken und Handeln anderer oder in der Situation liegende) Gründe annehmen kann. Die Frage nach der Lokation, die seit Heider ein zentrales Anliegen der Attributionstheorien war, ist für Weiner also die Frage nach dem Ort der Ursache. Diese Dimension kommt in überdauernden Kontrollüberzeugungen zum Ausdruck.

Eine zweite Attributionsdimension bei Weiner ist die Stabilität von Erklärungsfaktoren. Eine Ursache für ein Verhalten kann entweder lang andauernd wirksam sein (z.B. mangelnde Intelligenz) oder die Ursache kann kurzfristig eintreten (z.B. momentane Stimmung). Um diese Ursachendimensionen miteinander zu kombinieren verwendet Weiner im einfachsten Fall ein 2 x 2-Schema der Ursachen, das auf den Dimensionen internal-external und stabil-variabel beruht.

Die dritte Ursachendimension bezieht sich bei Weiner auf den Aspekt der Kontrollierbarkeit.

Die vierte Dimension bezieht sich auf die Globalität der Ursache. Eine Ursache ist global, wenn sie sich in unterschiedlichen Situationen gleichermaßen auswirkt, während sie spezifisch ist, wenn sie auf eine bestimmte Situation beschränkt ist.
4. Methode

Zielführend für diese Arbeit ist die theoriegeleitete Beantwortung von Fragen nach den Attributionsinhalten und dem Attributionsverhalten konflikthafter und getrennter Paare. Dabei werden folgende Forschungsfragen gestellt:

* Welche Unterschiede gibt es beim einzelnen Paar und in den beiden Gruppen hinsichtlich der Attributionsinhalte? Die verschrifteten Interviews werden nach Zuschreibungsschwerpunkten durchsucht. Es ergeben sich durch Clusterung Kategorien, die innerhalb des Paares und innerhalb der beiden Gruppen verglichen werden. Auf diese Weise können die Hauptthemen bei Partnerschaftskonflikten sichtbar gemacht werden.
* Wie ist das Attributionsverhalten? Die von Weiner (1975) benannte Dimension der Lokalisation wird in dieser Arbeit unterschieden in internale (von der eigenen Person zu vertretene Begründungen), interaktionale (vom Paar gemeinsam zu vertretene Begründungen), vom anderen (vom anderen Partner zu vertretene Begründungen) und externale Attributionen (von äußeren Umständen zu vertretene Begründungen). Insofern folgt diese Arbeit dem von Fincham (1985) verwendeten Raster, der bei seiner Untersuchung von Attributionen in Partnerschaften ebenfalls die Dimension der Lokalisation nicht nur in internal und external aufgeteilt hat, sondern die internalen Attributionen weiter unterteilt hat in: Attributionen an sich selbst, an den anderen und an beide gemeinsam.

Methodisch wird in dieser Arbeit ein biografisch orientiertes, narrativ angelegtes Interview gewählt – in einer offenen Gesprächssituation. Dies ermöglicht eine Betonung des Umgangs mit Konflikten/Trennung, inneren Unsicherheiten und auch nur vage verspürten Motiven. Die Forschungsergebnisse sollten durch die Aussagen persönlich Betroffener gefunden werden - getragen von der Grundüberzeugung, dass die Datenerhebung individuumzentriert sein sollte.

Diese qualitative Forschung verdeutlicht die Unterschiedlichkeit der Perspektiven der Partner und setzt an den subjektiven und sozialen Bedeutungen des Einzelnen an. Nach der Gesamterzählung wird ein stichwortartiger Leitfaden benutzt, der flexibel eingesetzt wird. Wichtig ist, dass eine präzise theoretische Vorstellung hinsichtlich der Zielsetzung der Arbeit bestehen muss, die das Interview leitet, um schließlich eine Vergleichbarkeit der erhaltenen Interviews zu erreichen. Das Ergebnis von Einzelinterviews hängt von der Art der Fragestellung ab. Ich habe deshalb auf eine offene Fragestellung geachtet („Warum hat sie das getan?“).

Das Risiko dieser Methode könnte vermeintlich darin liegen, dass man keine hochverlässlichen Informationen für verallgemeinernde Aussagen erhält. Die Form des Interviews bietet einige Fehlerquellen, die durch die Befragung selbst verursacht werden können. Allerdings ist es für diese Arbeit ein geeignetes Instrument, um individuelle Orientierungsformen, um die es hier ja gerade geht, aufzuspüren. Es soll gerade nicht ein möglichst „objektives“ Bild der Trennungsgründe gezeichnet werden. Die geäußerten subjektiven Sichtweisen einer Person dürfen nicht als „fehlerhaft“ angesehen werden. Vielmehr müssen hier die Äußerungen als solche erfasst werden, ohne dass zwischen „Wirklichkeit“ und „Beschönigung“ unterschieden wird.

Das von mir gewählte Erhebungsverfahren ist an das problemzentrierte Interview (Witzel 1982) angelehnt. Es zielt auf eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen. Gerade deshalb ist es als Verfahren gut geeignet, da es auf eine Selbstreflexion der Partner abzielt.

Für diese Arbeit wurden zwei Gruppen ausgewählt: Die Gruppe der seit kurzem Getrennten und die Gruppe der konflikthaft Zusammenlebenden.

Für die Stichprobenauswahl wurden für beide Gruppen folgende Selektionskriterien aufgestellt:

* länger als 10 Jahre miteinander verbunden
* Alter: zwischen 30 und 55
* mindestens ein gemeinsames Kind
* bei den Getrennten sollte die Trennung nicht länger als drei Jahre zurückliegen; bei den Konflikthaften sollten die Konflikte nicht länger als ein Jahr zurückliegen
* kein Beziehungssonderfall (homosexuelle Paare, Scheinehen, psychisch Kranke)

Die Gewinnung von Probanden war eine der schwierigsten Aufgaben gleich zu Beginn der Untersuchung. Ich wählte verschiedene zeitintensive Wege: Zeitungsinserate, Schneeballverfahren im eigenen Bekanntenkreis, Aushänge in juristischen Kanzleien und am Familiengericht, Aufrufe im Internet über die Homepage des Psychologischen Instituts und in den Newsgroups, Mitteilungen in Seminaren, persönliche Kontaktaufnahme zu Beratungsstellen. Auf diese Weise wurden vermutlich mehrere tausend Personen erreicht.

Schließlich gelang die Gewinnung von jeweils 8 „verwertbaren“ Paaren pro Gruppe.

Eine Übersicht (vgl. Tabellen 1 und2) über die schließlich gefundenen Gruppen macht deutlich, dass die beabsichtigte Homogenität hinsichtlich der soziostrukturellen Verortung und eines sprachlichen Mindestniveaus – sowohl innerhalb der jeweiligen Gruppe als auch im Gruppenvergleich – erreicht wurde:


Tabelle 1: Übersicht über die Gruppe der getrennten Paare
Paar Geschlecht Beruf Höchster Schulabschluss Alter
Paar 1 w Versicherungskauffrau, z.zt Erziehungsurlaub Abitur 33
m Dipl. Ing. Studium Luft- und Raumfahrttechnik 34
Paar 2 w Lehrerin, z.Zt. Hausfrau Studium Sek. 1 42
m Arzt, eigene Praxis Studium Medizin 43
Paar 3 w Drogistin, z.Zt. Verw.ang. HS 51
m Kraftwerker HS 54
Paar 4 w Vermessungstechnikerin, z.Zt. begonnenes Studium Psychologie Abitur 32
m Facharbeiter Heizungsbau, begon. Krankenpflegerausbildung FOS 34
Paar 5 w Vorstandssekretärin HöHa 33
m Informationselektroniker FHreife 36
Paar 6 w Sozialpädagogin, z.Zt. Erziehungsurlaub FHreife 40
m Ang. im Media-Bereich HS 33
Paar 7 w Arzthelferin, z.Zt.Teilzeit FOS 39
m Flugzeugbauer HS 40
Paar 8 w Industriedesignerin, z.Zt. Teilzeit
Studium Industriedesign 42
m Arzt, eigene Praxis Studium Medizin 40


Tabelle 2: Übersicht über die Gruppe der konflikthaften Paare
Paar Geschlecht Beruf Höchster Schulabschluss Alter
Paar 9 w Sozialpädagogin, z.Zt. Teilzeit Studium Sozialpädagogik 41
m Geschäftsführer einer eigenen Firma, z.Zt. Hausmann FOS 44
Paar 10 w selbständig im Pflegedienst FHreife 39
m selbständig im Pflegedienst FOS 40
Paar 11 w Erzieherin, z.Zt. Teilzeit FOS 45
m Arbeitspädagoge FOS 47
Paar 12 w Vermessungstechnikerin, z.Zt. Teilzeit Abitur 42
m Hausmeister FHreife 44
Paar 13 w Finanzbeamtin geh. Dienst, z.Zt. Heimarbeit PC Abitur, Studium FH 36
m Vertriebsingenieur Studium Elektrotechnik 37
Paar 14 w Chefarztsekretärin, z.Zt. Hausfrau FOS 44
m Polizist FOS 44
Paar 15 w wiss. Mitarb. Museum, z.Zt. Hausfrau Studium Literaturwissensch. 43
m Dipl. Psychologe Studium Psychologie 43
Paar 16 w Lehrerin Sek. 1 Studium Lehramt 45
m Elektroingenieur FH Elektrotechnik 47


Die Altersverteilung dieser Gruppe zwischen 32 und 54 Jahren ist ähnlich der Verteilung der konflikthaften Gruppe (36 – 47) und entspricht Kohlis Auffassung über die Eignung von Informanten im mittleren Erwachsenenalter (Kohli 1977, 626).

Nach den Berufen und der Schulbildung zu urteilen überwiegt in beiden Gruppen eine mittlere bis gehobene Schichtzugehörigkeit. Dies gilt auch für die Verteilung innerhalb der Paare.

Eine gleichmäßige Verteilung liegt auch bei der Gewinnung der Paare vor: in beiden Gruppen wurden die meisten Paare über die Beratungsstelle vermittelt: 3 Paare aus der getrennten Gruppe, 4 Paare aus der konflikthaften Gruppe. Jeweils 3 Paare wurden über Internet-Aufrufe gefunden und Im Rahmen des Schneeballverfahrens wurden 2 Paare der getrennten Gruppe und 1 Paar der konflikthaften Gruppe gewonnen.

Gemäß der aufgestellten Selektionskriterien (s. o.) liegt bei allen Paaren der getrennten Gruppe die Trennung ein halbes bis zwei Jahre zurück. Bei allen Paaren der konflikthaften Gruppe liegen die heftigsten Konflikte nicht länger als ein Jahr zurück.

Nachdem die Paare gefunden waren, wurden die Informanten in einem telefonischen Gespräch auf das Interview vorbereitet. Es wurden Ort, Zeit und Zeitrahmen besprochen, wobei ich mich immer auf die Vorschläge der Informanten einließ. Die meisten Gespräche fanden bei den Informanten zu Hause statt. Durchschnittlich dauerte ein Gespräch 129 Minuten. Zur Durchführung des Interviews gehörte ein selbst auszufüllender Kurzfragebogen zur Ermittlung der Sozialdaten. Dem Mitschnitt auf Band und späterer Transkription mit wenigen Transkriptionsregeln stimmten alle zu. Datenschutz und Anonymität wurden zugesichert. Dass die Betroffenen davon auch ausgingen, zeigen die teilweise sehr intimen Aussagen in einzelnen Interviews. Begonnen wurde dann mit der für alle gleich vorformulierten erzählauffordernden offenen Eingangsfrage, um die Erzählungen und Begründungen auf das zu untersuchende Feld (subjektive Kausalerklärungen zur gescheiterten/konflikthaften Partnerschaft) zu zentrieren.

„I.: Bitte erzählen Sie mir zunächst Ihre Lebensgeschichte und danach Ihre Partnergeschichte, wobei Sie bitte besonderen Wert auf Ihre Erklärungen legen, warum es zum Scheitern der Beziehung kam.“
5. Ergebnisse

Auf der Suche nach Erklärungen bei extremen Lebensereignissen hat der Scheidungsforscher William Goode (1960) in einer Untersuchung zu subjektiven Trennungsursachen als die häufigsten Begründungen erhalten:

* fehlende materielle und finanzielle Unterstützung des Mannes
* autoritäre Haltung des Mannes
* häufiges Ausgehen und Herumtreiben des Mannes
* Trunksucht
* Unvereinbare Eigenschaften und Charakterzüge des Mannes

Heute kommt man bei ähnlichen Fragestellungen insofern zu veränderten Ergebnissen (vgl. Zühlke-Kluthke 2002), dass mehr und mehr psychische Anforderungen von den Partnern gestellt, jedoch als nicht mehr erfüllt angesehen werden, z.B. im Bereich der Kommunikation („weil wir nie was wirklich geklärt haben“) , („und wir haben nie über uns gesprochen, das geht doch nicht“) oder bei den wahrgenommenen Persönlichkeitsmerkmalen des Partners/der Partnerin („sie hat Probleme, über ihre Gefühle zu reden“), („die war nie für irgendwas was Spaß machte“).

Die Auswertungsschritte dieser Arbeit zeigen – wie bisher nur wenige Arbeiten dieser Art – wie eine offene und eine theoriegeleitete Vorgehensweise miteinander verschränkt sein können und zu aussagekräftigen Ergebnissen führen. So wurden vorab Forschungsfragen in Form ungerichteter Hypothesen festgelegt, die laut Attributionstheorie(n) auftauchen könnten und die Auswertung konzentrierte sich darauf, ob und wie Inhalte der Zuschreibungen und Zuschreibungsverhalten tatsächlich hervortreten. Die Bezugnahme der Auswertung auf Inhalte, die nach den attributionstheoretischen Aspekten bedeutsam sind, bietet die Struktur für die Auswertung.

Danach wurde geprüft wie das Attributionsverhalten der Betroffenen ist. Wird überwiegend der eigenen Person, dem Partner, dem gemeinsamen Handeln oder externalen Umständen die Schuld für Konflikte oder für das Scheitern gegeben?
5.1 Die Themen des Scheiterns

Hier wurde ermittelt, welche Themen des Scheiterns für die Partner relevant sind. Mit Hilfe des thematischen Kodierens (vgl. Flick 2000, 206 ff.) wurden die inhaltlichen Attributionen der Partner thematisch sortiert. Dazu wurden alle genannten zentralen Attributionen im Rahmen der Interviews notiert. Hierbei haben sich interessante Tendenzen sichtbar machen lassen:
In den Interviews werden interpersonale und affektiv-emotionale Faktoren am häufigsten genannt. So genannte „objektive“ = sehr greifbare und benennbare Faktoren wie Alkohol, Finanzen, Job des Partners, Wohnort, Konfession werden seltener als trennungsverursachend oder konfliktbeschleunigend beschrieben. Tatsächlich äußern die meisten Individuen in den Interviews Begründungen, die von (verletzten) Emotionen durch Verhalten oder Eigenschaften des Partners bzw. von Störungen in der Paarinteraktion getragen sind. Dieses Ergebnis entspricht auch anderen neueren Forschungsergebnissen (vgl. Nave-Herz u. a. 1990, 59).
Die einzelnen Attributionsinhalte unterscheiden sich in den beiden Gruppen nur wenig.

In der Gruppe der Getrennten überwiegen in der Reihenfolge der Häufigkeit ihrer Nennung Zuschreibungen an

* mangelnde oder fehlerhafte Kommunikation
* (veränderte) Eigenschaften des Partners
* Rollenverhalten
* Sexualität
* Biografische Vorbelastungen aus den Ursprungsfamilien
* Geburt von Kindern als „Sprengstoff“ für die Beziehung
* Untreue
* Konfliktverhalten
* (nicht vorhandenes) Freundschaftsnetzwerk
* fehlende gemeinsame Zeit/Unternehmungen

Gruppen- und individuumsübergreifend beklagen sich die meisten Partner über die folgenden Themen:

* mangelnde oder fehlerhafte Kommunikation
* Geburt von Kindern als „Sprengstoff“ für die Beziehung
* Sexualität

Kommunikation

In allen Interviews wird der Aspekt „Kommunikation“ von mindestens einem der beiden Partner als trennungsverursachende und/oder konfliktauslösende Variable angesprochen. Diesem Aspekt kommt daher innerhalb einer Partnerschaft offensichtlich eine subjektiv große Bedeutung zu.

Dabei werden die Kommunikationsstörungen nicht nur wahrgenommen, sondern auch als partnerschaftsgefährdend eingestuft.

Häufig wird erst dann die Kommunikation aufgenommen, wenn Konflikte oder Trennungsgedanken schon offenkundig sind. Das erkennen die Partner auch so:

„in dieser dramatischen Trennungsphase haben wir uns das erste Mal richtig gut und in Ruhe ausgesprochen und ...eh haben uns gegenseitig etwas offenbart, was keiner vom anderen wusste“(Paar 2, w, S.11, Z.16).
„und wir haben nie vorher drüber gesprochen...“(Paar 13, m, S. 4, Z.52).


Dass kommuniziert wird, reicht für die Betroffenen alleine nicht aus. Es muss ehrlich kommuniziert werden, damit der andere die Chance hat, den Sinngehalt der Worte richtig einzustufen. Dies stört überwiegend die Männer:

„Knackpunkt war sicherlich der, eh dass meine Frau nie gesagt hat „nein ich will das nicht“ (Paar 2, m, S.7, Z.13).


Eine deutliche Aussprache wünscht sich auch Rüdiger (Paar 7) von seiner Partnerin:

„Da ich ja dann hier auch irgendwo ein Spieler war, durch den Sport auch viele kannte, wurde ich ja auch oft eingeladen. Musste ich auf nen Geburtstag oder auf Hochzeit, und es gab auch schon mal Tage, wo dann meine Frau gesagt hat: „Nee, ich hab keine Lust. Oder ich hab keinen.“ Hat sie halt keinen fürs Kind gefunden. Ja, dann, dann bin halt alleine gegangen, zwei, drei Stunden.
I: Fand sie das okay?
K: das weiß ich nicht. Sie hat nichts gesagt. Wenn sie jetzt gesagt hätte: „Ja dann fahr doch oder bleib hier“. Okay dann hätte ich vielleicht gesagt, ich bleib hier. Aber ich hab ja immer damit..., das is ja immer so. Man sagt zwar auch, die Frau sagt zwar immer:“ fahr doch, fahr doch.“ Aber dann hätt ses lieber gesehen, dass ich doch bleibe“(Paar 7, m, S. 4,Z. 52).


oder Peter (Paar 4):

„...im Gespräch dann em, sie nicht auf den Punkt kam, wie die Katze um den heißen Brei und dann einfach Fragen im Raum stehen ließ“ (Paar 4, m, S. 4, Z.31).
„wir hatten auch nicht, oder noch nicht die Fähigkeit klar, für den anderen klar zu formulieren, was uns bewegt. Und teilweise aus Furcht den anderen zu verletzen oder aus Unvermögen die richtigen Worte zu finden“ (Paar 4, m, S. 4, Z.47).


Überhaupt wird deutlich, dass die Partner Kommunikation kognitiv zwar als eine gemeinsam notwendige Interaktion begreifen,

„und es war vor allen Dingen bei uns, dass wir so nie so miteinander reden konnten“ (Paar 3,w,S.2, Z.27).


oder

„Ich denke wir haben in zu leisen Ansätzen vielleicht mal gesprochen“ (Paar 1, w, S. 4, Z. 25).


die Zuschreibung allerdings meist einseitig den anderen trifft:

„Aber irgendwann stellte sich einfach raus, dass über die Themen, über die ich reden konnte, oder reden wollte, er nicht reden konnte“ (Paar 2,w, S.2,Z.31).


Das passt zu dem Wunsch der Männer (s. o.) nach einer deutlicheren Aussprache der Wünsche.
Kinder

Bei allen Paaren in der Gruppe der Getrennten und bei der überwiegenden Anzahl der Paare in der Gruppe der Konflikthaften wird die Geburt des ersten Kindes zur Kausalerklärung, warum die Partnerschaft gescheitert ist bzw. so konfliktträchtig.

Häufig wird die Geburt des ersten Kindes als Wendepunkt der Partnerschaft betrachtet:

„nachdem unsere Tochter da war“ (Paar 1, m, S. 6, Z. 2).
„die Beziehung war eigentlich okay bis ... bis der erste, ja bis der Sven geboren wurde. Und dann fing es an zu kriseln“ (Paar 7, w, S. 4, Z. 31).


Wenn nicht das erste Kind als sehr belastend angesehen wird, ist es mindestens das zweite Kind:

„Das zweite Kind war auch sehr belastend für unsere Beziehung. Es hat sehr vieles über den Haufen geworfen. Das erste Kind fand ich eher, das war organisatorisch noch zu bewältigen, das zweite Kind, das hat, wie soll ich mal sagen, es war keine Frage mehr von Organisation, sondern da mussten tatsächliche Änderungen erfolgen, ja“ (Paar 15, m, S. 9, Z. 9).


Entsprechend wird dieses Ereignis im Rahmen der life-event-Forschung zu den kritischen Lebensereignissen gezählt (vgl. Reichle 1994). Die Partner attribuieren external, als sei das Kind ein von außen kommendes Ereignis, das nicht zu kontrollieren ist, obwohl sämtliche Paare sich mehr oder weniger bewusst für ein Kind entschieden haben. Dieser Art der Verantwortlichkeitszuschreibung liegt eine motivationale Entlastungstendenz zu Grunde und kann dahin gehend interpretiert werden, dass die Betroffenen bestrebt sind, ein positives Selbstbild zu wahren, denn ihnen ist mehr oder weniger bewusst, dass sie an der Entscheidung für ein Kind mit beteiligt waren.

In anderen Fällen wird das wahrgenommene geänderte Verhalten des Partners im Zusammenhang mit dem Kind für die Verschlechterung der Beziehung verantwortlich gemacht. Wenn dennoch external argumentiert wird, muss diese Argumentation als eine an den anderen Partner gerichtete Attribution umgedeutet werden. In der Kennzeichnung wurde versucht, diese Interpretationen zu berücksichtigen und ein korrektes Bild zu zeichnen:

„ich mich eigentlich immer mit dem Kind behaftet sah“ (Paar 2,w,S.4,Z.34).


Hiermit meint Simone die fehlende familiäre Unterstützung ihres Mannes, nachdem das erste Kind geboren war. So empfindet auch Heike:

„er hatte auch dann nicht mehr Interesse an den Kindern teilweise. Wenn ich dann mal so am Wochenende gesagt habe: „Kannst du nicht mal mit den beiden ein bisschen Fußball spielen gehen, ich habe hier noch das und das zu machen. Ja, damit du deine Ruhe hast, kam dann immer so von ihm“ (Paar 7, w, S. 12, Z. 54)


Diese Aussagen betreffen nicht wirklich das Kind, sondern den Partner. Als Verursachung der Trennung kommt das Kind dann in Frage, wenn Verhaltensweisen des Partners in diesem Zusammenhang mehrfach wahrgenommen wurden. In den Textbeispielen wird dies ausgedrückt durch das Wort „immer“. Dabei haben sich die Zuschreibungen dann als distinktiv, konsistent und konsensuell bestätigt. Einmalige Vorkommnisse oder Entscheidungen des Partners zählen nicht dazu. (vgl. das Kovariationsmodell von Kelley, 1967)

Die unterschiedliche subjektive Erklärung des Ereignisses des ersten Kindes als Trennungsursache wird bei Paar 1 besonders deutlich:

„die Rollenverteilung das ist natürlich auch eine Konfliktsituation gewesen, dass halt auch unterschiedliche Bedürfnisse auf einmal da waren“ (Paar 1, w, S. 6, Z. 6).

„Also, ähm, ich hatte den Eindruck, dass es danach schwieriger wurde..ja so war. Also ich denke, also alleine die Tatsache, dass meine Frau irgendwann nicht mehr bereit war, an irgendetwas zu arbeiten oder zu sehen, ob es vielleicht noch eine Möglichkeit gibt, das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie dann auch zu 100% für unsere Tochter dann eben auch da war. Also sie hatte wirklich überhaupt keine Zeit mehr, weder für sich noch - ja für mich.“ (6,26) „ja so dieses gesamte Leben einfach nur noch irgendwie abgestimmt ist, also dass es eigentlich nur noch dieses Thema Kind gibt“ (Paar 1, m, S. 6, Z. 37).


Geschlechtsspezifische Attributionsunterschiede scheinen in der stärkeren Schuldzuweisung der Frauen an die Männer in diesem Bereich zu liegen. Dies entspricht auch Ergebnissen von Fincham (1985), nach denen die Frauen in unglücklichen Beziehungen den Männern grundsätzlich höhere Schuld zuweisen. Geänderte Rollenerwartungen der Frauen, die sich nicht mehr auf die alleinige Rolle der Kinderbetreuung festlegen lassen wollen, ist hier sicher eine Erklärung. Einige Frauen formulieren dies zum Teil bereits in den Zuschreibungen:

„Also diese Zeiteinteilung, das hab ich dann auch versucht einzufordern, hier, in der Praxis. Weil ich auch Freiheiten haben wollte. Und ich empfand immer, Elternschaft und Beziehung als gleichwertig. Das hieß, wenn der Partner nach Hause kommt, sind wir bei Stunde null, und dann haben wir zu teilen. Jeder braucht seine Freiheiten keine Frage... „Ich war ja ausschließlich für die Kinder, für zu Hause. Damit hatte ich kein Problem, das hatte ich freiwillig gewählt. Aber ich hatte nie das Problem, deswegen ausschließlich für ihn da zusein. Auch wenn er nach Hause kam. Für mich war das Gefühl, wenn er nach Hause kommt, es ist so für mich , die Berufstätigkeit ist Kinder zu pflegen, aber wenn du kommst sind wir beide zuständig. Und das hat er nicht so empfunden. Da haben wir uns auch öfter drüber gestritten in der Zeit. Und seine Argumentation war natürlich, dass er das Geld nach Hause brachte. Und, ich wär dieses Rollending ja eingegangen. So seh ich das nicht. Es ist zwar richtig, dass du das Geld nach Hause pumpst, aber die Hälfte gehört mir, und die andere Hälfte dir, so hab ich das gesehen“ (Paar 8, w, S. 12, Z. 15).


Ein gegenseitiges Problem mit dem gleichen Anspruch auf gegenseitige Unterstützung manifestiert sich in gegenseitigen Zuschreibungen. Bei Paar 2 denkt sie:

„ab und zu könntest du doch mal Unterstützung gebrauchen“ oder er könnte sich auch mal kümmern und eben nicht nur Geld verdienen und dann kam schon manchmal Eifersucht, Neid oder sicherlich schon mal auf“ (Paar 2, w, S. 5, Z. 51).


während er argumentiert:

„ich hab sie nie so richtig, manchmal schon, so als Partner erlebt, ja? So was da so zu gehört zum Beispiel Anerkennung. Und diese Anerkennung dann so von dem andern dann, zum Beispiel Sätze wie „Mensch hast dich heute chic gemacht“, ja? Oder eh „Mensch bist ja heute gut drauf“ ja? Oder solche Sätze kamen dann im Prinzip gar nicht. Also einfach so diese Anerkennung oder so „poa, Mensch jetzt freu ich mich aber, schön, dass du da bist“ ja? Gar nichts mehr, gar nichts. Sehr zurückgezogen.. oder nur die Kinder. ja“ (Paar 2, m, S. 8, Z. 5).


Die Männer leiden überwiegend an dem Verlust der Frau als Partnerin. Oft erscheint es ihnen, als hätten sie die eigene Frau an die Kinder verloren:

„Ja und als er dann da war..Ja, da hat sich, ich denke mal, da hat sich, von da an denk ich mal da hat sich das auch zum Nachteil verändert, alles. Meine Frau kümmerte sich nur ums Kind, nur ums Kind, während ich ja so abgeschrieben“ (Paar 7, m, S. 4, Z. 20).

Sexualität

Sexualität gehört zu häufig genannten Themen, die mit Attributionen verbunden sind. Dies gilt sowohl für Attributionen der Einzelpersonen als auch für Attributionen der Paare. In beiden Gruppen gehört das Thema Sexualität zu den am häufigsten gemeinsam genannten Attributionen.

Wie in der Stichprobe von Brandtstädter und Felser (2000) von über 660 Partnern zwischen 44 und 70 Jahren, in der ein deutlicher Zusammenhang zwischen Zufriedenheit im Bereich der Sexualität/Zärtlichkeit mit der Gesamtzufriedenheit der Beziehung gefunden wurde, argumentieren auch in dieser Arbeit (allerdings überwiegend) die Männer mit mangelnder bzw. nachlassender Sexualität der Partnerin als Hauptkonflikt-/Trennungsursache. Ihre Ansprüche sehen die Männer am wenigsten im Bereich der Sexualität erfüllt:

„Sie hat viel geplant.. Em.... ich für meinen Teil hätte das, hätte zwischendurch noch den Sinn gehabt, ein bisschen kuscheln oder, oder so was. Und da war meiner Frau nicht nach“ (Paar 4, m, S. 6, Z. 34).

„So, und da hat man natürlich nicht mehr von sich, gegen, füreinander nichts mehr, kein Kuscheln mehr, man schläft nicht mehr miteinander. Sie wollte oft nicht. So und dann. Ich bin so ein Typ, so dann krieg ich schon schlechte Laune“(Paar 7, m, S. 6, Z. 45).

„dass ich dann mal bemängelt habe von ihr, dass ich mehr Zärtlichkeit, Zuneigung wollte, mehr Sexualität“ (Paar 2, m, S. 6, Z. 9),


während die Frauen die als unangenehm empfundene Dominanz der Thematik ansprechen bzw. nachlassende Sexualität als Folge der bereits zerrütteten Partnerschaft betrachten:

„Und dann war dieses Sexuelle, war ziemlich bedrängend für mich, weil er hat em ständige Präsenz an den Tag gelegt. Und ich war auch so ein Typ wo ich sagte : Ich kann mal nen Tag ohne und ich kann mal ne Woche ohne . Wo ich das auch für mich brauchte, und des war für ihn unheimlich schlimm. Das gab dann eigentlich immer Missverständnisse“ (Paar 5, w, S. 3, Z. 15).

„Das war dann bei mir so, dass ich mich auch nicht gut bei ihm aufgehoben fühlte und nur so die sexuelle Stimulation das bringts ja auch nicht und wir haben uns nur gestritten“ (Paar 7, w, S. 12, Z. 26).


Häufig wird Sexualität auch als Druckmittel in der Beziehung wahrgenommen:

„Fing‘ dann sehr, sehr schnell an, wenn ich nicht mit ihm geschlafen hab‘, dass er mies gelaunt war“ (Paar 3, w, S. 7, Z. 46).

„Und wenn sie dann so drauf war, dann gabs dann halt wochenlang keine Liebe, keinen Sex“ (Paar 5, m, S. 6, Z. 39).

„was ich als einen Hauptpunkt empfunden habe, weswegen es da auch so den Bach runter ging, war das sexuelle Bedürfnis. Das hat also em, mein Mann war da eh immer schon viel, viel mehr drauf als ich. (6, 2); So, hast du kein Sex mit mir, dann geb’ ich dir keine Zärtlichkeit. ........das war so der Hauptknacks eigentlich“(Paar 4, w, S. 6, Z. 6).


Die Verantwortung für die „Überbetonung“ der Sexualität versucht sie dem Partner anzulasten, gibt jedoch in der gleichen Sequenz zu, dass sie selbst oft keine Bereitschaft dazu zeigen kann.
Seltener nehmen beide Partner wie hier bei Paar 1 eine gestörte Sexualität gleichermaßen wahr:

„eigentlich war alles in Ordnung, bis auf die Bettgeschichte, sag ich mal. Da hatte ich das Gefühl auf etwas Zurückhaltung“ (Paar 1, m, S. 4, Z. 37).
„wir hatten auch sexuelle Probleme schon ziemlich von Anfang an, die Chemie hat nicht gepasst, von Anfang an möglicherweise nicht, dieses erotische Verlangen eigentlich nie“ (Paar 1, w, S. 3, Z. 40).


Sexualität scheint nach diesen Ergebnissen für die meisten Männer eine andere Bedeutung für die Beziehung zu haben als für die Frauen. Veränderung der Sexualität wird als Ursache für die Verschlechterung der Beziehung gesehen, während bei den Frauen die Verschlechterung der Beziehung nachlassende Sexualität zur Folge hat.

Wie sich Alltagstheorien zum Thema Sexualität bilden können, zeigt Sebastian:

„Dann über das natürlich Sexuelle, was am Anfang natürlich irgendwie immer was Lustbetontes ist, das war am Ende so horrormäßig. Vier Wochen, jetzt müsstest du mal wieder. Ich war so ausgeschaltet dabei, dass da überhaupt nichts mehr funktioniert hat. Das war für sie auch frustrierend, für mich wars frustrierend, und das war einfach nur noch immer weiter zurückziehen. Ich fühlte mich natürlich irgendwie verletzt“ (Paar 8, m, S. 6, Z. 24).


Demnach wird hier die Entwicklung der Sexualität mit Rückzug und persönlicher Verletzung in der Partnerschaft assoziiert. Sexualität wird hier auch als Instrument weiterer Verletzungen gesehen, die bewusst der Planung des Kinderwunsches seitens der Partnerin angelastet werden.

Wolfgang benutzt u. a. die Attribution „mangelhafte Sexualität“ als Rechtfertigung für den eigenen Ausbruch aus der Beziehung:

„dass ich dann mal bemängelt habe von ihr, dass ich mehr Zärtlichkeit, Zuneigung wollte, mehr Sexualität. Meine Frau hingegen, eh wollte mehr Unterstützung haben, in ihrer Lebenslage, in ihrem Beruf, oder dass ich mich da mehr engagiere oder noch mehr einbringe. Aber ich konnte einfach nicht. Ich war platt abends...Und so kam also diese Frustration im Beruf, da keine Befriedigung. Frustration zu Hause, da keine Befriedigung, so dass ich sozusagen dann umgeschaltet habe und das Weite gesucht habe, sagen wir mal in Anführungsstrichen. Dann hab ich mich anders orientiert und hab gemerkt: aha, wenn ich mich engagiere gesellschaftspolitisch“ (Paar 2, m, S. 6, Z. 9).

5.2 Wer ist Schuld?

Hinsichtlich des Attributionsverhaltens wird hier ermittelt, wen die Partner hinsichtlich der Trennung oder der Konflikthaftigkeit für überwiegend verantwortlich halten. Dabei wurde bei der Einzelprüfung jeden Interviews im Rahmen der Lokalisation auf das bereits erwähnte 4-er Raster von Fincham (1985) zurückgegriffen.

In der vorliegenden Arbeit habe ich entsprechend den Erfahrungen aus einer eigenen früheren Untersuchung (Zühlke-Kluthke 2002) und den Hinweisen von Fiedler und Ströhm (1991) folgende Einteilung für die Lokalisation (Verortung) der Ursache gewählt:

* Internal (Konflikte werden mit dem Verhalten oder den Eigenschaften der eigenen Person erklärt). Beispiel: „Mein eigenes Bedürfnis nach dieser Zweisamkeit war eigentlich noch nicht groß genug im Nachhinein betrachtet“ (Paar 1, w, 4, 21).
* Der Andere (Konflikte werden mit dem Verhalten oder den Eigenschaften des Partners erklärt). Beispiel: „Also sie hatte wirklich überhaupt keine Zeit mehr, weder für sich noch - ja für mich“ (Paar 1, m, 6, 30).
* Interaktion (Konflikte werden der Interaktion der gemeinsamen Partnerschaft zugeschrieben). Beispiel: „Wir hatten immer wieder zwischenzeitlich die Diskussion oder einige heftige Auseinandersetzungen“(Paar 2, w, 7, 9).
* External (Konflikte werden mit externen Einflüssen, die beide Partner nicht durch ihre Persönlichkeit oder ihr Verhalten zu vertreten haben erklärt). Beispiel: „Erst mal wirkte sich dann das Kind sehr belastend auf die Partnerschaft aus, weil vor allen Dingen die Schwiegereltern überhaupt nicht mitspielten“ (Paar 2, m, 3, 10).

Durch diese Aufteilung werden Attributionen zwischen dem Selbst, dem Partner, dem Paar sowie externalen Faktoren unterschieden. Allerdings sind durchaus Doppelnennungen möglich. Das heißt ein Ereignis kann sowohl internalen als auch externalen Ursachen zugeschrieben werden. An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass der Begriff der internalen Zuschreibung in dieser Arbeit nicht der Begrifflichkeit Heiders entspricht, der mit internaler Zuschreibung die Personenkräfte im Gegensatz zu Umweltkräften als potentielle Ursachen eines Ereignisses oder Handlungseffekts meinte. Die ehemals bei Heider benannten internalen Zuschreibungen werden hier also aufgeteilt in internale Zuschreibungen auf die eigene Person, internale Zuschreibungen auf die andere Person und internale Zuschreibungen auf das Paar.

In dieser Arbeit habe ich darauf verzichtet, die Stabilität und Kontrollierbarkeit der Ursache zu prüfen (s. Ursachendimensionen nach Weiner, 1975), sondern habe lediglich als zusätzliche Einschätzung jede aus den Interviews gewonnene Zuschreibung in verfestigt (d) /nicht verfestigt (k) eingeteilt. Diese Dimension ergab sich aus den Antworten der befragten Probanden, die häufig bei ihrer Wortwahl Ausdrücke wie „immer“, „häufig“, „ständig“, „nie“ benutzten. Im Vergleich zu anderen Untersuchungen entspricht dies der Einteilung Stabilität vs. geringe Stabilität und /oder Globalität vs. Spezifik. Diese beiden Dimensionen wurden in dieser Arbeit also zusammengefasst.

Beispiel für eine verfestigte Ursachenzuschreibung: „und es war vor allen Dingen bei uns, dass wir so nie so miteinander reden konnten“ (Paar 3, w, 2, 27);
Beispiel für eine nicht verfestigte Zuschreibung: „Tja und ich war und hatte das Wochenende frei und sie war abgehauen“ (Paar 3, m, 4, 28).

Den Zielen dieser Arbeit angepasst erscheint diese Auswahl geeignet, die gesuchten Faktoren herausfiltern zu können und darauf aufbauend Strategien für einen Beratungsbaustein entwickeln zu können.

Zu beachten ist, dass externale Zuschreibungen nicht automatisch den Partner von jeder Schuld befreien, da je nach Kontext auch eine externale Zuschreibung in Wirklichkeit den Partner meinen kann. Beispiel: „Ja und überhaupt mit ihrer Therapiegruppe, das gefiel mir nicht“ (Paar 3, m, 4, 31).

Hier steht möglicherweise nicht die Therapiegruppe im Vordergrund, sondern das Bedürfnis der Frau, dorthin zu gehen. Ausgehend von dem Aspekt, dass das Individuum in den meisten Situationen selbst entscheidet, kann auch hier die Frau selbst entscheiden wo und wann sie hingeht. Natürlich ist dabei von Bedeutung, wie dringlich die Umstände an einer Therapie teilzunehmen eingeschätzt werden.
Generell beinhalten jedoch externale Attributionen weniger Verantwortungszuschreibungen an den Partner als internale Zuschreibungen.

Die Mehrzahl der Interviewten geben Gründe in allen Bereichen an. Dies ist auch insofern stimmig, da es beweist, dass auch die Interviewten, die sich als „Alltagspsychologen“ betätigen, verschiedene trennungsverursachende Bedingungen wahrnehmen und nicht monokausal argumentieren.

Beim Attributionsverhalten spielt es stets eine große Rolle, dass die Partner oft nur das Ergebnis des Verhaltens des anderen sehen, während sie den Entstehungsprozess ausblenden. „Die kausale Struktur der Umwelt, so wie sie der Wissenschaftler beschreibt, und wie sie die naive Person versteht, ist so, dass wir für gewöhnlich nur Kontakt haben zu dem, was wir Folgeereignisse oder Manifestationen von zu Grunde liegenden Kernprozessen oder Kernstrukturen nennen können.“ (Heider 1977, 100). Wenn z.B. der Mann ständig Alkohol trinkt und das zu permanenten Konflikten in der Ehe führt, so möchte die Frau in der Regel die zu Grunde liegende Ursache dieser Tatsache herausfinden, um so eine stabile Umwelt zu erreichen mit der Möglichkeit der Kontrolle: „Wenn das so weitergeht mit dem Alkohol, und ich krieg‘ den nicht auf die richtige Spur, kann nicht mit ihm reden da’drüber, ich glaub das ist schon Sucht. Dann bin ich weg“ (Paar 3, w, S. 2, 7). Die Frau will hier die unmittelbare Ursache des ständigen Konflikts interpretieren. Ist sie selbst, Zufall oder andere Personen - wie hier die vermutete Sucht - die Ursache? Der Schluss, dass eine Suchterkrankung Schuld ist, wird nicht als Interpretation erlebt, sondern schlägt sich als Realität nieder, auf die die Frau dann reagiert.

In der Gruppe der Getrennten dominieren Zuschreibungen an die Eigenschaften des Anderen (Persönlichkeit, Ängste, Humor), gefolgt von Zuschreibungen an die gestörte Paarinteraktion (Kommunikation, Sexualität, Zeitverteilung, Konfliktverhalten). Deutlich weniger finden Zuschreibungen an Außeneinflüsse (Berufs- und Wohnsituation, andere Personen) statt.

Zuschreibungen an die eigene Person (Persönlichkeit, Ängste, Humor) variieren je nachdem welchen Stellenwert die eigene Person in der Gesamtbeziehung hatte und wer die Trennung initiiert hat.
In Erinnerung an die vier Aspekte der Beziehung ergibt sich für die Gruppe der Getrennten hier folgende Rangfolge der Zuschreibungen:

* der Andere
* mangelhafte Paarinteraktion
* äußere Einflüsse
* ich

In der Gruppe der Konflikthaften existiert diese unbedingte Rangfolge nicht! Deren Zuschreibungsverhalten variiert - mit Schwerpunkt auf Zuschreibungen an eine gestörte Paarinteraktion:


„Du warst Schuld!“ Diese innere Haltung ist anhand der Interviewauswertungen in der Gruppe der Getrennten häufig erkennbar. Der Trennungsprozess, dem in der Regel ein längerer Ablösungsprozess vorausging – wie dies die meisten Befragten auch berichteten - ist dann vermutlich nicht mehr aufhaltbar bzw. umzukehren, wenn überwiegend dem anderen die Schuld an Handlungen - nicht an Situationen - zugeschrieben wird. Schuld im psychologischen Sinne kann nur in Verbindung mit Absicht betrachtet werden. Ein Vergleich der beiden Gruppen zeigt, dass in der Gruppe der Getrennten häufig einer der Partner sehr stark auf die Handlungen des anderen attribuierte. Gemeint ist hier also zunächst, dass die Handlungen des anderen als von ihm verursacht, nicht so sehr von ihm verschuldet angesehen werden. In ihren Äußerungen machen die Betroffenen jedoch häufig diesen Unterschied nicht.

In der Gruppe der Konflikthaften ist die Zuschreibung an den anderen nicht so häufig zu finden. Im Gegenteil: hier finden sogar konstruktive Zuschreibungen negativen Partnerverhaltens statt. Hier greift vermutlich die Anpassungsfunktion sozialer Kognitionen, wenn an der Partnerschaft noch festgehalten werden will. Gottman (1994) geht davon aus, dass die Interpretation dann umschlägt – manchmal sogar ins genaue Gegenteil – wenn der Vergleich zwischen angenehmen und unangenehmen Situationen während der gesamten Partnerschaft ins Wanken gerät. Dann kann es dazu kommen, dass die gesamte Beziehung als von Beginn an anders dargestellt wird. Zu diesem Ergebnis kam ich auch in meiner früheren Arbeit (2002) und nannte dies „Wechselattribution“: Eigenschaften, die zu Beginn der Beziehung als angenehm dargestellt wurden, wurden am Ende zu einer Belastung.

Nur in der Gruppe der Konflikthaften finden sich auch positive Äußerungen über den anderen!

Eine Reihenfolge der Zuschreibungen im Verlauf des Interviews (an den anderen, an sich selbst, an externale Bedingungen, an die gemeinsamen Interaktionen) oder eine Häufigkeit zu einem bestimmten Erzählzeitpunkt ist in der Gruppe der Getrennten nicht ersichtlich.

In der Gruppe der Konflikthaften ist auffällig, dass mit zunehmendem Erzählverlauf die Zuschreibungen an den anderen häufiger werden. So als würden sich die Betroffenen zunächst noch um eine gewisse Neutralität bemühen, die dann jedoch einbricht.

Dass die Frauen zum Konfliktfeld „Kommunikation“ stärker internal argumentieren, nimmt eine Sonderstellung im Rahmen der Ergebnisse ein. Bei den anderen genanten Konfliktfeldern verteilt sich das Zuschreibungsverhalten gleichmäßig.

Durch die Aussagen in den Interviews ist eine gewisse Rollenverfestigung zu erkennen. Bei Paar 2 beispielsweise kann man bei Simone die Rolle der Unterworfenen, Schwachen, sich selbst Anklagenden während des gesamten biografischen Interviews verfolgen, während bei Wolfgang eher die Rolle des Souveränen bestimmend ist.

Haben sich im Verlauf einer konflikthaften Beziehung bestimmte Rollen verfestigt (Führer/Geführte, Dominanter/Unterworfene, Aktive/Passiver etc.), stellt jedes weitere Verhalten, speziell jede weitere Kommunikation nach Watzlawick (1990) eine Verstärkung dar. Attributionstheoretisch lässt sich Rolle als das Ergebnis fortlaufender Zuschreibungen definieren oder nach Watzlawick als andauernde Interpunktion, die eine stabile Realität schafft. Für Watzlawick stellt eine Nicht-Übereinstimmung der Interpunktionen einen Hauptgrund für die Beziehungsstörung dar, da sich in diesen Fällen die gegenseitigen Rollenzuschreibungen nicht decken.

Beim Paar 2 möchte Simone die ihr von ihm zugeschriebene Rolle nicht akzeptieren: „Bekam also nicht das, was ich mir wünschte und er wollte nur, dass ich den Mund hielt“ (Paar 2, w, 7, 26).

Ein weiteres Ergebnis dieser Arbeit zeigt die Dominanz verfestigter Zuschreibungen in der Gruppe der Getrennten: „Das ist schon ein Punkt, wo ich gesagt habe, immer muss ich auf dich zugehen“ (Paar 1, w, S. 7, Z. 51). Hier wird auf scheinbar unveränderliche Verhaltensweisen attribuiert und beeinflusst die Frau vermutlich auch für die Zukunft keine bessere Prognose zu stellen.

In der Gruppe der Konflikthaften verteilen sich die Zuschreibungen zwischen „verfestigt“ und „nicht verfestigt“ zwar nicht gleichmäßig, der Überhang der verfestigten Zuschreibungen ist jedoch nicht so stark wie in der Vergleichsgruppe. Bewältigungsmechanismen nach gescheiterten Beziehungen können hier eine mögliche Erklärung sein, während in konflikthaften Beziehungen der Faktor der Belastung zum Ausdruck gebracht wird.
6. Ausblick

Das zentrale Ziel dieser Arbeit bestand darin, auffällige Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Ursachenzuschreibung bei konflikthaften und gescheiterten Paarbeziehungen basierend auf attributionstheoretischen Ansätzen aufzuzeigen.

Die Methode des qualitativen Interviews mit Nachfragteil hat sich bewährt, solche Attributionen hervorzulocken. Gerade diese offene Herangehensweise in Verbindung mit attributionstheoretischen Aspekten unterscheidet diese Arbeit von anderen Untersuchungen zu Attributionstheorien.
Obwohl durch die geringe Anzahl der Interviews je Gruppe nur ein kleiner Ausschnitt an Attributionen in konflikthaften und gescheiterten Partnerschaften gezeigt werden konnte, sind doch auffällige Übereinstimmungen und Unterschiede sichtbar geworden.

Die Untersuchung zeigt, dass Partner die Handlungen des anderen subjektiv interpretieren entsprechend ihrem individuellen Beziehungskonzept und der eigenen sowie gemeinsamen Lern- und Lebensgeschichte. Für beide gibt es keine objektive Wahrheit, sondern nur subjektive Wirklichkeiten. Ähnlich wie Eva Wunderer (2003) den Beginn einer Liebe durch „verzerrte Wahrnehmung“ erklärt: „der oder die Geliebte werden als einmalig und allen anderen als meilenweit überlegen erlebt, obgleich die Unterschiede zum Rest der Menschheit vielleicht gar nicht so groß sind“ (Wunderer 2003, 32), werden möglicherweise auch konflikthafte und gescheiterte Paarsituationen verzerrt wahrgenommen, was sich in entsprechenden Attributionen niederschlägt. Die Wahrnehmung weicht auch in diesen Fällen von der Realität in eine Richtung ab, die das gegenwärtige Empfinden in der Partnerschaft verstärkt.

Die Ergebnisse der Auswertung der Interviews lassen vermuten, dass konfliktbelastete Paare ungünstiger attribuieren: mehr individuelle Aspekte statt situativer Aspekte. Durch vermehrte Negativattributionen wird das negative Gefühl zum Partner aufrechterhalten. Gerade bei den Paaren, die konflikthaft zusammenleben und ihre Partnerschaft „retten“ wollen, bietet sich ein Re-attributionsverfahren an, was auf die Veränderung von Attributionen abzielt. Hier liegt die praktische Verwertbarkeit dieser Untersuchung (s. zusammenfassend Försterling 1985).
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Kerstin Zühlke-Kluthke
(M. A., Soziale Verhaltenswissenschaften)
Walbbauerstr. 6
D-58339 Breckerfeld
E-Mail: Öffnet ein Fenster zum Versenden einer

Lehrtätigkeit am Südwestfälischen Studieninstitut Hagen
Arbeitsschwerpunkte: Personalentwicklung und Konfliktberatung bei der Stadt Hagen

Manuskriptendfassung eingegangen am 22. Januar 20007.
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