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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Umgangskontakte: Wohl und Wille des Kindes

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Gast
New PostErstellt: 19.09.07, 11:27  Betreff: Umgangskontakte: Wohl und Wille des Kindes  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Kindler, Reinhold: Umgangskontakte: Wohl und Wille des Kindes FPR 2007 Heft 7-8 291-293
Umgangskontakte: Wohl und Wille des Kindes*

Diplom-Psychologe Dr. Heinz Kindler, München und Diplom-Psychologin Claudia Reinhold, Regensburg

Der Beitrag enthält eine Forschungsübersicht zu drei Punkten: 1. bekannten positiven Wirkungen von Umgangskontakten und ihren Bedingungen, 2. Fallgruppen, in denen mit einer erhöhten Anzahl von Ausnahmen von der Regelvermutung nach § 1626 III BGB gerechnet werden muss, und 3. Ursachen und Interventionschancen bei Fällen, in denen Kinder Umgangskontakte massiv ablehnen, ohne dass hierfür von außen ein nachvollziehbarer Grund erkennbar wäre.
I. Einleitung

Die Geschichte des Umgangsrechts zeigt beginnend mit dem Recht auf persönlichen Verkehr nach § 1635 im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich verschiedene juristische Entwicklungslinien, die mit dem Gesetz zur Änderung des Umgangsrechts von Bezugspersonen vom 23. 4. 2004 zu einem vorläufigen Abschluss gekommen sind. Ergebnis dieser Entwicklungslinien ist unter anderem die mehrfache ausdrückliche Verknüpfung von Umgang und Kindeswohl im Gesetz, so etwa bei der Formulierung einer Regelvermutung bezüglich der Kindeswohldienlichkeit von Umgangskontakten mit beiden Elternteilen (§ 1626 III BGB) und bei der Errichtung differenzierter, an eine Kindeswohlerfordernis bzw. Kindeswohlgefährdung gebundener Hürden bei unterschiedlich schwerwiegenden Eingriffen in das Umgangsrecht (§ 1684 IV BGB). Die Verknüpfung von Umgangsrecht und Kindeswohl ruft die Sozialwissenschaften auf den Plan, die sich herausgefordert fühlen, zur Grundorientierung der im Familienrecht Tätigen sowie zur Entscheidungsfindung im Einzelfall beizutragen. Allerdings steht der Wunsch, unterstützend tätig zu werden und die tatsächliche Wissensbasis nicht immer in Übereinstimmung. Bereits Coester1 warnte vor einer teilweise vorfindbaren Tendenz zur Selbstüberschätzung in den Sozialwissenschaften. Tatsächlich lässt ein historischer Blick, wie er kürzlich von Offe2 vorgelegt wurde, vermuten, dass Empfehlungen von Sachverständigen zur Ausgestaltung von Umgangskontakten nicht selten mit vom Zeitgeist abhängen. Daher stellt sich die Frage: Was haben die Sozialwissenschaften im Moment tatsächlich an gesichertem Hintergrundwissen zur einzelfallbezogenen Entscheidungsfindung beizutragen? Dieser Fragestellung gehen wir in unserer kurzen Übersichtsarbeit nach. Wir beginnen mit der Frage nach bekannten positiven Wirkungen von Umgangskontakten und ihren Bedingungen (s. unten II). In einem zweiten Schritt erörtern wir, bei welchen Fallgruppen im Familienrecht Tätige mit einer erhöhten Anzahl an Ausnahmen von der Regelvermutung rechnen sollten (s. unten III). Schließlich erörtern wir die Befundlage zu Fällen, in denen der geäußerte Kindeswille einem Umgangskontakt massiv entgegensteht, ohne dass hierfür aber ein von außen nachvollziehbarer Grund erkennbar wäre (s. unten IV).
II. Befundlage zu positiven Wirkungen von Umgang auf das Kindeswohl

Öffentlich geäußerte Erwartungen bezüglich der Wirkungen von Umgang reichen von der Einschätzung einer regelmäßig großen Bedeutung für das Wohl von Kindern bis hin zu tiefer Skepsis angesichts einer wahrgenommenen „Umgangseuphorie“3 in der Familiengerichtsbarkeit. Da sich dieses Meinungsspektrum auch in anderen Ländern findet, wurde international bereits in einer ganzen Reihe von Studien geprüft, inwieweit Kindern in der Regel messbare Vorteile aus Umgangskontakten erwachsen. Das Gesamtbild der vorliegenden Befunde zeigt nur einen geringen positiven Zusammenhang zwischen Umgangskontakten und den untersuchten Aspekten des Kindeswohls. Dies wurde beispielsweise in einer Meta-Analyse auf der Grundlage von 63 Studien4 sichtbar, zeigte sich aber auch in Längsschnittstudien mit unterschiedlichen Laufzeiten5 sowie über das gesamte Spektrum möglicher Kontaktformen hinweg6. Weitgehend übereinstimmend konnten für die bislang untersuchten Indikatoren des Kindeswohls (z.B. Befindlichkeit, Verhaltensauffälligkeit, schulische Entwicklung7 und Entwicklung von Selbstvertrauen8) im Mittel nur schwach positive Effekte ermittelt werden. Hinzu kommt, dass die beobachteten statistischen Effekte nicht ausschließlich tatsächliche Wirkungen von Umgangskontakten widerspiegeln, sondern auch Selektionseffekte9, das heißt in manchen Fällen trägt weniger der Umgang zu einem positiven Entwicklungsverlauf beim Kind bei, vielmehr begünstigt der positive Entwicklungsverlauf beim Kind einen stabilen Umgangskontakt.

Angesichts dieser Befundlage gibt es wenig Anlass für die Haltung, Umgang müsse auf Grund seiner Bedeutung für das Kindeswohl unter nahezu allen Umständen durchgesetzt werden. Stattdessen scheint es zwar Fälle zu geben, in denen Kinder von Umgangskontakten profitieren, während dies in anderen Fällen kaum zu beobachten ist oder sogar Belastungen des Kindes verstärkt werden.

Das Bild klärt sich daher, wenn gezielt Umstände betrachtet werden, unter denen deutlich positive Einflüsse von Umgangskontakten auf verschiedene Kindeswohlindikatoren nachgewiesen werden können. Tatsächlich konnten günstige Effekte etwa für den Fall einer positiven Qualität des Kontaktes zwischen Kind und umgangsberechtigten Elternteil belegt werden, ebenso für eine insgesamt verantwortungsbewusste Erziehungshaltung des umgangsberechtigten Elternteils. Amato und Gilbreth10 zeigten dies für die Bereiche der Verhaltensanpassung und Befindlichkeit des Kindes sowie der schulischen Entwicklung, Barber11 für das kindliche Selbstvertrauen. Eher ungünstige Zusammenhänge zwischen Umgangskontakten und kindlichem Wohlbefinden wurden hingegen für ein anhaltend hohes elterliches Konfliktniveau gefunden12. Gelingt es Eltern über längere Zeit nicht, ihre wechselseitigen Konflikte nach der Trennung zu begrenzen, werden Umgangskontakte für die Kinder vielfach zur Belastung. In der Forschung zeigt sich dies beispielsweise in so genannten Interaktionseffekten, bei denen je nach Konfliktniveau unterschiedliche, positive oder negative Auswirkungen von einigermaßen häufigen Umgangskontakten nachgewiesen werden. Kindliche Verhaltensauffälligkeiten ließen bei Umgangskontakten und niedrigem Konfliktniveau der Eltern nach, stiegen aber umgekehrt bei Umgangskontakten und hohem Konfliktniveau der Eltern an13.

Zusammengefasst widerspricht die Befundlage nicht der Annahme des Gesetzgebers, wonach Umgangskontakte in der Regel dem Kindeswohl dienen, zeigt aber, dass diese Annahme unterspezifiziert ist und daher zu Missverständnissen einlädt. Soweit wir wissen, scheinen Umgangskontakte dem Kindeswohl vor allem dann regelhaft zu dienen, wenn ein insgesamt positiver Kontakt zum Kind aufgebaut werden kann, der umgangsberechtigte Elternteil sich verantwortungsbewusst verhält und Konflikte der Eltern begrenzt werden können14.
III. Gehäuft auftretende Ausnahmen von der Regelvermutung in bestimmten Fallgruppen

Regel-Ausnahme-Verhältnisse sind in vielen Professionen eine ständige fachliche Herausforderung, gilt es doch in diesen Fällen eingespielte und ansonsten meist richtige Wahrnehmungs- und Handlungsroutinen zu hinterfragen und beispielsweise die Situation eines Kindes sehr viel genauer zu beleuchten. Für Praktiker ist es daher wichtig zu wissen, in welchen Fallgruppen sie mit einer erhöhten Anzahl an Ausnahmen von einer ansonsten gültigen Regelvermutung rechnen sollten. Soweit bekannt, ist dies im Bereich strittiger Umgangsfälle bei mindestens zwei Gruppen von Kindern der Fall:

-

bei Kindern, die nach einer manifesten Kindeswohlgefährdung fremduntergebracht werden mussten, und
-

bei Kindern, die massive Gewalt zwischen den Eltern miterleben mussten.

Bezüglich beider Fallgruppen gibt es mehrere Gründe, um mit einer deutlich erhöhten Anzahl an Ausnahmen von der Regelvermutung nach § 1626 III BGB zu rechnen.

Ein erster solcher Grund besteht darin, dass Kinder nach massiver Partnerschaftsgewalt bzw. nach einer Kindeswohlgefährdung zu einem erheblichen Anteil psychisch belastet erscheinen. Dies zeigt sich beispielsweise in deutlich erhöhten Raten zumindest zeitweise an klinisch auffälligen Kindern. Nach wiederholter Partnerschaftsgewalt liegt diese Rate im Mittel der vorliegenden Studien bei 30% bis 40%15, nach schwerwiegender Kindeswohlgefährdung auch noch nach Jahren bei 60% bis 80%16. Ein Teil der Kinder (nach Kindeswohlgefährdung etwa ein Drittel17) zeigt Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung, bei der verstärkte Symptome durch Umgangskontakte getriggert, also erneut und verstärkt ausgelöst werden können.

Als zweiter Grund lässt sich der Schutzanspruch betroffener Kinder vor neuerlichen Gewalterfahrungen anführen. Kinder „gewöhnen“ sich nicht an Gewalt. Im Gegenteil wurden bei Kindern, die in der Wirklichkeit bereits Gewalt (mit-)erlebt hatten, intensivere Alarm- und Belastungsreaktion auf simulierte milde Bedrohungssituationen gefunden18. Fortgesetzte Gewalt oder eine anhaltende Gewaltdrohung können daher die Erholung und Entwicklung betroffener Kinder nachhaltig untergraben. Vor allem nach schweren Formen von Partnerschaftsgewalt in der Vorgeschichte kommt es bei einer substanziellen Minderheit der Fälle zu einer Fortsetzung der Gewalt über den Trennungszeitpunkt hinaus19. Nach Kindesmisshandlung werden allerdings auf Grund einer hier bereits sehr verbreiteten Vorsicht der Gerichte nur mehr in Einzelfällen weitere Kindeswohlgefährdungen beim Umgang bekannt.

Schließlich erfordert die Beziehungssituation mancher Kinder nach Gewaltvorfällen ein Abgehen von dem ansonsten höchst sinnvollen Prinzip, Kindern nach Trennungen möglichst eine Aufrechterhaltung all ihrer Bindungsbeziehungen zu ermöglichen. Es lässt sich nämlich zeigen, dass es einem Teil misshandelter oder vernachlässigter Pflegekinder sehr schwer fällt, sich auf neue Bindungsbeziehungen einzulassen20. Nach Partnerschaftsgewalt ist die Situation häufig so, dass zunächst die Bindungsbeziehungen zu beiden Elternteilen desorganisiert sind, da aus Sicht des Kindes in diesen sehr belastenden Situationen weder der Gewalt ausübende noch der Gewalt erleidende Elternteil auf das Kind eingehen konnten21. Hält nun der Umgang ein hohes Maß an Unruhe und Belastung beim Kind und seinen hauptsächlichen Betreuungspersonen aufrecht, so kann es sein, dass sich die guten Absichten der Rechtsprechung ins Gegenteil verkehren und das Kind im Endeffekt ohne wenigstens eine emotional sichere Bindung verbleibt. In solchen Fällen kann es erforderlich sein, zumindest zeitweise eine klare Prioritätensetzung zu Gunsten der Stabilisierung der Beziehung des Kindes zur Hauptbetreuungsperson vorzunehmen.

Der Hinweis auf Fallgruppen mit einer erwartbar höheren Anzahl an Ausnahmen von der Regelvermutung nach § 1626 III BGB bedeutet keinesfalls, dass wir für diese Gruppen eine Abkehr von der Einzelfallprüfung propagieren und für einen regelhaften Ausschluss von Umgangskontakten plädieren würden. Aber es erscheint uns erforderlich, in diesen Fällen, zusätzlich zu den bereits etablierten Entscheidungskriterien, auch die gewaltbedingte Belastung des Kindes, das Risiko erneuter Gewaltvorfälle und die Beziehungssituation des Kindes insgesamt zu erheben. Für jeden dieser Bereiche liegen im Prinzip Instrumente und Erfahrungen vor22, sie müssen nur eingesetzt werden.
IV. Ablehnender Kindeswille, Umgang und Kindeswohl

Fachdiskussionen über den möglichen Nutzen bzw. Schaden von Umgangskontakten konzentrieren sich noch auf eine weitere Gruppe von Kindern, nämlich Kinder, die den Kontakt zum umgangssuchenden Elternteil ohne von außen nachvollziehbare Erfahrungsgrundlage massiv ablehnen. In der Praxis stellt die vehemente Ablehnung von Kontakten durch ein betroffenes Kind einen der häufigsten Gründe für gutachterlich empfohlene Einschränkungen bzw. Ausschlüsse von Umgangskontakten dar23. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder, so neutral wie möglich, über die aktuelle Befundgrundlage zu dieser Fallgruppe zur informieren. Dabei ist festzustellen, dass zur Entstehungsgeschichte von massiven Umgangsverweigerungen eine erstaunliche Anzahl an Modellvorstellungen24 vorliegt. Der Eifer bei der empirischen Überprüfung war demgegenüber geringer ausgeprägt, so dass systematische Untersuchungen, die über Einzelfallberichte hinausgehen, nach wie vor weitgehend fehlen. Die vorhandenen empirischen Hinweise deuten auf wechselnde Konstellationen mehrerer Ursachen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung kindlicher Umgangsverweigerung hin25. So scheint die Beeinflussung durch den hauptsächlich betreuenden Elternteil eine mögliche, aber nicht die einzige mögliche Ursache für Umgangsverweigerung zu sein. In anderen Fällen bildet sich auf der Grundlage eher gering ausgeprägter Kontaktfähigkeiten des umgangssuchenden Elternteils eine Spirale von Ablehnung und Gegenablehnung zwischen Kind und umgangssuchenden Elternteil heraus. Schließlich scheint bei manchen Kindern, meist nach mehreren Jahren elterlicher Auseinandersetzung vor Gericht, einfach die Bereitschaft und Fähigkeit, weiter in diesem Spannungsfeld zu leben, erschöpft. Die Kinder entscheiden sich, meist nach vielen Jahren der Vermittlungsversuche und der ausgehaltenen Loyalitätskonflikte, diese Belastung nicht mehr auf sich zu nehmen.

Liegt der Umgangsverweigerung eine Beeinflussung durch den hauptsächlich betreuenden Elternteil zu Grunde, so scheint dies interessanterweise häufig negativ auf die Beziehungsqualität zum hauptsächlich betreuenden Elternteil zurückzuschlagen, so dass das nach außen präsentierte Bild einer engen und positiven Beziehung bei näherer Betrachtung vielfach keine Bestätigung findet26. In Einzelfällen kommt es sogar zu einem Abgleiten in psychopathologisch bedeutsame Beziehungsmuster27.

Über Zusammenhänge zwischen Umgangsverweigerung und langfristigen Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit betroffener Kinder bzw. ihrer Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung begegnen den im Familienrecht Tätigen immer wieder „starke“ Aussagen, beispielsweise im Hinblick auf erwartbar eintretende Schädigungen. Obwohl nicht völlig unplausibel, handelt es sich hier doch weitgehend um bloße Behauptungen, da systematische Untersuchungen noch fehlen. Zumindest in den Informationen, die Sachverständige an Gerichte übermitteln, sollte dies auch klar erkennbar sein. Ebenso unbefriedigend ist die Befundlage noch im Hinblick auf die Stabilität kindlicher Umgangsverweigerung. Wallerstein, Lewis und Blakeslee28 fanden in ihrer Längsschnittuntersuchung Hinweise darauf, dass eine einmal ausgebildete Umgangsverweigerung oft mehrere Jahre stabil blieb. Auch führten in dieser Studie gerichtlich durchgesetzte Umgangskontakte langfristig eher nicht zu einer positiven Beziehung zwischen Kind und umgangsberechtigtem Elternteil.

Trotzdem besteht kein Anlass zu übertriebenem Pessimismus im Hinblick auf gerichtliche Einwirkungsmöglichkeiten. Zumindest im Hinblick auf das Instrument des begleiteten Umgangs liegen mittlerweile mindestens zwei Längsschnittstudien vor. Eine aus der Schweiz stammende Studie29 zeigt, dass begleitete Umgangskontakte nicht in der Mehrzahl der Fälle, aber doch bei einem substanziellen Anteil von betroffenen Kindern rückblickend positiv bewertet werden und zu einer Kontaktstabilisierung führen. In einer deutschen Untersuchung30 erwies sich Kontaktverweigerung zwar als prognostisch ungünstiger Faktor für eine beobachtbar positive Beziehungsentwicklung zwischen Kind und besuchsberechtigten Eltern. Vor allem, wenn dieser Elternteil aber feinfühlig auf das Kind eingehen konnte, gab es auch mehrfach positive Ausnahmen. Als besonders ungünstig erwies es sich hingegen, wenn beim begleiteten Umgang ein emotional belastetes Kind mit einem wenig feinfühligen Elternteil zusammentraf. Deshalb erscheint es uns sehr wichtig, besuchsberechtigte Elternteile mehr noch als bisher bei der Kontaktgestaltung zu unterstützen.

In der Summe spricht die Befundlage aus unserer Sicht bislang für drei Schlussfolgerungen:

  1. In Fällen einer Umgangsverweigerung ohne von außen nachvollziehbaren Grund hängt viel davon ab, dass Gerichte und von ihnen beauftragte Sachverständige mit offenem Blick verschiedene mögliche Ursachen prüfen.

  2. Ein Experimentieren mit verschiedenen Interventionen ist für einen beschränken Zeitraum sinnvoll.

  3. Zwar benötigen Gerichte von Jugendämtern bzw. Sachverständigen in der Regel klare Empfehlungen; übermäßig entschiedene Positionsnahmen durch psychosoziale Fachkräfte sollten aber eher Skepsis, zumindest allerdings Nachfragen auslösen.

Angesichts der vielen in diesem Bereich vorhandenen Wissenslücken, die die Lösungsfindung im Einzelfall erschweren, ist es im Übrigen noch eine gute Nachricht, dass sich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entschlossen hat, im Rahmen eines gemeinsam vom Deutschen Jugendinstitut, dem Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung und der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung getragenen Projekts in den nächsten Jahren Möglichkeiten wirksamer Intervention bei Hochstrittigkeit näher zu untersuchen.

*Der Autor Kindler ist wiss. Referent am Deutschen Jugendinstitut in München sowie psychologischer Sachverständiger in Regensburg; die Autorin Reinhold ist Dipl.-Psych. in Regensburg.

1Das Kindeswohl als Rechtsbegriff, 1983, S. 422.

2Warum eigentlich Umgang?, in: Fabian/Nowarra, Neue Wege und Konzepte in der Rechtspsychologie, 2006, S. 105 bis 118.

3Salgo, Häusliche Gewalt und Umgang, in: Fegert/Ziegenhain, Hilfen für Alleinerziehende, S. 108 bis 124.

4Amato/Gilbreth, Journal of Marriage and the Family 1999, 557.

5Z.B. Kline/Johnston/Tschann, Journal of Marriage and the Family 1991, 297; Isaacs, Family Process 1988, 251; Hetherington, Journal of Family Psychology 1993, 39.

6Z.B. White/Gilbreth, Journal of Marriage and the Family 2001, 155; Pruett/Silliams/Insabella/Little, Journal of Family Psycholoy 2003, 169; Furstenberg/Morgan/Allison, American Sociological Review 1987, 695.

7Amato/Gilbreth, Journal of Marriage and the Family 1999, 557.

8Z.B. Healy/Malley/Stewart, American Journal of Orthopsychiatry 1990, 531; Pagani-Kurtz/Derevensky, Journal of Divorce and Remarriage 1997, 43.

9Z.B. Wolchik/Fenaughty/Braver, Family Relations 1996, 171; Greif, Out of touch: When parents and children lose contact after divorce, 1997.

10Journal of Marriage and the Family 1999, 557.

11Family Relations 1994, 433.

12Z.B. Erel/Burman, Psychological Bulletin 1995, 108.

13Amato/Rezac, Journal of Family Issues 1994, 191; für eine Übersicht s. Amato/Sobolewski, The Effects of Divorce on Fathers and Children: Nonresidential Fathers and Stepfathers, in: Lamb, The Role of the Father in Child Development, 4th Ed. 2004, S. 341 bis 367.

14Friedrich/Reinhold/Kindler, (Begleiteter) Umgang und Kindeswohl: Eine Forschungsübersicht, in: Klinkhammer/Klotmann/Prinz, Hdb. Begleiteter Umgang, 2004, S. 13 bis 39.

15Für eine Forschungsübersicht s. Kindler, Partnergewalt und Beeinträchtigungen kindlicher Entwicklung, in: Kavemann/Kreyssig, Hdb. Kinder und häusliche Gewalt, 2006, S. 36 bis 53.

16Z.B. Silverman/Reinherz/Giaconia, Child Abuse & Neglect 1996, 709.

17Z.B. Widom, American Journal of Psychiatry 1999, 1223.

18Z.B. Martin/Clements, Journal of Child and Family Studies 2002, 231; Dejonghe/Bogat/Levendosky, Infant Mental Health Journal 2005, 268.

19Z.B. Schröttle/Müller/Glammeier, Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, 2004, S. 292ff.

20Für Forschungsübersichten s. Kindler, Das Jugendamt 2005, 541; Taplin, Is all contact between children in care and their birth parents good contact? 2005.

21Z.B. Zeanah/Danis/Hirshberg/Benoit/Miller/Heller, Infant Mental Health Journal 1999, 77.

22Kindler/Lillig/Blüml/Meysen/Werner, Hdb. Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB, 2006, S. 440 bis 453; Laing, Risk Assessment in Domestic Violence, 2004.

23Karle/Klosinski, Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 1999, 163.

24Z.B. Kodjoe/Koeppel, KindPrax 1998, 138; Jopt/Berend, Zentralblatt für Jugendrecht 2000a, 223; Johnston, Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 2007, 215.

25Wolchik/Fenaughty/Braver, Family Relations 1996, 171; Kindler/Schwabe-Höllein, KindPrax 2002, 10; Johnston, Journal of the American Academy of Psychiatry & the Law 2003, 158.

26Kindler/Schwabe-Höllein, KindPrax 2002, 10; Fabricius, Family Relations 2003, 385.

27Johnston/Roseby, In the Name of the Child. A Developmental Approach to Understanding and Helping Children of Conflicted and Violent Divorce, 1997; Fegert, KindPrax 2001, 39.

28The unexpected legacy of divorce: A 25 year landmark study, 2000; Wallerstein/Lewis, FamRZ 2001, 65.

29Gassmann, Das begleitete Besuchsrecht für Väter - eine Nachuntersuchung, 2000.

30Reinhold, Beobachtung von begleiteten Umgangskontakten: Zusammenhänge zu Indikation und Beratung, 2004.
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