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Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen
Staatsterror durch staatliche Eingriffe in das Familienleben
Verletzung von Menschenrechten, Kinderrechten, Bürgerrechten durch Entscheiden und Handeln staatlicher Behörden im familienrechtlichen Bereich, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Familienhilfe unter anderem mit den Spezialgebieten Jugendamtsversagen und Jugendamtsterror
Fokus auf die innerdeutsche Situation, sowie auf Erfahrungen und Beobachtungen in Fällen internationaler Kindesentführung und grenzüberschreitender Sorgerechts- und Umgangsrechtskonflikten
Fokus auf andere Länder, andere Sitten, andere Situtationen
Fokus auf internationale Vergleiche bei Kompetenzen und Funktionalitäten von juristischen, sozialen und administrativen Behörden

"Spurensuche nach Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen"
ist ein in assoziiertes Projekt zur
angewandten Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung
"Systemkritik: Deutsche Justizverbrechen"
http://www.systemkritik.de/

 
Suchterkrankungen

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Gast
New PostErstellt: 21.04.07, 03:40  Betreff: Suchterkrankungen  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  


FPR 2003 Heft 06 312 -315

Suchterkrankungen*

Professor Dr. Horst Berzewski, Berlin

Den Kindern und Familien Alkoholkranker wird in der Forschung zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Kinder alkoholkranker Patienten tragen ein hohes Risiko, schwere Verhaltenstörungen und zum Teil später selbst eine Abhängigkeitsproblematik zu entwickeln. Sie sind in höherem Maß Vernachlässigung, Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Die Kenntnis der einzelnen Stadien einer Suchtentwicklung ist deshalb wichtig, um realitätsgerechte Entscheidungen zum Wohle des Kindes fällen zu können. Missbrauch und Abhängigkeit von Substanzen werden von den Eltern oft bagatellisiert, wenn nicht gar geleugnet, und von Therapeuten nicht systematisch geklärt.

Eine Frühintervention verbessert die Prognose für das Kind wie auch für den Abhängigen.

Die Hinzuziehung eines Suchtexperten kann für die abgestuften Möglichkeiten eines Sorgerechtseingriffs nützlich sein.

I. Einleitung

Nach der Klassifikation der WHO im internationalen Diagnosenschlüssel ICD-10 werden neun verschiedene Ursachen einer möglichen Suchtentwicklung abgegrenzt: Alkohol, Opioide, Cannabinoide, Sedativa und/oder Hypnotika, Kokain, Stimulanzien, Halluzinogene, Tabak und flüchtige Lösungsmittel1. Die einzelnen Gruppen unterscheiden sich durch ihre körperlichen und psychischen Symptome, die bei Gebrauch der Substanzen auftreten. Sie führen in unterschiedlicher Intensität zu psychischer und/oder körperlicher Abhängigkeit und zu Störungen im psychosozialen Bereich. Sie bedürfen substanzspezifischer Behandlungen.

Für den von den Herausgebern vorgesehenen Schwerpunkt § 1666 BGB - Sorgerechtsentzug - sind die ersten beiden Abhängigkeit verursachenden Substanzen relevant.

II. Alkohol

Es kann davon ausgegangen werden, dass in der Bundesrepublik Deutschland 9,1 Millionen Menschen ein behandlungs- oder beratungsbedürftiges Alkoholproblem haben. Davon leiden 1,8 Millionen an einer Alkoholabhängigkeit, 2,3 Millionen treiben schädlichen Gebrauch und 5 Millionen einen riskanten Konsum (WHO-Grenzwerte: Frauen: 20 g reinen Alkohol/Tag; Männer: 40 g Alkohol/Tag)2. Die Folgen sind dramatisch: Rund 42000 sterben jährlich an einer alkoholbedingten Erkrankung oder alkoholbedingten Unfällen. 1999 starben 1000 Menschen an Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluss, 37000 wurden verletzt, davon 12000 schwer. Unter Alkoholeinfluss kam es zu 96000 Straftaten mit gefährlicher oder schwerer Körperverletzung, zu 6000 Vergewaltigungen oder sexuellen Nötigungen und zu 2000 Tötungsdelikten3. Dabei ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Neben den körperlichen Folgekrankheiten, denen in der Regel ein jahrzehntelanger Alkoholmissbrauch vorangegangen ist, treten deutlich früher nichtmedizinische Folgeschäden auf. Es sind dies4: a) Suizidalität, b) Schädigungen der Familie, c) Schädigungen der beruflichen Situation, d) Beeinträchtigungen der Verkehrstüchtigkeit und e) Kriminalität. Die Familie - und hier insbesondere die Kinder - ist von den Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs zuerst und frühzeitig betroffen.

Alkoholmissbrauch kommt in allen sozialen Schichten vor. Je höher die soziale Schicht, aus der ein Alkoholiker kommt, umso größer sind seine Möglichkeiten, seinen Abusus und hiermit zusammenhängende dissoziale Verhaltensweisen zu verheimlichen. Die Menschen - und auch Ärzte - stellen sich nicht selten unter einem typischen Alkoholiker Primitive ohne qualifizierten Beruf mit schlechter sozialer Anpassung, Depravation und häufiger schwerer Trunkenheit in der Öffentlichkeit vor. Dies ist einer der Gründe, weshalb bei äußerlich geordnet wirkenden Familien nicht gezielt nach einer Alkoholabhängigkeit geforscht wird, wenn verhaltensauffällige oder somatisch gestörte Kinder einem Arzt oder einem Psychologen vorgestellt werden. Der Anlass einer Konsultation sind vielfältige psychosomatische oder psychische Störungen, die sich bei Kindern in Alkoholikerfamilien manifestieren: Kopfschmerzen, funktionelle Magen-Darmbeschwerden, Schlafstörungen, Asthma, Einnässen und/oder Einkoten. Im psychischen Bereich finden sich kognitive Defizite, Koordinations- und Wahrnehmungsstörungen, Ängste, depressive Verstimmungen, Selbstunsicherheit und Kontaktstörungen.

Der Alkoholabhängige durchläuft im Laufe von Jahren verschiedene Phasen, die zu unterschiedlichen Gefährdungen der Kinder führen können5. In der Prodromalphase ist die Einstellung der Familie zum Alkoholiker noch ambivalent: Jeweils in Phasen der Trunkenheit kann es zu Gewalttätigkeiten ohne oder aus nichtigem Anlass kommen. Die Fehlverhaltensweisen werden gegenüber der Öffentlichkeit vom Partner gedeckt oder verharmlost. Familienangehörige können durch dieses Verhalten dazu beitragen, den Alkoholismus des Betroffenen aufrechtzuerhalten. Für Verhaltensstörungen von Kindern werden dem Untersucher andere Erklärungen angeboten; der Missbrauch wird in der Regel verschwiegen. In der kritischen Phase wird der Alkoholabhängige zunehmend egozentrisch, schnell verstimmt und reizbar. Die emotionale Zuwendung zu Bezugspersonen reduziert sich. Freundschaften werden aufgegeben. Es entwickeln sich manifeste Spannungen in der Familie. Es werden erste Schritte unternommen, um die Familie zu retten: Einschaltung von Beratungsstellen oder Hausärzten. Es kommt zu einem Rollenwechsel in der Familie: wichtige Funktionen werden von anderen Familienmitgliedern übernommen. Die Entwicklung seiner Kinder wird von dem Betroffenen gleichgültig, uninteressiert und belastend verfolgt. Erste Zeichen allgemeiner und emotionaler Vernachlässigung der Kinder sind die Folge. Schläge und andere Misshandlungen an den Kindern nehmen zu. In dieser Phase wird therapeutisch oft der Alkoholmissbrauch durch die Untersucher in den Mittelpunkt der Therapie gestellt. Anamnesen über die Umgangsformen mit den eigenen Kindern und über Hinweise auf eine mögliche Vernachlässigung werden oft nicht hinterfragt. In der chronischen Phase trinkt der Alkoholiker über den ganzen Tag, Räusche dauern mehrere Tage. Es beginnt ein Abbau ethischer und moralischer Wertmaßstäbe6. Gedächtnisstörungen und Ängste nehmen zu. Bei dem Versuch, Alkohol abzusetzen, treten Entzugserscheinungen auf. Zuvor bestehende Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern nehmen an Intensität und Umfang zu. Besonders alleinerziehende Mütter vernachlässigen ihre Kinder in diesem Stadium grob: Verschmutzung, Unterernährung bis hin zu lebensgefährlichen Mangelzuständen sowie Entwicklungsrückständen sind vor allem kleinere Kinder ausgesetzt.

Die Kenntnis der verschiedenen Phasen einer Suchtentwicklung ist eine wichtige Entscheidungshilfe, um therapeutische Interventionen, Hilfs- und Schutzmaßnahmen des Kindes nach § 42 KJHG oder familiengerichtliche Entscheidungen nach § 1666 BGB zu treffen. Misshandlungen, Ablehnung und Vernachlässigung implizieren schwerwiegende Beziehungsprobleme zwischen Eltern und Kindern. In der Prodomalphase steht in den meisten Fällen die akute Krisenintervention im Mittelpunkt, zumal das familiäre Beziehungssystem noch nicht tief greifend und irreversibel gestört sein muss. Zum Schutz des Kindes reichen hier eine Klinikeinweisung des Kindes auf freiwilliger Basis oder Inobhutnahme durch das Jugendamt nach § 42 KJHG aus7. Die Trennung des Kindes dient seinem Schutz, der Diagnostik und der Verhaltensbeobachtung, um spätere mittel- oder langfristige Therapien einzuleiten. Für die Eltern sollen eine Entlastung und Stabilisierung erreicht werden. In Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen, Sozialpädagogen und Lehrern muss ein familienorientierter Behandlungsplan entwickelt werden, um die aggressiven oder ablehnenden Verhaltensmuster eines oder beider Elternteile abzubauen. Eine wesentliche (Mit-)Ursache - der Alkoholmissbrauch - wird in dieser Situation geleugnet und bagatellisiert. Im Sinne eines Verleugnens oder stillschweigenden Einverständnisses oder mangels ausreichender Suchterfahrung tragen auch Therapeuten dazu bei, dass das Ausmaß der Sucht und seine Auswirkungen auf das Familienmilieu nicht geklärt werden. Die Klärung der Behandlungsmotivation in dieser Phase bedarf großer Erfahrung. Bei Verdacht auf Vorliegen einer Abhängigkeit sollte deshalb immer ein Suchtexperte hinzugezogen werden. In dieser Phase der Abhängigkeit können nach einer Bestandsaufnahme von Belastungen und emotionalen Störungen in der Familie in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und einer suchtspezifischen Therapie Behandlungen noch ambulant durchgeführt werden, mit denen es gelingen kann, aggressive Impulse zu reduzieren, Schuldgefühle abzubauen und eine tragfähige Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Die Therapie erfordert personalintensive und engmaschige Betreuung. Sie scheitert nicht selten an mangelnden qualifizierten therapeutischen Angeboten. Entscheidend für den Erfolg ist eine ausreichende Behandlungsmotivation des Alkoholikers, die immer wieder hinterfragt werden muss. Die Erstellung eines Hilfsplans „zum Wohle des jungen Menschen“ ist durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz zwingend vorgeschrieben8.

Befindet sich der Alkoholkonsument in der kritischen Phase, so ist während der akuten Krisenintervention grundsätzlich eine stationäre Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung anzustreben, da eine spontane Einsicht und Abstinenz nicht zu erwarten sind. Wegen der Gefahr von Komplikationen durch ein Entzugssyndrom, epileptischer Anfälle ist eine stationäre Entgiftung unverzichtbar. Wegen stärkerer Persönlichkeitsveränderungen in Form von Minderung der Kritik- und Urteilsfähigkeit, egozentrischen Verhaltensmustern, abrupten Erregungszuständen und aggressiven Durchbrüchen ist oft ein kooperatives Verhalten in den Gesprächen mit allen Familienmitgliedern nicht zu erreichen. Wegen einer Gefährdung des Kindeswohls werden Eingriffe in die elterliche Sorge durch das Familiengericht nach § 1666 BGB erforderlich sein, da als Folge der oft schon jahrelang bestehenden zerrütteten Familienbeziehungen schwerwiegende emotionale und soziale Entwicklungsverzögerungen, Bindungsstörungen, Wachstumsverzögerungen, Furchtsamkeit und Übervorsichtigkeit bei dem Kind festzustellen sind9. Zu prüfen und zu entscheiden sind Umgangs- und Sorgerecht, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Zuführung einer Heilbehandlung. Neben dem Kinder- und Jugendpsychiater ist die Hinzuziehung eines Suchtspezialisten unverzichtbar. Er dient dem Familienrichter als Hilfe zur Beurteilung der Persönlichkeit des Abhängigen, der erforderlichen Behandlungen und der Kontrollmöglichkeiten. Kontrollen sind erforderlich, um im Rahmen langfristiger Therapien die Behandlung von Entwicklungsproblemen des Kindes, mögliche psychosomatische Symptome und die Schulung der Eltern in der Wahrnehmung ihres Kindes sicherzustellen10.

In der chronischen Phase ist die Persönlichkeit meist alkoholtoxisch irreversibel verändert, die sozialen Beziehungen sind zerbrochen und es bestehen regelhaft kognitive Defizite. Langfristige Therapien der Familie versprechen hier wenig Erfolg. Die vielfältigen psychopathologischen und psychosozialen Auffälligkeiten können nur angegangen werden, wenn sich das Kind frei von dem Einfluss des oder der Alkoholkranken entwickeln kann. Die Unterbringung in einer Pflegefamilie mit unterstützender ambulanter Psychotherapie, die Aufnahme bei Verwandten mit intakter Familie oder bei schweren Störungen in ein heilpädagogisches Heim sind hier die Behandlungen der Wahl.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass das Behandlungsangebot stark abhängig ist von der Lebenssituation des Kindes, den wechselhaften Umstrukturierungs-, Anpassungs- und Abwehrprozessen des Ehepartners und der Kinder sowie von der wechselvollen Verlaufsgeschichte der Alkoholkrankheit. Vorrangiges therapeutisches Ziel ist die Beendigung der Einwirkungen von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch. Eine Häufung von Patienten mit Alkoholproblemen mit Persönlichkeitsstörungen ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt11. Die Behandlungsergebnisse sind bei Patienten mit einer dependenten Persönlichkeitsstörung vergleichsweise günstig, während Alkoholkranke mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung eine besonders ungünstige Prognose haben12.

III. Alkoholembryopathie (Embryo Fetopathia Alcoholica = EFA)

Das Risiko von Frauen, die während der Schwangerschaft Alkohol trinken, ein EFA-geschädigtes Kind zur Welt zu bringen, liegt zwischen 32% und 43% und ist abhängig von der getrunkenen Alkoholmenge und der Chronifizierung des Missbrauchs13. Das EFA ist die häufigste Ursache für eine geistige Retardierung. Selbst wenn keine EFA vorlag, lassen sich bei 33% der während der Schwangerschaft Alkohol trinkenden Frauen psychische, neurologische und soziale Entwicklungsstörungen nachweisen14. Die Prävalenz schwankt je nach Land und Größe der Stichprobe zwischen 1:200 und 1:1000 Lebendgeburten. Die Kosten einer lebenslangen Betreuung eines EFA-Kindes wurden in den USA 1989 auf 1,4 Mill. Dollar geschätzt15.

Für die Diagnose einer EFA müssen drei Kriterien erfüllt sein: 1. Minderwuchs in der pränatalen Phase, 2. ein Muster spezifischer kleinerer Anomalien im Gesicht: kurze Lidspalten, Hypoplasie im Mittelgesicht, schmales Lippenrot, Fehlstellungen der Zähne, Anomalien der Handfurchen u.a. und 3. Fehlfunktion des Zentralnervensystems mit Mikrozephalie, Entwicklungsretardierung, Intelligenzmangel, Lernschwäche, Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität, epileptische Anfälle u.a.16. Die Diagnose einer EFA bedarf besonderer Erfahrungen von Genetikern und Pädiatern. Viele Ärzte sind für die Diagnostik vor allem leichterer Formen unzureichend ausgebildet, so dass die Störungen nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden, zumal in späteren Jahren die äußeren Merkmale sich verwischen können. Die Messungen des Intelligenzquotienten (IQ) in späteren Jahren ergaben eine bleibende Minderbegabung bei der Hälfte aller untersuchten Kinder mit IQ-Ergebnissen zwischen 58 und 70.

Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft weist auf eine fortgeschrittene Abhängigkeitskarriere hin, da Alkoholikerinnen nicht selten während einer Gravidität ihren Konsum einstellen. Indolenz und Gleichgültigkeit gegenüber der anstehenden Geburt beherrschen ihr Verhalten. Frühzeitig sind Hilfen und Unterstützung durch das Jugendamt erforderlich, zum Beispiel zur Sicherstellung einer sorgfältigen Untersuchung nach der Geburt. Vor dem Hintergrund der sozialen Situation und der Persönlichkeit der Mutter sind frühzeitig Fragen des Sorgerechts, des Aufenthalts und medizinischer Behandlungen des Säuglings zu klären. Kinder mit EFA bedürfen intensiver Förderungsmaßnahmen und sorgfältiger Pflege. Hier ist eine alkoholabhängige Mutter fast immer überfordert. Ideal wäre eine zeitweise Aufnahme der Patientin mit dem Kind in „rooming in“ Abteilungen, in der die Entwicklung der emotionalen Beziehung zu dem Kind beobachtet, der Umgang trainiert und die langfristige Behandlungsmotivation besser abgeschätzt werden kann. Leider sind „rooming in“ Abteilungen selten und vorwiegend zur Behandlung psychotischer Mütter nach der Geburt vorgesehen.

IV. Opioidabhängigkeit

Opioide spielen als Analgetika in der Medizin eine große Rolle. Als stärkste derzeit verfügbare Schmerzmittel sind sie zur Behandlung schwerer chronischer Schmerzen segensreich. Sie führen jedoch schnell zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit. Von den Opioidabhängigen wird ein Mischzustand von Euphorie und Sedierung angestrebt, der sie in eine Scheinwelt trägt und Alltagsprobleme nebensächlich werden lässt. Die therapeutische Breite der Opioide ist eng mit der Folge einer im Vergleich zu anderen Süchten extrem hohen Mortalität verbunden. Opioide unterliegen den Verschreibungsvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes. Wegen der hohen suchterzeugenden Wirkung sind einige Opioidverbindungen aus dem Handel genommen bzw. nicht zugelassen worden. Die bekannteste illegale Substanz ist das Heroin. Der chronische Gebrauch von Heroin führt zu Lethargie, Apathie, Antriebsschwäche und dysphorischen Verstimmungen. Mit zunehmender Dauer der Abhängigkeit verfällt die Persönlichkeit und es kommt zur Depravation17. Die Folge sind Verwahrlosung, Vernachlässigung der Körperpflege und der Wohnung. Typische körperliche Folgen sind (Spritzen-)Abszesse, Furunkel, Phlegmonen oder Erysipel als Ausdruck einer generellen Abwehrschwäche. Vital-bedrohliche Erkrankungen wie Hepatitis-C, HIV oder Endokarditiden verkürzen zusätzlich die Lebenserwartung. Gravierend sind die psychosozialen Folgen: Vermehrte Suizide, Unfälle und Beschaffungskriminalität mit entsprechenden Haftstrafen. Der Wunsch, die äußerst quälenden Entzugserscheinungen zu bekämpfen - andererseits nach Euphorie und Entspannung - steht im Mittelpunkt des gesamten Interesses und Handelns. Familiäre und berufliche Pflichten werden grob vernachlässigt. Kinder Heroinabhängiger sind am häufigsten durch allgemeine Vernachlässigung gefährdet, die besonders schwere Folgen zeigt, wenn beide Eltern heroinabhängig sind. Sie sind unzureichend ernährt, verschmutzt, mit Ungeziefer befallen und in ihrer Entwicklung retardiert. Sexueller Missbrauch ist eher selten, da die Sexualität bei schwerer Heroinabhängigkeit generell vermindert bis erloschen ist. Liegen Vernachlässigung und/oder Misshandlung von Kindern vor, so ist die Methadonsubstitution des oder der Heroinabhängigen zu erwägen. Die bisher vorliegenden Daten belegen, dass durch das Methadonsubstitutionsprogramm ein großer Teil der Abhängigen sozial stabilisiert und integriert werden kann18. Die Verschreibung von Methadon - ebenfalls ein Opioid - ist an ganz bestimmte Indikationen gebunden. Die Drogenabhängigkeit an sich ist keine Indikation zur Substitution. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat die so genannten NUB-Richtlinien zur Substitution festgelegt19. Nach dem aktuellen Stand der NUB-Richtlinien kann eine Substitutionsbehandlung bei folgenden Kranken indiziert sein: a) lebensbedrohlicher Entzug, b) schwere konsumierende Erkrankungen, c) opioidpflichtige Schmerzen, d) AIDS, e) Schwangerschaft bis sechs Wochen nach der Geburt und f) schwere körperliche Erkrankungen, die der Schwere der Drogenabhängigkeit vergleichbar sind.

Die Durchführung des Methadonsubstitutionsprogramms ist an bestimmte Bedingungen zwingend gebunden: 1. Durchführung durch einen speziell qualifizierten Arzt, 2. psychosoziale Betreuung, die als entscheidend für den Erfolg der Substitutionstherapie angesehen wird, 3. Verabreichung unter kontrollierten Bedingungen, 4. unerwartete Urinkontrollen etc. Durch die enge therapeutische Führung des Abhängigen besteht durch das Jugendamt die Möglichkeit, in enger Zusammenarbeit mit der psychosozialen Betreuung differenzierte Hilfen wie Eltern-Training, systemische Familien-Therapie, vorübergehende Entlastung durch Unterbringung in Pflegefamilien etc. zu erbringen. Drogenabhängigen, die sich jeder Therapie entziehen, muss für das geschädigte Kind durch das Familiengericht vorläufig oder dauerhaft das Sorgerecht entzogen, der künftige Aufenthalt bestimmt und gegebenenfalls einer spezifischen Therapie zugeführt werden.

V. Zusammenfassung

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Aspekt süchtigen Verhaltens eines oder beider Elternteile zu wenig bei der Bewertung der familiären Situation und den daraus folgenden Entscheidungen berücksichtigt wird. Den vielfältigen Erscheinungsformen einer Abhängigkeit, der Abneigung, Missbrauch systematisch zu hinterfragen, um konfliktbeladene Auseinandersetzungen zu vermeiden, dem Verleugnungsverhalten bis hin zum zweckgerichteten Lügen der Konsumenten kann nur begegnet werden, wenn bei geringstem Verdacht Suchtexperten hinzugezogen werden. Hierdurch kann weiteres Leid von Kindern abgewendet werden.

*Der Autor ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und früherer Leiter der Psychiatrischen Intensiv- und Kriseninterventionsstation am Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin.

1Dilling/Mombour/Schmidt et. al., Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10, 1994.

2Mann/Hintz/Merkel, Sucht, 2002, 48 (3), S. 193 bis 199.

3Caspers-Merk, Sucht 2002, 48 (3), S. 224 bis 226.

4Feuerlein, in: Seitz/Lieber/Simanowski, Hdb. Alkohol, Alkoholismus, alkoholbedingte Organschäden, 1995, S. 1 bis 20.

5Jellinek, The disease concept of alcoholism, New Haven, Hillhouse Press, 1960.

6Lundquist, in: Kisker/Meyer/Müller et. al., Psychiatrie der Gegenwart, Bd. II/2, 1972, S. 363 bis 388.

7Frank, in: Martinius, Kinder- und jugendpsychiatrische Notfälle, Quintessenz, 1991, S. 39 bis 45.

8Frank, in: Esser (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, 2002, S. 424 bis 433.

9Poustka/Lehmkuhl, Gefährdung der kindlichen Entwicklung, Quintessenz, 1993.

10Brown/Cohen/Johnson et. al., Child Abuse Neglect, 1998, 22, S. 1065 bis 1078.

11Ross/Glasser/Germanson, Arch Gen Psychiatry, 1988, 45, S. 1023 bis 1033.

12Poldrugo/Forti, Drug Alcohol Depend, 1988, 21, S. 171 bis 176.

13Kopera/Frye/Streissguth, in: Seitz/Lieber/Simanowski (Hrsg.; o. Fußn. 4), S. 517 bis 540.

14Jones/Smith/Ulleland, Lancet 1, 1973, S. 1267 bis 1271.

15Abel/Sokol, Drug Alcohol Depend, 1987, 19, S. 51 bis 70.

16Majewski/Majewski, Excerpta Medica Int Conf Ser 805, 1988, S. 837 bis 844.

17Soyka, in: Möller/Laux/Kapfhammer (Hrsg.), Psychiatrie und Psychotherapie, 2000, S. 946 bis 993.

18Soyka, Meikamenten- und Drogenabhängigkeit, 1998.

19Soyka/Banzer/Buchberger et. al., Nervenheilkunde, 1997, 68, S. 347 bis 352.




[editiert: 03.05.07, 18:08 von Admin]
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Gast
New PostErstellt: 24.04.07, 20:16  Betreff: Hilfe für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Jugendamt des Landkreises Kassel Kassel, den 14.11.2005

Käthe Heinrich 1343

 

Tagung am 09.11.2005

Hilfe für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern

 

Gemäß § 31 SGB VIII gehört die sozialpädagogische Familienhilfe mit in den Bereich

der Hilfe zur Erziehung.

Bei der sozialpädagogischen Familienhilfe sollen durch intensive Betreuung und

Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen,

bei der Lösung von Konflikten und Krisen sowie in Kontakt mit Ämtern

und Institutionen unterstützt werden und Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden. Sie ist

in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.

In der Ausgestaltung der sozialpädagogischen Familienhilfe soll die Förderung der

Entwicklung des Kindes und die Stärkung der Erziehungsfähigkeit der Eltern

gefördert werden.

Bei der sozialpädagogischen Familienhilfe wird im Grunde genommen vorausgesetzt,

dass die Familien über ausreichende, durch die Fachkräfte aktivierbare Ressourcen

verfügen.

Aufgrund dessen wird die sozialpädagogische Familienhilfe als eine der häufigsten

Hilfen im Bereich der Jugendhilfe eingesetzt.

Für den Landkreis Kassel arbeiten 2 freie Träger für die Durchführung der sozialpädagogischen

Familienhilfe.

Hier finden regelmäßig Kooperationsgespräche zwischen Mitarbeitern der SPFH und

den Mitarbeitern der Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes statt.

Bei einem solchen Kooperationsgespräch wurde festgestellt, dass das Thema Sucht

permanent bei den Mitarbeitern der Familienhilfe vorhanden war, gleichzeitig auch

die meiste Kritik an der Nichtzielerreichung durch die ASD-Mitarbeiter erfolgte.

Es war sehr nachvollziehbar, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Familienhilfe

nicht ausreichend vorbereitet und ausgebildet sind, mit der Problematik Sucht umzugehen.

- 1 -

Daher wurde durch das Jugendamt des Landkreises Kassel ein Kontakt zu der

Drogenhilfe Nordhessen hergestellt.

Es wurde vereinbart, dass eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Suchtverhalten

in der Familie“ für die Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes und

der Familienhilfe von der Drogenhilfe Nordhessen durchgeführt wird.

Ziel war es, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für das Problem Sucht zu sensibilisieren

und auf den Umgang vorzubereiten.

Das Jugendamt des Landkreises Kassel hatte zum damaligen Zeitpunkt 32 lfd. Fälle

in der sozialpädagogischen Familienhilfe, davon war bei 8 Familien der Anlass der

Aufnahme der sozialpädagogischen Familienhilfe die Suchtproblematik. Nicht

berücksichtigt waren in dieser Zahl die Familien, bei denen erst während des Hilfeprozesses

eine Suchtproblematik festgestellt worden ist.

Gleichzeitig wurde eine Auswertung der sozialpädagogischen Familienhilfe der

letzten 5 Jahre durchgeführt. Erschreckend war hierbei die hohe Abbruchrate der

Hilfe. Ca. 80 % haben auf dem Hintergrund von Suchtproblemen oder psychisch

Erkrankungen von Eltern bzw. Elternteilen zu Abbrüchen geführt. Wobei Sucht an 1.

Stelle stand.

Daraufhin wurden mit der Drogenhilfe Nordhessen mehrere Gespräche geführt und

es wurde vereinbart, dass wir ein Diagnostikverfahren in den Fällen vorschalten, in

denen eine Suchtproblematik vorliegt. Weiterhin wurde überlegt, ob ein spezielles

Angebot für diese Familien entwickelt werden sollte. Eine Konzeption Sozialpädagogische

Familienhilfe - Sucht sollte das erste Ziel sein.

Die Träger, die für den Landkreis Kassel die sozialpädagogische Familienhilfe

durchführen, wurden eingeladen und das Jugendamt hat gemeinsam mit der

Drogenhilfe das Ziel eines neuen Modells vorgestellt. Die Träger waren

einvernehmlich damit einverstanden, dass dieses neue Angebot konzipiert werden

sollte.

Es wurde eine kleine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern der Drogenhilfe, der Jugendhilfe

sowie Vertreterinnen/Vertreter der 2 Träger, die für den Landkreis Kassel die

sozialpädagogische Familienhilfe durchführen, gebildet.

Die Arbeitsgruppe hat dann gemeinsam erarbeitet, dass es sinnvoll ist, bei erkennbaren

oder auch schon bei der Annahme von Suchtgefährdungen eine Diagnostik

vorzuschalten und eine eigene SPFH – Sucht zu entwickeln.

Die Drogenhilfe hat auf der Grundlage des Konzeptes eine Leistungsbeschreibung

für Diagnostik und für SPFH – Sucht erarbeitet und vorgelegt.

Seit November 2003 führen wir die eigenständige sozialpädagogische Familienhilfe –

Sucht durch, wenn im Vorfeld die Sucht schon bekannt ist.

- 2 -

Deutlich wurde in diesem Zusammenhang, dass für die Mitarbeiter der Drogenhilfe

Konfrontation und Kontrolle zum alltäglichen professionellen Handeln gehört, die Mitarbeiter

der Jugendhilfe und Familienhilfe tun sich damit sehr schwer, da Vertrauensaufbau

im Vordergrund steht.

Wenn im Laufe der SPFH-Klassik festgestellt wird, dass Suchtprobleme vorhanden

sind, soll die Drogenhilfe einbezogen werden. Die Finanzierung läuft dann über

zusätzliche Fachleistungsstunden.

In der Zeit von Nov. 2003 bis 31.10.2005 haben wir 20 SPFH-Sucht beschlossen, 4

davon warten im Moment auf den Beginn. Nur eine SPFH-Sucht führte zum tatsächlichen

Abbruch, aber auch hier war danach eine Therapieaufnahme möglich.

Aufgrund dieser positiven Erfahrung haben wir in der Zwischenzeit mit dem Emstaler

Verein, ein Verein der die Betreuung von psychisch Kranken im Landkreis Kassel

durchführt, eine eigene Leistungsbeschreibung für eine spezielle SPFH für diesen

Personenkreis entwickelt und vereinbart.

Grund hierfür ist auch, dass spezielle Kenntnisse und Umgehensweise für die

Betreuung und Anforderung an diese Menschen vorhanden sein müssen. Aber auch

um Streitfälle zwischen Sozialhilfe und Jugendhilfe einzugrenzen.

Diese sozialpädagogische Familienhilfe läuft erst seit Mai d.J., eine Auswertung kann

daher noch nicht vorliegen.

Für Eltern/Elternteile, die an einer geistigen Behinderung leiden und Jugendhilfe in

Anspruch nehmen, haben wir nach langen Verhandlungen mit der Lebenshilfe für

geistige Behinderung ebenfalls Absprachen und Vereinbarungen getroffen.

Bei Eltern/Elternteilen mit geistiger Behinderung wird von Anfang an in den Hilfeprozess

die Lebenshilfe und die Betreuungsstelle, die für den geistig behinderten

Menschen zuständig ist, einbezogen.

Sollte es keine Einigung zwischen den handelnden Personen geben, ist eine sogenannte

Clearingstelle einzuberufen. Die Entscheidung der Clearingstelle ist dann

bindend.

Ich glaube, dass wir uns aufgrund von vielschichtigen Problemlagen in der heutigen

Gesellschaft auch in bestimmten Bereichen spezialisieren müssen, um auch den

Menschen die Möglichkeit zu geben, die angebotenen Hilfen anzunehmen und zu

verstehen.

Für die Jugendhilfe ist und bleibt immer Ziel, auch durch solche Angebote das

Kindeswohl besser sicher zu stellen und die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu überprüfen

oder zu stärken.

Ziel ist es aber auch, bei knappen Finanzmitteln eine sinnvolle und nutzbringende

Hilfe für alle zu installieren.

- 3 -

 

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