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Kurz vor Weichnachten hatte ich erfahren, dass es in der evangelischen Kirche von Samara am Heiligen Abend einen Gottesdienst in Deutsch geben wird. Obwohl ich selber katholisch bin, entschloss ich mich, in diesen Gottesdienst zu gehen. Fritz wollte auch mitkommen, aber es war lange nicht klar, ob er es schafft, da er ja an diesem Tag normal arbeiten musste.
Kurz bevor ich mich auf den Weg machen wollte, rief Fritz an, dass er früher Feierabend machen kann und auf dem Weg zum Hotel ist. Also habe ich auf ihn gewartet. Fritz huschte unter die Dusche, zwischenzeitlich hatte ich ihm warme Klamotten herausgelegt – zum Rasieren hatte er keine Zeit mehr, es mussze halt so gehen. Reichlich spät marschierten wir zwei im Eilschritt den Berg hinauf um noch irgendwie anzukommen, bevor der Gottesdienst zu Ende ist.
Alle von uns waren schon mal an einem Winter in einer deutschen Kirche gewesen. Egal ob kleine Dorfkirche oder Dom, Neubau oder alt, generell ist es im Winter dort eiskalt. Eingedenk dieser Erfahrung hatte ich mich an wie eine Zwiebel angezogen. Über die Strumpfhose noch warme Skiunterwäsche, Rollkragenunterziehpulli und dann noch einen dicken Pullover oben drüber. Das Ganze wurde dann gekrönt mit einem dicken mit Lammfell gefütterten Ledermantel, Mütze, Schal und Handschuhe.
Als wir oben an der Kirche, schon reichlich erhitzt, angekommen waren, traten wir ein. Fast Augenblicklich blieb mir die Luft weg. Das gesamte Kirchenschiff war wärmer als ein Wohnzimmer beheizt. Grob geschätzt hatte es Anfangs etwa 25 Grad Celsius. Angefangen hatte der Gottesdienst auch noch nicht. Julia, eine Bekannte von mir sah mich und war uns behilflich Sitzplätze zu bekommen. Das war nämlich gar nicht so einfach. Die meisten Gottesdienstbesucher hatten sich ihrer Mäntel und Jacken entledigt. Neben beinahe jeden (in der Wortbedeutung) besetzten Platz ruhten Stapel von dicker Oberbekleidung.
Aber Julia schaffte es, uns irgendwie in eine Bank rein zu quetschen. Jetzt waren wir in der Bank, hatten einen bequemen Sitzplatz aber trotzdem ein Problem. Wohin mit unseren Mänteln? Neben uns gab es keinen Freiraum mehr um sie dort abzulegen. Fritz entschloß sich, seinen Anorak anzubehalten. Ich löse mich schon jetzt langsam in einer großen Pfütze auf, ich MUSS den, einem sibirischen Winter standhaltenden, Lammfellmantel loswerden. Also zog ich das Ding aus, knüllte es zusammen, legte es auf meinen Platz und setzte mich darauf. Schade für die Leute die hinter mir saßen, da ich als Sitzriese ihnen jede Sicht nahm.
Bis der Gottesdienst wirklich anfing, verging immer noch einige Zeit. Eine Zeit, die nicht wie in deutschen Kirchen mit Stummheit, höchstens mal mit gewisperten Worten von Nachbar zu Nachbar verbracht wurde. Nein, die Menschen unterhielten sich, alle im gedämpften Ton, und irgendwie war im ganzen Kirchenraum ein fröhlicher Lärmpegel zu hören. Trotzdem empfand ich es nicht als unplatziert oder störend. Im Gegenteil. Es wirkte auf mich so, als wenn Leute sich auf ein Fest freuen und sich darüber fröhlich austauschen – eben eine große Feier.
Das änderte sich schlagartig, als die Pastorin feierlich in die Kirche einzog. Jetzt ging die ganze Konzentration der Kirchenbesucher zum Geschehen im Altarraum. Die Pastorin ist eine Deutsche und hat den Gottesdienst in Deutsch gehalten, wobei Absatz für Absatz von einer Dolmetscherin ins Russische übersetzt wurde. Es gab Gesangsbücher in Deutsch und in Russisch. Auch viele Lieder sind zweisprachlich gesungen worden.
Der Gottesdienst wurde von vielen Gruppen begleitet. Chöre, Kinder- und Jugendgruppen und einem kleinen Orchester. Für mich war es ganz überraschend, dass in dem überwiegend orthodoxen oder auch gänzlich ungetauften Land, so viele bereit sind, ihre Freizeit für das Einüben der Darbietungen zu opfern. Ganz besonders schwer wurde das Einüben ja auch dadurch, weil der größte Teil der dargebrachten Lieder in Deutsch waren.
Besonders hatte mir das „Krippenspiel“ gefallen. Es kam gänzlich ohne die üblichen Zutaten wie Babypuppe, heiliges Paar und Engel aus. Dieses Spiel wurde von den Kindern und Jugendlichen der Gemeinde zwar in dem für mich völlig unverständlichen Russisch aufgeführt, aber trotzdem konnte ich aus der Handlung heraus sehen, um was es geht und dass eben doch die Weihnachtsgeschichte gemeint ist. Noch etwas ist mir aufgefallen. Nach jedem Beitrag vorne im Altarraum klatschte die Gemeinde Beifall.
Alles war wunderschön arrangiert und dargeboten. Dabei wurde es mir nicht nur warm ums Herz, nein langsam schmolz ich dahin wie Schnee auf der Heizung. Ich konnte ja schlecht auch noch meine anderen Schichten ausziehen. Gekonnt hätte ich schon, zumindest den dicken Pullover, aber Fritz hat mir das nicht erlaubt. Na ja er hatte vermutlich recht. Vielleicht wäre ein weitergehender (eigentlich aber nötiger) Striptease meinerseits auch unschicklich gewesen. Das nächste wäre ja gewesen, dass ich durch den Pulli meine überragende Größe beim Sitzen noch deutlicher gezeigt hätte.
Als wir, wieder eingemummt, die Kirche verließen, sahen wir, dass es in der Zwischenzeit heftig geschneit hatte. Auf den Wegen nach Hause und an der Wolga entlang lag wunderherrlicher schöner Pulverschnee. Was Fritz und ich sonst noch an Weihnachten gemacht haben, werde ich vielleicht ein anderes mal erzählen.
Für die Zukunft verspreche ich, dass ich nie mehr über die un- oder schlecht beheizten Kirchen in Deutschland meckere.
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Unser Kopf ist rund, damit unsere Gedanken die Richtung ändern können
Schumacher @ zweitfrauen.de
[editiert: 26.02.05, 19:27 von Ingrid]