Beitrag 26 von 48 (54%) | Anfang zurück weiter Ende |
|
Betreff: OLG Brandenburg: Umgangsrechtsantrag des Kindes
OLG Brandenburg: Umgangsrechtsantrag des Kindes NJW 2004 Heft 52 3786
Umgangsrechtsantrag des Kindes
BGB § 1684 I
Ein nichteheliches Kind kann auch dann ein Recht auf Umgang mit seinem (verheirateten) Vater haben, wenn dieser einen Kontakt strikt ablehnt. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Brandenburg, Beschluß vom 21. 1. 2004 - 15 UF 233/00
Zum Sachverhalt:
Der rund fünf Jahre alte Ast. ist das nichteheliche Kind des Ag.; dieser hat die Vaterschaft am 14. 5. 1999 anerkannt. Der Ast. entstammt einer langjährigen außerehelichen Beziehung des anderweitig verheirateten Ag. mit der Kindesmutter, die er wegen der Schwangerschaft mit dem Ast. beendet hat. Der Ag. hat sich nach der Geburt des Ast. bis heute geweigert, mit ihm irgendeinen Umgang zu haben oder ihn auch nur zu sehen. Im Mai 2000 hat der Ast., vertreten durch seine Mutter, beim zuständigen AG unter Berufung auf § 1684 BGB ein Umgangsrecht mit dem Ag. geltend gemacht. Der Ag. hat sich hiergegen mit der Begründung gewehrt, der Umgangswunsch könne angesichts des damaligen Alters des Kindes nicht dessen Willen entsprechen, er sei vielmehr allein Ausdruck des Wunschs der Kindesmutter, die außereheliche Beziehung wiederzubeleben. Im Übrigen sehe er seine Ehe, aus der zwei eheliche Kinder abstammen, durch jeglichen Umgang mit dem Ast. gefährdet. Seine Ehefrau habe nur mit Mühe akzeptiert, dass er ein außereheliches Kind habe; sie regle für ihn zwar die finanziellen Folgen, nämlich den Unterhalt für den Ast., habe jedoch gedroht, ihn zu verlassen, wenn er den Ast. sehe und Umgang mit ihm habe.
Das AG hat mit Beschluss vom 6. 11. 2000 den Antrag des Kindes auf Umgang zurückgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, ein Umgang zwischen Kind und Vater entspreche angesichts der nachhaltig ablehnenden Haltung des Ag. nicht dem Kindeswohl. Der Ast. sei im Alter von (damals) knapp zwei Jahren noch nicht in der Lage, einen solchen Wunsch zu äußern, zumal er seinen Vater nicht kenne und keine emotionalen Bindungen zu ihm habe. Auch sehe der Ag. zu Recht seine Ehe durch Umgangskontakte mit dem nichtehelichen Kind gefährdet. Hiergegen hat der Ast. Beschwerde eingelegt. Der Senat hat zwei Gutachten eingeholt, wobei jeweils der Ag. seine Mitwirkung verweigert hat. Der Senat hat dem Ast. ein begleitetes Umgangsrecht zugesprochen: Jeweils zwei Stunden in der ersten Woche der Monate März, Juni, September und Dezember.
Aus den Gründen:
1. Nach § 1684 I BGB hat der Ast. das Recht auf Umgang mit seinem leiblichen Vater. Nach derselben Vorschrift (§ 1684 I Halbs. 2 BGB) ist der Vater verpflichtet, den Umgang wahrzunehmen.
Der Gesetzgeber hat durch diese mit dem Kindschaftsreformgesetz 1998 eingefügte Regelung (Art. 1 Nr. 24das Umgangsrecht des Kindes bewusst als dessen subjektives Recht ausgestaltet, mit dem zugleich eine Pflicht der Eltern zum Umgang mit dem Kind korrespondiert (BT-Dr 13/8511, S. 74). Die Entscheidung des Gesetzgebers beruht auf der Erkenntnis, dass der Umgang des Kindes mit seinen Eltern, gerade wenn das Kind nicht bei ihnen lebt, für die Entwicklung
und das Wohl des Kindes von herausragender Bedeutung ist. So heißt es in der Begründung des Rechtsausschusses zu dem Gesetz gewordenen Entwurf wie folgt:
„Der Rechtsausschuss ist einhellig der Auffassung, dass das Reformziel, die Rechte des Kindes zu fördern und seine Belange in den Vordergrund zu stellen, besonderen Ausdruck finden muss im Bereich des Umgangsrechts … (Er) empfiehlt … einstimmig, noch stärker zu betonen, dass das Kind nicht nur Objekt des elterlichen Umgangs ist, sondern dass der Umgang der Eltern mit ihrem Kind ganz wesentlich dessen Bedürfnis dient, Beziehungen zu beiden Elternteilen aufzubauen und erhalten zu können …“
Weiter heißt es dort: „Die Bedeutung des Umgangs für das Kind soll darüber hinaus dadurch betont werden, dass der Rechtsprechung des BGH folgend ausdrücklich im Gesetz geregelt wird, dass die Entscheidung, das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einzuschränken oder auszuschließen, nur ergehen kann, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.“
Sodann hat der Rechtsausschuss begründet, warum der - ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehene - Ausschluss einer Vollstreckbarkeit in den Gesetzentwurf nicht übernommen werde; entsprechend hat der Bundestag das Gesetz beschlossen.
Vor diesem Hintergrund entspricht die Wertung des FamG, ein „erzwungener“ Umgang, das heißt ein ausschließlich durch gerichtliche Entscheidung vorgegebener Umgang zwischen Kind und Vater entspreche nicht dem Kindeswohl, der Rechtslage nicht. Das AG hat verkannt, dass angesichts des subjektiven Rechts des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen eine Einschränkung des Umgangsrechts oder dessen Ausschluss nur in Betracht kommt, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist (§ 1684 IV 1 BGB) bzw. dass „eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt“, nur ergehen kann, wenn „anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre“ (§ 1684 IV 2 BGB). Diese gesetzliche Bestimmung korrespondiert mit der Verpflichtung beider Eltern, mithin auch des Vaters eines nichtehelichen Kindes, aus Absatz 2 der vorgenannten Bestimmung, wonach Eltern alles zu unterlassen haben, was „die Erziehung erschwert“.
Vor diesem Hintergrund ist der Einwand des Ag. unbeachtlich, er habe keine Beziehung zu seinem Sohn und wolle diese auch nicht aufbauen. Er verkennt, dass das Umgangsrecht des Kindes nicht allein dem Erhalt bestehender Beziehungen zwischen Eltern(-teil) und Kind dient, sondern auch dem im Interesse des Kindeswohls erforderlichen Neuaufbau einer solchen Beziehung, und dies unter anderem auch unter dem Gesichtspunkt, den weiteren Elternteil als „Reserve-Elternteil“ zu erhalten. Dieser kann nämlich unabhängig davon, ob er nur eingeschränkte, teilweise oder überhaupt keine sorgerechtlichen Befugnisse hat, jederzeit in die volle sorgerechtliche Position einrücken (§§ 1672, 1678, 1680, 1681, 1696 BGB; vgl. BGH, NJW 1999, 1344 = FPR 1999, 248 = FamRZ 1999, 651).
2. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken stehen einer Umgangspflicht des Kindesvaters nach § 1684 BGB nicht entgegen.
a) Art. 2 GG, der das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet, stellt dieses Recht unter den Vorbehalt, dass hierdurch die Rechte anderer nicht verletzt werden oder gegen das Sittengesetz verstoßen wird. Solche Einschränkungen, die im überwiegenden Allgemeininteresse oder im Hinblick auf rechtlich geschützte Interessen Dritter unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden, hat der Einzelne hinzunehmen, soweit nicht in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung eingegriffen wird (BVerfGE 65, 1 [44] = NJW 1984, 419).
Gemessen hieran muss der Kindesvater die Einschränkungen hinnehmen, die ihm der Gesetzgeber mit der Umgangspflicht in § 1684 BGB auferlegt hat. Die Abwägung des Gesetzgebers, nach der insoweit die Interessen des minderjährigen Kindes Vorrang vor dem Recht des Vaters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit genießen, ist angesichts der - auch in Art. 6 GG zum Ausdruck kommenden - besonderen Schutzbedürftigkeit des Kindes, das für seine Existenz nicht verantwortlich ist, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ebenso wenig zu beanstanden wie sonstige aus der Vaterschaft folgende Pflichten, etwa die Unterhaltspflicht.
b) Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen Art. 6 GG (Schutz von Ehe, Familie und nichtehelichen Kindern) ersichtlich.
aa) Nach Art. 6 I GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Hierauf zielt der Einwand des Ag., seine (bestehende) Ehe sei gefährdet, wenn er seinen nichtehelichen Sohn, den Ast., auch nur stundenweise sehen müsse. Dieser Einwand berührt das Verhältnis von Art. 6 V zu Art. 6 I GG. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dass kein Gegensatz zwischen diesen beiden Verfassungsnormen besteht, auch soweit Art. 6 I GG den Schutz der Ehe zum Gegenstand hat: Die Gewährleistung von Ehe und Familie als verfassungsmäßige Institution wird durch den verfassungsmäßigen Auftrag, den nichtehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern (so der Wortlaut von Abs. 5), nicht beeinträchtigt. Bereits im Jahre 1969 hat das BVerfG festgestellt:
„Gerade weil das uneheliche Kind durch das Fehlen der nur in der Ehe verwirklichten vollständigen Familiengemeinschaft mit Vater und Mutter von vornherein benachteiligt ist, will der Verfassungsgeber mit den Mitteln der Rechtsordnung und sonstiger staatlicher Vorsorge einen gewissen Ausgleich für diesen Mangel schaffen: Das Kind soll so wenig wie möglich unter dem Verhalten seiner Erzeuger … leiden.“ (BVerfGE 25, 167 [195] = NJW 1969, 597).
De facto ergibt sich aus der von Verfassungs wegen geforderten Gleichstellung des unehelichen und des ehelichen Kindes ein Vorrang der Abstammung vor der rechtlichen Lebensgemeinschaft in der Ehe; Art. 6 V GG schränkt die Institutionsgarantie der Ehe ein (Maunz/Dürig/Badura, GG, Art. 6 Rdnr. 26). Die Frage, ob der Begriff der „Familie“ in Art. 6 I GG entgegen früher verbreiteter Meinung unmittelbar das nichteheliche Kind auch dann erfasst, wenn es nicht in einer Gemeinschaft mit seinem Erzeuger lebt, bedarf daher in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung.
Der Gesetzgeber hat sich mit den Regelungen in § 1684 BGB, Einschränkungen des Umgangs ausschließlich im Interesse des Kindeswohls zuzulassen, im Rahmen des verfassungsmäßigen Auftrags gehalten und die verfassungsmäßigen Beschränkungen aus Art. 6 I GG grundsätzlich nicht verletzt.
bb) Bei verfassungsgemäßer Auslegung und Anwendung von § 1684 BGB ist im konkreten Einzelfall eine Verletzung des Grundrechtsschutz für Ehe und Familie auch dann nicht ersichtlich, wenn der Begriff der „Familie“ in Art. 6 I GG im engeren Sinne zu Grunde gelegt und auf die bestehende eheliche Lebensgemeinschaft des Ag. mit seiner Ehefrau und den ehelichen Kindern bezogen wird. Der tatsächliche Eingriff, den der Ag. und seine - so verstandene - Familie durch die Umgangsverpflichtung mit seinem nichtehelichen Kind, dem Ast., hinnehmen muss, ist nämlich jedenfalls eher geringfügig und nicht unverhältnismäßig (vgl. hierzu BVerfGE 31, 194 [208] = NJW 1971, 1447). Durch die tenorierte Anordnung bleibt der räumliche Bereich des Familienlebens unangetastet. Auch der Zeitaufwand, den der Ag. aufwenden muss, wenn
er seiner Familie einmal im Vierteljahr während weniger Stunden nicht zur Verfügung steht, stellt keinen verfassungsrechtlich relevanten Eingriff in den grundsätzlich geschützten Bereich der Familie dar. Die Drohung der Ehefrau des Ag., ihn im Falle einer - auch gerichtlich angeordneten - Umgangsanbahnung mit dem Ast. zu verlassen, kann ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Unbeschadet dessen, dass diese Androhung wenig verständlich ist - der Ehefrau ist die Existenz des nichtehelichen Ast. bekannt, und sie nimmt es auch hin und verkraftet es, monatlich erneut damit konfrontiert zu werden, wenn sie die Unterhaltsüberweisungen vornimmt -, kann sie die Durchsetzung der Rechtsordnung nicht in Frage stellen. Niemand käme ernsthaft etwa auf den Gedanken, zum Beispiel Unterhaltsforderungen von Kindern, die nicht dem engeren Familienverband angehören, oder - weitergehend noch - sonstige zivilrechtliche Forderungen unter Hinweis auf Art. 6 I GG für verfassungswidrig zu halten, wenn nur der Ehegatte damit droht, für den Fall deren gerichtlicher Durchsetzung die Ehe aufzukündigen.
dd) Nichts anderes kann im Verhältnis zu den ehelichen Kindern des Ag. gelten. Deren mögliche Beeinträchtigung ist zum einen nur geringfügig, zum anderen aus Art. 6 V GG gerechtfertigt und von ihnen hinzunehmen.
3. Die Anordnungen des Senats folgen den Empfehlungen des Sachverständigengutachtens, das keine der Parteien inhaltlich angegriffen hat. Die Ausführungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und überzeugend, auch was Art und Umfang des anzubahnenden Umgangs zwischen Ast. und Ag. betrifft. Der Sachverständige verfügt, wie dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist, über umfassende Sachkunde.
4. Die Androhung des Zwangsgelds folgt aus § 33 FGG. Indem der Gesetzgeber die Durchsetzung der Umgangsbefugnis des Kindes von der Vollstreckbarkeit nicht ausgenommen hat (vgl. BT-Dr 13/8511, S. 74), ergibt sich die Möglichkeit ihrer gerichtlichen Geltendmachung und Erzwingung unmittelbar aus dem Gesetz (so auch OLG Köln, FamRZ 2001, 1023). Die Androhung ist gerechtfertigt, nachdem der Ag. sich wiederholt - auch in der letzten mündlichen Verhandlung - strikt geweigert hat, Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen.
--------------------------------------------------------------------------------
Anm. d. Schriftltg.:
Zu der zitierten Entscheidung des BGH, NJW 1999, 1344 = FPR 1999, 248 = FamRZ 1999, 651, s. auch die Anm. Peschel-Gutzeit, FPR 1999, 248; zum Umgangsrecht nach der Kindschaftsrechtsreform vgl. auch Vogel, FPR 1999, 227, sowie Radke/Gewinner, FPR 1999, 235.
____________________
Unser Kopf ist rund, damit unsere Gedanken die Richtung ändern können
Schumacher @ zweitfrauen.de