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OLG Dresden: Wechselmodell als Elternvereinbarung FPR 2004 Heft 11 619
Wechselmodell als Elternvereinbarung
Die getrennt lebenden Eheleute haben einen vier- und einen sechsjährigen Sohn. Das AG hat in seinem Beschluss die Regelung eines Wechselmodells getroffen. Die Kinder sollten die erste und dritte Woche im Monat je beim Vater, die zweite und vierte Woche bei der Mutter verbringen. Die Mutter beantragte mit der Beschwerde die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich. Das OLG hat eine modifizierte Vereinbarung der Eltern über das Wechselmodell genehmigt. Das OLG ist der Ansicht, die Vereinbarung entspreche dem Kindeswohl am besten. Das Verhältnis der Kinder zu beiden Elternteilen sei sehr gut, und auch die Kinder hätten in der Anhörung bekundet, dass sie den Wechsel „in Ordnung fänden“. BGB § 1671 II 2 Nr. 1
Haben sich die Eltern im Sorgerechtsverfahren auf das so genannte Wechselmodell verständigt, kommt eine entsprechende gerichtliche Entscheidung in Betracht. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Dresden, Beschluß vom 3. 6. 2004 - 21 UF 144/04
Zum Sachverhalt:
Die Parteien leben seit Januar 2003 getrennt. Aus ihrer Ehe sind die beiden Söhne C (geb. 1997) und N (geb. 2000) hervorgegangen. Im erstinstanzlichen Verfahren haben beide Eltern die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts jeweils auf sich beantragt. Mit Beschluss vom 29. 1. 2004 hat das AG - FamG - folgende Regelung getroffen: Die Kinder halten sich in jeder ersten und dritten vollen Kalenderwoche des Monats beim Vater und in jeder zweiten und vierten vollen Kalenderwoche bei der Mutter auf, wobei die Kinder jeweils sonntags um 18.00 Uhr zum anderen Elternteil gebracht werden sollten. Jeden Mittwoch nachmittag von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr sollten die Kinder bei demjenigen Elternteil verbringen, bei dem sie sich in der betreffenden Woche nicht aufhalten.
Gegen diesen Beschluss hat die Mutter Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr Ziel weiter verfolgt hat, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder auf sich übertragen zu bekommen. Der Vater ist der Beschwerde entgegengetreten mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des amtsgerichtlichen Beschlusses. Beide Parteien waren sich darüber einig, dass bei der konkreten vom AG getroffenen Regelung die Kinder weitaus häufiger beim Vater als bei der Mutter sind. Insoweit war auch der Vater zu einer Korrektur des Beschlusses bereit. Im Anhörungstermin am 18. 5. 2004 haben die Eltern sodann eine Vereinbarung zu Gunsten des Wechselmodells getroffen. Der Senat hat eine entsprechende Sorgerechtsentscheidung getroffen. Aus den Gründen:
II. Die Vereinbarung, mit der die Eltern für den Aufenthalt der Kinder das so genannte Wechselmodell festlegen, war zu genehmigen, da dieses im vorliegenden Fall dem Wohl der beiden vier und sechs Jahre alten Söhne am besten entspricht.
1. Allgemein gültige kinderpsychologische Erkenntnisse zum Wechselmodell und seinen Auswirkung auf das Kindeswohl liegen - soweit ersichtlich - nicht vor. In Ermangelung ausreichenden Datenmaterials bzw. entsprechender empirischer Studien sind konkrete Erkenntnisse wohl auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten (eine Darstellung zum Stand der Forschung findet sich bei Bausermann, Journal of Family Psychology 2002, Vol 16, S. 91-102; vgl. auch Maccoby/Mnookin, FamRZ 1995, 1). Die Diskussion erscheint stark umstritten, wird zum Teil wohl auch recht dogmatisch bzw. emotional betrachtet.
Es lassen sich aber folgende Vorteile eines Wechselmodells ausmachen:
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Aufrechterhaltung enger Eltern-Kind-Beziehung zwischen den Kindern und beiden Elternteilen, das Kind erlebt den Alltag mit beiden Eltern.
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Beide Elternteile bleiben in der Verantwortung für ihre Kinder.
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Beide Eltern werden durch das Wechselmodell von der Mehrfachbelastung, die bei einem allein erziehenden Elternteil besteht, teilweise entlastet.
Gegen das Wechselmodel spricht dagegen vor allen Dingen das Risiko, dass der dauernde Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen zu einer dauernden Einbeziehung des Kindes in den elterlichen Konflikt führt.
Auch veröffentlichte Rechtsprechung zu diesem Problemkreis existiert bislang nur in geringem Umfang. Soweit ersichtlich, hat sich bislang das AG Hannover in einem Verfahren grundlegend mit dem Wechselmodell und seinen Vor- und Nachteilen gegenüber dem Residenzmodell auseinander gesetzt (FamRZ 2001, 846 im Rahmen einer einstweiligen Anordnung; JAmt 2001, 557: Beschluss zur Hauptsache in demselben Verfahren) und hat, ausgehend von der - vom Senat geteilten - Annahme, dass von einem allgemeinen entwicklungs-psychologischen Grundsatz der Erforderlichkeit eines festen Lebensmittelpunkts für die gesunde Entwicklung eines Kindes nicht ausgegangen werden kann, eine Entscheidung zu Gunsten des Wechselmodells getroffen, obwohl zwischen den Eltern noch erhebliche Konflikte bestanden.
In seiner Entscheidung vom 1. 10. 2001 - 16 UF 1095/01 - steht das OLG München dem Wechselmodell dagegen skeptisch gegenüber; ein solches Wechselmodell sei „nach allen Erfahrungen des Senats auf Dauer dem Kindeswohl abträglich, dies jedenfalls dann, wenn der Wechsel nicht im Interesse des Kindes praktiziert wird, sondern vorrangig dazu dient, die jeweilige Machtposition der Eltern aufrechtzuerhalten“.
Deutlich wird aus alledem, d.h. sowohl aus der Literatur als auch aus der Rechtsprechung, dass eine gemeinsame tatsächliche Sorge, d.h. die Durchführung eines regelmäßigen Wechsels des Aufenthalts der Kinder, an die Eltern höhere Anforderungen bezüglich der Kommunikation, Kompromissbereitschaft, aber auch des Kontakts miteinander stellt als ein dauernder Aufenthalt der Kinder bei einem Elternteil mit Umgangskontakten zu dem anderen. Das Wechselmodell scheint somit „weder eine gute noch eine schlechte Lösung (zu sein), sondern ein Engagement, das unter bestimmten Bedingungen funktionieren kann“ (Balloff/Walter, FamRZ 1990, 445 [450]).
2. Im vorliegenden Fall erscheint das Wechselmodell dem Kindeswohl am dienstlichsten zu sein. Bereits seit Trennung der Parteien haben die Kinder Kontakte zu beiden Elternteilen in ungefähr gleichem Umfang, ohne dass dies ihre Entwicklung negativ beeinflusst hätte. Aus den Stellungnahmen des Kindergartens, des Jugendamts sowie aus der Anhörung der Kinder durch den Senat ergibt sich Entgegengesetztes nicht. Bei der Anhörung haben die Kinder vielmehr durchaus bekundet, sie seien nunmehr längere Zeit bei ihrem Vater und dann bei ihrer Mutter, was sie auch in Ordnung finden. Es ließ sich allerdings eine gewisse Präferenz des Vaters heraushören, die nach Auffassung des Senats aber auch darin begründet sein mag, dass die Kinder das Haus des Vaters, in dem sie bis zum Auszug in das Haus der Großeltern großgeworden sind, als ihr Zuhause begreifen.
Die Bindungen der Kinder zu beiden Elternteilen sind ausgesprochen gut, ebenso wie beide Eltern ein enges Verhältnis zu den Kinder haben. Anlass, an der Erziehungsgeeignetheit eines der beiden Elternteile zu zweifeln, besteht für den Senat nicht. Beide Eltern akzeptieren grundsätzlich, dass auch der andere Elternteil wichtig für die Kinder ist. Dies wurde auch insbesondere dadurch deutlich, dass sie übereinstimmend die Auffassung vertraten, es bedürfe keiner konkreten Vereinbarung hinsichtlich der hohen Feiertage sowie der Eltern- und Kindergeburtstage, da man sich darüber auch im vorigen Jahr kurzfristig verständigt habe. Damit weisen beide Elternteile die für den regelmäßigen Wechsel in besonderem Maß erforderliche Bindungstoleranz auf.
Die Probleme, die im vergangen Jahr sowie auf Grund der vom AG getroffenen Regelung bestanden, realisierten sich vor allen Dingen in den Übergabesituationen; indem die Vereinbarung dahin geht, den Wechsel dadurch zu realisieren, dass die Mutter bzw. der Vater die Kinder freitags nach dem Kindergarten bzw. nach Schulschluss von der jeweiligen Kindereinrichtung abholen, werden diese Situationen deutlich entschärft.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität ist die Elternvereinbarung zu genehmigen. Im Rahmen der Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten hat sich der Senat davon überzeugt, dass alle für die Kinder wesentlichen Örtlichkeiten fußläufig voneinander zu erreichen sind; das Haus des Vaters, das der Großeltern mütterlicherseits, die künftige Wohnung der Mutter, der Kindergarten und die von dem älteren Sohn ab dem Sommer zu besuchende Schule liegen räumlich dicht beieinander. Auch bei dem wöchentlichen Wechsel bleibt den Kindern damit ihr übriges gewohntes Umfeld erhalten. Hinsichtlich der gegebenenfalls unterschiedlichen Erziehungsstile ist der Senat der Auffassung, dass die Kinder mit abweichenden Regeln bei Mutter bzw. Vater umgehen können, wie sie es auch bereits seit ca. einem Jahr unbeschadet zeigen.
Bei der Genehmigung der Elternvereinbarung ist sich der Senat bewusst, dass gegenüber der Festschreibung des Wechselmodells bei Eltern, die (noch) stark im Konflikt miteinander stehen oder bei denen sich zumindest ein Elternteil gegen dieses Modell ausspricht, deutliche Zurückhaltung geboten ist (Balloff/Walter, FamRZ 1990, 445 [454]; OLG München, Beschl. v. 1. 10. 2001 - 16 UF 1095/01). In der persönlichen Anhörung hat der Senat jedoch den Eindruck gewonnen, dass die Parteien durchaus in der Lage sind, über die Belange der Kinder miteinander zu kommunizieren. Der Senat geht auch davon aus, dass sich die auf der Paarebene derzeit noch bestehenden Konflikte zwischen den Eltern im Laufe der Zeit abschwächen werden. Diese Überzeugung wurde dabei auch dadurch bestärkt, dass die Parteien für weitere potenzielle Konfliktpunkte (Kindergeldbezug, Kindesunterhalt, Steuerklasse) zu einer Einigung fanden.
(Mitgeteilt von Vors. Richter am OLG D. Maunz, Dresden)
Anm. d. Schriftltg.:
Zum Wechselmodell s. auch Rakete-Dombek, FF 2002, 16; vgl. ferner zur Vertretungsbefugnis der Eltern im Wechselmodell OLG München, NJW-RR 2003, 1010.
[editiert: 16.11.04, 20:11 von Ingrid]