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Bemessung des Kindesunterhalts bei erheblicher Einkommensdifferenz
BGB § 1606 III 1, 2
Zur Bemessung des anteiligen Barunterhalts, wenn die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse des ein eheliches Kind betreuenden Elternteils erheblich günstiger sind als diejenigen des auf Barunterhalt in Anspruch genommenen anderen Elternteils (Fortführung des Senatsurt., NJW 1981, 1559 = FamRZ 1981, 543).
BGH, Urteil v. 26.10.1983 - IV b ZR 13/82 ()
Die am 8. 12. 1965 geborene Kl. ist im Jahre 1969 vom Bekl. und seiner damaligen Ehefrau, der gesetzlichen Vertreterin der Kl., adoptiert worden. Die Ehe der Adoptiveltern ist im Jahre 1976 geschieden worden. Die Kl. lebt bei ihrer Adoptivmutter, der das Sorgerecht übertragen worden ist. Beide Elternteile sind vermögend und erzielen beträchtliche laufende Einkünfte, ohne erwerbstätig zu sein. Die Kl. hat vom Bekl. monatliche Unterhaltszahlungen von 400 DM ab 1. 1. 1978 und von 500 DM ab 1. 2. 1979 verlangt. Das AG hat durch Teilanerkenntnisurteil eine monatliche Unterhaltsrente von 270 DM ab 15. 8. 1978 zuerkannt - abzüglich für die Monate September 1979 bis Februar 1980 bereits gezahlter jeweils 355 DM und am 19. 9. 1979 gezahlter 4437,50 DM. Durch Schlußurteil hat es 4 % Jahreszinsen auf die Unterhaltsbeträge des Teilanerkenntnisurteils zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG das amtsgerichtliche Schlußurteil teilweise abgeändert, indem es den Bekl. zusätzlich verurteilt hat, für die Zeit vom 1. 1. 1978 bis 14. 8. 1978 monatlich 260 DM nebst Zinsen zu zahlen; ferner hat es die Unterhaltsrente ab 1. 1. 1982 auf monatlich 297 DM erhöht. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es gegeneinander aufgehoben.Die - zugelassene - Revision der Kl. sowie die Anschlußrevision des Bekl. hatten Erfolg.
... 1. Die Kl. kann von ihren Adoptiveltern wie ein gemeinschaftliches eheliches Kind den nach ihrer Lebensstellung angemessenen Unterhalt verlangen, §§ 1754 I, 1610 I BGB. Ihre Lebensstellung richtet sich nach der ihrer Eltern, wobei es insbesondere auf deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse ankommt (vgl. Senatsurt., NJW 1983, 1429 = FamRZ 1983, 473 m. w. Nachw.). Dazu hat das BerGer. festgestellt:
Der Bekl. verfügt über Grundbesitz im Wert von rund 1,5 Mio. DM. Die Adoptivmutter der Kl. ist Inhaberin einer Firmenbeteiligung von einem gutachtlich geschätzten Wert von 1,7 Mio. DM, hat Grundbesitz im Wert von rund 650000 DM und Wertpapiere im Wert von 180000 DM. Die beiderseitigen Nettoeinkünfte, wie sie sich aus den Steuerbescheiden ergeben, haben monatlich betragen (ohne Pfennigbeträge):
Bekl. Mutter
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1977 1808 DM 9034 DM
1978 1225 DM 6200 DM
1979 1606 DM 6825 DM
Das BerGer. hat weiter festgestellt, daß der Gewinnanteil der Mutter aus ihrer Firmenbeteiligung im Jahre 1980 200000 DM betragen hat, während für 1981 insoweit nur ca. 32000 DM zu erwarten waren.
2. Aufgrund dieser wirtschaftlichen Verhältnisse hat das BerGer. angenommen, daß kein Fall vorliegt, in dem gem. § 1606 III 2 BGB die Mutter ihre Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, allein durch die Pflege und Erziehung (Naturalunterhalt) erfüllt, daß sie vielmehr auch am Barunterhalt zu beteiligen ist. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Gleichstellung von Natural- und Barunterhalt gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift nur für den Regelfall. Wenn die Mutter nach der Einschätzung des BerGer. Vermögenswerte besitzt, die diejenigen des Bekl. um mindestens 500000 DM bis zu einer Million DM übersteigen, und darüber hinaus ihre laufenden Einnahmen rund das Dreifache derjenigen des Bekl. ausmachen, kann von einem derartigen Regelfall nicht mehr gesprochen werden, weil die Anwendung der Vorschrift zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen würde (vgl. Senatsurt., NJW 1980, 2306 = FamRZ 1980, 994 f. m. w. Nachw.; s. auch Soergel-Lange, BGB, 11. Aufl., § 1606 Rdnr. 8; Göppinger-Wenz, UnterhaltsR, 4. Aufl., Rdnr. 1233). Zwar hat das BerGer. den Vergleich der laufenden Einnahmen der beiden Elternteile auf der Grundlage einer Saldierung der beiderseitigen zu versteuernden Einkommen mit den festgesetzten Steuern vorgenommen, ohne eine weitere Bereinigung vorzunehmen (vgl. dazu unten 4). Im vorliegenden Fall besitzt jedoch, wie auch die Revision einräumt, diese überschlägige Betrachtungsweise im Zusammenhang mit der Frage des § 1606 III BGB genügend Aussagekraft, weil auch das Vermögen der Mutter erheblich größer ist als das des Bekl.
3. Das BerGer. geht davon aus, daß in den Fällen, in denen die Regel des § 1606 III 2 BGB nicht eingreift, an sich gemäß Satz 1 der Vorschrift der volle Bedarf des Kindes zu ermitteln und nach dem Verhältnis der beiderseitigen Einkommen - unter Einrechnung der Betreuungsleistung der Mutter - auf beide Elternteile zu verteilen sei. Da aber für eine Schätzung des Bedarfs der Kl. kaum konkrete Anhaltspunkte vorhanden seien, hat es für die Unterhaltsbemessung auf Nr. 24 der Leitlinien der Familiensenate des OLG Hamm zum Unterhaltsrecht, Stand Januar 1982, zurückgegriffen (FamRZ 1981, 1213). Danach hat bei Barunterhaltspflicht beider Elternteile in der Regel jeder von ihnen den allein nach seinem Einkommen zu berechnenden Unterhalt zu zahlen. Ein Abzug kann gerechtfertigt sein, wenn beide Eltern ein hohes Einkommen haben. Das BerGer. meint, diese Berechnungsmethode führe zu angemessenen Ergebnissen, weil die Werte der Düsseldorfer Tabelle davon ausgingen, daß mit ihnen nur der anteilige Barbedarf des Kindes gedeckt wird, zu dem der Betreuungsunterhalt des anderen Elternteils hinzutreten muß. Auch nach Auffassung des Senats ist diese Bemessungsmethode im Ansatz rechtlich bedenkenfrei.
a) Er hat bisher entschieden, daß der Barunterhaltsbedarf eines Kindes sich jedenfalls dann nach den Einkommensverhältnissen allein des nicht sorgeberechtigten Elternteils richtet, wenn die Einkünfte beider Eltern sich im mittleren Bereich halten und das Einkommen des Naturalunterhalt gewährenden Elternteils nicht höher ist als das des anderen (NJW 1981, 1559 = FamRZ 1981, 543). Hierbei hat er eine Auffassung abgelehnt, die die Lebensverhältnisse des Kindes bei unterschiedlichen Einkommen der Eltern nach dem Mittelwert der Einkünfte bestimmt. Im Schrifttum wird auch für die Fälle stark unterschiedlicher Einkünfte der Eltern befürwortet, den Barunterhaltsanteil des nicht betreuenden Elternteils allein nach seinem Einkommen zu bestimmen, weil unterstellt werden könne, daß der betreuende Elternteil den restlichen Anteil von sich aus aus seinem Einkommen bestreite (vgl. Soergel-Lange, § 1606 Rdnr. 6; Göppinger-Wenz, Rdnr. 1233; Derleder-Derleder, NJW 1978, 1134).
b) Der Lösungsweg des BerGer. bietet gegenüber einer Quotierung des Gesamtunterhalts des Kindes in strikter Anwendung des § 1606 III 1 BGB (dazu vgl. etwa OLG Köln, FamRZ 1979, 328 (330)) zweifellos den Vorteil, die Bemessung des anteilig zu erbringenden Barunterhalts zu erleichtern und eine - sonst erforderliche - rechnerische Bewertung des Betreuungsaufwandes zu vermeiden. Der Senat hält ihn auch grundsätzlich für gangbar. Die vom BerGer. im Rahmen seines tatrichterlichen Ermessens herangezogene Düsseldorfer Tabelle liefert Werte, die den Höchstbetrag dessen darstellen, was nach den jeweiligen Einkommensgruppen an Barunterhalt verlangt werden kann. Es wäre nicht angemessen i. S. des § 1610 I BGB, einen Unterhaltsverpflichteten zu höheren Leistungen, als danach seinem Einkommen entspricht, allein deswegen heranzuziehen, weil die finanzielle Lage des anderen Elternteils besser ist und dadurch auch die Lebensstellung des Kindes erhöht wird. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob es andererseits angemessen sein kann, bei einem erheblich höheren Einkommen des betreuenden Elternteils die für die Unterhaltspflicht des anderen maßgebenden Tabellensätze zu ermäßigen (so etwa Leitlinien der Familiensenate des OLG Celle für die Bemessung des Unterhalts, Stand 1. 1. 1982, FamRZ 1982, 132). Für den Unterhalt nichtehelicher Kinder ist anerkannt, daß besonders günstige wirtschaftliche Verhältnisse der Mutter es rechtfertigen können, den Regelunterhalt zu unterschreiten ( § 1615h BGB; dazu Soergel-Lange, § 1606 Rdnr. 7; Köhler, in: MünchKomm, § 1606 Rdnr. 2; Göppinger, Rdnr. 746). Deswegen entbehrt eine teilweise vertretene Auffassung der Grundlage, wonach aus § 1610 III BGB zu folgern sei, daß der Vater eines ehelichen Kindes mindestens den Barunterhalt in Höhe des Regelunterhalts nichtehelicher Kinder zu leisten habe (so KG, FamRZ 1979, 171; OLG Schleswig, SchlHA 1980, 113; Palandt-Diederichsen, BGB, 42. Aufl., § 1606 Anm. 4b bb; dagegen: Köhler, in: MünchKomm, ErgBd. § 1606 Rdnr. 7). Es ist nicht gerechtfertigt, den Vater eines ehelichen Kindes in dieser Hinsicht schlechter zu stellen als den eines nichtehelichen Kindes. Die Kürzung des nach der Methode des BerGer. errechneten Anteils des Vaters muß daher in Betracht gezogen werden, wenn die wirtschaftliche Lage der Mutter besonders günstig ist und ihr Einkommen das des Vaters erheblich übersteigt. Bei der Bemessung des (um den Anteil der Mutter ergänzten) Gesamtbarbedarfs des Kindes ist zu beachten, daß dieser während des Heranwachsens und in der Schul- und Ausbildungszeit wesentlich durch das 'Kindsein' geprägt ist und nicht unbegrenzt mit dem Einkommen der Eltern steigt (Senatsurt., FamRZ 1983, 473 (474)). Letztlich muß eine Orientierung an dem Verteilungsmaßstab des Gesetzes ( § 1606 III 1 BGB) ergeben, ob der tabellenmäßig errechnete Anteil des Vaters an dem so gesehenen Gesamtbarbedarf des Kindes im richtigen Verhältnis zu dem Anteil steht, der auf die Mutter entfällt.
4. Im vorliegenden Fall kann aber das angefochtene Urteil schon deswegen keinen Bestand haben, weil das BerGer. bei dem ersten Schritt der erörterten Bemessungsmethode, der Errechnung des nach dem Einkommen des Bekl. in Betracht kommenden Höchstbetrages, nicht rechtsfehlerfrei verfahren ist. Wie die Revision zu Recht rügt, hat es den Bekl. in die unterste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle bzw. in die für Einkommen bis 1600 DM monatlich geltende Gruppe eingeordnet, ohne seine steuerlichen Einkünfte nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu korrigieren. Die zu versteuernden Einkünfte eines Unterhaltspflichtigen sind in der Regel geringer als das Einkommen, nach dem sich der Unterhalt bemißt, weil eine Vielzahl von steuerspezifischen Absetzungs- und Abschreibungsmöglichkeiten unterhaltsrechtlich nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden können (vgl. Senatsurt., NJW 1980, 2083 = FamRZ 1980, 770 m. w. Nachw.; s. auch Göppinger-Wenz, Rdnr. 1176). Dies gilt besonders bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die der Bekl. hier ausschließlich erzielt. Hierbei wirken sich erfahrungsgemäß Abschreibungen für die Abnutzung von Gebäuden sowie Instandsetzungskosten erheblich zugunsten des Steuerpflichtigen aus, ohne daß diese Posten unterhaltsrechtlich in gleicher Weise berücksichtigt werden können. Abschreibungen für die Abnutzung von Gebäuden berühren das unterhaltsrechtlich maßgebende Einkommen nicht, weil ihnen lediglich ein Verschleiß von Gegenständen des Vermögens zugrunde liegt. Die zulässigen steuerlichen Pauschalen gehen vielfach über das tatsächliche Ausmaß der Wertminderung hinaus; auch ist zu berücksichtigen, daß sie durch eine günstige Entwicklung des Immobilienmarkts ausgeglichen werden können (vgl. dazu Puls, DAVorm 1975, 151; Kalthoener-Haase=Becher-Büttner, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 2. Aufl., Rdnr. 426; LG Memmingen, DAVorm 1975, 357 (359)). Instandsetzungskosten können unterhaltsrechtlich nur insoweit einkommensmindernd berücksichtigt werden, als es sich um notwendigen Erhaltungsaufwand handelt und nicht um den Aufwand für eine Vermögensbildung, wie er etwa vorliegt, wenn Ausbauten und wertsteigernde Verbesserungen vorgenommen worden sind (vgl. dazu Göppinger, Rdnr. 1010).
Im vorliegenden Fall hat die Kl. mit Schriftsatz vom 26. 9. 1980, auf den sie sich im Berufungsverfahren bezogen hat, substantiiert geltend gemacht, daß das steuerliche Einkommen des Bekl. für die Unterhaltsbemessung jährlich um 20262 DM wegen entsprechender Abschreibungen und um erhebliche Summen wegen des Abzugs von Instandsetzungskosten zu erhöhen sei, ohne daß das BerGer. darauf eingegangen ist. Das angefochtene Urteil beruht somit auf einer unvollständigen Würdigung des Parteivorbringens ( § 286 ZPO), die sich zum Nachteil der Kl. ausgewirkt haben kann. Die Sache muß an das OLG zurückverwiesen werden, damit es die gebotenen Feststellungen nachholt und auf dieser Grundlage über den Unterhaltsanspruch der Kl. erneut befindet.
5. Die Anschlußrevision, die zulässigerweise allein gegen die Kostenentscheidung des BerGer. gerichtet ist (BGHZ 17, 392 (397) = NJW 1955, 1394), hat schon deswegen Erfolg, weil das angefochtene Urteil samt der Kostenentscheidung aus anderen Gründen aufzuheben ist. Ob die erhobenen Angriffe gegen die Kostenverteilung aufgrund des bisherigen Prozeßergebnisses gerechtfertigt sind, kann dahinstehen, da das für die neue Kostenregelung maßgebende Prozeßergebnis noch nicht feststeht. Der Bekl. wird Gelegenheit haben, die mit der Anschlußrevision vorgetragenen Gesichtspunkte in der neuen Verhandlung dem BerGer. zu unterbreiten.
6. Für das weitere Verfahren wird noch auf folgendes hingewiesen:
a) Soweit die Revision beanstandet, daß die Einkünfte der Mutter der Kl. aus ihrer Kommanditbeteiligung nach einem Mittelwert zwischen dem einkommensschwachen Jahr 1981 und dem einkommensstarken Jahr 1980 angesetzt worden sind, ist die Rüge unbegründet. Bei Einkünften aus Kapitalvermögen treten nicht selten beträchtliche Einkommensschwankungen auf, so daß es sachgerecht ist, der Unterhaltsbemessung den Durchschnittswert aus einem längeren Zeitraum (in der Regel drei Jahre) zugrunde zu legen und auch die mit einiger Sicherheit voraussehbare künftige Entwicklung in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsurt., NJW 1982, 1645 = FamRZ 1982, 151 (152); Göppinger-Wenz, Rdnr. 1175 m. w. Nachw.).
b) Es ist anerkannt, daß der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit das sogenannte bereinigte Nettoeinkommen unter Abzug des Beitrags für die gesetzliche oder eine angemessene private Krankenversicherung zugrunde zu legen ist (Senatsurt., NJW 1982, 1983 = FamRZ 1982, 887 (888) m. w. Nachw.). Das BerGer. wird daher bei der neuen Entscheidung auch die vom Bekl. geltend gemachten Krankenversicherungsbeiträge zu beachten haben.
[editiert: 26.04.04, 15:10 von Ingrid]