OLG Dresden: Anrechnung einer Abfindung auf das Einkommen des Unterhaltspflichtigen NJWE-FER 2000 Heft 10 256
Die infolge einer betriebsbedingten Kündigung gezahlte Abfindung ist in Höhe des Differenzbetrages zwischen erhaltenem Arbeitslosengeld und früherem Nettoeinkommen dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen so lange hinzuzurechnen, bis der Abfindungsbetrag verbraucht ist.
Hat der Unterhaltsschuldner trotz ausreichender Bemühungen keine neue Arbeitsstelle gefunden, ist es unterhaltsrechtlich hinzunehmen, dass er sich nach einem Jahr selbstständig macht (hier: als Buchhalter) und nur noch den Mindestkindesunterhalt zahlt. (Leitsätze des Einsenders)
Der Kl. ist der Vater des 1989 geborenen A und der 1991 geborenen B. Im Scheidungsverfahren haben die Parteien am 9. 4. 1997 einen Vergleich geschlossen, wonach der Kl. sich verpflichtete, für A Unterhalt in Höhe von 415 DM und für B Unterhalt in Höhe von 325 DM zu zahlen. Dabei gingen die Parteien bei Abschluss des Vergleichs von einem unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkommen des Kl. in Höhe von 2411 DM aus. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kl. die Abänderung dieses Vergleichs und begründete dies mit einer wesentlichen Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse auf Grund der seit Juni 1997 eingetretenen Arbeitslosigkeit. Sein Arbeitsverhältnis wurde aus betriebsbedingten Gründen zum 31. 5. 1997 gekündigt. Der Kl. hat eine Abfindung von 15000 DM erhalten. Ihm wurde für den Zeitraum von Juni 1997 bis einschließlich Dezember 1997 ein monatliches Arbeitslosengeld in Höhe von 2140,74 DM und ab dem 1. 1. 1998 ein monatliches Arbeitslosengeld in Höhe von 2156,55 DM gezahlt. Ab 1. 4. 1998 hat der Kl. sich als Buchhalter selbstständig gemacht und aus dieser Tätigkeit für 1998 einen Verlust in Höhe von 27306,62 DM sowie für das erste Halbjahr 1999 einen Überschuss in Höhe von 13767,48 DM erwirtschaftet. Der Kl. trägt vor, er habe ausreichende Bemühungen zur Erlangung einer neuen Erwerbstätigkeit unternommen, diese seien indes ergebnislos gewesen. Zum Beweis hierfür hat er für den Zeitraum von Mai 1997 bis Januar 1998 insgesamt 67 Bewerbungen vorgelegt. Die Bewerbungen erfolgten überwiegend auf über das Arbeitsamt bundesweit ausgeschriebene Stellen sowie in Einzelfällen auf Stellenannoncen aus örtlichen Tageszeitungen.
Das AG - FamG - hat der Abänderungsklage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. (Mutter) war nur teilweise erfolgreich. Aus den Gründen:
Zu Unrecht vertritt die Bekl. die Auffassung, der Kl. habe unterhaltsrechtlich leichtfertig gehandelt, da er keine Kündigungsschutzklage erhoben hat.
Der Bekl. ist zuzugestehen, dass der Unterhaltsschuldner regelmäßig gehalten ist, seine Erwerbsfähigkeit und damit seine Leistungsfähigkeit im bisherigen Umfang soweit möglich aufrechtzuerhalten. Dazu kann auch bei einer betriebsbedingten Kündigung die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gehören (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1282 = FamRZ 1994, 372). Indes ist der Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage vorliegend nicht unterhaltsrechtlich leichtfertig, da offensichtlich vorliegend die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht zur Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses geführt hätte. Jedenfalls bei einer nicht offensichtlich unbegründeten Kündigung wird der Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage nicht als unterhaltsrechtlich leichtfertig zu beurteilen sein (BGH, NJW-RR 1993, 1282; OLG Dresden - 10. Senat -, FamRZ 1997, 836; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 963 = NJWE-FER 1996, 2 L = FamRZ 1996, 1017 [1018]).
Dem Kl. ist auch kein Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit vorzuwerfen mit der Folge, dass ihm fiktives Einkommen - wie dies die Bekl. meint - zuzurechnen wäre. Zwar ist der Bekl. zuzugestehen, dass der Kl. grundsätzlich verpflichtet ist, bei Verlust seines Arbeitsplatzes sich intensiv um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen, die ihn in die Lage versetzt, den bisherigen Unterhalt weiter zu leisten. Zu Unrecht ist die Bekl. indes der Auffassung, der Kl. habe gegen diese Verpflichtung verstoßen. Er hat ausweislich der vorgelegten Bewerbungsschreiben sich bundesweit um eine Arbeitsstelle in seinem bisherigen Beruf beworben, und er hat darüber hinaus - wenngleich im geringeren Umfang - sich selbst auf Stellenanzeigen, die nicht durch das Arbeitsamt vermittelt wurden, beworben.
Mit der Vorlage dieser Bewerbungen ist der Kl. auch seiner Darlegungs- und Beweislast nachgekommen. Zu Unrecht geht in diesem Zusammenhang die Bekl. davon aus, dass der Kl. auch gehalten gewesen wäre, Eingangsbestätigungen seiner Bewerbungen bzw. Ablehnungsschreiben zu jeder einzelnen Bewerbung zur Glaubhaftmachung vorzulegen. Dem Senat ist aus vielen unterhaltsrechtlichen Verfahren bekannt, dass Bewerbungen nicht von jedem Stelleninserenten beantwortet werden, insbesondere wenn eine Besetzung der Stelle mit dem Bewerber nicht in Betracht kommt. In vielen Fällen werden von den inserierenden Firmen nicht einmal Bewerbungsunterlagen zurückgesandt.
Der Senat teilt auch die Auffassung des FamG, wonach es kein unterhaltsrechtlich leichtfertiges Verhalten des Kl. darstellt, wenn er angesichts seiner erfolglosen Bewerbung über einen Zeitraum von nahezu einem Jahr letztlich den Weg in eine selbstständige Tätigkeit gewählt hat. Zwar ist der Kl. grundsätzlich verpflichtet, bei der Suche nach einer neuen Erwerbstätigkeit zu versuchen, das bisherige für die Unterhaltsfestsetzung maßgebliche Einkommen wieder zu erzielen, so dass generell bei einem Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit auch die Zurechnung eines Einkommens in Betracht kommt, das eine Leistungsfähigkeit über die Regelbeträge hinaus gestattet (vgl. insoweit OLG Zweibrücken, NJWE-FER 1998, 198). Nachdem ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit beim Kl. vorliegend indes nicht gegeben ist und darüber hinaus die selbstständige Tätigkeit des Kl., wie seine betriebswirtschaftlichen Auswertungen des ersten Halbjahres 1999 zeigen, eine positive Entwicklung nimmt und er letztlich bereit ist, die Regelbeträge zu leisten, ist es für die Unterhaltsberechtigten in einer derartigen Situation hinnehmbar, dass der Unterhalt für eine Übergangszeit reduziert wird.
Eine derartige Reduzierung der Unterhaltsbeträge muss die Bekl. indes erst ab Juni 1998 hinnehmen, da der Kl. für den Zeitraum vorher gehalten war, die Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes für den vergleichsweise festgelegten Unterhalt einzusetzen.
Unstreitig hat der Kl. für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 15000 DM netto erhalten. Dieses Einkommen ist unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen (BGH, NJW 1990, 703 = FamRZ 1990, 372; Senat, Urt. v. 21. 8. 1996 - 20 UF 72/96). Der Kl. hat auch nicht vorgetragen, dass er die Abfindung aus unterhaltsrechtlich anerkennenswerten Gründen für andere Zwecke verbraucht hat.
Nachdem die Abfindungszahlung wegen ihres Entschädigungscharakters für den Verlust des Arbeitsplatzes regelmäßig dazu dient, die bisherigen Einkommensverhältnisse für eine Übergangszeit aufrechtzuerhalten, kann sich der Kl. auf eine Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse, die ihn berechtigen, den Vergleich abzuändern, erst ab dem Zeitpunkt berufen, ab dem die Abfindung unterhaltsrechtlich aufgebraucht ist.
Der Senat hält es für geboten, dem Kl. die Abfindung in Höhe von 15000 DM dergestalt zuzurechnen, dass er monatliche Teilbeträge der Abfindung dazu verwendet, das bezogene Arbeitslosengeld bis zur Höhe seines bisherigen Nettoeinkommens aufzustocken. Bei Einkünften aus Arbeitslosengeld in Höhe von 2140,75 DM für den Zeitraum bis zum 31. 12. 1997 und solchen Einkünften in Höhe von 2156,55 DM ab Januar 1998 kann der Kl. sein bisheriges Nettoeinkommen bis einschließlich Mai 1998 aufrechterhalten mit der Folge, dass die von ihm begehrte Änderung des Vergleichs erst ab Juni 1998 eine tatsächliche Grundlage in den veränderten Einkommensverhältnissen findet. Bis einschließlich Mai 1998 kann deshalb der Kl. über Einkommen verfügen, das ihn in die Lage versetzt, weiterhin die im Vergleich festgelegten Unterhaltsbeträge zu zahlen.
(Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Steuerberater I. Drescher, Dresden) Anm. d. Schriftltg.:
Zu Ls. 1 vgl. OLG Hamm, FamRZ 1997, 1169. - Zu Ls. 2 s. auch OLG Dresden, NJWE-FER 1999, 6.
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