Der Unterhaltsbedarf einer Halbwaise bemisst sich mit dem doppelten Tabellensatz, abzüglich Halbwaisenrente und Kindergeld.
Ist ein Kind nicht in der gesetzlichen Krankenkasse mitversichert, so hat es zusätzlich zum Barunterhalt Anspruch auf Zahlung des Beitrags für eine private Krankenversicherung.
Ein Unterhaltsschuldner darf eine ausgeübte selbständige Tätigkeit auch nach Eintritt in das Rentenalter nur aus triftigem Grund aufgeben, wenn ansonsten der Regelbedarf seines minderjährigen Kindes gefährdet ist.
Bei der Kostenverteilung ist der laufende Unterhalt mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag ab Anhängigkeit der Klage zu bewerten, es sei denn, eine kürzere Laufzeit des Titels ist absehbar. (Leitsätze des Gerichts)
Oberlandesgericht Dresden 10. Zivilsenat - Familiensenat, Urteil vom 28. 11. 2002 - 10 UF 569/02 Zum Sachverhalt:
Die minderjährigen Klägerinnen zu 1.) und 2.) begehren von ihrem Vater, dem Beklagten, den Regelunterhalt. Sie leben seit dem Tod ihrer Mutter am 5. 5. 2002 bei A., die mit Bestallungsurkunde vom 30. 5. 2001 zum Vormund bestellt wurde. Die Klägerinnen erhalten eine Halbwaisenrente von jeweils monatlich 201,03 DM (102,79 EUR).
Der Beklagte, der längere Zeit arbeitslos war, betreibt seit 1998 mehrere Marktstände. Hieraus erwirtschaftete er von 1998 bis 2000 ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 511,29 EUR. Seit 1. 8. 1999 bezieht er zusätzlich eine Altersrente von 425,61 EUR, die mit Rentenbescheid vom Juni 2002 zum 1. 7. 2002 auf 438,93 EUR monatlich erhöht wurde. An Krankenkassenbeiträgen zahlte der Beklagte bis 28. 2. 2002 420,48 EUR und ab 1. 3. 2002 336,41 EUR; dies deshalb, weil die Klägerinnen ab 1. 3. 2002 über ihren Vormund in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert sind. Der Beklagte lebt aufgrund eines ihm zustehenden Wohnrechts mietfrei, an Nebenkosten wendet er monatlich 71,58 EUR auf.
Die Klägerinnen vertraten erstinstanzlich die Auffassung, der Beklagte müsse sich neben den Einkünften aus Rente und seiner selbständigen Tätigkeit auch einen Wohnvorteil für mietfreies Wohnen von 255,65 EUR sowie einen geldwerten Vorteil für die Nutzung seiner Firmenfahrzeuge von 153,39 EUR monatlich zurechnen lassen. Die Krankenkassenbeiträge seien überhöht und daher nicht anzuerkennen. Darüber hinaus obliege dem Beklagten auch als Rentner eine gesteigerte Erwerbsverpflichtung, um den Regelbetrag zahlen zu können.
Die Klägerinnen beantragten erstinstanzlich für die Klägerin zu 1.) eine monatliche Unterhaltsrente von 487,00 DM sowie für die Klägerin zu 2.) für September und Oktober 2001 eine monatliche Unterhaltsrente von jeweils 411,00 DM und ab November 2001 eine solche von 487,00 DM zu zahlen.
Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerinnen müssten sich die Halbwaisenrente bedarfsmindernd anrechnen lassen. Im Übrigen sei er im Hinblick auf die monatlichen Belastungen für seine Krankenkasse nicht leistungsfähig.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat mit Urteil vom 14. 6. 2002 der Klage stattgegeben. In den Urteilsgründen hat das Familiengericht bei der Berechnung des bereinigten Nettoeinkommens des Beklagten dessen Rente sowie Einnahmen aus seiner selbständigen Tätigkeit von 511,29 EUR und einen Wohnvorteil von 204,00 EUR zugrundegelegt und ist somit von einer Leistungsfähigkeit des Beklagten in Höhe des Regelbetrages gemäß § 2 der RegelbetragsVO ausgegangen.
Der Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Er ist weiterhin der Auffassung, nicht leistungsfähig zu sein. Er rügt, das Familiengericht habe zu Unrecht die Krankenkassenbeiträge nicht von seinem Einkommen abgesetzt und die Halbwaisenrente nicht bedarfsmindernd angerechnet. Darüber hinaus habe er seine gewerbliche Tätigkeit zum 31. 8. 2002 teilweise aufgegeben und erziele nunmehr lediglich monatliche Einnahmen von 200,00 EUR. Aus den Gründen:
Die Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.
1. Den Klägerinnen steht lediglich im tenorierten Umfang ein Anspruch gemäß §§ 1601 ff. BGB zu. Das Familiengericht ist zutreffend von einer Bedürftigkeit der Klägerinnen ausgegangen. Ihr Bedarf bemisst sich nach dem Tod ihrer Mutter nach der Gesamtheit des ihnen zustehenden Bar- und Betreuungsunterhaltes. Dieser Gesamtbedarf wäre nach dem Tod der Mutter in vollem Umfang vom überlebenden Elternteil, dem Beklagten, zu erbringen. Wird jedoch der Betreuungsunterhalt wie vorliegend von Dritten, die hierzu nicht verpflichtet sind, erbracht, so kann der überlebende Elternteil nicht nur in Höhe des Tabellenunterhaltes in Anspruch genommen werden. Vielmehr ist in solchen Fällen in Anbetracht der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt der Gesamtunterhaltsbedarf nach dem doppelten Tabellensatz zu bemessen. Auf den so ermittelten Unterhaltsbedarf sind die Halbwaisenrente und auch das Kindergeld in voller Höhe anzurechnen (BGH FamRZ 1980, 1109; OLG Hamm FamRZ 2001, 1023; DAV 1999, 1142; OLG Stuttgart FamRZ 2001, 1241; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rdn. 537, 538; Wendl/Staudigl/Haußleiter, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 1 Rdn. 430). Das führt zu einem Anspruch in Höhe von je 241,21 EUR.
2. Das Familiengericht ist indes zu Unrecht von einer Leistungsfähigkeit des Beklagten in Höhe dieses Bedarfs ausgegangen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
a) Die Renteneinkünfte des Beklagten haben sich im streitgegenständlichen Zeitraum September 2000 bis 30. 6. 2002 auf 425,61 EUR und ab 1. 7. 2002 auf 438,93 EUR belaufen. Zusätzlich hat er 511,29 EUR aus dem Betreiben mehrerer Marktstände erzielt. Insgesamt verfügte der Beklagte somit von September 2001 bis 30. 6. 2002 über ein Nettoeinkommen von 936,90 EUR und ab 1. 7. 2002 über ein solches von 950,22 EUR.
b) Entgegen der Auffassung des Familiengerichts erhöht sich dieses Einkommen nicht durch die Mietersparnis des Beklagten aufgrund eines ihm zustehenden Wohnrechts. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt Beschlüsse vom 17. 7. 2002 - 10 UF 321/02; vom 6. 8. 2001 - 10 UF 188/01 - und Urteile vom 16. 5. 2000 - 10 UF 344/99 - und vom 27. 3. 2002 - 10 UF 217/02) ist diese nicht als Einkommen zu berücksichtigen, sondern führt zu einer entsprechenden Absenkung des dem Beklagten zustehenden Selbstbehalts (vgl. auch Ziffer 11.2.a] der Leitlinien des Oberlandesgerichts Dresden, Stand 1. 1. 2002).
c) Dem Einkommen des Beklagten ist auch kein geldwerter Vorteil für die Nutzung der Firmenfahrzeuge zuzurechnen. Der Beklagte bestreitet, dass es sich bei den Fahrzeugen um Firmenfahrzeuge handelt. Aus den von ihm vorlegten Gewinn- und Verlustrechnungen ergeben sich keine Aufwendungen für Firmenfahrzeuge. Darüber hinaus kommt es letztendlich auch nicht darauf an, ob es sich bei den streitgegenständlichen Fahrzeugen um Firmen- oder Privatfahrzeuge handelt. Ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Fahrzeugscheine handelt es sich um einen Lastkraftwagen, Transporter 1.7 Diesel, Kastenwagen, Baujahr 1988 und einen Lastkraftwagen Ford Kombi, Baujahr 1989, d.h., um ältere Modelle, die wirtschaftlich längst abgeschrieben sind und einen äußerst geringen Marktwert besitzen. Unter diesem Blickwinkel kann ein geldwerter Vorteil für das Nutzen nicht mehr angesetzt werden. Auch würde die Zurechnung eines geldwerten Vorteils deswegen ausscheiden, weil der Beklagte als Rentner zur Sicherung seiner Existenz nicht auf die Haltung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist und der Nutzung für private Zwecke daher keine Aufwendungen für die Anmietung oder Haltung eines Fahrzeuges gegenüberstehen (OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 533, 534).
d) Von seinen Einkünften kann der Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von 420,58 EUR monatlich bis zum 28. 2. 2002 und von 336,41 EUR monatlich ab dem 1. 3. 2002 absetzen. Soweit die Klägerinnen meinen, diese Beträge seien überhöht und der Beklagte sei verpflichtet, durch eine Veränderung des Leistungsumfangs eine Verringerung seines Tarifs herbeizuführen, kann dem nicht gefolgt werden. (Wird ausgeführt)
Der Beklagte kann auch die von ihm bis zum 28. 2. 2002 für die Klägerinnen erbrachten Krankenkassenbeiträge von jeweils 69,89 EUR monatlich, die in dem von ihm gezahlten Betrag von 420,58 EUR enthalten sind, vorweg von seinem Einkommen abziehen (siehe Leitlinien des Oberlandesgerichts Dresden, Stand 1. 1. 2002, III. Nr. 19). Der Krankenkassenbeitrag ist nicht in den Tabellensätzen enthalten und entsteht somit zusätzlich, wenn die Unterhaltsberechtigten - wie vorliegend - nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert sind, so dass das Einkommen vorweg um diese Beträge zu bereinigen ist (so auch OLG Nürnberg FuR 2001, 81).
e) Da der Beklagte die höheren Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt, steht diesem der Erwerbstätigenselbstbehalt, der nach den Leitlinien des Oberlandesgerichts Dresden (Stand 1. 7. 2001) 1465,00 DM und ab 1. 1. 2002 750,00 EUR beträgt, zu. Dieser ist jedoch um die Warmmietersparnis (im Selbstbehalt enthaltener Warmmietanteil von 585,00 DM bzw. 300,00 EUR ./. unstreitiger Nebenkostenpauschale von 71,58 EUR) um 228,42 EUR auf 1020,25 DM bzw. ab 1. 1. 2002 auf 521,58 EUR zu reduzieren.
3. Hiermit ist der Beklagte unter Berücksichtigung der Zahlung der Krankenkassenbeiträge für die Klägerinnen bis März 2002 nicht leistungsfähig.
Ab März 2002 steht dem Beklagten unter Abzug des reduzierten Selbstbehalts von 521,58 EUR von seinem bereinigten Einkommen von 600,49 EUR 78,91 EUR für Unterhaltszahlungen zur Verfügung, womit er in der Lage ist, für die Klägerinnen von März 2002 bis 30. 6. 2002 eine monatliche Unterhaltsrente von jeweils 39,45 EUR zu erbringen.
Ab der Rentenerhöhung im Juli 2002 verbleiben dem Beklagten nach Abzug des Selbstbehalts 92,93 EUR. Hiermit kann er an die Klägerinnen eine monatliche Unterhaltsrente von jeweils 46,12 EUR zahlen.
Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, ab teilweiser Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit, mithin seit 31. 8. 2002 nicht mehr leistungsfähig zu sein. Nach Auffassung des Senats ist ihm im Hinblick auf seine gesteigerte Unterhaltsverpflichtung die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit im bisherigen Umfang zumutbar, so dass ihm weiterhin fiktiv die bisher erzielten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zuzurechnen sind. Zwar entfällt nach dem Erreichen des 65. Lebensjahres nach den sozialen Gepflogenheiten eine Verpflichtung zur weiteren Erwerbstätigkeit (Kalthoener/Büttner, a.a.O., Rdn. 749; Wendl/Staudigl/Haußleiter, a.a.O. § 1 Rdn. 347; OLG Hamburg FamRZ 1985, 394). Von diesem Grundsatz kann jedoch in Ausnahmefällen abgewichen werden (Wendl/Staudigl/Haußleiter, a.a.O.). Eine Ausnahme hiervon ist unter Abwägung der Interessen geboten, wenn es um die Sicherung des Regelbedarfes minderjähriger Kinder geht. Dabei hat der Senat auf Seiten des Beklagten berücksichtigt, dass dieser auch nach Erreichen des 65. Lebensjahres die zwei Jahre zuvor aufgenommene selbständige Tätigkeit freiwillig fortgeführt hat. Darüber hinaus gehört der Beklagte zu der Gruppe, die in der Vergangenheit nur bescheidene Rentenansprüche begründet und somit bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit deren Fortführung über die übliche Altersgrenze hinaus eingeplant hat (OLG Hamburg, a.a.O.). Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass er die Zusatzeinkünfte auch für die Zukunft benötigt, in dem er angab, weiterhin, aber in geringerem Umfang tätig sein zu wollen. Für die Aufgabe mehrerer Marktstände nannte er keinen triftigen Grund. Es ist deshalb nicht unbillig, ihm weiterhin fiktiv die bisherigen Einkünfte von 511,29 EUR monatlich zuzurechnen.
4. Die Kosten beider Instanzen waren gemäß den §§ 91 , 92 ZPO zu verteilen. Bei Unterhaltsprozessen wie vorliegend ist es dabei fraglich, wie die Kostenaufteilung bei unterschiedlichen Obsiegen und Unterliegen in verschiedener Höhe für Unterhaltsrückstände, laufenden Unterhalt während des Verfahrens und für die Zeit nach der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen hat. Nach Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO, 56. Aufl., § 92 Rdn. 36; Lappe, Kosten in Familiensachen, 5. Aufl., Rdn. 384, sind die Kosten nach dem Gebührenwert gemäß § 17 GKG aufzuteilen: Nur diese Werte würden die Gebühren widerspiegeln, die auf Rückstand und laufenden Unterhalt entfallen und bei getrennter Rechtsverfolgung entstehen würden.
Nach Auffassung des Senats (so auch OLG München FamRZ 1997, 762; OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 221) entspricht die Bewertung des laufenden Unterhalts mit dem geltend gemachten Betrag nur eines Jahres in § 17 Abs. 1 GKG nicht der wirklichen Bedeutung des Rechtsstreits, sondern allenfalls dem Interesse der Parteien an einer geringen Kostenbelastung für die Berechnung der Gerichts- und Anwaltsgebühren. Sie gibt den Ausgang des Prozesses nicht sachgerecht wieder. Das wirkliche Interesse der Parteien eines Unterhaltsprozesses, in dem es um laufend zu zahlenden Unterhalt geht, ist jedoch im Allgemeinen viel höher, weil der Ausgang des Prozesses meistens für eine wesentlich längere Zeit als nur ein Jahr Bedeutung hat. Auch das Gesetz stellt, soweit es nicht um die Verfahrenskosten geht, in § 9 ZPO auf den dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Betrages ab. Der Senat bemisst daher in Anlehnung an die Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (a.a.O.) den laufenden Unterhalt nach der abzuschätzenden tatsächlichen Bedeutung für die Parteien entsprechend § 9 ZPO auf den dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Betrages oder, falls die Volljährigkeit eines Unterhaltsberechtigten vor diesem Zeitpunkt eintritt, bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres. Soweit das OLG München (a.a.O.) die Auffassung vertritt, bei der Kostenverteilung in solchen Unterhaltsverfahren seien die bereits fällig gewordenen Unterhaltsbeträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung getrennt nach Obliegen und Unterliegen aufzusummieren und um den zwölffachen Monatsbetrag des zuerkannten bzw. abgewiesenen Zukunftsunterhaltes zu erhöhen, vermag der Senat dem nicht zu folgen, da hierdurch gerade dem Interesse der Parteien an einem Titel für laufende Unterhaltsansprüche auch unter Berücksichtigung, dass die Titel unter Umständen eine kürzere Laufzeit haben, nicht genügend Bedeutung zukommt.
Berücksichtigt man im vorliegenden Fall in Bezug auf den geltend gemachten Unterhalt den Zeitraum von dreieinhalb Jahren, so ist der Beklagte mit 4 x 39,45 EUR x 2 + 38 x 46,12 EUR x 2 = 3820,72 EUR unterlegen. Mit der Berufung begehrte der Beklagte, an die Klägerin keinen Unterhalt zahlen zu müssen, womit der Kostenstreitwert von 6894,26 EUR um 30 x 249,00 EUR x 2 = 14940,00 EUR auf einen Gesamtbetrag von 21831,26 EUR zu erhöhen war. Der Wert des Unterliegens des Beklagten liegt danach bei 18%.
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