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OLG Düsseldorf: Versagung von nachehelichem Unterhalt wegen Unterhaltsneurose NJW-RR 1989 Heft 19 1157
Versagung von nachehelichem Unterhalt wegen Unterhaltsneurose
BGB §§ 1579 Nr. 7, 1572
Beruht die Bedürftigkeit des geschiedenen Ehegatten auf einer zu somatischen Beschwerden führenden charakterlichen Fehlhaltung, die in unangemessenen Wunsch- und Begehrenstendenzen wurzelt (Unterhaltsneurose), so kommt ein Ausschluß oder eine Beschränkung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt gem. § 1579 Nr. 7 BGB in Betracht.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.1989 - 6 UF 110/88
Zum Sachverhalt:
Die 1950 geborene Ast. und der 1951 geborene Ag. haben 1975 geheiratet. Die Eheleute trennten sich im April 1982. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen. Die Ehe ist durch - insoweit seit dem 14. 5. 1988 rechtskräftiges - Verbundurteil geschieden. Die Ast. ist inzwischen wieder verheiratet. Sie hat eine kaufmännische Lehre absolviert und war während der gesamten Ehezeit erwerbstätig. Im März 1984 mußte sie sich einer Herzoperation in der chirurgischen Klinik der Universität Münster unterziehen. Am 1. 3. 1985 wechselte sie bei ihrem Arbeitgeber von der bis dahin gegebenen Vollzeitbeschäftigung auf Teilzeitarbeit mit 24 Wochenstunden im sogenannten Job-Sharing. Der Ag., von Beruf Industriekaufmann, begann Ende 1975 u. a. an Angst- und Spannungszuständen, Schwindelgefühlen, Herz- und Kreislaufstörungen zu leiden. Ihn behandelnde Ärzte diagnostizierten vegetative Dystonie, depressive Angstneurose, Vertigo-Syndrom und psychovegetative Störungen. Er ist deswegen 1978 auf eigenen Wunsch aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Fortan wurde er von der Ast. unterhalten und nach der Trennung der Parteien von seinen Eltern unterstützt.
Das AG hat den Antrag des Ag. auf Zuerkennung nachehelichen Unterhalts von monatlich 700 DM abgewiesen. Seine Berufung, mit der er nur noch monatlichen Unterhalt von 350 DM begehrt, hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
... Der Ag. kann von der Ast. die Zahlung nachehelichen Unterhalts nicht verlangen. Als Anspruchsgrundlage kommt § 1572 in Betracht. Der Ag. ist seit 1. 11. 1985 krank und arbeitsunfähig. Er leidet an einer Neurasthenie, einer Sonderform einer Neurose. Das aktuelle Beschwerdebild wird beherrscht durch Schwindel, Schweißausbrüche, Ängste, innere Sperren und ein Gefühl des Zusammenbruchs. Diese Symptome können jederzeit auftreten, vor allem aber bei Aufregung, Ärger, Anforderung jeder Art und Wechsel der Umgebung. Dies schließt eine kontinuierliche Arbeit, auch im früheren Beruf des Ag. als kaufmännischer Angestellter, aus.
Diese Feststellungen, wie auch die späteren Ausführungen zum Gesundheitszustand des Ag. (vgl. unten) beruhen auf dem schriftlichen Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 8. 9. 1986, dem Zusatzgutachten der Dipl.-Psychologin S vom 19. 8. 1986 sowie dem Bericht der Stadtärztin Dr. L vom 24. 1. 1986. Der Senat hat sich die Gutachten von Dr. H und Frau S in der mündlichen Verhandlung eingehend erläutern lassen. Zur Anhörung der inzwischen pensionierten Stadtärztin Dr. L bestand kein Anlaß, weil diese eine gründliche Untersuchung nicht hat durchführen können und im wesentlichen nur den Zustand des Kl. bei einem Hausbesuch am 27. 11. 1985 beschrieben hat. Die schriftlichen Gutachten und die Anhörung der Sachverständigen haben die überragende Sachkunde von Dr. H und Frau S bestätigt. Dr. H ist Leiter der Abteilung Psychiatrie II der Rheinischen Landesklinik K., Frau S ist in dieser Klinik als Psychologin tätig. Beide haben den Ag. selbst untersucht. Sie haben in der mündlichen Verhandlung auf alle Fragen überzeugende Antworten gegeben, andererseits aber auch, insbesondere zu der im Parallelverfahren zu erörternden Frage der Arbeitsunfähigkeit vor November 1985, auf die Grenzen ihrer Erkenntnismöglichkeiten hingewiesen. Die eingehende Untersuchung des Ag. in der Rheinischen Landesklinik lag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zwar 2 "1/4" Jahre zurück. Der Senat hat jedoch in Übereinstimmung mit Dr. H und Frau S eine erneute Untersuchung des Ag. für entbehrlich gehalten. Beide Parteien behaupten nicht, daß sich die Beschwerden seit 1986 verändert hätten. Auch die Ast. trägt nicht vor, daß der Ag. jetzt arbeitsfähig sei. Sie wirft ihm lediglich vor, daß er sich nicht in gezielte ärztliche Behandlung begeben habe.
Der Bedarf des Ag. bestimmt sich allein nach dem Erwerbseinkommen der Ast. Wie hoch der Bedarf ist, braucht nicht im einzelnen festgelegt zu werden; da der Ag. höchstens 350 DM ab Rechtskraft der Scheidung verlangt, genügt die Feststellung, daß dieser Betrag vom Ag. zur Aufrechterhaltung des ehelichen Lebensstandards mindestens benötigt wird. Er hat substantiiert vorgetragen, daß sich seine von den Eltern gedeckten Lebenshaltungskosten auf mindestens 880 DM monatlich belaufen. Die Ast. hat sich hierzu zwar mit Nichtwissen erklärt, im Parallelverfahren aber selbst einen Bedarf von 900 DM im Monat eingeräumt. Der Betrag von 350 DM ist so gering, daß er nicht einmal den Notbedarf auch nur annähernd deckt. Die Ast. kann diesen Betrag jedoch nur teilweise entrichten, da sie nur eingeschränkt leistungsfähig ist. (Wird ausgeführt.) Von ihrem Einkommen von 1300 DM monatlich müssen der Ast. bis 31. 12. 1988 990 DM, ab 1. 1. 1989 1100 DM verbleiben. Der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß es in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, der Billigkeit entspricht, daß dem verpflichteten Ehegatten nur der notwendige Unterhalt, der nach Abschnitt B IV der Düsseldorfer Tabelle 990 DM (Stand 1. 1. 1985, NJW 1984, 2330) bzw. 1100 DM (Stand 1. 1. 1989, NJW 1988, 2352) beträgt, verbleibt. Ein höherer Selbstbehalt, insbesondere ein Satz von 1300 DM, wie er bislang gegenüber volljährigen Kindern galt (§ 1603 I BGB - Abschnitt A Anm. 5 der Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 1. 1985) bzw. von 1400 DM, wie er nunmehr gegenüber volljährigen Kindern gilt (§ 1603 I BGB - Abschnitt A Anm. 5 der Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. 1. 1989), kommt nicht in Betracht. Der Unterhaltsanspruch des Ag. beträgt daher nicht mehr als 310 DM im Monat bis einschließlich 31. 12. 1988 und nicht mehr als 200 DM im Monat ab 1. 1. 1989.
Ein Unterhaltsanspruch des Ag. ist jedoch im Ergebnis nach § 1579 Nr. 7 BGB zu versagen. Eine Inanspruchnahme der Ast. wäre grob unbillig, weil ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in § 1579 Nr. 1 bis 6 BGB aufgeführten Gründe. Wie bereits erwähnt, leidet der Ag. an einer Neurose in der Form der Neurasthenie. Er hat sich zunächst unauffällig entwickelt, war leistungsfähig, sozial intergriert und ging eine stabile Bindung zur Ast. ein. Erst die im Laufe des Jahres 1975 eintretenden Veränderungen in seinem Leben, nämlich die Trennung vom Elternhaus, der Aufbau der Wohn- und Lebensgemeinschaft mit der Ast., die Heirat und schließlich die lebensbedrohende Erkrankung seiner Mutter führten zu einer Veränderung seiner Persönlichkeit und gegen Ende des Jahres 1975 zu ersten Krankheitssymptomen, wie Schwindel, Schweißausbrüchen, Ängsten usw. Der Ag. dessen Persönlichkeit durch hohe Selbsteinschätzung, hohe Ansprüche an sich selbst, mangelnde Selbstkritik, Abhängigkeit und Aggressionshemmung gekennzeichnet ist, geriet durch diese Veränderungen in einen Zustand der Dekompensation, konnte also die Störungen nicht kompensieren, sondern zog sich stattdessen auf eine frühere Entwicklungsstufe zurück. Sein derzeitiges neurotisches Leiden ist wesentlich von Begehrensvorstellungen, durch das Streben nach Versorgung und Sicherheit, die andere ihm geben sollen, bestimmt. Es handelt sich um unangemessene Wunsch- und Begehrenstendenzen, wie sie einem kindlichen Entwicklungsstadium entsprechen, nicht aber der Entwicklungsstufe eines Erwachsenen, der die volle Verantwortung für sich selbst trägt.
Die Krankheit des Ag. ist im wesentlichen davon geprägt, daß er sich von Dritten, sei es von der Ast. oder seinen Eltern, unterhalten und versorgt sehen will. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß er sich - von einer psychoanalytischen Behandlung im Sommer und Herbst 1976 abgesehen - keiner gezielten Therapie unterzogen, sondern seit 1978 nur noch praktische Ärzte und Internisten konsultiert und sich im wesentlichen auf die Einnahme von Beruhigungsmitteln und Psychopharmaka beschränkt hat. Dr. H hat in seinem Gutachten nachdrücklich eine stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Das AG hat sich durch Beschluß vom 19. 6. 1987 dem angeschlossen und dem Ag. eine Frist zur Aufnahme einer solchen Behandlung gesetzt. Ob für die Fristsetzung eine Rechtsgrundlage gegeben war, kann offen bleiben. Jedenfalls hat das
OLG Düsseldorf: Versagung von nachehelichem Unterhalt wegen Unterhaltsneurose NJW-RR 1989 Heft 19 1158
AG den Ag. eindeutig darauf hingewiesen, daß die Nichtaufnahme einer Behandlung unterhaltsrechtliche Konsequenzen haben werde. Gleichwohl hat sich der Ag. unstreitig nicht in psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung begeben, obwohl er therapiefähig war und heute noch ist und er mit ärztlicher Unterstützung die einmal begonnene Therapie auch fortsetzen kann. Die Erfolgschancen dieser Therapie lagen zum Zeitpunkt der stationären Begutachtung im Jahre 1986 bei 50%, bei rechtzeitigem Beginn im Jahre 1978 hätten die Heilungsaussichten bei etwa 70 % gelegen. Der Heilungsprozeß könnte unterstützt werden, wenn der Ag. keinen Unterhalt und keine Unterstützung mehr erhalten würde. Dadurch würde ein Leidensdruck geschaffen, der die Überwindung der Krankheit unterstützen würde. Demgegenüber würde die Gewährung von Unterhalt den Ag. in seiner neurotischen Fehlhaltung und in seinen unangemessenen Begehrenstendenzen weiter bestärken. Der Senat stützt auch diese Feststellungen auf die überzeugenden Gutachten des Facharztes Dr. H und der Psychologin S. Auf die obige Beweiswürdigung wird verwiesen.
Der Ag. leidet daher an einer zu somatischen Beschwerden führenden charakterlichen Fehlhaltung, die in unangemessenen Wunsch- und Begehrenstendenzen wurzelt (vgl. BGH, NJW 1965, 2293 (2294)), also an einer Unterhaltsneurose. Ob eine solche Krankheit die Versagung von Unterhaltsansprüchen rechtfertigen kann, ist - soweit ersichtlich - vom BGH nur im Rahmen des § 60 EheG entschieden worden (BGH, NJW 1984, 1816 = FamRZ 1984, 660 (661) ). Der BGH hat in dieser Entscheidung ausgeführt, daß die Billigkeitsprüfung des § 60 EheG sich nur auf die dort genannten Sachverhaltselemente (Bedürftigkeit, Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des verpflichteten Ehegatten und der unterhaltspflichtigen Verwandten) zu beschränken habe und es daher darauf ankomme, ob die neurotischen Fehlvorstellungen durch ärztliche Behandlung überwunden werden könnten. Der erkennende Senat hat - wenn auch in anderer Besetzung - entschieden, daß es dem Zweck des Unterhaltsrechts zuwider laufen würde, wenn Unterhalt nur deshalb zugesprochen würde, weil der Anspruchsteller eine neurotische Fehlhaltung entwickle, die ihn an der Arbeitsaufnahme hindere (FamRZ 1981, 255 (256)). Dem hat sich der 3. Senat für Familiensachen des OLG Düsseldorf (FamRZ 1982, 518 (519) ) angeschlossen.
Der BGH hat in mehreren Entscheidungen zur Rentenneurose im Schadensersatzrecht Stellung genommen. Die Grenze der Ersatzpflicht ist danach erreicht, wenn der neurotische Zustand des Geschädigten im wesentlichen durch das - wenn auch unbewußte - Streben nach Versorgung und Sicherheit oder durch eine zu starke Anklammerung an eine vorgestellte Rechtsposition zu erklären ist (BGHZ 20, 137 (142) = NJW 1956, 1108; BGH, NJW 1965, 2293). Entscheidend ist, ob das Schadensereignis nur eine seinem Wesen nach auswechselbare Ursache, der Kristallisationspunkt für die Entstehung der Neurose, ist (BGH, NJW 1986, 777 (779)). Ist dies der Fall, so ist die Ersatzpflicht zu verneinen. Ist die Neurose dagegen durch körperlich oder seelisch schwer belastende Ereignisse verursacht worden, hat der Schädiger auch für Folgen einzustehen, die bei einer stärker gefestigten seelischen Konstitution des Betroffenen nicht entstanden wären (BGH, NJW 1965, 2293 (2294); 1986, 777 (779)). Dementsprechend hat der BGH im Entschädigungsrecht die Grenzen der Entschädigungspflicht des Staates weit gezogen, weil die unmenschliche Behandlung der Häftlinge im Konzentrationslager im besonderen Maße zu schweren seelischen Störungen führen konnte (BGHZ 39, 313 (317 f.) = LM § 28 BEG 1956 Nr. 15).
Göppinger-Kindermann (UnterhaltsR, 5. Aufl., Rdnr. 1126) vertreten die Auffassung, daß der an einer solchen Neurose leidende Berechtigte in der Regel letztlich doch arbeitsfähig sei, so daß seine Bedürftigkeit verneint werden müsse. Dieser Weg ist jedoch dann versperrt, wenn die Neurose nicht oder jedenfalls nicht in absehbarer Zeit heilbar ist. Dann muß der Berechtigte als bedürftig angesehen werden (so mit Recht BGH, NJW 1984, 1816 = FamRZ 1984, 660 (661) ). So liegt es hier. Die Heilung der Krankheit des Ag. ist - wenn überhaupt - erst nach einer längeren Heilbehandlung zu erwarten. Die Heilungschancen sind letztlich ungewiß. Der Ag. ist daher arbeitsunfähig und bedürftig. Können sichere Voraussagen über einen Heilungserfolg nicht getroffen werden, so kommt auch eine Versagung des Unterhaltsanspruchs nach § 1579 Nr. 3 BGB nicht in Betracht.
Nach Auffassung des Senats eröffnet jedoch das seit 1977 geltende Unterhaltsrecht - anders als §§ 58 ff. EheG - in § 1579 Nr. 7 BGB die Möglichkeit, einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zu verneinen oder zu beschränken, wenn die Unterhaltsneurose die Inanspruchnahme des anderen Ehegatten als grob unbillig erscheinen läßt. Es ist anerkannt, daß die aus der Unterhaltspflicht erwachsene Belastung auch dann für den Verpflichteten die Grenze des Zumutbaren übersteigen kann, wenn dies allein durch objektive Gegebenheiten und durch Entwicklungen der Lebensverhältnisse der Ehegatten bedingt ist (BGH, NJW-RR 1988, 834 = FamRZ 1988, 930 (932)). Demgemäß kann auch eine Unterhaltsneurose, selbst wenn sie sich, wie hier, ohne nachweisbares Verschulden manifestiert hat, nicht aus dem Kreis der nach § 1579 Nr. 7 BGB erheblichen Umstände ausgeschlossen werden. Ob sie die Unterhaltspflicht als unzumutbar erscheinen läßt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Anlegung eines strengen Maßstabs zu entscheiden. Dabei wird es auch darauf ankommen, ob die charakterliche Fehlhaltung durch seelisch oder körperlich schwer belastende Ereignisse bedingt ist oder ob sie durch Umstände verursacht ist, die im normalen Verlauf eines Lebens regelmäßig auftreten und üblicherweise ohne seelische Schädigung überwunden werden. Im ersteren Fall kann die Inanspruchnahme des Verpflichteten noch zumutbar sein, insbesondere dann, wenn er selbst diese Ereignisse verurscht hat, z. B. durch körperliche Mißhandlung oder gravierende Mißachtung der ehelichen Treuepflicht. So liegt es hier jedoch nicht. Als Ursache der neurotischen Fehlhaltung des Ag. kommen allein Umstände in Betracht, die üblicherweise jeden im Verlauf seines Lebens treffen und ohne nachhaltigen seelischen Schaden überstanden werden, wie die Trennung von den Eltern bei Begründung einer Partnerschaft, anschließende Heirat, Wohnungssuche und Kauf der Wohnungseinrichtung. Dies gilt auch von der lebensbedrohenden Erkrankung der Mutter im Jahre 1975, zumal diese wieder genesen ist. Ihrem jetzigen Ehemann hat sich die Ast. erst im Jahre 1982 zugewandt, nachdem sie den Ag. seit 1978 unterhalten und ihn - wie sie glaubhaft versichert hat und auch vom Ag. letztlich nicht bestritten worden ist - wiederholt zur Arbeitssuche aufgefordert hatte. Das Scheitern der Ehe der Parteien beruht daher im wesentlichen auf schicksalhaften Gegebenheiten. Bei der Abwägung fällt zum Nachteil des Ag. ins Gewicht, daß er sich - obwohl therapiefähig - seit 1976 keiner nachhaltigen, erfolgversprechenden ärztlichen Behandlung unterzogen und sich im wesentlichen auf die Einnahme von Beruhigungsmitteln beschränkt hat. Wenn auch eine Gesundung nicht hinreichend sicher vorausgesagt werden kann, bestanden früher gute Genesungsaussichten; auch jetzt besteht noch eine Gesundungschance von 50 %, falls sich der Ag. einer Therapie unterziehen sollte. Hinzu kommt, daß die Ast. an körperlichen Beschwerden leidet, nur eingschränkt arbeitsfähig ist und daher nur über ein bescheidenes Einkommen von 1300 DM im Monat verfügt. Auf das Einkommen ihres Lebensgefährten und jetzigen Ehemannes kommt es nicht an, da dieser nicht verpflichtet ist, mittelbar zum Unterhalt des Ag. beizutragen. Zudem verfügt er, wie die Ast. im Senatstermin unwidersprochen angegeben hat und daher unstreitig ist (§ 138 II ZPO), über ein Nettoeinkommen von rund 2200 DM im Monat und muß seiner ersten Ehefrau 500 DM Unterhalt zahlen. Zugunsten des Ag. spricht, daß ohnehin für ihn nur ein geringer Unterhalt von 310 DM bzw. 200 DM im Monat in Betracht kommt und daß er in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt. Gleichwohl kann der Ast. nicht zugemutet werden, an ihn Unterhalt zu zahlen, weil jede weitere Zahlung ihn in seinen neurotischen Begehrenstendenzen stärken würde, während eine Einstellung der Zahlungen den Leidensdruck mehren, die Bereitschaft zur Aufnahme einer Therapie fördern und damit die Chancen einer Gesundung erhöhen kann. Unter diesen Umständen ist die in § 1579 Nr. 7 BGB aufgezeigte Grenze überschritten. Die Inanspruchnahme der Ast. ist für sie unzumutbar und erscheint daher grob unbillig. Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung ist daher zu versagen.
(Mitgeteilt von Vors. Richter am OLG H. Scholz, Düsseldorf)
Anm. d. Schriftltg.:
Die zugelassene Revision ist nicht eingelegt worden. Zu einem vergleichbaren Fall im Unterhaltsverhältnis des volljährigen Kindes zu seinen Eltern s. OLG Frankfurt, FamRZ 1987, 408.
Versagung von nachehelichem Unterhalt wegen Unterhaltsneurose NJW-RR 1989 Heft 19 1159
NJW-RR 1989, 1157
[editiert: 04.05.04, 10:04 von Ingrid]