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Urteil XII ZR 177/06
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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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Nr. 150/2008
Zum Unterhaltsbedarf und zum Rang der Ansprüche, wenn der Unterhaltspflichtige neben einem geschiedenen Ehegatten auch einem neuen Ehegatten unterhaltspflichtig ist
Der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 geänderten Unterhaltsrecht zu befassen. In Rechtsprechung und Literatur war noch weitgehend ungeklärt, wie der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau zu bemessen ist und ob sich die Ansprüche wechselseitig zur Höhe beeinflussen. Zum 1. Januar 2008 ist durch § 1609 BGB auch der Rang der beiden Unterhaltsansprüche geändert worden, was sich immer dann auswirkt, wenn der Unterhaltspflichtige unter Wahrung des ihm verbleibenden Selbstbehalts (hier: 1000 €) nicht alle Ansprüche voll befriedigen kann.
Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte hatten 1978 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Nach Trennung im Mai 2002 wurde die Ehe im April 2005 rechtskräftig geschieden. Zuvor hatten die Parteien im Scheidungsverbundverfahren einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtet hatte, an die Beklagte, die seit 1992 vollschichtig als Verkäuferin arbeitete und eigene Einkünfte von rd. 1175 € zur Verfügung hatte, einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 600 € zu zahlen. Der Kläger, der nach wie vor als Lehrer mit Bezügen nach der Besoldungsgruppe A 12 tätig ist, begehrt den Wegfall seiner Unterhaltspflicht für die Zeit ab Oktober 2005 und Rückzahlung der seit Rechtshängigkeit des Verfahrens gezahlten Unterhaltsbeträge. Er beruft sich darauf, im Oktober 2005 wieder geheiratet zu haben und die bereits am 1. Dezember 2003 geborene Tochter seitdem zu unterhalten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau teilweise herabgesetzt. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
1. Zur Bedarfsbemessung:
Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der geschiedenen und der neuen Ehefrau des Beklagten nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) ist der Bundesgerichtshof von seiner neueren Rechtsprechung ausgegangen, wonach nicht nur ein späterer Einkommensrückgang, sondern auch ein späteres Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist (BGH Urteil vom 6. Februar 2008 – XII ZR 14/06 – FamRZ 2008, 968). Eine Grenze für diese Berücksichtigung ergibt sich erst in Fällen unterhaltsrechtlich vorwerfbaren Verhaltens, was weder beim Hinzutreten später geborener Kinder noch bei Heirat einer neuen Ehefrau der Fall ist.
Wenn sich somit auch der Unterhaltsbedarf einer geschiedenen und einer neuen Ehefrau gegenseitig beeinflussen, ist der jeweilige Bedarf aus einer Drittelung des vorhandenen Einkommens zu ermitteln. Ist nur ein Unterhaltsberechtigter Ehegatte vorhanden, ergibt sich dessen Bedarf aus einer Halbteilung des vorhandenen Einkommens. Dem Halbteilungsgrundsatz kann aber nicht entnommen werden, dass dem Unterhaltspflichtigen stets und unabhängig von der Zahl der Unterhaltsberechtigten immer die Hälfte seines Einkommens verbleiben muss. Diesem Grundsatz ist vielmehr lediglich zu entnehmen, dass dem Unterhaltspflichtigen stets so viel verbleiben muss, wie ein Unterhaltsberechtigter durch eigene Einkünfte und den ergänzenden Unterhalt zur Verfügung hat. Bei nur einem unterhaltsberechtigten Ehegatten ist das die Hälfte, bei einem früheren und einem neuen Ehegatten ein Drittel.
Der Bundesgerichtshof hat den Fall zugleich zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Behandlung des Splittingvorteils aus der neuen Ehe zu ändern. Nach der zum früheren Recht ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs musste der Splittingvorteil stets der neuen Ehe verbleiben. Der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau musste deswegen auf der Grundlage eines fiktiven und geringeren - weil nach der Grundtabelle zu versteuernden – Einkommens errechnet werden. Weil sich nunmehr der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau wechselseitig beeinflussen, konnte der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgeben. Allerdings darf ein geschiedener Ehegatte nicht mehr Unterhalt erhalten, als ihm ohne Einbeziehung des Splittingvorteils zustünde, wenn er allein unterhaltsberechtigt wäre.
2. Zum Rang der Unterhaltsansprüche:
Das Oberlandesgericht hatte die geschiedene und die neue Ehefrau des Unterhaltspflichtigen schon nach dem für Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht (§ 1582 BGB a.F.) als gleichrangig angesehen. Dies hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhaft gerügt. Der Rang der Unterhaltsansprüche mehrerer Ehegatten war nach dem bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht vornehmlich durch den Prioritätsgedanken bestimmt. Nach der Intention des Gesetzes musste sich ein neuer Ehegatte auf die schon bestehenden Unterhaltspflichten einrichten und konnte im Mangelfall nur den Unterhalt bekommen, der dem Unterhaltspflichtigen nach Erfüllung der Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau unter Wahrung seines eigenen Selbstbehalts zur Verfügung stand. Bei diesem Vorrang der geschiedenen Ehefrau, den auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt hatte, hat es nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs für die Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 zu verbleiben, so dass die Beklagte der neuen Ehefrau des Klägers vorging.
Für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 hat das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz allerdings eine neue Rangfolge festgelegt. Der Gesetzgeber hat dabei den Prioritätsgedanken weitgehend aufgegeben und auf das Gewicht der einzelnen Unterhaltsansprüche abgestellt. Nach den im ersten Rang stehenden Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder sind im zweiten Rang stets die Ansprüche Kinder betreuender Eltern auf Betreuungsunterhalt zu befriedigen. Weil die neue Ehefrau des Beklagten das gemeinsame Kind betreut, das noch keine drei Jahre alt war, ist sie zweitrangig unterhaltsberechtigt. Andere Ehegatten oder geschiedene Ehegatten stehen nur dann im gleichen zweiten Rang, wenn eine lange Ehedauer vorliegt. Dabei ist aber nicht allein auf die Dauer der Ehe abzustellen. Vielmehr ist gemäß den §§ 1609 Nr. 2, 1578 b BGB entscheidend darauf abzustellen, ob die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau ehebedingte Nachteile erlitten hat. Weil die Beklagte in ihrer 24-jährigen und kinderlosen Ehe hier seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und deswegen ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich sind, ist ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Januar 2008 gegenüber der neuen Ehefrau nachrangig.
Urteil vom 30. Juli 2008 XII ZR 177/06 –
Amtsgericht Lingen (Ems) – Urteil vom 21.06.2006 – 19 F 133/06 UE
Oberlandesgericht Oldenburg – Urteil vom 26.09.2006 – 12 UF 74/06
Karlsruhe, den 31. Juli 2008
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
und
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Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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Nr.146/2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten folgenden Terminhinweis geben:
Verhandlungstermin: 30. Juli 2008
XII ZR 177/06
AG Lingen – 19 F 133/06 – Urteil vom 21. Juni 2006
OLG Oldenburg – 12 UF 74/06 – Urteil vom 26. September 2006
– FamRZ 2006, 1842
Der XII. Zivilsenat hat am 30. Juli 2008 über weitere Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Unterhaltsrechtsreformgesetz zu entscheiden. Für Fälle, in denen neben einem geschiedenen Ehegatten auch ein neuer Ehegatte unterhaltsberechtigt ist, ist sowohl die Bemessung des jeweiligen Unterhaltsbedarfs, als auch der Rang des geschiedenen und des neuen Ehegatten im Falle einer Leistungsunfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten klärungsbedürftig.
Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte hatten 1978 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Nach Trennung im Mai 2002 wurde die Ehe im April 2005 rechtskräftig geschieden. Zuvor hatten die Parteien im Scheidungsverbundverfahren einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtet hatte, an die Beklagte, die seit 1992 vollschichtig als Verkäuferin arbeitete und zuletzt rd. 1075 € verdiente, einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 600 € zu zahlen.
Der Kläger, der nach wie vor als Lehrer mit Bezügen nach der Besoldungsgruppe A 12 tätig ist, begehrt nunmehr den Wegfall seiner Unterhaltspflicht für die Zeit ab Oktober 2005 und Rückzahlung der seit Rechtshängigkeit des Verfahrens gezahlten Unterhaltsbeträge. Er beruft sich darauf, im Oktober 2005 wieder geheiratet zu haben und die bereits am 1. Dezember 2003 in Polen geborene gemeinsame Tochter S. seitdem zu unterhalten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage teilweise stattgegeben; es ist schon für das frühere Unterhaltsrecht von einem – nach seiner Auffassung verfassungsrechtlich gebotenen – Gleichrang der Unterhaltsansprüche beider Ehegatten ausgegangen und hat die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber der Beklagten auf zuletzt 200 € monatlich herabgesetzt. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, an den Kläger insgesamt 2.800 € überzahlten Unterhalt zurückzuzahlen. Dagegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Die Höhe des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten richtet sich nach § 1578 Abs. 1 BGB, der folgende Regelung enthält:
1578 BGB Maß des Unterhalts
(1) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen…
Der Rang eines unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten gegenüber einem neuen Ehegatten war nach dem für Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 geltenden früheren Recht wie folgt geregelt:
1582 BGB Rangverhältnisse mehrerer Unterhaltsbedürftiger
(1) Bei Ermittlung des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des § 1581 der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser nicht bei entsprechender Anwendung der §§ 1569 bis 1574, § 1576 und des § 1577 Abs. 1 unterhaltsberechtigt wäre. Hätte der neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unterhaltsanspruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor, wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unterhaltsberechtigt ist oder die Ehe mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer war. Der Ehedauer steht die Zeit gleich, in der ein Ehegatte wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nach § 1570 unterhaltsberechtigt war.
(2) …
Während § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert geblieben ist, hat das Unterhaltsrechtsreformgesetz für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 die folgende neue Rangfolge eingeführt:
1609 BGB Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter
Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, gilt folgende Rangfolge:
1.minderjährige unverheiratete Kinder und Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2,
2.Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile im Sinne des § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 zu berücksichtigen,
3.Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nummer 2 fallen,
4.Kinder, die nicht unter Nummer 1 fallen,
5.Enkelkinder und weitere Abkömmlinge,
6.Eltern,
7.weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die Näheren den Entfernteren vor.
Der Bundesgerichtshof wird zunächst klären müssen, welche Bedeutung der Halbteilungsgrundsatz für die Aufteilung der erzielten Einkünfte auf die beiden Unterhaltsberechtigten und den Unterhaltspflichtigen erlangt, wenn sowohl die geschiedene als auch die neue Ehefrau ihren Unterhaltsbedarf aus den ehelichen Lebensverhältnissen herleiten. Dabei wird er auch zu der in Teilen der Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Drittelteilung des vorhandenen Gesamteinkommens Stellung nehmen müssen.
Weiter wird der Bundesgerichtshof für den Fall einer nur eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen den Rang der Ansprüche nach altem und neuem Recht klären müssen. Klärungsbedürftig ist dabei vor allem der Begriff der "langen Dauer" einer Ehe nach der Neuregelung in § 1609 Nr. 2 BGB.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
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